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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Kommandant des Tower 10

Der-Kommandant-des-TowerDer Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Zweites Kapitel

Wie Edward VI. in Westminster als König proklamiert wird, wie er von Enfield zum Tower in London reitet und wie ihm der Kommandant die Schlüssel des Towers überliefert

Am folgenden Morgen wurde Heinrichs Tod öffentlich verkündet, und nachdem sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, versammelte sich eine ungeheure Menschenmenge vor dem Westminsterpalast. Dort waren Schranken errichtet und andere Vorkehrungen getroffen worden, weil die Thronbesteigung des jugendlichen Nachfolgers proklamiert werden sollte.

Es hatte scharf gefroren. Der Tag war klar und hell, aber sehr kalt. Im Ganzen sah die Menge keineswegs traurig aus, und wenige Klagen um den dahingeschiedenen Monarchen wurden laut, obwohl Heinrich bei den mittleren und niederen Volksklassen durchaus nicht unbeliebt gewesen war. Sie billigten seine Strenge, solange nicht sie selbst, sondern nur der Adel davon betroffen wurde. Seine »Peitsche mit sechs Strängen,« wie sie das schreckliche »Statut der sechs Artikel« nannten, liebten sie aber nicht, denn sie traf nach rechts und nach links und konnte gar leicht auch einem von ihnen zu nahe kommen. Man freute sich, dass er nicht mehr war, und manche kühne Bemerkung wurde laut, wofür der Sprecher bei Lebzeiten des Königs sicherlich ins Wasser geworfen worden wäre. Die meisten Frauen – und ein großer Teil des Haufens bestand aus solchen – schmähten sein Andenken wegen des gewalttätigen Verfahrens gegen seine Gemahlinnen. Die Männer dagegen meinten scherzend, dass darin gerade sich seine Weisheit kund gegeben hätte, denn der kürzeste Weg, eine lästige Frau loszuwerden, sei, ihr den Kopf abzuhauen.

Doch die bei Weitem kühnste Sprache führte ein großer, hagerer Franziskanermönch. Er stieg auf eine Treppe und sprach mit lauter Stimme folgendermaßen zum Volk: »Kennt Ihr mich nicht, gute Leute? Ich bin der Priester, der vor jenem König predigte, der nun tot im Palast liegt. Ich bin der Vater Pete, der vor König Heinrich in seiner Kapelle zu Greenwich predigte und ihm ins Gesicht gesagt hat, dass ein schweres Gericht über ihn kommen würde wegen seiner sündigen Taten. Ich bin es, der dem König furchtlos gesagt hat, dass lügnerische Propheten ihn betrogen hätten, aber dass ich, ein anderer Micha, ihn warne, auf dass die Hunde nicht sein Blut leckten, wie sie das Blut Ahaus geleckt haben. Und für solche Worte ward ich als ein Rebell, als ein Hund, als ein Verleumder verurteilt. Aber diese meine Worte erfüllen sich. Heinrich, der Ahab, ist tot und Hunde werden sein Blut lecken.«

Entsetzt und bestürzt über die Verwegenheit des Franziskaners, blickten viele unter der Menge sich um, als ob sie erwarteten, dass er ergriffen und eingesteckt werde. Zufällig aber waren die Gerichtsdiener anderweitig in Anspruch genommen und Vater Pete stieg langsam von seiner Treppe herunter, mischte sich unter die Menge und wurde nicht mehr gesehen. Das Ereignis machte übrigens einen tiefen Eindruck auf die Versammlung und lange danach gedachte man der Worte des Mönches.

