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Anne Boleyn Band 1 – Kapitel 3

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Erster Band

3.

Prinzessin Marys Wiedervermählung mit dem Herzog von Suffolk

Obwohl Mary den Gemahl nur aus Pflichttreue geliebt hatte, ehrte sie sein Andenken und betrauerte ihn herzlich. Sie wurde mit seinem Tod noch ernster und zurückhaltender. Nur mit sichtbarer Selbstüberwindung erschien sie in dem größeren Kreis des Hofes. Am liebsten weilte sie ganz allein -oder nur mit Anna. Sie war wieder frei! Aber dieses Gefühl der Freiheit weckte in ihrem wunden Herzen keinen Widerhall der Freude, zauberte kein hoffnungsvolles Lächeln auf ihre zarten Wangen. Wiederum drückte das liebliche Antlitz den alten Schmerz der geheimen Sehnsucht aus. Sie dachte an Brandon, an das Ideal ihrer Seele, aber sie wagte weder zu hoffen noch seiner zu gedenken. Sie kannte die rastlose Politik ihres Pläne schmiedenden Bruders. Sie wusste nicht, ob Charles ihr die Treue bewahrt hatte und ihrer gedachte. Sie wusste nicht einmal, ob der Geliebte noch lebte. Ein Entschluss, ein heißer Wunsch regte sich aber in der Brust: das Verlangen, ihr Vaterland wiederzusehen, dort sterben zu dürfen.

Bang und ängstlich wartete sie auf eine Antwort von England. Sie hatte flehentlich um diese Gunst beim Bruder nachgesucht. Seine Entscheidung sprach für die Arme Leben oder Tod aus.

Anna war jetzt ihre Vertraute, ihre Einzige, denn ihre mögliche Rückkehr nach England musste für den französischen Hof noch ein Geheimnis bleiben. Nur das junge Mädchen durfte einen Blick in das Herz der Gebieterin tun, obwohl Mary auch gegen diese über ihre unglückliche Liebe bisher geschwiegen hatte.

Eines Abends, als sie wie gewöhnlich bei ihren gemeinschaftlichen Studien saßen, überbrachte der diensttuende Kammerherr der Königin einen Brief.

»Von England, Majestät!«

Mary wechselte die Farbe und legte unwillkürlich die Hand aufs pochende Herz. Einige Augenblicke hielt sie das dicke Päckchen zögernd in der Hand. Annas Blicke hingen mit stummer Angst an ihrem Antlitz. Auch sie wagte kein Wort zu sprechen.

»Mut!«, sagte Mary endlich leise und löste rasch das Siegel. Kaum hatte sie jedoch die ersten Zeilen gelesen, als sie laut jauchzend ausrief: »Anna! Ich darf heim – heim! Hier steht es, mein Bruder wünscht es! O, welches Glück! Mein armes Herz droht zu zerspringen.« Überwältigt von ihrem Gefühl sank sie in die Arme des jungen Mädchens und brach in Tränen aus.

»Ruhig, meine geliebte Herrin«, mahnte Anna, welche selbst bewegt war. »Es wäre nicht gut, wenn Ihr zu große Freude zeigt. Man würde es hier empfindlich nehmen.«

»Du hast recht, Anna, aber sieh, ich kann nicht anders. Die Freude ist so groß …«

»Habt Ihr den Brief zu Ende gelesen?«, fragte Anna. »Es wäre doch nötig, Herrin …«

»Ja, Schwesterherz, ich will es. Komm, höre nur, wie lieb und mild Heinrich schreibt.«

»Das ist Katharinas edler Einfluss«, sagte Anna.

»Wahr! Höre: Du musst vor deiner Abreise deine Angelegenheiten geordnet sehen und deine Existenz als verwitwete Königin sichern. Dazu sende ich dir mit dem nächsten Schiff einen Mann, der sich meines vollen Vertrauens würdig erwiesen hat. Charles Brandon, Herzog von Suffolk, wird in wenigen Wochen bei dir eintreffen und dich sicher zu uns geleiten.
Dein wohlaffektionierter Bruder
H. Rex.
«

Die Prinzessin ließ plötzlich das Papier auf die Erde fallen. Ihr Gesicht war wieder bleich wie der Tod geworden.

