Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Sagen- und Märchengestalten – Der Adept zu Berlin – Teil 5

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Der Adept zu Berlin – Teil 5

In derselben Nacht schritt Johannes Bötticher zu Dresden rastlos auf und ab. Wie hatte er sich verändert, außen und innen! Tiefe Blässe deckte die jugendlichen Wangen, die von jenem bitteren Zug durchfurcht waren, den der Schmerz zu zeichnen pflegt. Als er von Berlin entwich, sprosste ihm kaum der zarte Flaum um Mund und Kinn, und seine sanften Kinderaugen strahlten in weichem, feuchtem Glanz. Nun verbarg ein voller, männlicher Bart mehr als die Hälfte seines Angesichtes, und in den Augen loderte ein seltsam düsteres Feuer.

Er sollte fliehen. Diese Nacht war endlich zu seiner Befreiung bestimmt worden. Aber das brachte ihm keine Freude mehr, denn nur sein Leib würde den Verbündeten an den Zufluchtsort folgen, den ihre Sorgfalt ihm bereitet hatte. Gefesselt blieb sein Geist! Nicht umsonst hatte er den Taumelkelch gekostet, den kein Sterblicher ungestraft an seine Lippen setzt, dessen Zaubertrank ihn nun auf ewig bannen musste! Was kümmerte ihn der Kerker, was Gefahr des Lebens?

»Gebt mir das Mittel«, rief er wie in Verzweiflung, »nur das Mittel gebt, das Wunderelixier! Und ich bin glücklich!«

Da lagen sie, jene huldvollen Schreiben seines königlichen Herrn, der ihm verhieß, was ein gnädiger Fürst nur an Gunst und reichem Lohn verleihen mag. Aber das magische Wort fehlte, ohne dessen Kraft schlechtes Metall nichts als eine tote, glanzlose Masse war und werden konnte.

Die Wache war gewonnen, hier und am Tor. Ein schnelles Ross harrte seiner im engen Gässchen, fast unter seinem Fenster. Um Mitternacht sollte Pasch das Zeichen geben, wenn das Aufblitzen einer roten Flamme in Böttichers Zimmer ihm verkündete, dass der Gefangene allein und unbeachtet sei. Dann wollten sie gen Böhmen ziehen, dorthin, wo im Waldgebirge der schwarze Ignaz des festen Turmes Hüter war.

Beklommen drückte Johannes die gefalteten Hände auf seine schwer atmende Brust und schaute hinüber zum Häuserknäuel, der Fürstenbergs Palast umschloss.

»Elisabeth«, flüsterte er leise und schmerzlich. »Elisabeth, Stern meines Lebens, ich scheide! Dunkle Nacht wird mich umfangen, kein freundlicher Strahl dem Heimatlosen auf einsamem Pfad leuchten. Nimmer, ach nimmer wird mein Auge dich, du Liebliche, erspähen, und der arme Flüchtling darf die Schwelle nicht mehr suchen, an der du standest, o Elisabeth!«

So klagte er, und seine Hände gruben sich tief in die Fülle seines dunklen Lockenhaars ein. Da rasselte ein Wagen unter seinem Fenster hin. Klirrende Tritte kamen die Stiege herauf, des erschreckten Lauschers Ohr vernahm deutlich das Aufsetzen der Musketen auf den Estrich des Vorgemaches, dann flog die Tür weit auf, Waffen blitzten, und der Führer jener, die außen harrten, trat ein; eine kräftige Gestalt in kriegerischem Schmuck, deren Augen unter dem Eisenhut hervor dem Jüngling einen gar trostvollen Blick zusendeten.

»Herr Johannes von Bötticher«, sprach er mit tiefer, wohltönender Stimme, »im Namen unseres gnädigsten Landesherrn – folgt mir!«

Starr sah der Gefangene nach ihm hin, und der Offizier musste zweimal seine Forderung wiederholen, ehe er verstanden wurde.