Unterdessen war innerhalb der Schranken, dem Palast gegenüber, ein hohes Gerüst errichtet worden. Pförtner des königlichen Palastes, die häufig Gebrauch von ihren Stäben machten, wenn das Gedränge zu stark wurde, stattliche Leibgardisten, die das königliche Wappen in Gold gestickt auf der Brust und Hellebarden in den Händen trugen, und Lanz knechte, die beständig auf und nieder ritten, hielten den Haufen zurück und die Ordnung aufrecht. Unten um das Gerüst war eine Schar von Trompetern in gestickten Kleidern und mit seidenen Fahnen aufgestellt. Als endlich alles fertig war, bestiegen fünf Wappenherolde die Plattform und pflanzten sich daselbst auf, indem sie auf das Erscheinen der Lords, die sich im Parlamentsgebäude versammelt hatten, warteten. Als diese kamen, stieß einer der Trompeter drei Mal ins Horn, sodass die Mauern des Palastes das Echo des gellenden Tones zurückgaben. Dann lagerte sich eine tiefe Stille über die bisher so bewegte Menge. Ein Herold trat vor und rief: »Edward VI., von Gottes Gnaden König von England, Frankreich und Irland, Beschützer des Glaubens und der Kirche von England, wie von Irland, entbietet seinen Gruß. Da es dem allmächtigen Gott gefallen hat, am verflossenen Freitag zu seiner ewigen Barmherzigkeit einzuberufen den allervortrefflichsten und mächtigsten Fürsten Heinrich, edelsten und glorreichsten Andenkens, unseren teuersten, innigste geliebten Vater, dessen Seele Gott gnädig sei!«

Hier hielt der Herold inne, und augenblicklich blies die ganze Trompeterschar einen so lauten und energischen Tusch, dass aller Herzen elektrisiert wurden. Dann trat Gartner vor und rief mit mächtiger Stimme: »Gott segne unseren edlen König Edward!« Worauf die Luft von jauchzenden Stimmen erschüttert wurde. Manch inniger Wunsch für des jungen Königs Glück ward laut. Manche alte Leute aber, die im Ruf der Weisheit standen, schüttelten bedenklich die Köpfe und sprachen mit den Worten der heiligen Schrift: »Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist!«

Mitten in diesen verschiedenen Gefühlsäußerungen, während einige sich freudigen Erwartungen hingaben, andere dagegen aber, verhältnismäßig wenige, finstere Ahnungen hegten, während die Lords, welche die Proklamation abgewartet hatten, hinweg eilten, vernahm man von Westen her fernen Kanonendonner. Es hieß, der junge König begebe sich zum Tower. Die Versammlung fing dann an, sich zu zerstreuen, und ein großer Teil derselben schlug die Richtung zu der alten Festung ein. Diejenigen, welche die Kosten nicht zu scheuen brauchten, nahmen in Westminster ein Boot, um stromabwärts nach London-Bridge zu gelangen. Die meisten aber gingen Charing crast, welches Edward I. seiner Gemahlin Eleonore errichtet hatte, vorbei und dann den Strand entlang zur City. Manche der Lords bestiegen von den Privattreppen des Palastes aus ebenfalls ein Boot, während andere, um mehr Prunk entfalten zu können, mit zahlreichem Gefolge durch die Straßen ritten. Der Fluss wimmelte von Fahrzeugen aller Art in Gestalt von der stattlichen und vergoldeten Barke mit zwei Reihen Ruderern bis zu dem winzigsten, überfüllten Nachen. Unter der Brücke in der Nähe des Towers herrschte das größte Gewühl und Gedränge. Der Strom war hier verengt, und für die kleineren Fahrzeuge erwies es sich ebenso schwierig, hier ruhig zu liegen, wie sich den Landungsplätzen zu nähern. All die Barken, Pinnassen, Karavellen und größere Schiffe legten sich beim Tower vor Anker. Viele von ihnen hatten bemalte und vergoldete Massen und waren mit Fahnen und Wimpeln geschmückt. Unter den größeren Schiffen war die Mary Rose und die berühmte Henry Grâce à Dieu, welche aus dem Wasser ragte wie ein Schloss mit zwei Türmen. Die Kanonen der Festung verkündeten nicht sobald die Annäherung des jungen Königs wie alle diese Schiffe mit ihren Geschützen, – welche sich in damaliger Zeit nur auf dem Deck befanden, denn die Seiten des Schiffes waren nicht durchbrochen, – antworteten. Bei diesem Feuern wurden sowohl die großen Schiffe als auch Traitors’ Gate und der alles überragende weiße Tower, auf dem die königliche Fahne flatterte, in Rauch eingehüllt.