»Charles … Brandon!«, stammelte sie. »Träume ich … oder bin ich wahnsinnig geworden! … Mein Bruder selbst sendet ihn!« »Hoheit!«, rief Anna erschrocken, »warum seid Ihr so bewegt? Gefällt Euch der Begleiter nicht, so genügt ja nur ein Wort, und der König sendet einen anderen Kavalier.«

Die junge Königin schien ihre Frage nicht zu vernehmen. Sie starrte wie abwesend vor sich hin, dann faltete sie beide Hände über die Brust und hauchte im Ton unsäglichen Schmerzes: »Ihn soll ich wiedersehen! Mein Gott! Dein Wille geschehe!«

»Liebe Hoheit! Ihr seid krank«, sagte Anna ernstlich besorgt. »Lasst mich den Arzt rufen!«

Aber Mary richtete rasch bei diesen Worten das gebeugte Haupt in die Höhe, blickte das Mädchen lange sinnend an und sank ihr wieder weinend an den Hals.

Anna störte sie nicht. Sie ahnte wohl, wie gepresster Seelenschmerz sich endlich in diesen Tränen Luft machte.

Nach einiger Zeit fasste sich wirklich auch Mary, nahm Annas Hand und führte sie zu dem Diwan, wo sie sich niederließen. Dann fragte sie mit bebender, ernster Stimme. »Anna, liebst du mich treu?«

»O Hoheit, wozu die Frage?«

»Kannst du um meiner Ruhe willen ein heiliges Geheimnis in der Brust verborgen halten, mein Kind?«

»Ich kann es, Hoheit! Vertraut mir.«

»So will ich dir, meinem Schwesterherzen, den Grund meiner Bewegung sagen«, erwiderte Mary. »Du hast wohl gefühlt, dass ich gezwungen nur den königlichen Gemahl annahm – und dass mein Herz anders gewählt haben würde.«

Anna drückte teilnehmend die Hand der Königin. »Ich habe es geahnt, Hoheit, auch einige Worte darüber vernommen.«

»Worte, Anna! Wo?«, rief Mary bestürzt aus. »Wer weiß davon?«

»Etwas Gewisses niemand, Hoheit, aber am Hofe wird ja vieles bemerkt – was wahr und nicht wahr ist.«

»Nun, du sollst die Wahrheit hören, mein Kind. Ich liebte einen jungen, schönen Kavalier, und er mich. Wir gestanden es uns auch und hofften, mein Bruder werde seine Einwilligung doch noch zu einer Verbindung geben. Da – aber wozu dir meinen Schmerz beschreiben, Anna – kam es anders. Ich wurde der Politik geopfert und Königin von Frankreich.« »Arme Hoheit!«, sagte Anna weinend.

»Du kennst mich, Anna«, fuhr die Königin fort. »Du weißt, ich habe meine Pflicht als christliche Gattin erfüllt – treu erfüllt. Und Gott gibt mir das Zeugnis, dass ich auch kämpfte, um Suffolks Bild aus der Seele zu verwischen. Ich glaubte, ruhig geworden zu sein, ganz ruhig, ohne Hoffnung, ohne Wunsch, und seht – ach, Anna, jetzt sendet mir der König selbst den Geliebten zum Beschützer!«

»Ah! Ich verstehe!«, rief Anna bestürzt aus. »Der Herzog ist …«

Mary nickte stumm mit dem Haupt. Beide schwiegen eine Zeit lang, von ihren Gefühlen überwältigt.

