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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 10

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Zehntes Kapitel

Unser Held ist ein weißer Sklave – sieht sich in die äußerste Not versetzt – ist fast wahnsinnig, verhält sich aber mannhaft. – Er und sein Freund versöhnen sich mit ihrem Geschick. – Einige Berichte, wie man im 17. Jahrhundert auf Barbados zu leben pflegte.

In jener Periode befand sich Barbados in seinem besten Wohlstand, obwohl es kaum erst fünfzig Jahre kolonisiert war. Als Morgan anlangte, lagen 22 Schiffe in der Carlisle Bay vor Anker, und der Verkehr in den Booten war so lebhaft, wie heutzutage auf der Themse unter der London Brigde.

Die erste Erwähnung dieser schönen Insel geschah im Jahr 1600, und fünf Jahre später war sie noch immer völlig unbewohnt, denn um jene Zeit landeten einige Engländer, pflanzten ein hölzernes Kreuz auf und schrieben darauf Jakob, König von England und dieser Insel. Endlich begannen sich Engländer in den verlockendsten Teilen niederzulassen, und man sprach viel von den herrlichen Dingen, die da zu finden wären, sodass sich der Graf von Marlborough dadurch veranlasst sah, hinzugehen und vom König die Insel für sich und seine Erben auf ewige Zeit zu erbitten. Dieses bescheidene Gesuch wurde natürlich genehmigt. Indes scheint es, dass das so leicht Verschenkte ebenso leicht wieder zurückgenommen wurde. Karl I. verlieh im Jahr 1627 alle karibischen Inseln auf ewige Zeiten an James Hay, den Grafen von Pembroke, und dann schenkte er wieder Barbados dem Grafen von Carlisle.

Diese beiden Edelleute statteten Schiffe aus und schickten Ansiedler ab, von denen sich die eine Partie windwärts, die andere auf der Leeseite der Insel niederließ. Nun führten sie gegenseitig einen höchst furchtbaren, blutigen und verräterischen Krieg, während Carlisle und Pembroke die Schlacht an König Karls Hof ausfochten. Ersterer behauptete endlich das Feld, aber bald danach verlor der Inselverschenker seine eigene und den Kopf dazu. Diese ganze Zeit über war Barbados sich selbst überlassen und gedieh ungemein gut. Sie war ebenso gut mit Royalisten als auch mit Rundköpfen bevölkert. Da sie sich auswärts verständig benahmen, obwohl sie in der Heimat die betörtesten aller Toren waren, so lebten sie gemeinschaftlich auf dem freundschaftlichsten Fuß. Sie hatten es sich zum Gesetz gemacht, dass jeder, welcher sich so weit vergäße, auf eine Partei anzuspielen oder die Worte Kavalier und Parlament in den Mund nahm, ein gutes Diner an alle seine Nachbarn verwirkt habe. Dieses Gesetz wurde so gut beobachtet, dass niemand es anders als im Scherz übertrat, um dadurch Gelegenheit für die Ausübung der unbegrenztesten Gastfreundschaft zu finden.

Zur Zeit der Ankunft unseres Helden wurde das Land sowohl durch weiße als auch durch schwarze Sklaven gebaut, obwohl man Ersteren die Ehre erwies, sie Diener oder bisweilen auch Lehrlinge zu nennen. Sie wurden mit maßloser Härte und Grausamkeit behandelt, sodass sie wie Fliegen dahinstarben. Doch wir werden bald Gelegenheit haben, darüber weiter zu sprechen.

Unsere beiden Freunde wurden bald nach ihrer Einkerkerung vor einen finster aussehenden Mann berufen, welcher sie nicht zu Wort kommen ließ, sondern eben ein Dokument unterzeichnete und sie zusammengefesselt einem Polizeidiener übergab, welcher sie einige Meilen ins Innere des Landes führte. Sie begriffen nun vollkommen, dass sie entweder als Verbrecher für Lebenszeit oder für fünf bis sieben Jahre als Lehrlinge, Diener oder Engagés, wie es die Franzosen damals nannten, verkauft worden waren.

