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Der Arzt auf Java – Erster Band – Kapitel 7

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Erster Band
Kapitel 7

Ein sonderbares Kodizill

Der Mann des Gesetzes, den wir sahen, wie er Eusebius van der Beek und Esther Menuis den Tod ihres Onkels, des Doktor Basilius, anmeldete, war der erste Schreiber des Notar Maes. Dieser wohnte auf dem Platz Weltevrede, einem der schönsten Plätze von Batavia. Er war ein großes Original, dem es indes nicht an Charakter mangelte und der wohl der Mühe lohnt, dass wir seiner physischen und moralischen Beschreibung eine oder zwei Blätter widmen.

In physischer Beziehung war Meister Maes groß, dick, aufgedunsen. Er hatte die Figur eines Regimentstambours und daneben ein unbärtiges Gesicht, eine Roxelanennase und eine Haut von Rosen und Lilien, welche den sonderbarsten Kontrast zu seiner herkulischen Gestalt bildeten.

Moralisch betrachtet war Meister Maes doppelt, das heißt, es gab bei ihm zwei Menschen in einer und derselben Haut. Der eine dieser beiden Menschen war Meister Maes, der Notar, der andere Herr Maes schlechthin. Es konnte nichts Ruhigeres, Pünktlicheres, Methodischeres, Geregelteres geben, als Meister Maes, den Notar. Hätte ein Klient seine Anwesenheit um vier Uhr morgens verlangt, so würde er nicht anders ausgegangen sein, als im schwarzen Anzug mit weißer Halsbinde und frischen Handschuhen, gerade wie die Etikette in Batavia es vorschrieb.

Niemand konnte sich erinnern, ihn zu Fuß auf einer der Straßen der Stadt gesehen zu haben, solange die Sonne am Horizont stand. Bei der Ausübung seines Amtes lächelte er nie. Seine Physiognomie blieb stets ernst und roch beständig etwas nach dem Testament, selbst, wenn es sich um einen Heiratskontrakt handelte. Er sprach zu seinen Klienten nur in der dritten Person und wusste geschickt das Gespräch zu lenken, wenn es sich auf Gegenstände verirrte, die außerhalb der Funktionen seines Amtes lagen.

Am Abend aber, Punkt sechs Uhr, legte Meister Maes mit einem lauten Seufzer der Befriedigung seine Haltung, seine Kleidung und seine finstere Physiognomie ab. Ein Lächeln der Zufriedenheit ergoss sich über sein breites Gesicht. Er entledigte sich des schwarzen Fracks und der schwarzen Beinkleider, die ihn so weit und so bequem umschlossen, dass Madame Maes, eine anständige und sehr ordentliche Frau, obwohl lebhaft und ungestüm, darüber unglücklich war. Er legte dann einen Anzug von weißem Piqué an und versuchte so lebhafte Sprünge zu machen, wie sein schwerfälliger Bau es ihm gestattete, trank vier oder fünf Gläser Gingerbeer Zug auf Zug und wurde Meister Maes kurzweg, das heißt, ein heiterer Gesellschafter, der nicht nur nach seinem Mittagsessen die Genüsse einer Pfeife Opium nicht verschmähte, sondern sich sogar zuweilen in die engen Gässchen und unter die Strohdächer von Mynheer Cornelis verirrte, und der in solchen Fällen regelmäßig seinen Abend im chinesischen Viertel, im kleinen Theater des Platzes Voyang Tschina beschloss, wohin er, wie böse Zungen behaupteten, viel weniger ging, um die dramatische Literatur des himmlischen Reiches zu studieren, als die häuslichen Sitten der hübschen Malayinnen, welche diesem Theater seine verführerischesten Besucherinnen lieferten.