»Wollt Ihr mich morden?«, rief Bötticher endlich, und seine Knie schwankten, »führt Ihr mich zum Tode?«

Der Offizier schüttelte kaum merklich das Haupt. »Herr«, sagte er, »ich habe nichts zu berichten, nur den Willen meines Königs zu vollziehen. Folgt mir gutwillig, ich möchte ungern Gewalt brauchen. Kommt, kommt.«

Er schritt ihm durch den Vorsaal voran, wo eine doppelte Reihe von Musketieren stand, die gemessenen Schrittes folgten. Am Fuß der Treppe hielt ein Wagen, nur widerstrebend ließ Bötticher sich hineinheben. Zu ihm setzte sich der Offizier, auf dem Kutschbock nahmen zwei der Bewaffneten Platz, und fort ging es in raschem Trab durch die mitternächtig, schweigsame Stadt, zum Tor hinaus, die Landstraße entlang, welche zur Feste Königstein sich wendet.

Ein feiner Staubregen, wie verdichteter Nebel, rieselte herab, und das Gässchen lag von Neuem öde und finster. Kaum mochte eine halbe Stunde verflossen sein, als langsam und vorsichtig zwei Männer, tief in ihre Mäntel verhüllt, sich dem Gebäude näherten, in welchem Bötticher gefangen gewesen war. Nun hielten sie lauschend an, und der eine sprach: »Seid Ihr auch sicher, dass alles so bereit ist, wie ich es forderte?«

»Alles, Herr!«, entgegnete der andere und sah misstrauisch um sich her, »ich wünschte, es wäre schon getan. Deutet es nicht übel, wenn ich wunderlichen Sinnes scheine, denn manches schaute mein Auge, wovon Ihr Euch nichts träumen lasst. Die Sterne sind Eurem Unternehmen nicht günstig, schiebt es auf.«

»Habt Ihr Verdacht geschöpft?«, rief jener und blickte trotz der Finsternis dem rauen Warner aufmerksam in das gebräunte Antlitz. »Ist irgendein Grund vorhanden, an einem glücklichen Erfolg zu zweifeln? Sprecht frei heraus, ich bitt’ Euch!«

»Grund?«, wiederholte der Mann mit mürrischem Ton und schüttelte den Kopf, »nein, aber eine Art von Vorgefühl lässt mich fürchten, es wird Euch retten, wenn Ihr unzeitig handelt. Wartet bis morgen oder übermorgen, nur heute geht nicht an das gefährliche Wagestück, das Euch Freiheit und Leben kosten kann.«

Lächelnd sagte der andere: »Wie oft schon habe ich Euch nachgegeben und jetzt zögert Ihr? Was würde die Gräfin, was Laskaris von uns denken, wenn wir feige vor dem letzten, entscheidenden Augenblick zurückweichen wollten? Geht, geht, Ihr macht mich sonst kleinmütig, geht und seht nach unseren Pferden!«

Der Mann ging. Ernsthaft schaute der Zurückbleibende ihm nach, bis die Finsternis ihn verbarg. Dann lauschte er noch seinen Schritten, und nun kehrte tiefe Stille wieder ein. An der Lage wusste er das Fenster des Gefangenen zu erkennen, stellte sich ihm gegenüber und harrte des Zeichens. Da zuckte es wie ein rotflammender Blitz empor. Rasch legte er die Finger an die Lippen, ein leiser Pfiff erklang, und bald darauf wurde das Fenster zu öffnen versucht. Aber das Gitter desselben schien den Anstrengungen von innen nicht sogleich nachzugeben, und es tönte herab, als ob der Gefangene daran feile. Die Aufmerksamkeit des Untenstehenden richtete sich gespannt auf das Fortschreiten jenes Geräuschs. Melancholisch tropfte der Regen, der Nachtwind begann in klagenden Stößen. So geschah es, dass der Lauscher die gedämpften regelmäßigen Schritte nicht vernahm, welche sich von beiden Seiten ihm näherten.

Jetzt aber hörte er es, blickte wild nach einem schützenden Vorsprung umher, einer Öffnung. Nichts als kahle Mauern zeigten sich, jede Tür war geschlossen! Und nun rückte es an im Doppelschritt, eine finstere Masse, die ganze Breite des Gässchens füllend, bis er die Nahenden fast mit den Händen berühren konnte.