Die Hitze war drückend, kriechende und geflügelte Insekten gaben ihnen einen sehr deutlichen Vorgeschmack von dem, was die Katholiken ein Fegefeuer nennen. Aber alles dies war nichts gegen die Folter der Seele, die namentlich unseren Morgan maßlos quälte. Es war augenscheinlich, dass sie allenthalben verachtet wurden, denn so oft sie mit Sklaven und Lehrlingen ihresgleichen zusammentrafen, wurden sie verhöhnt und mit Schimpfnamen aller Art begrüßt. Die Menschheit geriet furchtbar tief in Henry Morgans Schuldbuch. Obwohl er beschlossen hatte, geduldig den Zahltag abzuwarten, war er doch mit sich einig, dass die Ausgleichung voll werden solle, selbst bis zum Überfließen.

Barfuß und beinahe erschöpft von Hitze kamen die beiden unglücklichen Knaben endlich auf der Pflanzung des Friedensrichters Hetherfall an. Nachdem der Führer und der Constable den Aufseher herbeigerufen hatte, wurden ihnen die Fesseln abgenommen und sie unter dem Namen Henry Morgan, alias Simon Simcox und Joseph Bradley ausgeliefert.

Der Aufseher hatte ein grausames Gesicht, aufgedunsene Züge und eine Farbe, ähnlich der einer wohlgebräunten Kupferpfanne. Er war hager, aber dabei stark und muskulös, und trug in seiner Rechten ein Rohr, das von dem einen Ende bis zum anderen mit Blut befleckt war. Ihm folgte ein herkulisch gebauter Neger mit einem Folterwerkzeug, das aus starker, ungegerbter Ochsenhaut verfertigt war. Diese war in drei Riemen geschnitten und an einer kurzen, starken hölzernen Handhabe befestigt. Wie der Schwarze herankam, grinste er wie ein Werwolf die beiden Knaben an und begann mit grässlicher Jovialität seine Geißel zu schwenken.

Der Aufseher war ein wortkarger Mann und hieß Mandeville, wurde aber wegen seiner Grausamkeit und Kürze halber bisweilen auch »Devil« oder wenn man seinen vollen Abscheu ausdrücken wollte »damned Devil« genannt. Er ging nach einigen Locusten-Bäumen voran. Dort ließ er sich nur so weit herab, über seine blauen dürren Lippen die Worte Entkleidet euch! fallen zu lassen.

Henry begann einige sehr entrüstete Vorstellungen, wurde aber durch die Wiederholung vorgedachter Worte und einen schweren Schlag mit dem Rohr über seine Schultern unterbrochen. Wie der Streich auf den Leib unseres Helden erdröhnte, schwang der Neger seine Geißel mit Macht über dem Kopf.

Ein Schlag war eine Entwürdigung, die Morgan noch nicht erdulden gelernt hatte. Er ballte seine Fäuste und war eben im Begriff, auf Mandeville loszuspringen, als ihn ein abermaliger Streich des Rohres über das Gesicht und ein furchtbarer Hieb vonseiten des Negers blutend zu Boden warf.

Joseph Bradley sah all dieses mit Entsetzen an. Er wusste nicht, sollte er Widerstand leisten oder gehorchen. Aber die Peitsche sauste über seinen Kopf und er fügte sich. Morgan wurde von den anderen Negern nackt ausgezogen, dann warf man ihnen zwei grobe, sehr grobe leinene Hemden nebst zwei Paar Beinkleider von demselben Material zu. Darauf bedeutete man ihnen, sie sollten sich ankleiden und dann zum Magazin kommen, um sich mit Schuhen zu versehen. Die groben Kleider mochten passen, wie sie eben wollten. In Betreff der Schuhe war es ihnen übrigens gestattet, nach ihrem Fuß die Wahl zu treffen.

Der Mensch muss sich unter die Umstände beugen, wenn er ihnen nicht unterliegen will. Morgans Geist war zu federkräftig, um unter was immer für Umstände zu brechen. Außerdem wurde er auch durch einen glühenden Rachedurst aufrechterhalten. Er wischte sich das Blut von der zerfleischten Stirn, schlüpfte in sein Hemd und in seine Hosen, die er mit einem Weidenband um seinen Leib befestigte, und begab sich in Bradleys Geleit mit störrischen Blicken und finsterem Schweigen zum Magazin, um sich mit Schuhen zu versehen. Unter dem Spott und Hohngelächter der schwarzen und weißen Sklaven wurde jedem eine Monmutkappe auf den Kopf gesetzt, und unsere beiden Freunde waren nun völlig für die Pflanzerarbeit ausgestattet. Der Neger mit der Peitsche führte sie nun zu einem Platz, der mit einigen Palmen beschattet war, gab jedem ein Hakenmesser und befahl ihnen, sich an einer gewissen Stelle ihre Hütten zu errichten. Dann stolzierte der schwarze Kerl ab. Morgan rief ihn aber in sehr höflichem, demütigen Ton zurück und bat ihn um Rat, wie sie es anzugehen hätten.