Anna brach das Schweigen zuerst mit der schüchternen Frage: »Was werdet Ihr beschließen, Hoheit? Ihn abweisen könnt Ihr nicht, müsste Argwohn erregen. Und wahrscheinlich hat der Herzog selbst sich bemüht, diesen hohen Ehrenposten zu erhalten.«

»Du hast recht, mein Kind, ich muss ihn empfangen, muss ihn sehen, oft sehen, die Verhältnisse gebieten es. Aber ach, wenn er mich noch liebt, Anna, welchen erneuerten Schmerz für uns beide, welchen Kampf der Entsagung!«

»Aber Hoheit sind jetzt frei«, warf Anna ein. »Eure Liebe ist weder vor Gott noch den Menschen eine Sünde.«

»Vor Gott nicht, aber die Menschen werden eine unüberwindbare Kluft zwischen der Königin und dem Edelmann erblicken! Ach, wenn sie wüssten, wie gern ich den Purpur um ein treues Herz vertauschen würde!«

»Könntet Ihr nicht vielleicht den königlichen Bruder für Eure eheliche Verbindung doch gewinnen?«

»Nie, nie, Anna! Du kennst sein stolzes Herz nicht. Es wird nicht lange währen, so schmiedet er mir neue Fesseln. Nein, es gibt keine Hoffnung für uns; wir müssen im Leben getrennt bleiben und beten, dass die selige Ewigkeit unsere unsterblichen Seelen vereine. Treue Liebe überlebt auch den Tod.«

Marys Augen glänzten wunderbar schön bei diesen Worten; eine süße, schwärmerische Freude verklärte das edle Antlitz. Unwillkürlich sank Anna vor ihr nieder und blickte entzückt zu ihr auf. Auch ihr jungfräuliches Herz ergriff bei diesem Anblick ein leises Beben, eine Vorahnung verhüllter Liebeswonne. Die Königin beugte sich zu ihr nieder und küsste die schöne Stirn mit mütterlicher Zärtlichkeit.

»Du bist jung, und doch birgst du in deiner Brust ein Geheimnis, das über das Wohl und Weh zweier Seelen entscheidet, meine Anna. So sei klug und verschwiegen; wache für mich und für ihn.«

»Teure Hoheit, gebietet über mich! Ihr wisst, mein Leben, meine ganze Seele gehört Euch an.«

»Ich will dir glauben, es ist süß, dir vertrauen zu können. Nun denn, meine Liebe, versuche die Aufmerksamkeit des hiesigen Hofes von uns abzuleiten. Ich werde Brandon im Geheimen sehen, ihm sagen, dass du meine Vertraute bist, dass er sich auf dich allein verlassen soll und darf. Geh jetzt, mein Liebling, rufe die Kammerfrau herein – es ist spät. Morgen übersende ich den Brief meines Bruders dem König Franz und gebe meinen bevorstehenden Abschied von diesem Land bekannt. Zugleich muss dafür gesorgt werden, dass der Abgesandte meines königlichen Bruders würdevoll empfangen werde.«

Der Entschluss der Königin, nach England zurückzukehren, erregte zwar kein geringes Erstaunen am französischen Hof und im ganzen Land, jedoch keinen Widerstand, denn die Nation liebte England nicht, und ebenso wenig hatte sich Marys ernstes Wesen dem leichten Sinn des Hofes angepasst. Die Ankunft Sir Charles Brandons, des Herzogs von Suffolk, unterbrach die traurige Einförmigkeit des Hofes, worin Letzterer seit dem Tod Ludwigs verfallen war. Auch die Königin erschien bei dieser Gelegenheit im Audienzsaal und begrüßte den Abgeordneten mit freundlich stiller Würde, umgeben vom ganzen Hof. Sie hatte Zeit gehabt, sich auf das öffentliche Wiedersehen mit dem Geliebten vorzubereiten, und erschien so ruhig, ja unbefangen, dass sogar Anna sich wundern musste. Wie die Königin jedoch vorausgesagt hatte, blieb die Gelegenheit zu öfteren Privatunterhaltungen nicht nur nicht aus, sondern dieselben schienen durch die Verhältnisse dringend geboten. Es erregte daher keinen Verdacht, wenn der schöne Edelmann Stunden lang in dem königlichen Gemach verweilte. Jedes aufkeimende Misstrauen wurde durch des Herzogs auffallende Artigkeit gegen Anna Boleyn erstickt. Bald flüsterte man sogar von einer ernstlichen Bewerbung des Herzogs um die Hand der jugendlichen Hofdame und dass die Königin dieselbe sichtlich befördere. Wenig ahnte man den wahren Zustand der Dinge, noch dass Anna sich willig und gern dazu hergab, den geheimen Umgang der Liebenden zu begünstigen. Dennoch war es in der Tat so; die lange getrennten Herzen hatten sich wiedergefunden, und dieses Mal mit dem festen Vorsatz, auch fürs Leben sich anzugehören.