Eine raue Stimme kommandierte: »Halt!« Vor der Front der Bewaffneten blitzte der Strahl einer Blendlaterne auf, der dem Mann gerade ins Angesicht fiel.

»Er ist der Doktor Pasch aus Preußen?«, rief dieselbe Stimme ihn an. Es war der Führer der Schar, welcher zu ihm sprach.

»Der bin ich«, tönte es zurück, und Pasch richtete sich straff empor. »Was wollt Ihr?«

»Er ist mein Arrestant, im Namen des Königs!«, sagte der andere barsch, seinen Arm fassend.

Mit einer leichten Wendung entzog sich Pasch dem eisernen Griff des Hauptmanns. »Ich bin ein Fremder, ein Preuße«, sagte er. »Mit welchem Recht werde ich verhaftet?« Ein höhnisches Lachen war die Antwort. Er wurde erfasst, überwältigt und gebunden. Dann trieben ihn die Soldaten mit Kolbenstößen bis zur nächsten Straße vor sich her. Dort hielt ein Wagen. Pasch wurde hineingezwängt, die Tür sorgfältig verschlossen. Ein kleiner Trupp bewaffneter Reiter näherte sich auf ein gegebenes Zeichen.

Der raue Führer bestieg sein Pferd, setzte sich an die Spitze des Zuges und rief: »Nach dem Sonnenstein!«

Und nun stolperte die Kutsche schwerfällig auf dem holprigen Pflaster dahin und Funken stoben unter dem Hufschlag der Rosse.

Vergeblich hatte der schwarze Ignaz mit seinen Gefährten den Hof nach allen Richtungen durchspäht. Jetzt stand er still vor dem verdächtigen Gebüsch, vor welchem der Hund in zornigem Gebell sich erschöpfte.

»Hier«, sprach er, »muss es sein, aber die Nacht ist finster, der Abhang jäh. Wartet, bis der Morgen graut, dann wollen wir suchen. Einer von euch mag als Wache hierbleiben, ich löse ihn ab. Doch zuerst lasst mich nach unserem Herrn sehen. Es sollte mich wundern, wenn er über all dem Lärm nicht erwacht wäre.« Indem er zurückging, folgte ihm der zottige Hüter mit kläglichem Geheul und schaute, voraneilend, aufmerksam zum Fenster empor. Unwillkürlich blickte der Alte ihm nach. Da traf sein Auge das Seil, welches ein Windhauch leise bewegte. Was bedeutete das? In jugendlicher Hast sprang er die Treppe hinauf und öffnete die Tür des Schlafgemachs, seine Kerze schirmend vor dem Zug, der durch das Fenster drang. Mit einem Blick übersah er die Zerstörung beider Lagerstätten, die erloschene Lampe, die verstreuten Kleidungsstücke.

»Heilige Mutter Gottes!«, rief er und schlug ein Kreuz, »was ist hier geschehen?«

»Ignaz«, ließ sich plötzlich eine Stimme vernehmen, gleich derjenigen seines Herrn, aber, wie es schien, aus der Mauer hervor. »Schließe Tür und Fenster und komm’ hierher.« Kopfschüttelnd gehorchte der Alte. Als er sich dem Bett näherte, dessen nur wenig geschlossene Vorhänge die Unordnung in demselben erkennen ließen, bemerkte er, wie das Tafelwerk der anstoßenden Mauer sich gleichsam in sich selbst zurückgezogen hatte.

In der dadurch entstandenen Öffnung, die sich zu einer mäßig hohen Nische wölbte, saß Laskaris nur halb bekleidet und lächelte zu der großen Verwunderung seines treuen Dieners.