Zu gleicher Zeit, wo die Proklamation in Westminster verlesen ward, verkündeten die vier Wappenherolde Namens Clarencieux, Carlisle, Windsor und Chester, die Thronbesteigung des jungen Königs in der City von London. Sie führten zur Beglaubigung ein Dokument mit königlichem Insiegel bei sich und waren begleitet vom Lord-Mayor, dem Alderman und den Sheriffs in ihren Scharlachröcken. Hier war die Stimmung des Volkes ungeteilt. Die Proklamation wurde mit endlosen Jubelrufen aufgenommen.

Als der jugendliche König, auf den die Krone übergegangen war, vom Palast in Enfield zum Tower aufbrach, begleiteten ihn seine beiden Oheime, der Oberstallmeister und eine große Anzahl von Edelleuten, Rittern, Leibgardisten, Knappen und andere, die alle sehr reich gekleidet waren und einen stattlichen Anblick gewährten. Edward erregte durch seine Jugend und Schönheit die Bewunderung aller, die ihn sahen. Er trug einen Mantel von Silbertuch, mit Gold gestickt, ein Wams von weißem Samt, mit venezianischem Silber durchwebt und mit Rubinen und Diamanten besetzt. Eine Agraffe von Diamanten schmückte sein grünes Samtbarett mit weißer Feder. Der Gürtel war mit venezianischen Silberfäden durchwirkt und mit kostbaren Steinen und Perlenschnüren verziert. Seine Halbstiesel waren gleichfalls von weißem Samt. Sein milchweißes Ross, ein edles, leichtfüßiges Tier, trug eine Decke von rotem Atlas mit Perlen und goldenen Blumen bestickt. Die langen Zügel waren von rotem Leder. Edward saß für seine Jahre trefflich zu Pferde. Er nahm sich gut aus und versprach mit der Zeit ein ebenso vollendeter Reiter zu werden wie sein Onkel Sir Thomas Seymour. Der Anordnung des Earls von Hertford zuwider, ritt, auf des Königs ausdrücklichen Befehl, sein Lieblingsoheim gleich hinter ihm und ward nicht selten an seines königlichen Neffen Seite gerufen. Seymour ritt einen stolzen, kohlschwarzen, augenscheinlich trefflich geschulten Araber. Er war, wie in der Regel, prächtig gekleidet und trug heute einen samtenen, gestickten Überwurf und ein seidenes Wams. Durch sein stattliches Aussehen und seine stolze Haltung stellte er alle anderen Edelleute in dem Gefolge des Königs in den Schatten und nächst Edward trafen ihn die meisten Blicke. Stolz auf die Auszeichnung seines königlichen Neffen schwoll seine Brust von geheimen Wünschen und er gab den Einflüsterungen seines hochfliegenden und törichten Ehrgeizes Gehör. Wenn er zuweilen den strengen Blicken seines Bruders begegnete, so antwortete er diesen mit herausforderndem Stolz.

So passierte die königliche Kavalkade Tottenham, wo viel Volk versammelt war und wo die Geistlichkeit sich mit ihren Räuchergefäßen aufgestellt hatte, um dem vorüberreitenden jungen König Weihrauch zu spenden. Dann kamen andere Ortschaften, wieder Menschenscharen und Jubelrufe, wieder Priester und Weihrauch. Glücklicherweise war das Wetter, wie schon bemerkt, sehr schön, und so wurde der Effekt, den der Zug machte, nicht gestört.

Nun dauerte es nicht mehr lange und die City von London kam in Sicht. Dieselbe bot in damaliger Zeit mit ihren grauen Mauern und stattlichen Toren einen höchst pittoresken Anblick. Besonders fiel die große Zahl der Kirchen auf, unter denen der hohe Turm von St. Paul alle anderen stolz überragte. Hell erklangen die Glocken all dieser Kirchen, aber deutlich unterschied man den tiefen und lauten Ton derjenigen der Kathedrale. Gleichzeitig wurden Mörser, Falkonette und Feldschlangen auf den Mauern der Stadt und an den Toren abgefeuert. Dem jungen Monarchen machte das sichtlich Freude und er lächelte, als Sir Thomas Seymour ihm bemerkte, wie unverkennbar es sei, dass seine loyalen Untertanen, die guten Bürger Londons, ihn von Herzen willkommen hießen.

