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Der Spion – Kapitel 4

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 4

Die Hausdurchsuchung

Der Bande voraus, neben sich John Kay, war Quinch der Hauptstraße gefolgt. Hinlänglich durch Kundschafter über alle Verhältnisse in der Ansiedlung unterrichtet, wählte er die Fabriken des Colonel Rutherfields zu seinem nächsten Ziel. Dem Wohnhaus gegenüber hielt er sein Pferd an. Indem er die umfangreichen Anlagen betrachtete, die, obwohl verödet und zur Untätigkeit verdammt, noch immer vom Reichtum des Begründers zeugten, flog ein feindseliges Grinsen über sein verwittertes Gesicht.

»Diese Fabriken nebst Wohnhaus sollen durchsucht werden«, erklärte er den sich hinter ihm herandrängenden sogenannten Offizieren, die aus der Hefe seiner Raubgesellen hervorgegangen waren. »Erst im letzten Augenblick, wenn wir abziehen, mag alles in Flammen aufgehen. Colonel Rutherfield, dieser verräterische Unionist, darf sich nicht rühmen, dass wir sein Eigentum wie das eines guten Freundes geschont hätten.«

Er sah wieder um sich. Die Woge der einziehenden Horde hatte sich um ihn gestaut. Erwartungsvolle Stille war in deren Reihen eingetreten, indem man mit der Spannung unbezähmbarer Raubgier seinen ferneren Anordnungen entgegensah.

»Ich selbst werde auf dem Bahnhof in meinem Zelt kampieren«, sprach er weithin vernehmbar. »Dort findet mich jeder, der eine Meldung zu überbringen hat. Wollt ihr meinem Beispiel folgen, so hindere ich euch nicht. Sonst bleibt es jedem, außer den zur Wache kommandierten Mannschaften, anheimgestellt, sich in der Stadt einzuquartieren. Die Einwohner, durchweg störrische Unionisten, sind verpflichtet, euch angemessen mit Speise und Trank und einer bequemen Lagerstätte zu versorgen. Das gehört mit zur Kontribution, die ich ihnen für ihre feindselige Haltung auferlege. Jeden verdammten Cent soll das Volk herausrücken, damit ich in die Lage gerate, euch einen anständigen Sold auszahlen zu können. Ich setze voraus, die Bürger zeigen sich willfährig, damit keine Zwangsmaßregeln notwendig werden. Ist bei der Verpflegung etwas ernstere Nachhilfe von eurer Seite erforderlich, so nenne ich das kein Unglück. Blutvergießen kann dagegen nur im äußersten Notfall entschuldigt werden. Einige Tage werden wir hier liegen bleiben. An einem guten Trunk darf es euch nicht fehlen, und den habt ihr für eure patriotischen Dienste das Recht zu fordern. Ich warne euch, keine vollen Fässer auslaufen zu lassen, wie eben auf dem Bahngleis. Wo eine Brennerei ist, da gibt es deren in Fülle. Sorgt vielmehr dafür, dass ein Vorrat zum Mitnehmen für jeden Einzelnen von euch bleibt. Jetzt geht und macht es euch bequem. Wer weiß, ob wir bald wieder eine so komfortable Gelegenheit finden.«

Die letzten Worte dieser hinterlistig berechneten Ansprache wurden übertäubt durch den nunmehr wieder ausbrechenden wilden Lärm seiner Bluthunde, die sofort Anstalten trafen, sich truppweise über die ganze Ansiedlung zu verteilen. Wenige Minuten dauerte es nur, bis die nächste Umgebung sich leerte, und schließlich Quinch allein vor dem Eingang des Gartens hielt. Außer dem Adjutanten befanden sich zwei trotzig dreinschauende Gesellen, die Diener der beiden Raubgenossen, in der Nähe. Quinch rief sie heran. Sich aus dem Sattel schwingend, übergab er dem einen sein Pferd. John Kay folgte seinem Beispiel, worauf die Burschen mit der Weisung entlassen wurden, die Tiere in der Nachbarschaft des Lagers anzupflocken und Futter aus den nächsten Häusern herbeizuschaffen.