Endlich begann Ignaz: »Ich bitt’ Euch, Herr, erklärt mir, was ich sehe! Und wo in aller Welt ließet Ihr Euren Gefährten?«

»Er ist fort«, entgegnete der Grieche, »ich denke, jetzt weit genug. Nachdem er sich meiner Phiole bemächtigt und die Lampe gelöscht hatte, entfloh er. Sieh, armer Ignaz, wie schwer sich sein Banditenmesser an deinem besten Gut versündigte!« Damit hob er eines der seidenen Kissen empor, das wie von den Dolchstichen Don Caëtanos zerfleischt erschien.

Ignaz schlug entsetzt die Hände zusammen: »Und dessen ungeachtet«, rief er grimmig, »ließet Ihr den Frevler entkommen, obwohl Ihr wisst, dass das leiseste Zeichen uns herbeizurufen vermochte? Allein, noch kann er nicht weit sein. Erlaubt, dass wir ihn verfolgen.« Er eilte zur Tür. Doch ein Ruf seines Herrn hemmte die Schritte des Alten.

»Er flattert wie der Vogel am Band des Vogelstellers!«, sagte Laskaris spottend. »Aber das gebührt ihm, denn bei Gott und allen Heiligen, hätte ich nur eine Ader rechtschaffenen Blutes in ihm verspürt, ich würde anders mit ihm verfahren sein. Eines sollst du wissen, wie wunderlich ich mich heute an seiner niedrigen Gesinnung rächte. Doch jetzt muss es weit über Mitternacht hinaus sein, und ich bedarf des erquickenden Schlummers. Löse jene Schnur vom Fenster und zünde die Ampel wieder an.«

Bei diesen Worten glitt der Grieche auf seine weiche Lagerstätte zurück, und die Wandvertäfelung schob sich mit leisem Stöhnen wieder vor die Mauerblende.

Ignaz staunte, als sich dieses Kunstwerk vor seinen Augen vollzog, welches Laskaris, wie er versicherte, schon bei seinem ersten Aufenthalt in diesen Mauern entdeckt und das ihm in jener verhängnisvollen Nacht so treffliche Dienste geleistet hatte.

»Die Tür des Turms ist doch gut geschlossen?«, fragte er den Alten.

»Alles fest«, erwiderte derselbe und schaute milder, als ihm sonst eigen war.

»Schlaft in Gottes Namen, wenn Ihr könnt, nur …«

»Wie?«, fragte der Adept erwartungsvoll, als jener das Wort verzögerte. »Bringt mir nie wieder einen Schelm ins Haus!«, floss es dem schwarzen Ignaz eilig über die Lippe, »jeder Buschklepper wär’ mir lieber!«

»Und doch«, bemerkte Laskaris, »in wenig Tagen erwarte ich zwei, die du gut behüten musst, denn ich fürchte, dass sie scharf verfolgt werden.«

Fast hätte Ignaz sich bekreuzigt ob solcher Rede, und er schwor sich einem teuren Eid, sie in einer Weise zu bewachen, dass sie keinen Schaden brächten, etwa wie der flüchtige Graf von Ruggiero, von dem er heimlich hoffte, »dass ihm der steile Abhang einen ernsten Denkzettel gegeben haben möchte. Mit verhaltenem Unwillen ging er hinweg, schloss die Tür, und wenige Minuten später lag der Grieche im festen Schlaf.

 

 ***

 

Elisabeth von Fürstenberg saß zum ersten Mal wieder auf dem Altan, der es so gut ermöglichte, alles das zu vernehmen, was in ihres Vaters Kabinett gesprochen wurde. Die Morgensonne webte goldene Lichter um ihr schöngelocktes Haupt, das sich müde an die hohe Lehne des Sessels neigte, und ihre feinen, zarten Hände spielten nachlässig mit den Schleifen des Morgengewandes. Da ertönte die silberne Klingel im Nebengemach und der Geheimschreiber trat ein.

Elisabeth schien sich wenig um das zu kümmern, was von dem Gespräch zu ihr drang. Aber ein Wort berührte ihr Ohr, gleich einem elektrischen Schlag, und konzentrierte alle ihre Sinne.