Die Angelegenheiten der Königin waren geordnet, ihre Apanage festgestellt – es handelte sich jetzt nur noch um die Vorbereitungen zur Reise; eine Aufgabe, welche zu jenen Zeiten und bei den damaligen Sitten und dem Zeremoniellwesen keine so leichte war. Anna durfte jedoch die Königin noch nicht begleiten. Ihr Vater wünschte, dass sie in Frankreich bliebe; eine Anordnung, womit das muntere Mädchen, dem das französische Leben mehr zusagte, als die steife Etikette des englischen Hofes, sehr zufrieden war. Ihre einzige Sorge betraf die Königin und die Trennung von ihr. Aber sie wusste auch bald, dass ihre Gebieterin diese Trennung leichter nahm, nun, da sie den Geliebten gefunden hatte. Nur noch einen wichtigen Dienst sollte sie der hohen Frau im Leben leisten – sie zum Altar führen. Die Willkür König Heinrichs, mit welcher dieser Monarch über die Herzen seiner Umgebung schaltete, nur zu gut kennend, hatten die Liebenden den gefahrvollen Entschluss gefasst, sich vor der Abreise heimlich trauen zu lassen.

Es war Mitternacht vorüber; tiefe Stille herrschte im Schloss und in der Umgebung der königlichen Gemächer, als ein tief verhüllter Mann leise im Dunkel seinen Weg durch die langen Korridore tappte und vor dem Vorzimmer der Königin anhielt. Auf ein leises Anklopfen wurde diese vorsichtig geöffnet, die dunkle Gestalt hereingelassen und die Tür wieder verschlossen.

»Gottlob, dass Ihr kommt, Herr Herzog!«, flüsterte Anna, welche seiner hier wartete. »Es wollte mir schon Angst um Euch werden. Beeilt Euch, Sir, mir beben die Knie! Wenn wir überrascht würden! Ihre Hoheit befinden sich schon in der Kapelle.«

Der Herzog warf den dunklen Mantel ab und folgte schweigend seiner jungen Führerin durch eine Reihe von Zimmern, bis sie eine Tapetentür öffnete und sie sich in der kleinen Privatkapelle der königlichen Familie befanden. Vor dem Altar stand der ehrwürdige Beichtvater Marys, eine stille Messe lesend. Nicht weit davon kniete andächtig die Königin im weißen Gewand, hinter ihr zwei englische Edelleute, Freunde und Begleiter des Herzogs, die als Zeugen dienen wollten. Mary erhob das Haupt nicht, als der Geliebte sich ihr leise näherte und sein Knie neben ihr beugte. Die junge Frau schien völlig in ihre Andacht versunken.

Jetzt schwieg der Priester, und der Herzog nahm die Hand seiner hohen Braut und führte sie näher zum Altar. Der heilige Akt der Trauung wurde in stiller Feierlichkeit vollzogen, das Paar eingesegnet.

Als sie die Ringe wechselten, hielt der Beichtvater einige Augenblicke die Hände beider in den seinen und sprach mit bewegter Stimme: »Möge Gott der Allliebende diesen Bund segnen, den ich in dieser Stunde feierlich weihe. Möge er Euch Kraft und Ausdauer verleihen, die Prüfungen zu bestehen, die Kämpfe zu überwinden, welche Eure Liebe vor Menschen zu bestehen haben wird. Herzog von Suffolk, Ihr empfangt heute aus meiner Hand eine köstliche reine Perle. Gelobt mir vor Gott, Euch stets dieses hohen Schatzes würdig zu erweisen.«

»Ich gelobe es«, erwiderte der Herzog mit fester, klarer Stimme, »und halte ich nicht Wort, möge Gottes Zorn mich treffen. Keine Macht auf Erden kann meine Treue brechen!«

»So geht Eures Weges in Frieden und in Hoffnung!«, sagte der Priester. »Die heilige Muttergottes beschirme Euer geliebtes Haupt, hohe Tochter.«

Der Herzog legte seinen Arm um die Braut und führte sie aus der Kapelle in ihre Zimmer zurück, wo Anna ihrer wartete. Der Priester aber verweilte noch im stillen Gebet für die Neuvermählten am Altar, dann löschte er die Kerzen und entfernte sich mit den beiden Edelleuten durch einen anderen Ausgang.