»Was hier vor uns liegt, ist also die Besitzung eines der erbittertsten Feinde des Südens«, wandte Quinch, sobald sie allein waren, sich an John Kay. »Es gibt daher keine Rücksichten weder für ihn noch für jeden anderen, der zu ihm gehört.« Das Hohnlachen eines Teufels verzerrte sein zottig behaartes Gesicht. »An uns beiden aber ist es, das Beste aus der günstigen Sachlage zu machen und in erster Reihe jedem anderen den Zutritt zu Haus und Hof zu verweigern. Nebenbei ein verdammt feines Haus«, fuhr er fort, indem sie in den Vorgarten eintraten und sich auf dasselbe zu bewegten. »Geschähe es nicht der Leute wegen, vor welchen ich, um sie einigermaßen im Zaum zu halten, nichts voraus haben darf, so richtete ich mich lieber selbst hier ein, um zu prüfen, was Küche und Keller dieses schuftigen Unionshundes zu leisten vermögen. Da ich aber einen sicheren Mann hier wissen möchte, so erscheint es ratsam, dass Sie und höchstens Ihr Bursche Wohnung in dem Haus nehmen. Außer Ihnen beiden darf kein anderer die Schwelle überschreiten. Ich habe dringende Ursache, das zu wünschen. Hoffentlich sind Sie damit einverstanden?«

Er sann flüchtig nach, und von unüberwindlicher Scheu beseelt, auf einer von Mauern umschlossenen Stätte zu nächtigen, wo er sich rachsüchtigen Feinden erreichbar wähnte, eine Scheu, die, in schroffem Gegensatz zu seiner sonstigen Todesverachtung, in Feigheit ausartete, fuhr er fort: »Fühlen Sie sich hier nicht ganz sicher, so stellen Sie einige Schildwachen auf, mit der Weisung, jeden, der sich dem Haus bis auf zehn Schritte nähert, niederzuschießen, und etwaige Flüchtlinge, die dasselbe verlassen, zu verhaften.«

John Kay, eine hässliche feiste Gestalt mit hängendem Doppelkinn, tückischen Schlitzaugen und einem dünnen borstigen Schnurrbart, das Bild eines zum Gaunertum übergetretenen wohlgenährten Schlachtergesellen, lachte spöttisch vor sich hin. Die freundliche Heimstätte lüstern betrachtend, mochte er sich die mancherlei Vorteile vergegenwärtigen, die ihm winkten, wenn ihm Gelegenheit geboten wurde, deren Räumlichkeiten auf eigene Hand gründlich zu durchforschen.

Er antwortete daher gut gelaunt: »Zeigen Sie mir eine Stelle, auf der ich mich unsicher fühle.« Mit der rechten Faust eine schwere Reitpeitsche schwingend, schlug er mit der linken heraus ordernd auf seinen mit Waffen beschwerten Gurt. »Verdammt will ich sein, wenn ich es mir da drinnen nicht so komfortabel mache, wie eine Bruthenne auf ihren Eiern, und schinden mögen Sie mich bei lebendigem Leib wie einen frisch gefangenen Aal, wenn bei meinem leisen Schlaf auch nur eine Ratte über die Schwelle schlüpft, gleichviel ob hinaus oder herein, ohne das Gehirn aus dem Schädel geblasen zu erhalten.«

Quinch nickte befriedigt, fügte ernster hinzu: »Sie sind ein unerschrockener, aber auch ein ungeschlachter Geselle, der leicht vergisst, dass er mit einer jungen Lady unter demselben Dach haust.«

»Sie meinen Miss Rutherfield? Bei Gott, General, zeigen Sie mir ein Ladygesicht, das über die Jugendfrische noch nicht gänzlich hinaus ist, und Sie werden erstaunen, wie ich mich zu drehen und zu winden weiß.«

»Wir werden ja sehen«, versetzte Quinch ungläubig, und vor der Haustür eingetroffen, stieß er mit dem Fuß an dieselbe. Auf deren anderer Seite blieb alles still. Um so deutlicher drang aus allen Richtungen der Lärm der entfesselten Horde herüber, welchem sich hin und wieder ein Schuss beigesellte.

»Die scheinen einen guten Anfang gemacht zu haben«, meinte Quinch mit bösem Hohn, »aber bei Gott, nach den anstrengenden Märschen ist ihnen etwas Erholung zu gönnen. Trinken sie bis zur Besinnungslosigkeit, so sind sie hinterher um so nüchterner. Doch wo steckt das Pack, in des Satans Namen?«, fuhr er wütend auf. Abermals donnerte er mit dem Fuß gegen die Tür.