»Eh! Buckran-Junge – komm’ zu sein’ Sinn! Aber warum denn Ihr nicht dank’ mir für die schöne Hieb’, die ich geben. Sie bring’ ihn zu sein Sinn, Sär – dank mir, und ich lehr Euch mach’ einen Hütt’.«

»Herr Neger, ich bin Euch sehr verbunden für die Mühe, die Ihr Euch mit meiner Besserung gegeben habt«, sagte Morgan zwischen Hohn und Zwang, oder vielmehr höhnend über den Zwang, dem er sich zu unterwerfen genötigt sah.

»Neger, Sär? Wenn der Teufel du dir nenn’ Neger? Ich bin schwarz’ Schennelman Unteraufsehers erster Bedient. Neger, Sär, is der arm Deifel, der mit arme Buckra-Deifel im Feld arbeit. Mein Name, Sär, Ganymede.«

»Bitte, Herr Ganymed, zeigt uns, was wir tun sollen.«

Ganymed ließ sich erweichen und schickte bald nachher zwei weiße Sklaven, durch welche unsere Freunde unterrichtet wurden, wie sie ihr Geschäft anzugehen hätten. Während sie so mit Abschneiden von Stöcken und Weidenruten beschäftigt waren, fragten Morgan und Bradley natürlich ihre Gefährten, warum sie sich eine solche schreckliche Grausamkeit gefallen ließen, und ob es nicht leicht sein würde, sich zu erheben und ihren Tyrannen die Gurgeln durchzuschneiden. Die beiden Männer waren jedoch verständig und nur deshalb deportiert worden, weil sie nicht recht zu unterscheiden wussten, für welche Seite sie ihre Untertanenpflichten rechtmäßig zu erfüllen hatten. Sie bedeuteten Morgan, dass an einen Aufstand nicht zu denken sei. In der Kolonie befänden sich bereits tausend Mann Kavallerie, die alle gut beritten wären, und mehr als die Hälfte derselben zöge trotz der Hitze des Klimas stets völlig gepanzert aus. Auch seien mehr als zehntausend Infanteristen vorhanden, und diese vereinten Streitkräfte patrouillierten sorgfältig durch die ganze Insel. Die Neger seien zwar doppelt so stark als die Christen und blutgierig genug, dabei aber doch sehr furchtsam und würden in einer solchen wegwerfenden Zucht erhalten, dass sie es kaum wagten, ihre Augen vor einem freien, weißen Mann zu erheben. Außerdem werde jeder, der, was immer für eine Waffe anrühre, fast zu Tode gepeitscht. Die Musterungen der weißen Truppen und der Donner des Geschützes gebe ihnen eine gewaltig hohe Meinung von der Macht ihrer Gebieter. Dazu komme noch, dass sie sich aus Mangel einer gemeinschaftlichen Sprache kaum gegenseitig verständlich machen könnten, denn sie seien aus verschiedenen Teilen der afrikanischen Küste zusammengerafft. Obwohl die weißen Deportierten Sklaven wären wie sie, hassten sie doch diese noch mehr als sogar die gemeinschaftlichen Verfolger.

Aus dem weiteren Gespräch entnahm Morgan, dass er wahrscheinlich nebst Joseph Bradley infolge eines falschen Dokuments als verurteilter Verbrecher auf fünf oder sieben Jahre verkauft sei und dem Unrecht unmöglich Abhilfe geleistet werden könne. Er müsse sich eben gedulden und könne seine Lage nur dadurch einigermaßen erträglich machen, dass er sich zufriedenstelle und Unterwürfigkeit zeige.