Herr Maes war zu der Stunde, in welcher wir ihn einführen, noch nicht bis zu der lustigen Phase seiner täglichen Existenz gelangt. Es konnte etwa halb sechs Uhr nachmittags sein. Er befand sich in seinem Kabinett, einem Schreibtisch gegenüber, der mit Papieren und Aktenheften überhäuft war, die er mit einer Genauigkeit untersuchte, welche wohl geeignet war, seinen Klienten ein festes Vertrauen einzuflößen. Von Zeit zu Zeit jedoch wandte sein gewaltiger Körper sich schmerzhaft in seiner schwarzen Kleidung. Sein Hals streckte sich krampfhaft aus seiner weißen Binde hervor, als wären beide ungeduldig, sich ihrer Fesseln zu entledigen. Ehe er dann die Blicke wieder auf seine Papiere richtete, sah er melancholisch nach einer großen Uhr, die mit einer verzweiflungsvollen Langsamkeit und Monotonie verrückte.

Die Tür öffnete sich.

»Herr Notar«, sagte eintretend einer der Schreiber, »Madame van der Beek-Menuis wünschte Sie zu sprechen, wenn es Ihnen nicht zu lästig wäre.«

»Lassen Sie sie eintreten, Wilhelm Ryck«, erwiderte Meister Maes. »Man muss die Klienten nie warten lassen, und noch viel weniger die Klientinnen«, fügte der Notar mit einem bedeutsamen Lächeln hinzu. Und da er einsah, dass der junge Mann diesen Worten eine leichtfertige Deutung geben könnte, verbesserte sich Meister Maes, indem er sagte: »Besonders, wenn es so ehrenwerte Klientinnen wie Madame van der Beek-Menuis sind. Lassen Sie sie also eintreten, mein Freund.«

Der Notar warf einen flüchtigen Blick in einen kleinen Spiegel, der über einem Diwan von karmesinroter Seide hing, um sich zu überzeugen, dass seine ungeduldige Regung von vorhin die Falten seiner Kravatte und die Harmonie seiner Kleidung nicht gestört hätte.

Der Schreiber führte Madame van der Beek ein. Die kürzlich überstandene Krankheit Esthers, die Befugnisse, die sie für die Gesundheit ihres Mannes hegte, ließen ihre Spuren auf dem Gesicht der jungen Frau zurück. Sie war sehr blass, aber deshalb vielleicht nur um so hübscher.

Der Notar schob ihr artig einen Stuhl zu.

»Vor allen Dingen, Madame«, sagte er mit dem teilnahmsvollen Ton, »will ich mich nach der Gesundheit des Herrn van der Beek erkundigen.«

»Es geht mit meinem Mann besser«, antwortete die junge Frau. »Zum Glück für ihn sind von allen Orakeln die mindest zuverlässigenden der medizinischen Fakultät, denn sein Arzt hat mich wahrhaft in Verzweiflung gebracht.«

Meister Maes lächelte und Madame van der Beek fuhr fort: »Die Jugend und die kräftige Konstitution meines Mannes haben über die Krankheit triumphiert und er ist glücklich von dem entsetzlichen Delirium geheilt, während dessen er von furchtbaren Visionen gemartert wurde. Auf diesen Zustand fieberhafter Aufregung folgte eine noch beunruhigendere Betäubung, über die wir jedoch zu triumphieren hoffen.«

»Ich glaube«, unterbrach sie der Notar, welcher dem Anstand ein hinlängliches Opfer gebracht zu haben meinte, und der bei der vorgerückten Stunde zum Geschäft zu gelangen wünschte, »ich glaube, dass Madame van der Beek zu mir gekommen sind, um mit mir über die Erbschaft ihres Onkels, des Doktor Basilius, zu sprechen.«

»Ganz gewiss, mein Herr, denn Ihr Schreiber, den Sie gestern zu uns schickten, sprach von einem Kodizill, welches gewisse Bedingungen enthielte, die die Bestimmungen aufheben könnten, deren wesentlichen Inhalt sie uns mitgeteilt hatten.«

»In der Tat, Madame, aber beginnen wir beim Anfang. Gestatten die Madame van der Beek mir daher zunächst den Erfolg von der Aufnahme des Inventars zu berichten, das ich dem Gesetz gemäß über die beweglichen und unbeweglichen Güter des verstorbenen Doktor Basilius aufnehmen musste.«

»Wie Sie wollen, mein Herr«, erwiderte, sich verneigend, Madame van der Beck.