Über Finsbury zog die Kavalkade durch Bishopsgate in die City ein. Hier ward ein kurzer Halt gemacht, denn der Lord-Mayor Henry Hubblethorne und die Stadtbehörde kamen Edward entgegen. Er hatte auf eine Anrede zu antworten. Als er dann langsam Bishopsgatestreet entlang ritt, wurde ihm von allen Seiten zugejauchzt und Segen auf ihn herabgewünscht. Vielleicht hatte der junge Herrscher nicht so viel Enthusiasmus erwartet, auf alle Fälle war es ihm neu, Gegenstand eines solchen Jubels zu sein, und er ward tief bewegt. Aber dennoch dankte er für den herzlichen Empfang, der ihm zuteil wurde, und grüßte wiederholt nach allen Seiten. Seine Jugend, sein anmutiges Wesen gewann ihm aller Herzen und jedermann wünschte, dass ein so hoffnungsvoller Fürst nur gute Ratgeber finden möge. Man hatte nicht viel Zeit gehabt, um in der City große Vorbereitungen für den Durchzug zu treffen, aber viele Häuser waren dennoch mit Teppichen sowie Gold- und Silberstoffen behangen, während gestickte Kissen in den Fenstern lagen, aus denen schöne Bürgersfrauen mit ihren blühenden Töchtern auf den jungen König und dessen schönen Oheim herabschauten. Nahe bei der Kirche, am Ende von Gracechurchstreet kam Edward eine feierliche Prozession von der Sankt Pauls Kirche entgegen. Eine Menge von Leuten trug silberne Kreuze, die Priester und der Domchor waren im Ornat, ihnen folgten die Zünfte der Stadt in ihren verschiedenen Trachten.

Als die königliche Kavalkade Fenchurchstreet entlang ritt, steigerte sich der Enthusiasmus dermaßen, dass der Lärm fast betäubend wurde, und der junge Monarch ward so umdrängt, dass er kaum vorwärts kommen konnte. Aber der freundliche Ton, in welchem er die Zunächststehenden bat, zurückzutreten, erwies sich ebenso wirksam wie die Hellebarden der Gardisten, die ihm Bahn zu machen suchten. Der Earl von Hertford, der immer um den Beifall der Menge buhlte, verschwendete sein Lächeln umsonst. Der junge König und der prächtig aussehende Kavalier hinter ihm nahmen ausschließlich alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Es mochte schwer zu sagen gewesen sein, welcher von beiden zumeist bewundert wurde, obwohl ohne Zweifel Edward das bei Weitem größere Interesse erregte. Aber Hertford hatte den Ärger, vollständig übersehen zu werden, und das gerade in einem Augenblick, wo er vor allen Dingen gewünscht hätte, ein Gegenstand der Aufmerksamkeit zu sein.

Unter solchen Freudenbezeugungen, die ihren wohltuenden Eindruck nicht verfehlen konnten, erreichte Edward Towerhill, wo die Bevölkerung durch ein starkes Detachement berittener Garde in den gehörigen Schranken gehalten wurde. Nun lag der alte Festungspalast seiner Vorfahren, wo sein Vater die Regierung begonnen hatte und wo er selbst zunächst Hof halten und den Sitzungen des Konzils beiwohnen sollte, vor ihm. Die aufgestellten Wachtposten meldeten nicht sobald das Herannahen des jungen Königs, als ihm von der Höhe des Towers ein donnernder Willkomm begrüßte. Dem Beispiel folgte das schwere Geschütz auf dem Festungsplatz an Traitors’ Gate, an dem Byward-Tower, auf den Wällen und Bastionen und fand ein Echo in den Kanonen der Schiffe, welche dicht dabei im Fluss vor Anker lagen.

»Da sprach die Henry Grâce à Dieu«, rief Seymour, »die furchtbare Stimme kenne ich.«

»Ich höre diese Geschütze zum ersten Mal«, sprach Edward. »In der Tat, sie sind gewaltig.«

»Eure Feinde finden das auch, Sire«, erwiderte Sir Thomas lachend. »Wenige, die den Donner dieser Kanonen einmal gehört haben, möchten ihn ein zweites Mal hören. Aber Ihr sollt noch mehr vernehmen. Ich sehe, die Kanoniere am Tower sind gerade bereit. Der Himmel beschütze Ew. Hoheit, dass Ihr nicht taub davon werdet.«

»Nein, ich liebe das, Onkel«, antwortete Edward mit knabenhaftem Entzücken. Indem er sprach, donnerte das Geschütz vom Tower wieder los. Der Donner ward von den Kanonen der verschiedenen Schisse fortgepflanzt und wieder von der tiefen Stimme der Henry Grâce à Dieu geschlossen.