Noch vor Sonnenuntergang dieses erreignisvollen Tages waren die beiden Hütten fertig. Sie bestanden aus einigen geraden Stöcken, die senkrecht in den Boden geschlagen waren, und einigen weiteren, welche oben in die Quere gingen. Das Ganze war mit Weiden ausgeflochten, welche auf dieser Insel in großer Stärke und Menge vorkommen. Das Dach wurde durch Platanenlaub gebildet und war kaum hoch genug, um eine erwachsene Person darunter sitzen zu lassen. Boden hatten sie keinen anderen, als denjenigen, welcher aus der Hand des großen Baumeisters der Natur gekommen war.

Nachdem dieser ärmliche Notbehelf, über den ein ägyptischer Zigeuner mit unaussprechlicher Verachtung die Nase gerümpft haben würde, zustande gebracht war, entfernten sich die weißen Sklaven, den Knaben kaum ein Wort der Teilnahme oder des Wohlwollens zollend. Leiden hatten ihren Geist ebenso gut in Fesseln geschlagen, wie die Tyrannei ihre Körper. Unsere Freunde hatten sich nicht lange allein befunden, als ihnen ein anderer Neger eine Kalabasse Wasser und einige Kartoffeln brachte, ihnen zugleich bedeutend, dass dies alle Nahrung sei, welche sie zu erwarten hatten. Dann erbot er sich, ihnen zu zeigen, wie sie ihr Essen kochen müssten, wenn sie ihm die halbe Ration abließen.

Das Erbieten wurde angenommen. Der Schwarze zeigte ihnen sodann jene eigentümliche Art dürren Holzes, welches, wenn es über etwas wilder Baumwolle gerieben wird, durch die Friktion fast augenblicklich eine Flamme hervorbringt. An Blättern und Ästen fehlte es nicht. Sie bildeten daher aus Sand und kleinen Steinen einen sehr ländlichen Ofen. Das Essen wollte unseren jungen Gentlemen nicht sonderlich schmecken, obwohl ihnen nach ihrer erschöpfenden Wanderung das Wasser sehr zustattenkam. Als der kühle Abend einbrach, beteten sie in ihrem Leid zu Gott, dass er sie gegenseitig segnen möge, und zogen sich dann in ihre erbärmlichen Laubhöhlen zurück – nicht um zu schlafen, ja nicht einmal um zu ruhen.

Owen Lywarch, den wir hinfort nur bei seinem angenommenen Namen nennen wollen, war ein gutmütiger, geduldiger Junge, der viel auszudauern vermochte. Er hegte nicht nur einige Zuneigung, sondern auch eine große Verehrung gegen Henry Morgan, und war vielleicht mehr um seines Freundes als um seiner selbst willen bekümmert. Morgan dagegen war abwechselnd ungeduldig und finster. Er barg jene kräftigen Elemente in sich, welche entweder große Handlungen oder große Verbrechen erzeugen. Es war ihm nicht gegeben, sich zu beruhigen. In seinem Charakter lag der Geist des Widerstandes, nicht der Duldung, wenn nicht etwa Letztere zu seinem Operationsplan gehörte und irgendein großes Ziel fördern helfen sollte. Es ist jedoch zweifelhaft, ob er je der ausgezeichnete und grausame Mann geworden wäre, als welcher er später in der Welt auftrat, wenn er in seiner Jugend nicht so ungerecht behandelt worden wäre. Freilich ein Wildfang würde er immer geblieben sein.

Der schöne tropische Mond erhob sich in seiner Strahlenglorie und blickte mild – ja, man hätte glauben können mitleidig – auf die beiden Laubhütten nieder, welche sich fast wie grüne Gräber in unseren ländlichen Kirchhöfen ausnahmen. Und waren es nicht Gräber, welche zwei gequälte lebende Körper bargen? Man hörte deutlich ein dumpfes Stöhnen daraus hervorgehen, und die unglücklichen Knaben weinten bitterlich, die feuchte Erde mit ihren Tränen tränkend, welche sie aus Stolz oder gegenseitigem Mitleid zurückgehalten hatten, als sie beisammen waren. Die gebrechlichen Behausungen zitterten, wenn sie ihre fiebrigen Glieder umherwarfen, und Bradley betete um den Tod, Morgan aber um Rache.