»Ich werde daher die Ehre haben, Madame zu sagen«, fuhr der Notar fort, »dass diese Erbschaft bedeutend ist, bedeutender, als dieselbe und ihr Gatte sie vernünftigerweise vermuten konnten. Ich finde ein Aktivum von nicht weniger als 1 1/2 Millionen Gulden. Was die Passiva betrifft, so hatte der Doktor Basilius eine solche Ordnung in seinen Geschäften, dass er nie eine Centime schuldig war.«

»Ach, mein Gott!«, rief die junge Frau, »Mein armer Eusebius! Welche Freude für mich, ihn reich zu sehen, all den Luxus genießend, den wir gleich den übrigen Armen beneideten, als wir ihn in der Ferne erblickten, ohne Hoffnung, ihn jemals selbst kennenzulernen.«

»Fügen die Madame noch hinzu«, sagte Meister Maes, »dass deren Befriedigung doppelt groß sein muss durch das Glück, den Gatten zu bereichern, denn die Erbschaft kommt von Ihrer Seite.«

Die bleichen Wangen Esthers färbten sich rot und sie sagte: »Ich gestehe Ihnen, mein Herr, dass ich meinen armen Eusebius innig liebe, denn er selbst hat mir so große Beweise seiner Liebe gegeben!«

Der Notar richtete einen Blick auf die Uhr und schien zu bereuen, von der Sache abgeschweift zu sein. Er fuhr daher eilig fort: »Ich habe die Ehre, der Madame van der Beek hier eine Abschrift des Inventars vorzulegen — das Vermögen des Doktor Basilius, gegenwärtig das der verehrten Dame, besteht demnach in Folgendem: Erstens in einer Pflanzung im Distrikt von Buytenzorg, geschätzt aus 600.000 Gulden.

Zweitens in 400.000 Gulden, angelegt beim Hause van der Broik, einem der solidesten in Batavia.

Drittens 230.000 Gulden, bar vorgefunden in der Wohnung des Verstorbenen und zu meinem Domizil gebracht.

Viertens in verschiedenen Waren, teils zu meinem Domizil, teils zur Niederlage geschafft.«

Madame van der Beek unterbrach den Notar. »Ich zweifle nicht, mein Herr«, sagte sie, »dass Ihr Inventar vollkommen in Ordnung ist. Ich bitte Sie daher, uns zu dem erwähnten Kodizill kommen zu lassen.«

Diese Abweichung von der strengen Regel schien Meister Maes etwas in Verlegenheit zu bringen. Er hustete, trocknete sich langsam das Gesicht mit dem Taschentuch, runzelte die Stirn, schob die Brille in die Höhe, die er trug, solange er Notar war, nicht nur als Schmuck seines Gesichtes, sondern auch als Anhängsel seines Amtes, und spielte mit seiner goldenen Uhrkette.

»Ich werde die Ehre haben, der Madame van der Beek-Menuis zu sagen, dass ich es vorziehe, die Wiederherstellung des Herrn Eusebius van der Beek, ihres Gatten, zu erwarten, um ihr diese höchst sonderbare Klausel im Testament des verstorbenen Herrn Doktor Basilius mitzuteilen, eine Klausel, welche übrigens lediglich Herrn van der Beek interessiert, wo nicht an und für sich selbst, wenigstens durch ihre Wirkungen. Herr van der Beek ist der natürliche und gesetzmäßige Vormund der Legatarien. Es scheint mir daher möglich, ausführbar und zweckmäßig, den Genannten in Besitz der Güter Ihres verstorbenen Onkels zu setzen und solange das Kodizill ruhen zu lassen, welches nichts Dringendes enthält, besonders während der Krankheit des Herrn van der Beck. Nach seiner Genesung wird Herr van der Beek dieses Kodizill seiner Frau mitteilen, nachdem er selbst davon Kenntnis genommen hat.«