Im Inneren des Hauses wurden schwere Schritte vernehmbar. Ein Riegel schlug zurück, die Tür wich nach innen und vor ihnen stand der schwarze Nestor.

Obwohl mit den Kräften eines Riesen ausgestattet, zitterte er doch beim Anblick der beiden bedrohlichen Gestalten. Die ursprüngliche Ebenholzfarbe seines Gesichtes hatte sich in fahles Grau verwandelt. Hörbar schlugen seine Zähne aufeinander.

»Verdammter Schurke, weshalb lässt du uns so lange warten?«, schnaubte Quinch ihn unverweilt an.

Um diesen Worten erhöhten Ausdruck zu verleihen, ließ John Kay den Griff seiner Reitpeitsche mit voller Gewalt auf den wolligen Scheitel des Schwarzen fallen, ein Schlag, welchem auszuweichen dieser anscheinend den Mut nicht besaß.

»War im Hinterhaus«, entschuldigte Nestor sich kläglich, »konnte es nicht hören, dass jemand Einlass begehrte, und vornehme Gentlemen obendrein. Ich stehe den Gentlemen aber zu Diensten. Wollen Sie essen und trinken … es ist alles im Überfluss vorhanden … der Brandy von der allerfeinsten Sorte.«

»Hund von einem Sklaven«, fiel Quinch, der überall Verrat witterte, ihm wütend ins Wort. »Hast wohl gute Lust, uns zu vergiften, dass du plötzlich so geschmeidig geworden bist? Danke es meiner Großmut, wenn ich dir nicht eine Kugel vor den Kopf schieße für deine Saumseligkeit. Dazu kannst du immer noch gelangen, solltest du auch nur die leiseste Miene machen, mich zu belügen oder auf eine falsche Fährte zu locken. Ich wiederhole es: Beantworte meine Fragen wahrheitsgemäß oder du findest deinen Weg eher zur Hölle, als du mit deinen Glotzaugen zwinkerst.«

»Die Wahrheit will ich sagen und beschwören«, ächzte Nestor mit überzeugendem Ausdruck, »nur ein Leben besitze ich, und das gebe ich nicht um eine Lüge hin.«

»Wir wollen es erproben, schwarze Teufelsbrut; aber wahre deine Zunge, dass nicht unversehens ein falsches Wort drüber hingleitet. Dieses Haus gehört dem Colonel Rutherfield?«

»Dem Colonel Rutherfield, keinem anderen. Der aber ist nicht daheim. Lange Zeit ist es her, als er davonging.«

»Richtig, schwarzes Vieh. Er ging, um gegen die Südlichen zu fechten, und dafür verdient er samt allen, die zu ihm gehören, du als entlaufener Sklave an der Spitze, gehängt zu werden. Wo ist seine Tochter? Geh hin und melde mich bei ihr an.«

»Miss Lydia ebenfalls nicht im Hause.«

Ein neuer Peitschenhieb John Kays traf den Neger über die Schultern. Quinch begleitete ihn mit den Worten: »Verlogener, hinterlistiger Hund! Wenn sie gestern Abend ihr eigenes Bett aufsuchte – und das kannst du nicht leugnen – so muss sie heute noch im Hause sein.«

»Sie war auch heute früh noch hier«, räumte Nestor ein, »dann aber ging sie, ich weiß nicht, wohin. Ich vermute, sie wollte es mir nicht sagen, auf dass ich nicht zum Verrat gezwungen werden könnte. Die braune Eva ist ebenfalls verschwunden. Die hatte gehört, die südlichen Gentlemen wollten kommen, da entlief sie in erstaunlichem Schrecken, vielleicht in den Wald, ich kann es nicht behaupten. Ich blieb hier, um nach dem Rechten zu sehen und die Herren aufs Beste zu bedienen, so befahl Miss Lydia.«

»Das befahl sie? Und mich hältst du für dumm genug, das zu glauben? Ich weiß es besser: Hier im Haus weilt sie oder in den Fabrikräumen, um in irgendeinem Versteck unseren Aufbruch abzuwarten.«