Einige Tage später befand sich die Gemahlin Heinrichs VIII., Katharina von Aragon, in ihrem Betzimmer, eifrig mit dem Lesen heiliger Schriften beschäftigt. Sie war in tiefe Trauer gekleidet, welche sie um den jüngst gestorbenen kleinen Sohn trug. Sein Tod hatte einen finsteren Schatten über das Königspaar geworfen, denn Heinrichs ganze Seele klammerte sich an den Wunsch, einen Erben seines Thrones zu besitzen. Dennoch versuchte er Katharina liebreich über den Verlust zu trösten, denn noch war sie seine viel geliebte »Kate«, der Engel, welcher sein Haus zu einem Paradies schuf. Katharina, obwohl nicht mehr ganz jung und fünf Jahre älter als Heinrich, besaß noch ihre wundervolle, seelenvolle Schönheit, ihre gewinnende Anmut, womit sie den enthusiastischen König als Jüngling beherrscht hatte. Noch war ihr Einfluss über ihn ein unbedingter, noch verstand es ihr heller Geist, ihre Liebe, den heftigsten Sturm zu beschwichtigen. Keine Bitte wurde abgeschlagen, welche durch die Vermittelung Katharinas an Heinrich gelangte, und diese Bitten waren zahllos, denn sie war ja im ganzen Land als die Freundin der Bedrängten, der Friedensengel bekannt und verehrt.

So gewöhnt sie an die heftigsten Zornesausbrüche ihres Gemahls war, erschrak sie dennoch, als er, einige Tage, nachdem die heimliche Trauung Marys mit Suffolk stattgefunden hatte, mit hastigen Schritten bei ihr eintrat und mit hochgeschwollenen Stirnadern ihr einen Brief zuwarf.

»Da lies! Ich bin außer mir!«

Katharina nahm das Schreiben auf. Ihre Wangen erbleichten, als sie den Inhalt überflog.

Es war ein Brief von Mary, worin sie dem Bruder ihre jahrelange Liebe und ihre endliche Vereinigung mit dem Geliebten entdeckte. Die junge Frau schloss mit der flehendsten Bitte um Vergebung und um seinen Segen.

»Nun, was sagst du dazu?«, fragte Heinrich barsch. »Ich denke, du wirst dieses Mal mir recht geben, wenn ich mit der äußersten Strenge des Gesetzes handle. Und, bei Gott! Ich werde es tun! Die Verräter sollen es büßen … Suffolks Haupt soll auf dem Towerblock fallen … und sie … sie …«

»Ich gebe zu, Majestät haben vollkommen recht. Sie hätten anders handeln sollen, aber Geschehenes ist geschehen. Wir können sie jetzt nicht mehr trennen, und mein königlicher Gemahl wird auch das Herz nicht haben, das Glück der geliebten Schwester zu stören«, fügte Katharina hinzu und sah ihn so bittend an, dass Heinrich verwirrt wurde.

»Warum nicht gar!«, sagte er schmollend, »ich glaube, du würdest selbst für den Erzteufel in Person noch ein gutes Wort finden, aber dieses Mal umsonst, Katy! Ich verzeihe ihnen nicht!«

»Mir wäre es jetzt gar nicht so unlieb, eine Erheiterung zu haben «, sagte Katharina ruhig, »denn wenn mich etwas über den Verlust unseres Kindes beruhigen könnte, wäre es der Anblick fremden Glückes! Ach, die süße, reizende Mary! Denke sie dir nur hier bei uns, so voller Leben und Anmut! Ich sehe sie immer noch bei ihrem Abschied. Sie sah so kummervoll aus. Ich ahnte wohl, dass sie Ludwig nie lieben werde, aber ich achtete sie um so höher, weil sie ihren Wunsch dir zum Opfer brachte.«