»Wahrlich, mein Herr«, entgegnete die junge Frau, »Sie machen mich sehr gespannt. Indes ist es nicht bloß die Neugier, welche mich auf meinen Wunsch bestehen lässt. Eusebius kann noch längere Zeit nicht die Leitung unserer Angelegenheiten übernehmen. Überdies halte ich es, nach manchen Äußerungen seines Fieberwahnsinns, für zweckmäßig, dass die Erinnerung an gewisse Episoden seines Verkehrs mit meinem Onkel aus seinem Gedächtnis entfernt werde. Ich beschwöre Sie daher, sprechen Sie und teilen Sie mir dieses Kodizill in seiner ganzen Sonderbarkeit mit.«

»O, es ist in der Tat durchaus sonderbar, Madame«, entgegnete der Notar, »so sonderbar, dass ich nicht weiß, wie ich der Madame van der Beek-Menuis den Gedanken des Testators auf eine passende Weise erklären soll, ohne die Achtung zu verletzen, die ich derselben so wie mir selbst schuldig bin. Wenn es noch allenfalls sechs Uhr abends wäre«, fügte er lachend hinzu.

»Jedenfalls, mein Herr«, erwiderte Esther, indem sie ebenfalls zu lächeln versuchte, »brauchen Sie darauf nicht lange zu warten, denn eben schlägt es sechs Uhr.«

In diesem Augenblick und während noch der letzte Schlag der sechsten Stunde ertönte, öffnete sich die Tür, und eine kleine Frau tobte wie ein Sturmwind herein. Es war die ehrenwerte Madame Maes.

»Nun, woran denkst du denn heute?«, rief sie, ohne zu bemerken, dass ihr Mann nicht allein war. »Es sind wenigstens zehn Minuten her, seitdem es an der Gouvernementsuhr sechs schlug. Die Schreiber haben das Kontor verlassen. Weshalb zögerst su, es eben so zu machen wie sie?«

Der Notar zeigte seiner Frau die Madame van der Beek, welche aufgestanden war.

»Wilhelmine«, sagte er, »dies ist Madame van der Beck, die ich die Ehre habe, dir vorzustellen; Madame van der Beek – Madame Maes.«

Diese erwiderte den Gruß der jungen Frau durch eine tiefe Verbeugung.

Madame Maes war ein ganz eigentümliches Gegenstück ihres Mannes. Sie war ungestaltet wie er, doch nicht in der Länge, sondern in der Breite, und hatte in dieser Richtung eine solche Entwickelung gewonnen, dass es wenig Türen gab, durch die sie anders als von der Seite zu gelangen vermochte. Ihre kleinen lebhaften und funkelnden Augen, ihre aufgestülpte Nase, ihr breiter Mund, geschmückt mit zweiunddreißig Zähnen, die sie bei jeder Gelegenheit zeigte, gaben ihrer Physiognomie einen umso sonderbareren Ausdruck, wie der Himmel sie reichlich mit der männlichen Zierde geschmückt hatte, die ihrem Gatten fehlte, sodass ihr ganzes Gesicht mit einem weißlichen Flaum bedeckt war.

Die Lebendigkeit der dicken Dame bildete einen sonderbaren Kontrast zu ihrem Wesen. Sie war auf diese Lebendigkeit sehr stolz und schrieb sie ihrem Ursprung zu, welcher ihrer Behauptung nach französisch war, da sie in Lüttich geboren wurde, als die wallonischen Provinzen französische Departements waren.

Die Nationalität, welche Wilhelmine (wie ihr Gatte sie beständig nannte) sich beilegte, rechtfertigte ihre Lebendigkeit, die um so auffallender war, da, wie wir erwähnten, ihre gewaltige Körperfülle nicht gut zu derselben passte. Diese Beweglichkeit stimmte auch wenig zu der phlegmatischen und gesetzten Haltung, welche Herr Maes von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends bewahrte. Madame Maes, die auf ihre französische Lebendigkeit eine echt holländische Strenge gepfropft hatte, die Folge der Dankbarkeit gegen ihr Adaptiv-Vaterland, begriff ebenso wenig den Maes, den Epikuräer und Lebemann, den sie von sechs Uhr abends bis acht morgens besaß, wie den strengen und gemessenen Maes, der ihr von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends entschlüpfte.

