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Der Marone – Ein geheimer Vertrag

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 5

Ein geheimer Vertrag

Nachdem er das stürmische Zwiegespräch mit seiner Tochter so plötzlich abgebrochen hatte, schritt Jessuron in sein Schlafgemach, das wie alle anderen, von der Veranda aus zugänglich war. Bevor er in seine Kammer eintrat, warf er noch einen Blick die Galerie längs nach einer am Ende derselben befindlichen Hängematte.

In dieser Hängematte schlief Herbert Vaughan. Die lange Seereise hatte ihn an den Gebrauch eines solchen Schaukelbetts gewöhnt, sodass er es sehr liebte. Da die Nacht höchst milde war, so hatte er die Hängematte seinem Bett in der angrenzenden Kammer vorgezogen.

Jessuron fürchtete nun, dass die eben beendete, etwas laut und heftig geführte Unterhaltung von dem Inhaber der Hängematte vielleicht gehört worden sei, denn in der Aufregung hatten beide durchaus nicht daran gedacht, leise zu sprechen.

Indes, in der Hängematte war es ganz still und sie wurde nur durch den sanften Nachtwind bewegt, der über die Veranda strich. Ihr Inhaber schien im tiefen Schlaf zu liegen.

Hiervon befriedigt, ging er nun in seine eigene Schlafkammer. Licht war keines da und er setzte sich in der Dunkelheit nieder. Der durch das Fenster scheinende Mond verlieh ihm hinlängliches Licht, um einen Stuhl zu finden. In diesen setzte er sich unverweilt, anstatt sein Bett aufzusuchen.

Eine Zeit lang verriet er keinerlei Absicht, sich auszuziehen oder sich ins Bett zu legen, sondern verblieb in dem Stuhl mit hoher Lehne, in den er sich tief hineingesetzt hatte, in Gedanken versunken.

»Wahrhaftig, sie will ihn heiraten!«, war sein erster Ausruf. »Und sie wird es auch, wahrhaftig!«, fuhr er fort. »Trotz allem, was ich sagen oder tun mag, um sie davon abzuhalten. Sie ist ganz unlenksam und will ihren eigenen Willen haben. O weh, was ist da zu tun? Was ist da zu tun?«

Hier trat eine ziemliche Pause ein, während Jessuron nach einer genügenden Antwort auf seine eigenen Fragen suchte.

»Es ist von keinem Nutzen!«, fuhr er nach einiger Zeit fort, und der Ausdruck seines Gesichtes zeigte deutlich, dass er noch immer keine passende Antwort gefunden hatte. »Es ist von keinem Ansehen, ihr zu widersprechen. Sie will mit ihm durchgehen, ganz gewiss! Ich hätte wohl Lust, sie einzusperren. Aber das tut nicht gut. Sie würde doch mal loskommen, denn ich kann sie nicht immer hinter Schloss und Riegel halten. Nein – nein, das ist unmöglich! Und wenn sie ihn ohne das Geld heiratet, ohne die große Zuckerpflanzung. O weh, da ist alles ruiniert! Das kann durchaus nicht sein. Wenn sie ihn heiratet, muss sie Willkommenberg heiraten! Sie muss, sie muss! Aber wie ist das anzufangen? Wie ist er zum Erben zu machen?« Abermals schien sich Jessuron ernsthaft zu quälen, um dies beantworten zu können.

»Ha!«, rief er plötzlich laut aus und sprang zu gleicher Zeit vom Stuhl auf, als ob er die Lösung endlich gefunden habe. »Ich hab’s! Ich hab’s! Die Spanier! Ich hab’s! Ja«, fuhr er fort und stieß die Eisenspitze seines Regenschirms auf den Boden, »das sind die rechten Kerle für das Geschäft! Die sind ein ganzes Dutzend Schakras samt all seinen Zaubersprüchen und Medizinflaschen wert! Ihre Medizin wird nicht fehlschlagen. Wahrhaftig, nein! Nun, da ich daran gedacht habe, ist es sicherlich das Beste! Ja, kein anderer Plan ist so sicher und gewiss. Ha, Custos! Jetzt sollst du mir nicht entwischen. Und du, Judith, meine Tochter, du kannst dich jetzt zufrieden geben. Du sollst den jungen Mann haben!«

Während Jessuron diese letzten Worte ausstieß, war er in den Lehnstuhl zurückgesunken und saß einige Minuten schweigend und in ernstem Nachsinnen begriffen.

Der Erfolg dieses Nachsinnens zeigte sich in dem nachfolgenden Handeln.