»Herr von Gelneck«, hörte sie den Fürsten sagen, »des Königs Majestät hat sich in Ansehung Eurer treuen, aufopfernden Dienste bewogen gefunden, Euch zu seinem Geheimen Rat zu ernennen. Ungern entlasse ich Euch, denn ich weiß kaum, wie Ihr zu ersetzen seid.«

Was der so hoch Begnadete in seinem Dankgefühl stammelte, entging der Lauscherin. Er schien lange und eifrig zu sprechen.

Dann unterbrach ihn der Fürst mit einigem Ungestüm: »Wie sagt Ihr? Er war es? Jener Abenteurer wagte es, hier zu erscheinen, wo Gefahr des Lebens ihm droht, wenn er erkannt wird? Ihr irrt, es ist nicht möglich!«

Wieder sprach Gelneck, und schon erhob Elisabeth sich, um Enthüllungen zuvorzukommen, von denen sie Gefahr zu fürchten schien. Allein ihre Schwäche versagte es ihr, und sie sank wider Willen von Neuem in die Polster des Sessels.

»Der Elende!«, murmelte sie. »O! Ich fürchtete es längst, er weiß alles und versteht es meisterhaft, seine Geheimnisse zu verwerten.«

Sie hatte die Erwiderungen des Fürsten überhört, jetzt schien eine längere Pause eingetreten zu sein. Nein, sie irrte. Gelneck war fort. Dann vernahm sie gemessene Tritte, und ihr Vater erschien auf dem Altan.

»Elisabeth«, sagte er im scharfen Ton, den er augenblicklich mäßigte, als er die durchsichtige Blässe auf den Wangen seines einst so blühenden Kindes sah, und fast sanft fuhr er fort: »Unsere Vettern in der Pfalz haben mir Boten mit freundlichem Gruß und einer Einladung für dich gesandt. Es würde mir lieb sein, wenn du ihr folgen möchtest. Wer weiß, wie das Getümmel des Krieges sich plötzlich wendet und unser Vaterland zum Schauplatz seiner wilden Taten macht!«

»Ist denn jetzt die Pfalz sicherer?«, fragte Elisabeth mit einer Stimme, deren Beben sie vergeblich zu bemeistern suchte. »Ich bitt’ Euch, Herr, wenn Ihr nicht wollt, dass ich sterben soll, lasst mich hier, unter Eurer Obhut, der Euren allein.«

Fürstenberg erwiderte nichts. Er schob einen Sessel neben denjenigen Elisabeths und schien in tiefe Gedanken zu versinken. Mehr als einmal fuhren die weißen aristokratischen Hände in nervösem Zucken nach der Seitenlehne des Stuhles, auf dem er saß, und in den hellblauen Augen loderte das mühsam unterdrückte Feuer einer Aufregung, welche die Jungfrau erschreckte. Viele Minuten vergingen in lautloser Stille, ehe der Fürst von Neuem begann.

»Seit gestern ist Bötticher zurück von dem Königstein. Er hat versprochen, sich endlich dem Willen seines Herrn zu fügen. Wer ein Geheimnis bewahrt, tut wohl, sich in das zu finden, was eine überlegene Macht von ihm zu fordern das Recht hat.«

»Das ist ein Satz, dessen Richtigkeit Euer Gelneck klar zu erweisen sich mühte«, sagte Elisabeth schwach, doch mit unverkennbarer Bitterkeit. »Schade nur, dass der Schluss dieses Gedankens so mannigfache Auslegungen zulässt.«

»Elisabeth!«, brauste der Generalgouverneur heftig auf, fuhr aber in minder erregtem Ton fort: »Seit ich weg war, ist hier vieles geschehen, was meiner Vergebung und des Vergessens anderer bedarf. Ich will, dass es vergessen wird. Deshalb wirst du in die Pfalz gehen, und Herr von Gelneck soll dich geleiten.« Damit erhob er sich rasch und schritt hinaus.