So kam es, dass der Tempel des Janus, der unter der Herrschaft des Augustus drei Mal geschlossen wurde, in der Häuslichkeit des Platzes Weltevrede dieses Vorzuges nur selten genoss.

Indes schien Herr Maes über die Erscheinung seiner Frau sehr zufrieden zu sein, da sie kurz die Mitteilung abschnitt, die Madame van der Beek von ihm verlangte und die so schwer zu machen schien.

»Ja, Du hast recht, Wilhelmine«, sagte er, »die Stunde, zu welcher meine Arbeiten beendigt sein müssen, ist in der Tat erschienen, und diese Arbeiten sind unter unserem brennenden Himmel so peinlich, dass wir«, fügte er, gegen Esther gewendet, hinzu, »ebenso pünktlich darin sind, sie zu beenden, wie sie anzutreten. Wenn Madame es mir gestatten, werden wir daher unser jetziges Gespräch auf einen anderen Tag verschieben. Ich werde dieselbe um die Bestimmung einer ihr passenden Stunde bitten, damit wir die Aktenstücke unterzeichnen.«

»Ich wiederhole Ihnen, mein Herr«, erwiderte Esther, »dass ich nicht weiß, ob wir diese Erbschaft antreten können, solange wir die Bedingungen dieses merkwürdigen Kodizills nicht kennen.«

»Wie!«, rief Madame Maes, »du hast der Madame van der Beek die Nichtswürdigkeit ihres alten schuftigen Onkels nicht mitgeteilt? Ei, das wäre! Ich finde sie in der Tat sehr ruhig für eine Frau, die wissen musste, was vorgegangen ist.«

»Ich muss dir bemerken, meine teure Wilhelmine«, entgegnete Herr Maes, indem er die Brille, die er bereits auf den Tisch gelegt hatte, wieder aufsetzte, »ich muss dir bemerken, dass dies eine Geschäftsangelegenheit ist, in welcher deine Einmischung unpassend wäre.«

»Und ich bemerke Ihnen, mein Herr«, entgegnete Wilhelmine mit bitterem Ton, »dass die Stunde der Geschäfte vorüber ist und dass diese junge Dame, welche mir der höchsten Teilnahme würdig erscheint, erfahre, wie weit die Schlechtigkeit gewisser Menschen gehen kann. Übrigens, mein Herr, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass ich der Dame die Sache mitteilen werde, wenn Sie es nicht tun.«

»In der Tat«, sagte Herr Maes, sich besinnend, »scheint mir diese Mitteilung im Grunde genommen so unwichtig zu sein, dass es besser ist, sie werde bei einem einfachen gesellschaftlichen Geplauder gemacht, als durch einen Vertreter des Gesetzes. Gleichwohl wünschte ich dieser Eröffnung einige Fragen vorauszuschicken, deren Unbescheidenheit zu verzeihen ich Madame van der Beek bitte. Diese Unbescheidenheit wird übrigens durch den Inhalt des erwähnten Kodizills vollkommen erklärt werden.«

»Sprechen Sie, mein Herr!«, sagte Esther ungeduldig.

»Zunächst, Madame, muss ich Sie fragen, ob Ihre Ehe mit Herrn van der Beek eine Heirat aus Liebe ist?«

»O, gewiss mein Herr!«, sagte Esther. »Wir waren beide gleich arm und wussten durchaus nicht, was aus meinem Onkel Basilius Menuis geworden war; so arm, dass die Trauringe, welche wir wechselten, ganz einfache silberne Ringe sind.«

Und ihre Linke dem Notar reichend, zeigte sie ihm in der Tat an dem Mittelfinger einen Ring von diesem untergeordneten Metall.

Herr Maes übersah mit einem Blick die Hand und den Ring. Er fand die Erstere sehr schön und den Letzteren sehr einfach.

»Sehen Sie wohl«, fügte Esther hinzu, »und dennoch würde ich diesen Ring nicht gegen den Diamanten des Großmogol tauschen.«

»Und Ihr Mann hat einen ähnlichen?«, fragte der Notar.