»Da ist keine Stunde zu verlieren!«, sprach er zu sich, sprang in die Höhe und stürzte sich auf die Tür. »Nein, nicht eine einzige Minute ist zu verlieren. Ich muss mit ihnen sogleich reden. Der Custos will zum Sonnenaufgang abreisen. Das Mädchen hat es gesagt. Sie würden gerade Zeit haben, seiner Spur zu folgen. Wahrhaftig«, fuhr er fort, als er die Tür öffnete und in den Himmel sah. »Bei meiner Seele, die Sonne wird bald aufgehen!« Hiermit stülpte er seinen Biber fest auf den Kopf, ergriff seinen unzertrennlichen Regenschirm noch sicherer, eilte im Flug über die Veranda, durchschritt den Hofplatz, ging wieder durch die große Hoftür und stand dann bald auf dem offenen Feld.

Lange stand er hier nicht, nur gerade so lange, um sich gehörig umzusehen, ob Herumstreuner da seien. Als er sich von deren Nichtvorhandensein überzeugt hatte, schritt er weiter. Ungefähr zwei oder dreihundert Schritte von der äußeren Einpfählung entfernt, stand eine einzelne, fast ganz unter Bäumen verborgene Hütte.

Zu dieser richtete er seine Schritte.

Fünf Minuten später hatte er sie erreicht. Als er vor der Tür derselben angekommen war, klopfte er mit der Spitze seines Regenschirms an.

»Quien es?«, fragte eine Stimme drinnen.

»Ich bin es, Manuel, ich, Jessuron!«, erwiderte der Koppelhalter.

»Es ist der Duenno!«, hörte man den einen Spanier leise zum anderen reden, denn die Hütte war der Wohnort dieser bereits bekannten Sklavenjäger.

»Carajo! Was will der alte Ladron zu dieser Stunde hier?«, fragte er dann in seiner eigenen Sprache, die, wie er wusste, von Jessuron nicht verstanden wurde.

»Mal dito!«, fügte er offenbar missvergnügt hinzu. »Es ist gar nicht angenehm, in solcher Weise geweckt zu werden. Ich träumte just von dem gelbhäutigen Kerl, der mir die Hunde getötet hatte, und ich habe ihm gerade meine Machete bis zum Heft durch den Leib gestoßen. Wie schade, dass ich nur geträumt habe!«

»Ta-ta!«, unterbrach ihn der andere, »schweig still, Andres. Der alte Ganadero ist ungeduldig. Vamos! Ich komme schon, Señor Don Jakob!«

»Eilt Euch nur!«, sprach Jessuron von draußen. »Ich habe ein wichtiges Geschäft mit euch beiden zu machen.«

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet und der auf den Namen Manuel geantwortet hatte, erschien in derselben.

Ohne eine besondere Einladung abzuwarten, trat Jessuron in die Hütte ein.

»Haben Sie zu Ihrem Geschäft ein Licht nötig, Señor?«

»Nein, nein«, antwortete der Jessuron schnell, als wolle er das Anzünden des Lichtes verhüten! »Ich habe nur ein paar Worte zu sprechen, wir können es im Finstern abmachen.«

Und Finsternis, dunkle und tiefe Finsternis war freilich höchst geeignet für die nun folgende Unterredung, denn ihr Gegenstand war Mord, die Ermordung des Loftus Vaughan!

Der den beiden Spaniern, zu solchen Zwecken sehr passenden Werkzeugen jetzt gemachte Vorschlag war, dem Custos auf irgendeinem abgelegenen Waldweg, es kam gar nicht darauf an, wo, wenn es nur diesseits Spanischstadt geschähe, aufzulauern und ihm das Leben zu nehmen.

»Fünfzig Pfund jeder!« Das war die angebotene, angenommene und fest versprochene Belohnung.

Jessuron unterrichtete die beiden Unternehmer alsdann in allen Einzelheiten seines Planes. Er hatte von Cynthia erfahren, dass der Custos den südlicheren Weg über Savanna-la-Mer nehmen wollte. Das war allerdings zur Hauptstadt ein Umweg. Allein Jessuron vermutete argwöhnisch, warum dieser Weg vorgezogen wurde. Er wusste, dass in Savanna der Sitz des Schwurgerichts war, und dass das Geschäft des Custos dort wahrscheinlich ihn selbst beträfe, den Fürsten Eingües und seine zwei Dutzend Mandingos!

In diese Einzelheiten die Sklavenjäger einzuweihen, war vollkommen unnötig. Auch wurde es nun Zeit, ihnen alles über den Mordanschlag durchaus Notwendige mitzuteilen, und dies wurde ihnen mit der größten Schnelligkeit auseinandergesetzt.

In fast weniger als zwanzig Minuten nach seinem Eintritt in die Hütte verließ Jessuron sie wieder und kehrte mit froher Miene und leichterem Schritt als zuvor zu seiner düsteren Wohnung zurück.

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