Endlich stürzte Henry, der sein Leid nicht länger zu ertragen vermochte, ins Freie hinaus, erhob seine Hände außer sich zu der glorreichen Lampe des Nachthimmels und rief: »Kann dies derselbe sein, der über meinen eigenen lieben Bergen schläft? Er scheint glänzender und größer. Oder kommt es mir vielleicht nur so vor, weil ich schlecht und herabgewürdigt worden bin? O mein Vater! Und die herzlose, die stolze Lynia! Was gäbe es auf Erden, was ich nicht für dich getan hätte! Könntest du nur sehen, wohin du mich getrieben hast! Dieses mit Blasen bedeckte Gesicht – diese geschwollenen Füße – dieses brennende Gehirn – Alles habe ich dir und deiner süßen, ruhigen, gewinnenden Weise zu danken. Ein Sklave, ein gepeitschter Sklave! Oh, ich werde noch toll! Ich könnte nun jenem herrlichen Wald zujubeln – könnte, so lahm ich hin, in diesem heiteren Mondlicht tanzen – ja – ich werde wahnsinnig; aber noch nicht – nicht bis ich diesen Teufel Vagardo gefoltert und ermordet habe! Auf, Owen! heraus – willst du nicht kommen? Dummkopf, Esel! Komm heraus, sage ich, aus deiner grünen Höhle! Wie, bist du trotzig?«

Nun hatte Joseph Bradley Henry schon mehr als einmal in seinen wilden Launen gesehen, und da er dieselben nicht begreifen konnte, noch weniger aber eine Rolle dabei spielen mochte, so stellte er sich an, als schlafe er, weil er ihm ja doch keinen Trost zu bringen imstande war. Aber sein Freund war nicht so leicht zu umgehen. Mit wenig Kraftaufwand riss er die ganze Hütte über Joseph auf den Boden und zerstörte mit einem Ruckei dessen Wohnstätte. Dieser kleine Kollerausbruch hatte jedoch so viel Possierliches in sich, dass Morgans Wut für eine Weile einem schallendem Gelächter Raum gab. Dann aber erging er sich in einem nicht weniger leidenschaftlichen Tränenerguss über ihre gemeinschaftliche, freundlose, traurige und klägliche Lage.

Bradley versuchte ihn mit einfachen Gemeinplätzen des Mitleids zu beschwichtigen, aber seine Blicke übten in dem milden Mondlicht eine weit größere Wirkung als seine linkischen Worte. Sie schworen sich gegenseitig wieder und wieder eine unvergängliche Freundschaft. Joseph versprach in allen Dingen, sich von Henry leiten zu lassen, und dann kamen sie miteinander überein, sich demutsvoll, geduldig und unterwürfig zu benehmen. Sie beschlossen allem aufzubieten, um sich überall Freunde zu machen und ihren Schmerz, ihre Klagen nur für sich zu behalten. Indes bestand Morgan auf zwei großen Prinzipien, Freiheit und Rache, welche sie nie auch nur einen Augenblick außer Augen lassen sollten. Aus Letzterer machte sich nun Bradley freilich nicht viel, obwohl er in Betreff der Ersteren ebenso begeistert war wie sein Freund.

Vor allem lenkte Morgan die ganze Fülle seines Hasses gegen den schlauen, großsprecherischen Kapitän Vagardo, indem er nur noch Don Alonzo grimmiger hasste. Er sehnte sich dem Tag entgegen, an welchem er mit beiden Abrechnung halten konnte. Er schloss jedoch das Gespräch mit den Worten: »Lassen wir übrigens dies, Joe. Wir haben heute Nacht die Großartigen gespielt. Lass uns jetzt für eine Weile gute Knaben sein und sehen, was wir durch Unterwürfigkeit erzielen können. Ich habe dir dein Haus zusammengeworfen, so krieche denn jetzt in das meine. Je voller es ist, desto weniger Raum ist für die verwünschten Moskitos vorhanden. Aber verlass dich darauf, Joe, ich bin das Schicksal dieses elenden schwadronierenden Vagardo.«

Während der übrigen Nacht konnten sie nur einen kargen, unvollkommenen Schlummer tun. Am anderen Morgen um sechs Uhr wurden sie durch die schrillen Töne eines Hornes geweckt und fortgetrieben, um ein Zuckerrohrfeld zu säubern. Der Tag war eben erst angebrochen, um das lebende Rot des Himmels lieblich anzuschauen; aber für sie gab es keine andere Aussicht als die Nacht einer erschöpfenden Mühe und unausgesetzten Elends, in deren Hintergrund die Verzweiflung lauerte.