»Genau einen gleichen.«

»Und er hält auf seinen Ring ebenso sehr, wie Sie auf den Ihren?«

»Ich würde darauf schwören.«

»Das ist schon etwas sehr Gutes«, sagte der Notar. »Nur sagen Sie mir noch, meine gute Dame, seit wie langer Zeit Sie verheiratet sind?«

»Seit länger als achtzehn Monaten.«

»Und während dieser achtzehn Monate, das ist die kitzlige Frage, Madame, indes werden Sie sogleich die Wichtigkeit derselben erkennen – seit diesen achtzehn Monaten würden Sie für die Treue Ihres Mannes haften?«

»Mit meinem Leben!«, rief ohne Zögern Esther.«

»Glückliche Frau«, sagte Madame Maes. »Ich hafte dafür, dass während des ersten Monats unserer Ehe dieses Ungeheuer«, dabei deutete sie auf Herrn Maes, »schon drei oder vier Treulosigkeiten gegen mich begangen hatte.«

»Wilhelmine! Wilhelmine?«, sagte Herr Maes, »wenn du uns jeden Augenblick unterbrichst, kommen wir nie zu Ende.« Sich zu Esther wendend, fügte er dann hinzu: »Über die Vergangenheit beruhigt, Madame, hegen Sie also durchaus keine Besorgnis wegen der Zukunft?«

»Durchaus nicht.«

»Nun wohl Madame, so erfahren Sie denn …«

»Ja, erfahren Sie, liebe Kleine, dass Ihr Onkel ein Ungeheuer war, ein Wüstling, der öffentlich in der schmachvollsten Zügellosigkeit lebte.«

»Wilhelmine!«, ermahnte Herr Maes.

»Lass mich in Ruhe«, sagte Wilhelmine, »du bist nicht besser als er. Ach, liebe Kleine«, fuhr die Frau des Notars fort, indem sie die Hände der Madame van der Beek in die ihren nahm und ihre kleinen grauen Augen mit dem Ausdruck des Schmerzes zur roten Decke des Zimmers erhob. »Wenn Sie wüssten, in was für ein abscheuliches Land Sie gekommen sind; wenn Sie den Grad der Irrreligion und der Demoralisation kennen würden, zu welchem die Bewohner gelangt sind und der Herr dort vor allen!«

»Aber werde ich denn endlich, Madame«, sagte Esther ungeduldig, »das berüchtigte Kodizill kennenlernen …«

»Mein teures Kind, Ihr Ungeheuer von einem Onkel hatte einen wahren Harem, gleich dem Großtürken; über zwanzig Weiber, sagt man.«

»Drei, nur drei«, unterbrach sie Herr Maes, »und alle drei waren ausgezeichnet schön.«

»Hören Sie es? Hören Sie es?«

»Und mein Onkel«, sagte Esther, »hat einen Teil seines Vermögens diesen drei Weibern hinterlassen. Darin erblicke ich nur etwas sehr Natürliches. Mein Onkel war mir zu nichts verpflichtet. Er machte mich zur Millionärin. Die Dankbarkeit verbietet mir, einen Tadel über seine Ausführung auszusprechen und seine Großmut im Geringsten anzutasten.«

»Armer Engel des guten Gottes«, rief Madame Maes, indem sie Esther umarmte, »welch ein Zartgefühl, welch ein Herz! Ist es nicht abscheulich, so gute, so reine Geschöpfe, wie wir sind, den gemeinen Leidenschaften solcher Wesen überliefert zu sehen? Aber mein liebes Kind, das wäre nichts. Das sind dergleichen Betrübnisse, denen wir uns unterwerfen müssen, ohne zu murren. Nein, nein, es ist schlimmer als Sie denken. Stellen Sie sich vor, dass dieser höllische Basilius, der, übrigens ganz das Aussehen eines Schurken hatte, durch ein Testament die Ausschweifung ermutigt und der Verderbtheit dieser drei Unglücklichen eine Prämie aussetzt.«

Esther wendete sich zu Herrn Maes, indem sie hoffte, dass derselbe durch einige Worte der Redseligkeit seiner Frau ein Ziel setzen würde.