»Ich beschwöre es, dass sie nicht im Haus, nicht in den Mühlen ist«, beteuerte Nestor händeringend, »wenn die Gentlemen befehlen, führe ich Sie überall herum und Sie mögen mich vor den Kopf schießen, wenn Sie Miss Lydia finden.«

»Weil du sie sicher geborgen wähnst.«

»Hund von einem Kerl!«, brüllte John Kay, seinem Chef ins Wort fallend. Den Revolver ziehend, hielt er dessen Mündung dem Schwarzen vor die Stirn. »Jetzt gestehe die Wahrheit oder du bist ein toter Mann!«

Nestor war auf die Knie gesunken, beide Arme erhebend, flehte er verzweiflungsvoll um Barmherzigkeit.

»Gnade, Herr!«, rief er aus, »was habe ich verbrochen, dass ich sterben soll? Ich kann nichts anderes reden als die Wahrheit, und wenn Sie mich dreimal umbringen!«

»Lassen Sie die schwarze Bestie«, wandte Quinch sich an John Kay, und er drückte die Waffe zur Seite, »wir mögen ihn noch gebrauchen. Zum Totschießen ist es eine Stunde später früh genug.« Und wieder zu dem Afrikaner. »Du weißt dennoch mehr, als du offenbaren willst. Ich dagegen kenne ein Mittel, dich reden zu machen wie einen besessenen Methodistenprediger. Eine Peitschenschnur um deinen verfluchten Schädel mittels eines Knebels so lange angeholt, bis dir das Blut aus Augen und Ohren spritzt, verrichtet Wunder. Doch zuvor wollen wir hören, was andere dazu meinen. Wer befindet sich außer dir im Haus oder in den Fabriken?«

»Keine menschliche Seele«, beteuerte Nestor noch immer auf den Knien liegend, »wurden überhaupt keine Leute mehr gebraucht, seitdem die Sägemühle schloss, und ist Bedarf an Mehl, so helfen die Nachbarn in der Mahlmühle.«

»Gebärdet der Schurke sich nicht wie die leibhaftige Unschuld?«, wandte Quinch sich wieder halb an John Kay. »Wir werden es ja erleben. Entspricht aber auch nur eine Silbe nicht dem wirklichen Tatbestand, so lassen wir ihn mit gefesselten Gliedern aufs erste beste Feuer legen, da wird er gern beichten, und mehr als notwendig. Steh auf jetzt, du Missgeburt der Hölle, und lass uns Umschau halten. Zunächst zeige uns Miss Lydias Zimmer. Merke dir: Beim ersten Fluchtversuch hast du eine Kugel in den Eingeweiden.«

Nestor kehrte sich um, und den Kopf zwischen die Schultern gezogen, wie bei jeder neuen Bewegung einen anderen Schlag mit dem Peitschenstiel oder einen Schuss gewärtigend, schritt er mit schlotternden Knien den beiden Wüterichen voraus. Hätten diese aber einen Blick auf sein aschfahles Gesicht zu werfen vermocht, so würden selbst sie mit ihren verrotteten Gemütern vor dem unheimlichen Ausdruck zurückgebebt sein, der auf demselben zum Durchbruch gelangte. Denn das war kein menschliches Antlitz mehr, sondern die Larve eines Dämons. Hass, Wut und Rachedurst sprühten aus den großen vorquellenden Augen. Um die von dem mächtigen Gebiss zurückgetretenen wulstigen Lippen lagerte dagegen ein eigentümliches Gepräge teuflischer Grausamkeit, das an Wahnwitz grenzende Verlangen, die ihn peinigenden rohen Schergen den erdenklichsten Qualen zu unterwerfen und sich dann an ihrem Anblick zu weiden. In seinen Adern war das afrikanische Blut ins Kochen geraten. Es tauchten die Erinnerungen an Eltern und Geschwister auf, von welchen er schon als Kind durch den Auktionshammer getrennt wurde. Es wiederholte sich das Brennen der Peitschenhiebe, die ihm einst für das geringste Versehen die Rückenhaut in blutrünstigen Schwielen auftrieben. Wie Feuer entzündete es sich in seinen Blicken, wie Feuer der Schadenfreude und heimlichen Triumphes. Wusste er doch, dass seine gütige Herrin sich nahe genug befand, um jedes Wort der lästernden Wüteriche zu verstehen. Er selbst hatte sie in das sichere Versteck geführt. Wäre er aber wirklich gefesselt auf glühende Kohlen gelegt worden, so hätte er sie nicht verraten. Zu tief wurzelte die Anhänglichkeit, mit welcher er ihr ergeben war, zu fest stand sein Wille, lieber alles über sich ergehen zu lassen, als den verhassten Feinden auch nur den kleinsten Vorteil über sie einzuräumen.