Einige Monate lang verstrich ein Tag wie der andere, und wir wollen nun einen kurzen Bericht über die wechselten Mühseligkeiten geben, denen sich unsere jungen Abenteurer unterziehen mussten. Wir schildern die Behandlung der verurteilten und verkauften weißen Sklaven im Jahre 1648. Sie arbeiteten unter den strengsten Aufsehern, welche unaufhörlich die Peitsche und das Rohr in Anwendung brachten, von sechs bis elf Uhr, und erhielten dann ihr Mittagessen, das bald aus einem Gericht Loblolly, bald aus Benevist oder Kartoffeln bestand. Loblolly ist nichts anderes als Mais oder Welschkorn, das in einem großen Mörser grob zerstampft und dann mit Wasser zur Dicke eines Weizenbreis eingekocht wird. Soviel, wie für acht Personen nötig ist, wird nun in eine Mulde getan, kalt verabreicht und nur selten etwas Salz beigegeben. Sogar die Neger verabscheuen dieses garstige Mahl, über das sie nur allzu gerne in Rebellion ausgebrochen wären. Aber dennoch bildete es die Haupt- und fast einzige Nahrung derer, welche in den Pflanzungen arbeiteten. Benevist ist eine Wurzel, welche in derselben Weise zubereitet wird und heutzutage Yam heißt.

Es muss hier bemerkt werden, dass die Neger weit besser genährt wurden, als die christlichen Diener, wie man sie damals nannte, weil die meisten der Letzteren nach Ablauf einer gewissen Periode Hoffnung auf Erlösung hatten, während die schwarzen Sklaven lebenslängliches Eigentum waren. Die männlichen Neger erhielten statt des Loblolly, Benevists oder statt der Kartoffeln wöchentlich je zwei Salzmakrelen und jedes Weib eine einzige. Auch wurde Samstag abends jedem männlichen oder weiblichen Schwarzen ein großer und zwei kleine Büschel Paradiesfeigen verabreicht. Indes hatten die weißen Diener doch den Vorteil über die Schwarzen, dass sie, wenn ein Stück Vieh an Krankheit fiel, das Fleisch verzehren durften, die Schwarzen aber nur die Köpfe, Häute und Eingeweide erhielten, welche von dem Aufseher satt des übrigen vegetabilischen Mundvorrats an sie ausgeteilt wurden. Die gleiche Bewandtnis hatte es mit den gefallenen Pferden, Eseln, Maultieren und Kamelen, welch Letztere in jener Zeit samt den schwarzen Sklaven aus Afrika zu der Insel eingeführt worden waren.

Der gewöhnliche Trunk der christlichen Diener bestand nur aus reinem Wasser. Indes erhielten sie doch an Festtagen oder sonstigen freudigen Anlässen eine kleine Quantität Mobbie oder Beverage. Das Mobbie war ein Getränk, welches in folgender Weise angefertigt wurde. Man brachte Kartoffeln mit wenig Wasser in einen eisernen Topf, ließ sie über langsamem Feuer kochen und bedeckte dabei das Geschirr mit drei- oder vierfach zusammengeschlagener Leinwand, um die Entweichung des Dampfes zu verhindern. Dann nahm man die Kartoffeln heraus, maischte sie in reinem kalten Wasser klein und ließ sie anderthalb Stunden stehen. Sodann brachte man die ganze wässrige Schlämpe in einen großen, am Ende zugespitzten Beutel, ließ sie in einen Krug abtropfen, und in zwei Stunden begann der Gärungsprozess. Nun wurde der Krug zugedeckt, und am anderen Tag war das Mobbie trinkbar. Es konnte so stark gemacht werden, dass es schon in kleinen Quantitäten berauschte. In geeigneter Bereitung aber war es ein angenehmes, Durst stillendes Getränk, welches einige Ähnlichkeit mit Rheinweinmost hatte. Das Beverage wurde aus Quellwasser, Farinzucker und Orangen angefertigt.

