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Oberhessisches Sagenbuch Teil 2

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

Historie vom Spitzküppel bei Birstein

Ein Birsteiner Mann ging auf den Spitzküppel, den sie jetzt den Charlottenfels nennen, um sich Holz zu holen. Bei dieser Gelegenheit sah er eine wunderschöne goldgelbe Schlüsselblume vor sich stehen und brach sie ab, ohne an etwas zu denken. Als er sich umsah, war auf einmal eine eisenbeschlagene Tür im Berg, die stand sperrangelweit offen. Er fasste sich also ein Herz und ging hinein. Nun kam er in einen hohen Saal, da sah er drei ehrwürdige Männer langen weißen Bärten um einen runden, steinernen Tisch sitzen. Die schauten ihn unverwandt an, aber sie redeten kein Wort. Anfangs ward es den Mann gar schwül uns Herz, und die Angst viel dickmäßig (mundartlich für sehr stark) auf ihn. Aber er fasste sich wieder, als er merkte, dass die Alten ihm kein Leid antaten, und wurde jetzt erst gewahr, dass rings an den Wänden alles von Gold, Silber und edlem Gerät funkelte und glänzte, dass es ein Staat war. Da legte er die Blume auf den Tisch und ergriff kurz und gut einen goldenen Becher, des Willens, die sich mitzunehmen. Kaum aber hatte er ihn in der Hand, als ihnen der Schrecken aufs Neue erfasste. Er lief, was er laufen konnte, zu der Tür.

Traurig schüttelten die Alten darüber ihre Häupter, und er hörte sie hinter sich herrufen: »Denk an das Beste!«

Doch er kehrte sich nicht daran und entwischte noch glücklich durch die Tür. Weil die aber, als er durchwollte, eben mit einem Geprassel, als ob der Donner einschlägt, wieder zusammenfuhr, wurde ihm in der Eile die Ferse des einen Fußes abgeschlagen. So behielt er wohl das kostbare Kleinod, aber er blieb lahm für seinen Lebtag. Die wunderbare Tür hat er seitdem nicht wieder auffinden können. Er mochte sich anstellen, wie er wollte.