Indem die beiden Raubgenossen dem Farbigen in der Entfernung einiger Schritte langsam folgten, bemerkte Quinch zu dem Adjutanten: »Hängen will ich, wenn das Frauenzimmer nicht dennoch in unserer Nähe weilt und ihm nur ein Mauseloch geboten zu werden braucht, um zu entwischen. Verdammt, was ist die ganze Kontribution des Ortes im Vergleich mit der Beute, welche sie in ihrer Person bietet. Sein ungeteiltes Vermögen, und das ist nicht gering, gibt der Colonel für die Befreiung seines einzigen Kindes hin. Sie soll übrigens verteufelt anmutig sein, ein anderes Verlockungsmittel für mich. Bei Gott! Ich möchte des Colonels Gesicht sehen, hörte er davon, dass sein Täubchen sich in meiner Gewalt befände. Bei der ewigen infernalischen Versöhnung, Mann, alles Mögliche muss aufgeboten werden, um der jungen Lady habhaft zu werden. Und hier im Haus steckt sie, ich wiederhole es. Denn zum Flüchten hätte sie keine Zeit gehabt, zumal in der einzigen Begleitung ihrer braunen Hexe, und das ist der Hauptgrund, weshalb ich darauf dringe, dass Sie hier übernachten. Entdecken Sie aber bis morgen früh nichts, so legen wir Feuer an den Bau und räuchern sie aus, wie ein Opossum aus einem hohlen Baum.«

»An Wachsamkeit werde ich es nicht fehlen lassen«, versetzte John Kay, und sein feistes Gesicht glühte förmlich bei Vergegenwärtigung des ihm übertragenen Amtes. »Um sicher zu sein, dass sie mir nicht dennoch unter den Händen verschwindet, möchte ich um ein paar zuverlässige Burschen bitten, die während der Nacht nicht nur das Haus bewachen, sondern auch die Fabrikgebäude im Auge behalten. Wir haben Mondschein, das erleichtert die Umschau wesentlich.«

Nestor hatte sich ihnen wieder zugekehrt. Die mächtige Gestalt schien vor Angst und Unterwürfigkeit in sich zusammenzukriechen. Wie Flehen um Erbarmen sprach es aus seinen demütig gesenkten Augen.

»Hier ist Miss Lydias Wohnzimmer«, erklärte er schüchtern, indem er die Hand im Kreis schwang, »und da durch jene Tür geht es in ihren Schlafraum, wenn es den Gentlemen gefällt, darinnen ebenfalls nach ihr zu suchen.«

Die beiden Schergen sahen um sich. Die freundliche Umgebung mochte sie anheimeln, wogegen die Merkmale, dass erst ganz kürzlich jemand daselbst häuslich verkehrte, ihrem Verdacht neue Nahrung boten. Misstrauisch spähten sie nach allen Seiten. Keinen Winkel gab es, den sie nicht aufmerksam durchsucht hätten. Ein Kleiderspind nahm die Hauptstelle auf der den beiden Fenstern gegenüberliegenden Wand ein. Es war geräumig genug, dass jemand, ohne zu sehr beengt zu sein, sich darin verborgen halten konnte.

Quinch schritt hinüber. Während er die Hand auf den in der Tür steckenden Schlüssel legte, überwachte er das Gesicht des Dunkelhäutigen argwöhnisch. Dasselbe veränderte seinen Ausdruck nicht im Geringsten. Nach wie vor schaute es ängstlich und mit stumpfer Neugierde drein.

John Kay lachte hämisch und meinte: »Es lohnt nicht. Da hätte sie ebenso sicher dort auf ihrem Polsterstuhl gesessen.«

»Was man sucht, findet man häufig da, wo man es am wenigsten vermutet«, antwortete Quinch mürrisch über die Schulter, indem er den Schlüssel drehte. Als die Tür sich öffnete, fiel sein Blick auf Damenkleider und Hüte, die von Pflöcken und Haken herunterhingen. »Wäre sie geflohen, so hätte sie verflucht wenig mit fortgenommen«, grollte er vor sich hin. Mit den unsauberen Händen wühlte er zwischen den verschiedenen Stoffen.