Elisabeth seufzte. Ihre kleinen Hände zerdrückten in zorniger Erregung das weiße Morgengewand, das ihre Glieder umhüllte. Als der Gehasste mit stolzerhobener Stirn über den Hof dahinschritt, flüsterten ihre blassen Lippen: »Der Tor! Aber ich weiß, um welchen schnöden Preis er ringt. Und bei Gott! Er soll ihm nicht werden.«

Am Abend desselben Tages saß der neu geschaffene Geheime Rat von Gelneck in dem kleinen, abgelegenen Zimmer, in welchem er bisher die bescheidene Laufbahn eines Geheimschreibers in fürstenbergischen Diensten verfolgt hatte, und die Ehren, mit denen König August den gewandten Verräter zu belohnen wusste, stürmten ihm berauschend durch Haupt und Brust. So entging ihm eine leise Regung im Vorgemach, ein schüchternes Pochen an die Tür. Als diese sich öffnete, fuhr Gelneck wie aus süßem Traum empor. Es lag ein sonderbarer Missklang in seinen Worten, als er rief: »Ach, du bist es, Fides! Wie freue ich mich, dich zu sehen!« Mit zeremonieller Höflichkeit bot er der zierlichen Gestalt, die ihm an den Busen fliegen wollte, den Arm und führte sie zu einem Sessel.

Fides erblasste, ihre samtschwarzen Augen füllten sich mit unmutigen Tränen. Mühsam begann sie: »Ich hörte von deinem Glück. Deiner Erhebung. Der Gräfin entschlüpfte es im Zorn. Sie misstraut dir, wohl bald auch mir. Es wird Zeit, dass du mich unter deinen Schutz nimmst.«

»Was kann sie dir schaden?«, rief Gelneck spöttisch aus. »Sie ist so gut wie entthront und würde es schon sein, wenn nicht, – doch was tut das zur Sache! Ich hörte, der König wolle sie zur Nonne machen, damit sie ihre Sünden verbüßen möge.« Er lachte kurz auf, und dieses Lachen, kalt, herzlos, drang wie ein Dolchstich in das Herz des Mädchens.

Gelneck lenkte ein: »Mein liebes Kind«, sagte er, »du hast unrecht getan, zu mir zu kommen. Wir sind hier durchaus vor Störung nicht sicher. Bedenke, welch’ ein nachteiliges Licht es auf mich werfen würde, wenn dich jemand hier erblickte. Geh nach Hause, ich komme zu dir, morgen, übermorgen, sobald ich Zeit habe.«

»Nein«, sprach Fides mit einer Festigkeit, wie nie zuvor, dem Geliebten gegenüber, »nein, ich habe schon umsonst drei lange Nächte deiner geharrt, und du wirst auch weder heute noch morgen kommen. Nicht länger ertrage ich diese Qual. Sprich wie sonst, wo der Ton deiner Stimme mich berückte, dass ich nichts fühlte, nichts sah in der weiten Welt als dich. Sprich«, fuhr sie in zunehmender Leidenschaft fort und ergriff seinen Arm, »sage mir, dass du halten willst, was du gelobst. Um deinetwillen hab ich zu niedrigen Lauscherkünsten mich herabgewürdigt, habe die, deren Vertrauen mir über alles heilig sein sollte, an dich verraten. Erhebe mich aus dem Staub, in den du mich stürztest, adle meine Schmach durch die Liebe, die du mir hundert Mal schworst. Ich fordere es von dir, ich muss es fordern!«

Gelneck suchte sich ihren zitternden Händen zu entziehen, die ihn so mächtig festhielten.

»Kind!«, sagte er in sanftem, überredendem Ton, »so wenig vermagst du die Ausbrüche deiner blinden Aufregung durch Gedanken zu zügeln, die in den Verhältnissen unmittelbar selbst liegen! Wie vermöchte ich dein Geschick mit dem meinen in irgendeine Beziehung zu bringen! Welchen Gefahren würde dein Mangel an Selbstbeherrschung mich aussetzen?«

»Ach«, rief die arme Fides erschrocken, »niemals soll ein Zucken meiner Wimpern, nie ein Laut meines Mundes, der jetzt vom Schmerz überfließt, dein Ankläger werden. Sage nur, dass du mich vor mir selbst und den anderen retten willst.«