Man kann sich leicht denken, wie all dies dem hochstrebenden Geist und dem glühenden Temperament des jungen Morgan zusagte. Aber ungeachtet aller Entbehrungen und Arbeit gediehen doch er und Bradley wunderbar auf der Pflanzung. Sie betrachteten ihre Lage mit kluger Mäßigung, arbeiteten so wenig, wie die Aufseher gestatten mochten, legten dem wilden Geflügel Schlingen, bestahlen den Hühnerhof, melkten die Kühe und beraubten in der überlegtesten und salbungsvollsten Weise alle Gärten. Da sie stets bereit waren, dem Aufseher, ihren Mitsklaven und sogar den Negern kleine Dienste zu erweisen, so wurden sie allgemein sehr beliebt, und sie schienen sogar glücklich zu sein.

Über die Sonntage konnten sie frei verfügen, und auch Feiertage kamen zahlreich genug vor, sodass sie hinreichend Zeit fanden, um die Sitten der verschiedenen Klassen auf der Insel gut zu studieren. Auch begaben sie sich oft zu den kleinen Seehäfen, um daselbst einen Vorrat von Erkundigungen einzuziehen, die später Morgan für seine Zwecke gut zu benutzen wusste. Ihre Hütten waren in einem viel größeren Maßstab wieder aufgebaut worden. Bald danach erlaubte ihnen auch ihr Gebieter, der Friedensrichter Hetherfall Hängematten zum Schlafen, in denen sie es sich recht behaglich machten. Früher hatten sie, wenn sie vom Regen bis auf die Haut durchnässt nach Hause kamen, die ganze Nacht auf dem bloßen Boden liegen müssen. Wenn ste sich infolge dessen unwohl fühlten und auf die Krankenliste gesetzt werden wollten, so wurden sie vom Aufseher grausam geschlagen. Freilich kann es nicht bezweifelt werden, dass derartige Barbareien ausgeübt wurden, aber dennoch wird es uns schwer, an die Möglichkeit derselben zu glauben.

Der junge Squire, Mr. Philipp Hetherfall, der Sohn des Friedensrichters, begann sich nun viel auf der Besitzung umzusehen. Da er auf die beiden Jungen viele Rücksicht nahm, so verbesserte sich ihre Lage sehr. Der Vater war ihnen stets günstig gewesen, weil er an ihnen einen sehr guten Handel gemacht hatte, denn um die Zeit, als sie erkauft wurden, hatte Oliver Cromwell den Markt in dieser Ware völlig zugrunde gerichtet, indem er von England und Irland aus fast achttausend Mann einschiffte, welche seiner und des Parlaments Autorität mit Waffengewalt Widerstand geleistet hatten. Sie erreichten jedoch ihren Bestimmungsort nie, denn sie standen gegen ihre Hüter auf und bemächtigten sich der Transportfahrzeuge. Da sie übrigens nur wenig von der Schifffahrt und der Behandlung eines Schiffes verstanden, außerdem aber auch ungünstiges Wetter eintrat, so wurden sie an die Küsten von St. Domingo verschlagen, wo sie samt und sonders elend zugrunde gingen. Fünfzig Jahre danach sah man noch große Haufen gebleichter Knochen in einer kleinen Bay unweit des Kaps Tiburon. Auch nannten bis auf die letzte Zeit die Franzosen und Haitier jenes Golgata L’anse aux hibernois.

Morgan hatte sich etwa ein Jahr in der Dienstbarkeit des Friedensrichters befunden, als diese Kunde einlief, welche seinen eigenen und Bradleys Marktwert bedeutend steigerte. Man hatte jene Ladungen unglücklicher Wesen lange erwartet und viel darüber gesprochen. Ihr furchtbares Ende übte aber die Wirkung, dass die Dienstleute über der ganzen Insel viel besser behandelt wurden. Henry hatte jedoch außer seiner Bescheidenheit und Höflichkeit auch noch andere Ansprüche auf die Achtung seines Gebieters. Ehe wir übrigens hierauf entgehen, wollen wir den Bericht eines Autors jener Zeit, welcher an Ort und Stelle schrieb, anführen, um dem Leser begreiflich zu machen, wie sehr jene erwartete Einfuhr von Verurteilten den Markt verkümmert hatte.