Nestor trat dienstfertig neben ihn hin. »Wenn es der Herr befiehlt, will ich alles herausnehmen«, sprach er in den Schrank hinein. Den Arm zwischen den Kleidern hindurchschiebend legte er die Rückwand bloß, zugleich mit der schwieligen Hand über die Bretter hinstreichend und zum Schluss, wie zur Probe, auf dieselben klopfend.

»Scher dich zur Seite«, herrschte Quinch ihm zu. »Um mich zu belehren, dass hier niemand drinnen steckt, brauche ich deine Weisheit nicht. Soll mich wundern, ob du an anderen Stellen dich ebenso gefällig zeigst.«

Er spähte wieder um sich, während John Kay, einem tückischen Kettenhund ähnlich, den Neger scharf überwachte. Keine andere Gelegenheit war zu entdecken, die als Versteck hätte benutzt werden können. Sogar den Fußboden prüfte er, durch Stampfen mit den Füßen sich Gewissheit verschaffend, dass die Bretter keinen hohlen Raum überdeckten. Grimmig fluchend trat er in das Schlafzimmer, ein verhältnismäßig umfangreiches Gemach, in welchem alles, die Möbel als auch die Gardinen, die an den Wänden hängenden Bilder und die zahlreich umherstehenden kleinen Dinge Zeugnis davon ablegten, dass hier ausschließlich ein sinniger mädchenhafter Geschmack maßgebend gewesen war. Wie süßer jungfräulicher Atem erfüllte es den ganzen Raum. Das mit weißen Vorhängen versehene Bett übte den Eindruck eines Heiligtums aus. Mit rohem Griff riss Quinch die Vorhänge zur Seite. Wilde Verwünschungen entströmten den geifernden Lippen, indem er die über das Bett ausgebreitete gestickte Decke zurückwarf und die schwellenden Pfühle mit den verbrecherischen Fäusten niederpresste.

»Nichts drin«, murrte er vor sich hin. »Verdammt, wer wäre auch einfältig genug, sich gerade hier zu verbergen.«

Ein weißes Nachtkleid lag zu Füßen auf der Decke. Es schien eben erst abgelegt zu sein. Quinch packte es mit beiden Fäusten und hielt es in Armeslänge von sich.

»Meine Seele verschreibe ich dem Satan darauf, dass es noch warm ist«, sprach er in verhaltener Wut. Sein höhnischer Blick streifte den Schwarzen.

Dieser beugte die breiten Schultern noch tiefer. »Da müsste Miss Lydia viel Wärme besitzen, sollte sie von einem Tag bis zum anderen aushalten«, wagte er unterwürfig zu bemerken.

»Meine Wärme ist dauerhafter«, versetzte John Kay heiser lachend. Schmeichelnd klopfte er auf das Unterbett. »Das will ich erproben und meine steifen Glieder behaglich ausstrecken und zehnmal verdammt sein, wenn ich je ein feineres Lager unter mir fühlte.«

Quinch beachtete die von wüsten Scherzreden gefolgte Bemerkung nicht. Da das Gemach keinen anderen Ausgang hatte, begaben sie sich in das Wohnzimmer zurück, um von dort aus die Nachforschungen durch das ganze Haus fortzusetzen. Kein Winkel entging ihrer Aufmerksamkeit, weder in den Kellerräumen noch auf dem Boden. Überall fanden sie dieselbe Ordnung und Sauberkeit und immer wieder die Merkmale, dass eine freundliche Hand bis auf den heutigen Tag sinnig und geschäftig gewaltet hatte. Von der mit so viel Eifer Gesuchten selbst entdeckten sie dagegen nicht die leiseste Spur.

Das Arbeitszimmer des Colonels schien pietätvoll in demselben Zustand erhalten worden zu sein, in welchem er es verlassen hatte. Papier und Briefschaften, Federn und sonstige Schreibmaterialien lagen in Fülle auf dem breiten Schreibtisch, und nirgends war ein Stäubchen sichtbar.