»Das ist ein Donner!«, rief Edward mit glühendem Antlitz, »ich möchte wohl bei einer Belagerung zugegen sein, Onkel.« »Möglich, dass Ew. Hoheit Wunsch erfüllt wird«, antwortete Seymour. »Es scheint, die Franzosen wollen uns bald in Calais und Boulogne zu tun geben. Und wenn das nicht, so werden die Schotten uns gewiss beschäftigen. Aber hier kommt der Kommandant des Towers, um Euch in die Festung zu geleiten.«

Als der Donner der Geschütze verhallte, ritt Sir John Gage auf einem mächtigen, mit reicher Decke behangenen Goldfuchs aus dem Bulwark Gate. Dicht hinter ihm folgte der Lieutenaut des Towers, Sir John Markham, zwei Knappen, ebenfalls zu Pferde, und ein langer Zug zu Fuß, angeführt vom Kaplan des Towers im Ornat, mit dem Messner, der das Kreuz trug. Dann kamen der Schließer, der oberste Aufseher der Gefangenen und andere Beamte mit vierzig Mann von der Towerwache. Diese gingen zu zwei und zwei, trugen Hellebarden und waren gekleidet in eine scharlachfarbene Livree. Auf dem Rücken waren eine Rose und eine Krone gestickt.

In einiger Entfernung von dem jugendlichen Herrscher stieg Sir John ab, übergab sein Ross einem Knappen, beugte sein Knie vor Edward und hieß ihn im Tower willkommen. Der Lieutenant folgte dem Beispiel seines Vorgesetzten, worauf der Kaplan einen feierlichen Segen sprach. Nachdem dies geschehen war, bestiegen der Kommandant und der Lieutenant des Towers wieder ihre Pferde, die Gardisten machten eine Schwenk und marschierten in derselben Ordnung, wie sie gekommen waren, zurück, während Sir John Gage dem jungen Monarchen in die Festung voranritt. Auf der steinernen Brücke, welche über den Graben zwischen dem Wall und dem Byward Tower führt, waren all’ die angesehenen Personen versammelt, welche der Wille des verstorbenen Königs zu Mitgliedern des oberen und niederen Conseils ernannt hatte, nur diejenigen ausgenommen, welche der Dienst in Anspruch nahm. Die Vornehmsten unter ihnen waren der Erzbischof von Canterbury, der Bischof von Durham und der Lordkanzler. Die beiden Ersteren waren in geistlicher Tracht, der Letztere in seinem Amtskleid, mit dem Hosenbandorden geschmückt. Statt an der allgemeinen heiteren Stimmung teilzunehmen, blickte Wriothesley finster drein. Nach dem strengen Andruck seines Gesichtes und dem kalten Benehmen gegen seine Kollegen zu urteilen, führte er nichts Gutes gegen sie im Schilde. Es folgten der Earl von Arundel, der ehrenwerte Lord Russel, der Earl von Essex, Brüder der Katharina Parr und die Lords St. John und Lisle. Die Meisten trugen den Hosenbandorden, und Lord Lisle war besonders prachtvoll gekleidet. Hinter ihm kamen die drei Richter in ihren Roben, Montagne, North und Bromley, Sir William Paget, Erster Sekretär, Sir Anthony Denny und Sir William Herbert, die Ersten Kammerherren, der Vizekämmerer, der Schatzmeister und verschiedene andere bildeten den Rest der glänzenden Versammlung. Gardisten mit Hellebarden, Trompeter, die lustige Stückchen bliesen, Standarten-, Banner- und Schildträger, Herolde in Wappenröcken schritten vorauf und die Mitglieder des Conseils traten nach beiden Seiten zurück, um den Durchgang zu gestatten.