»Nun«, rief Heinrich heftig, aber sichtlich weicher gestimmt aus, »ich hätte doch nicht selbst sie mit dem Verräter vermählen sollen! Meine königliche Schwester mit einem Edelmann.«

»So ist sie uns doch erhalten,« entgegnete Katharina, »und bleibt im Land, und wenn uns Gott keinen eigenen Sohn beschieden hat, wer weiß, mein teurer Gemahl, ob Ihr nicht froh seid, an dem kleinen Neffen … und …«

»Nein«, unterbrach sie Heinrich, »ich will nichts von ihr hören, sage ich dir! Nie!«, rief er, heftig mit dem Fuß auf den Boden stampfend. »Suffolk bleibt ein Staatsverräter. Er hat mein Vertrauen missbraucht, und Mary ist ein ehrvergessenes Weib! Ihre Ehe anerkennen!«, fügte er spöttisch hinzu, »mein Segen soll sie vereinigen! Ja, im Tower will ich sie vereinigen in lebenslänglicher Gefangenschaft, wenn ich die Trauung nicht in Rom annullieren lasse!«

Er stürmte aus dem Gemach, rief zornig nach seinem Pferd, da er eben auf die Jagd reiten wollte, und verließ das Schloss.

Katharina ließ hierauf den allvermögenden Kardinal Wolsey zu sich entbieten und bat ihn dringend, des Königs Sinn zu besänftigen.

»Ach, hohe Frau«, entgegnete dieser mit heuchlerischer Demut, »was Euren Reizen nicht gelingt, wird auch meinen Worten fehlschlagen. Doch Euer Wunsch ist mir Befehl, ich werde, wenn der König mit mir darüber redet, das meine tun.«

Am folgenden Tag erschien Heinrich mit heiterer Miene. Er war sehr glücklich auf der Jagd gewesen, was ihn stets in gute Laune versetzte, obwohl es ihm jedes Mal ein Pferd kostete. Katharina erwähnte jedoch die Sache der Liebenden nicht, aber sie strengte all ihre gewohnte Liebenswürdigkeit an, ihn zu zerstreuen und zu erheitern. Wolsey hielt getreulich Wort. Er sprach in beredten Ausdrücken für die reuigen Schuldigen, wobei er das Anerbieten Suffolks betonte, dass er auf die königliche Mitgift Marys Verzicht zu leisten bereit sei. Katharina erwähnte wiederum ihrerseits die Möglichkeit, dass, im Fall sie dem Thron keinen Leibeserben schenkte, Marys Kinder die nächsten Anverwandten seien.

Heinrich lächelte bei diesen Worten und schloss die schöne Bittende liebevoll in seine Arme.

»Meine Kitty«, sagte er, »ist doch immer der Engel des Friedens. Nun, ich sehe, ich muss wieder nachgeben und Gnade für Recht ergehen lassen.«

»So darf ich an Mary schreiben, dass Ihr verzeiht, dass sie bei uns willkommen sein wird?«, fragte Katharina an seinem Hals. »Dann wollen wir öffentlich die Vermählung feiern! O, wie freue ich mich, das liebe Paar hier zu sehen! Wir müssen sie so glücklich machen, wie wir sind, mein herzlieber Gemahl!«

»Ja, ja, sie mögen kommen«, sagte Heinrich, »aber sich auf eine gute Strafpredigt gefasst machen, namentlich der Erzverräter, der Suffolk.«

»Er hat nur ein Herz gestohlen«, sagte Katharina neckisch, »und König Heinrich von England viele! Darum ist auch er gefangen – mein süßer Gefangener.«

»Und was noch schlimmer ist, ich wünsche nie meine sanften Ketten abzuschütteln«, sagte Heinrich und küsste sie zärtlich.

Das Schicksal der Liebenden gestaltete sich somit günstig. Als sie in England landeten, wurden sie aufs Liebevollste in Greenwich empfangen, verlobt, und zu Ostern feierlich zum zweiten Mal vermählt. Heinrichs große Liebe zu seiner »geliebten Schwester« überwand bei deren Anblick jeden Unwillen. Er veranstaltete ein glänzendes Fest ihr zu Ehren und führte die Braut nach Shunter‘s Hill zu einer stattlichen Jagdpartie.