So hatten die beiden Unholde unter des Sklaven Führung eine Stunde mit sorgfältigen Nachforschungen verbracht, sogar die leeren Stallungen und Fabrikräume durchwandert. Noch immer beschwor Quinch, dass Miss Lydia in der Nähe weile, als Nestor endlich ehrerbietig fragte, ob den Herren mit kalter Küche und einem herzhaften Trunk gedient sei.

Mürrisch ging Quinch darauf ein, und bald darauf saßen die beiden Schergen in Lydias Zimmer vor einem sauber gedeckten Tisch, den augenscheinlich erst kürzlich zubereiteten Speisen zusprechend und dem alten Rum alle Ehre erweisend.

John Kay trank in vollen Zügen, wogegen Quinch vorsichtig maßhielt. Wohl aber lobte er das kostbare Getränk, dem Gefährten immer wieder einprägend, den Leuten erst dann den Zutritt zu Keller und Vorratskammer freizugeben, nachdem sie selbst ihre Auswahl zum eigenen Gebrauch getroffen haben würden.

Der Abend war nicht mehr fern, als Quinch sich endlich anschickte, ins Lager zurückzukehren, wohin er die angesehensten Bürger der Ansiedlung hatte berufen lassen, um über die zu zahlende Kontribution eine Vereinbarung mit ihnen zu treffen. John Kay wies er zu dessen heimlicher Befriedigung an, das Haus nicht mehr zu verlassen, noch weniger aber den Afrikaner aus den Augen zu verlieren. Den Diener versprach er, umgehend zu schicken, ebenso zwei Mann Wache, ausgesuchte Leute, auf deren Zuverlässigkeit er glaubte, bauen zu dürfen.

Als er sich auf einem Umweg zum Bahnhof hinaus begab, gewann er, für ihn selber freilich nichts Neues, ein eigentümliches Bild von jener gepriesenen Zuverlässigkeit. Keinen Einzigen seiner Bluthunde bemerkte er, der nicht schon vom Rausch mehr oder minder bemeistert gewesen wäre.

Doch ob hier eine halb berauschte Räubergestalt ihm entgegenstolperte, um ihm in klarem Whisky ein Gut Glück zuzutrinken, dort eine andere von den Kameraden blutüberströmt aus der Tür gestoßen wurde, andererseits wieder Männer, Frauen und Kinder unter Faustschlägen und Kolbenstößen wehklagend beteuerten, außerstande zu sein, mehr zu tun, als schon geleistet worden war; ob Hilferufe bald aus dieser, bald aus jener Richtung halb erstickt herüberschallten, übertäubt von Wahn witzig klingendem Gelächter; ein im Streit mit den Genossen zum Tode Verwundeter sich in den letzten Zügen wand, ein erschossener schwarzer Arbeiter von ihm umschritten werden musste, ganze Familien um ihr misshandeltes Oberhaupt die Hände rangen: Auf Quinch übte es keinen Eindruck aus. Nachdem es ihm bis jetzt nicht gelungen war, der schönen Tochter des verhassten Colonels und damit einer reichen Beute habhaft zu werden, klangen die Wehrufe wie Musik in seinen Ohren.

Ohne eine Miene zu verziehen, folgte er seinen Weg durch die noch ländlich begrenzten Straßen, zuweilen seinen langen schwarzen Bart streichend, als hätte er sich für das von ihm eingeleitete Höllenwerk liebkosen wollen. Wo eine von weinenden Kindern umringte Mutter ihn um Erbarmen anflehte, ein verzweifelnder Vater die Rache des Himmels auf ihn herab beschwor, da zuckte er gleichgültig die Achseln. Höchstens bequemte er sich zu der Bemerkung, dass den Feinden des Südens ihr Recht geschehe, die Bewohner eines ursprünglichen Sklavenstaates aber doppelt verdammt sein sollten, weil sie sich verräterisch aufseiten des Nordens geschlagen hätten, und dafür nunmehr die Früchte ihres Treuebruchs ernten müssten. Dann vertröstete er auf die Nacht, dass nach Einbruch der Dunkelheit seine der Erholung bedürftigen Helden den Schlaf suchen würden, und man weise handle, ihnen folgenden Tages beim Erwachen zuvorkommend alles anzubieten, was das Herz eines braven Soldaten erfreue.