Nun warf der Kommandant des Towers sein Ross herum und zwang es, die ganze Brücke entlang rückwärts zu schreiten, bis es ihn unter den gewölbten Torbogen des Byward Tower gebracht hatte, wo Ross und Reiter einer Statue gleich bewegungslos stehen blieben. Als dies mit vollendetster Gewandtheit und unter lautem Beifall der auf den Wällen und Türmen der Festung stehenden Zuschauer ausgeführt worden war, ritt der König auf die Brücke. Als er die Mitte derselben erreicht hatte, traten die Herren vom Conseil, Cranmer an ihrer Spitze, ihm entgegen, um ihm zu huldigen . -Der Primas hielt eine kurze Anrede und schloss mit einem Segen, währenddessen die andern, Tunstal ausgenommen, niederknieten. Nach dem Segen erhoben sich die knieenden Lords und riefen wie mit einer Stimme: »Es lebe der edle König Edward!« Derselbe Ruf wurde von Sir Thomas Seymour, der sich dicht neben seinem königlichen Neffen befand, von dem Grafen von Hertford, Sir Anthony Brown und allen, die auf der Brücke standen, mit dem größten Enthusiasmus wiederholt.

Edward dankte ihnen mit seiner klaren, wohllautenden Stimme für diese Äußerungen der Zuneigung und Loyalität. Darauf erfolgte die feierliche Übergabe der Towerschlüssel und zwar folgendermaßen:

Begleitet von dem Ersten Schließer, der die Schlüssel auf einem gestickten Kissen trug, ritt der Kommandant des Towers aus dem Torweg auf den König zu. Die Mitglieder des Conseils traten zur Seite, der Träger der Schlüssel kniete darauf nieder und bot sie dem jungen König dar, welcher gnädig dankte und den Wunsch aussprach, dass sie im Verwahrsam seines getreuen und geliebten Vetters und Rates Sir John Gage verbleiben möchten, da er sie keinen besseren Händen anzuvertrauen wisse. Der Kommandant verneigte sich darauf bis an den Sattelknopf. Ohne ein Wort weiter zu sagen, lenkte er sein Ross rückwärts durch die weit geöffneten Tore des Towers und in den unteren Teil der Festung hinein. Die Herren vom Conseil traten in Reihe und Glied und folgten, ebenso der König und seine Begleiter, sodass nach einer Weile unter wiederholtem Zuruf der Menge alle in die Festung eingetreten waren.

Dem jungen Monarchen wurde, als er durch die Tore ritt, ein überraschender Anblick zuteil. Der ganze tiefer gelegene Teil vom Byward Tower bis zum Bloody Tower war von Bogenschützen und Arkebusieren der königlichen Garde in voller Rüstung erfüllt. Die Leute hatten sich in zwei Reihen aufgestellt – die Bogenschützen zur Rechten, die Arkebusieren zur Linken.

Es waren lauter auserlesene Männer, von großer und schlanker Statur, mit hellglänzenden Sturmhauben, Panzerhemden und Beinschienen. Hauptleute und andere Offiziere, an ihrer prächtigen Equipierung kenntlich, waren in Zwischenräumen aufgestellt. Der Anblick dieser tapferen Männer, welche in der Regel seines verstorbenen Vaters Leibwache gebildet und denselben nach Frankreich begleitet hatten, wie Sir Thomas Seymour Edward erzählte, entzückte den jungen Herrscher ungemein. Es lag ihm eine große Neigung fürs Kriegswesen im Blut, und er hätten sie wohl auch durch Taten erprobt, wenn es die Umstände gestattet hätten. Als er nun so die Reihen entlang ritt und den Veteranen bewundernd zulächelte, auch gelegentlich ein Wort des Lobes sagte, das der glückliche Angeredete tief im Herzen bewahrte, prophezeiten die Tapferen, dass er ein großer Held werden würde.

So kam Edward auf seinem Weg an den finsteren Torweg des Bloody Tower, sah die mächtigen Zähne des eisernen Fallgitters, vermittelst dessen der Torweg abgesperrt wurde, wandte sich, indem er den Hügel hinaufritt, zur Rechten und betrat einen Hof, der sich in damaliger Zeit zwischen dem weißen Tower und dem Palast befand und der jetzt gedrängt voll war von all denen, die sich an dem Zug beteiligt hatten.

Hier stieg der König ab und wurde in feierlichster Weise in den Palast geleitet.