»Wohl«, sprach Gelneck, indem er sich liebkosend über sie beugte und die tränenfeuchten Locken aus ihrem reizenden Gesicht strich, »so höre denn und sammle deine zerstreuten Sinne! Auch mir wird es schwer, mich von dir zu trennen. Aber wie eine Eingebung des Himmels kommt mir ein rettender Gedanke. Die Ansprüche, welche der neue Stand an mich stellt, sind groß, und ich werde ihnen nicht anders begegnen können, als – durch eine reiche Vermählung. Erschrick nicht, höre mich weiter! Welche Dame es auch sein möge, deren Wahl mir die Klugheit gebietet, soll sie doch von keiner anderen umgeben sein, als von dir! Du staunst? Kind, ich bin entzückt von dieser Vorstellung. Du sollst ihr alles sein, Kammerfrau, Vertraute, – und wie herrlich fügt sich unsere Liebe in diesen Plan!«

Eine Schwäche, welche vor den Augen der Jungfrau alles um sie her in einen tollen Wirbel riss, erlaubte dem Diplomaten, bis zu diesem Grad seine Ansichten zu entwickeln. Jetzt aber schnellte Fides wie eine Schlange empor, die der Fuß des unvorsichtigen Wanderers berührt. Furchtbar war die Verwandlung ihres lieblichen Angesichts und erschreckte selbst den gefühllosen Gelneck.

»Rühre mich nicht an!«, sagte sie, die flammenden Augen zu ihm emporschlagend. »Berühre mich nicht! Deine Blicke drohen Mord, der Hauch deines Atems verpestet. Ehrloser, feiger Verräter, verflucht bin ich, dass ich je deinen Worten mich neigte, deinen Schwüren traute. Doch zittere! Ihr, die ich so schmählich betrog, will ich zu entdecken eilen, was deine schwarze Seele birgt, ihre Rache, ihren ganzen Zorn über dich heraufrufen.«

»Geh, Törin«, unterbrach Gelneck sie mit höhnischem Lachen, »geh und erwarte die Früchte deiner Saat! Bei wem willst du mich anklagen? Bei der Gräfin? Sie wird die ganze Schale ihres Zornes über dich ausgießen und mich schonen wie einen Feind, den man gern untätig erhalten möchte. Bei dem König? Wenn es dein hübsches Gesicht nicht vermag, deine Sache schwerlich.«

»Genug«, sagte das unglückliche Mädchen mit Würde. »Vielleicht habt Ihr recht, Herr Geheimer Rat von Gelneck. Ihr seid klug und verschlagen und wohl geborgen in Eurer eigenen Schlechtigkeit. Ich gehe, doch ehe ich scheide, vernehmt ein letztes Wort: Wie ich dich geliebt habe in törichter Verblendung, so hasse ich dich jetzt. Vielleicht verschwinde ich auf lange Zeit, vielleicht auf immer. Doch solange ich atme, zittere vor meiner Rache. Wenn ich dahin bin, vor meinem ruhelosen Geist. Hier fluche ich dir und deinem Tun. Was du anschlägst, möge dir durch Arglist vernichtet, was du erstrebst, durch Bosheit entrissen werden, ehe deine Hand es berührt! Verdorren soll dein Stamm, und wenn du jammernd herabsinkst von der Höhe, die du gesichert wähntest, verschließe dir der Himmel seine Gnade – hier und dort.«

Mit diesen Worten enteilte sie. Ein verächtliches Achselzucken, ein höhnisches Lächeln war die Erwiderung Gelnecks nach einem so furchtbaren Moment. Aber er vermochte nicht, sich eines Schauers zu erwehren. Eine unwiderstehliche Gewalt des Entsetzens überdrang ihn. Die Flüche und Verwünschungen der Unglücklichen zitterten in seinen Lebenstiefen nach. Es bedurfte geraumer Zeit, ehe er die Härte seines Gemüts, die kalte Entschlossenheit seiner Seele wiederfand und es ihm gelang, die unheimlichen Mächte in seiner Brust niederzukämpfen.