»Er hat ein Drittel Ihres Vermögens derjenigen der drei Weiber versprochen, der es gelingen würde, die Liebe Ihres Mannes zu erringen«, erwiderte ohne Zögern der Notar.

»Ihres Mannes! Ist das nicht entsetzlich, mein armes Kind? Man muss ein Mann sein, um so etwas Nichtswürdiges, so etwas Unanständiges zu ersinnen.«

»Ich finde es nur komisch«, erwiderte Herr Maes, »besonders auf diese drei Weiber angewendet.«

»Wie so auf drei?«, fragte Esther.

»Ohne Zweifel, liebe Kleine, so, dass wenn es diesen drei Geschöpfen gelingt, die Liebe Ihres Mannes eine nach der anderen zu gewinnen, Sie nicht nur betrogen, gedemütigt, geopfert sind, sondern auch um Ihr Vermögen gebracht.«

»Ist das wahr, mein Herr?«, fragte Esther zögernd, »ein so eigentümliches Kodizill ist kaum zu glauben.«

»Ach Madame«, entgegnete der Notar, indem er verzweiflungsvoll mit dem Kopf nickte, »nichts ist wahrer.«

»Aber Sie werden klagen, meine liebe Madame van der Beek«, rief Wilhelmine. »Aus Liebe zu dem heiligen Institut der Ehe müssen Sie klagen und die Gerichtshöfe werden einem so abscheulichen Verlangen Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

»Unsinn!«, rief Herr Maes. »Klagen! Als ob dieser Teufel von Doktor nicht alles vorausgesehen hätte! Sagt dieses Kodizill nicht ganz deutlich, dass für den Fall, wenn es angetastet werden sollte, das erste Testament ungültig ist und das ganze Vermögen der Regierung zufällt? Auf anderthalb Millionen Gulden zu verzichten – da haben Sie gut reden, Madame Maes.«

»Ach, mein Herr«, sagte Esther, »ich gebe Ihnen die Versicherung, dass es nicht die Größe dieses Vermögens ist, die mich reizt, sondern die Furcht vor der Not, die mich entscheidet. Eusebius ist krank, sehr krank, und ich gestehe Ihnen, dass ohne die Erbschaft, welche uns auf so wunderbare Weise zufiel, unsere Hilflosigkeit so groß ist, dass ich gezwungen wäre, mich von ihm zu trennen und von der öffentlichen Barmherzigkeit die Sorgfalt für ihn zu erbitten, die ich ihm nicht gewähren könnte. Ich bin tief betrübt über das Ärgernis, welches dieses unglückselige Kodizill veranlasst, aber es erschreckt mich keineswegs. Die Liebe meines Eusebius für mich ist unwandelbar. Ich kenne sein Herz und bin überzeugt, dass nie eine andere als ich darin Platz finden wird.«

»Arme Frau! Welch ein Glaube!«, rief Madame Maes und trocknete sich eine Träne.

Herr Maes hustete und fragte: »Sie nehmen also die Erbschaft an?«

»Ich nehme sie an.«

»Und Sie tun meiner Treu wohl daran. Es gibt in der Welt so viel zu lieben, dass drei Ausnahmen von keinem großen Belang sind.«

»Herr Maes«, sagte Wilhelmine, »Sie sind ein durchaus verdorbener Mensch. Achten Sie wenigstens das Zartgefühl dieser jungen Frau.«

»Ei, Madame«, entgegnete der Notar, »ist es nicht sieben Uhr vorbei und folglich erlaubt, über den komischen Gedanken des Doktor Basilius zu scherzen?«

»Komisch! Komisch!«, rief Madame Maes. »Das Ungeheuer findet den Gedanken komisch?«

»Mein Herr«, sagte Esther, »ich habe noch eine letzte Frage an Sie zu richten.«

»Sprechen Sie«, entgegnete der Notar, indem er seine Ernsthaftigkeit wieder annahm.

»Was ist aus diesen drei Frauenzimmern geworden?«

»Ich weiß es nicht. Als ich am Tag nach der Beerdigung in das Haus des Doktor Basilius kam, waren sie verschwunden.«