»Schweine haben wir hier in großem Überfluss, ohne dass man sie jedoch wild oder frei herumlaufen ließe; denn wenn man dies tun wollte, würden sie mehr Schaden anrichten, als sie wert sind. Man schließt sie ein, und jedermann kennt sein Eigentum. Diejenigen, welche Schweine züchten, verkaufen sie, lebendig gewogen, zu einem Groot das Pfund – bisweilen auch zu sechs Pence, wenn das Fleisch teuer ist. Auf der Insel war ein Pflanzer, welcher zu seinem Nachbar kam und sagte: ›Nachbar, ich höre, dass Ihr kürzlich einen guten Vorrat Diener vom letzten Schiff, das aus England kam, gekauft habt. Auch ist mir zu Ohren gekommen, dass es Euch an Proviant mangle. Es fehlt mir sehr an weiblichen Dienstboten, und ich würde gern einen Tausch machen. Wollt Ihr mir einiges von Eurem Weiberfleisch abtreten, wenn ich Euch dafür Schweinefleisch entgegengebe?‹

So wurde denn der Preis für ein Pfund Schweinefleisch zu einem Groot1, das Pfund Weiberfleisch aber zu sechs Pence angeschlagen. Die Waage wurde aufgestellt, und der Pflanzer holte ein ungemein fettes, träges und unnützes Mädchen herbei, welches Honor hieß. Der Mann brachte eine große fette Sau und legte sie in die eine Waagschale, während Honor in die andere gesetzt wurde. Aber als er sah, um wie viel das Mädchen seine Sau überwog, brach er den Handel ab und wollte nichts mehr davon wissen. Obwohl nun ein derartiger Fall selten vorkommen mag, so ist es doch ganz gewöhnlich, dass man die Dienstleute auf die Dauer ihrer Verpflichtung gegenseitig für Waren, wie sie auf der Insel zu haben sind, eintauscht.«

Dieses kleine Zitat zeigt deutlich, wie die weißen Diener geachtet werden. Wir wollen nun berichten, in welcher Weise Morgan sich bei seinem Gebieter noch weiter empfahl. Schweinefleisch war vorzugsweise die animalische Nahrung der Pflanzer und Landbesitzer – überhaupt auch bei Weitem das Beste, das auf der Insel zu haben war. In den Zeiten der ersten Ansiedlungen auf Barbados fand man daselbst Schweine, welche ohne die Eingeweide vier Zentner wogen; zur Zeit von Morgans Ankunft aber waren sie bereits gezähmt. Weil man sie nur schlecht behandelte, so wurden sie kaum so groß, wie man diese Tiere gewöhnlich in England laufen sieht. Sie waren in rohen, schlechten Ställen eingesperrt, welche nur aus gefällten und unbehauen aufeinandergelegten Bäumen bestanden. Auch waren so viele Tiere beisammen, dass sich aus Mangel an Raum, Bewegung und Reinigung in der Hitze des Klimas die Zucht sehr verschlechterte.

Morgan machte in höchst achtungsvoller Weise den Friedensrichter auf diesen Missstand aufmerksam und erhielt bereitwillig die Zustimmung desselben, dass er sie in wirklicherem Stil züchten durfte. Zu diesem Zweck wurden ihm mehrere Dienstleute und Neger untergeordnet. Er las sich nun die trockene Seite eines Berges aus, dessen Boden fast ganz aus Felsgrund bestand, und führte daselbst eine Steinmauer im Umfang von einer Meile auf. Die Stelle lag zwischen zwei Pflanzungen so, dass das Futter leicht von einer oder der anderen Seite beigeschafft werden konnte.

Dieser Schweinepark wurde mit einem großen Teich und, je nach dem Alter der Tiere, mit mehreren Fachwerken für die Mutterschweine und ihre Ferkeln ausgestattet. Ferner ließ er am Berg hinab Gräben ziehen, um den Unrat abschwemmen zu können. Durch diese Anordnungen verbesserte sich die Herde so sehr, dass die Tiere an Größe und Wohlgeschmack fast wieder den wilden Schweinen der früheren Art gleichkamen, und Friedensrichter Hetherfalls Schweinefleisch kam über die ganze Insel in Ruf. Morgan wurde daher selbst zu einem Aufseher befördert und Bradley von der Feldarbeit weggenommen, um im Haus Dienste zu leisten. Dieser Wechsel zum Besseren fand in nicht ganz zwei Jahren statt und hatte bloß in dem Umstand seinen Grund, dass die betreffenden Personen einsehen lernten, wie fruchtlos es sei gegen den Stachel zu lecken.

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  1. vier Pence oder zwölf Kreuzer