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Der Freibeuter – Verrat und Treue

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 16

Christine, starr vor Verwunderung und Angst über das, was sie vernommen hatte, schlich auf ihr Zimmer und brachte eine schlaflose Nacht zu. Wenn sie die Augen schloss, sah sie einen grässlich blickenden Mann – sie wusste es, es war Kapitän Norcroß – mit blutigem Schwert vor der Leiche des Kronprinzen stehen oder mit gezucktem Schwert auf ihn eindringen oder ihren Geliebten, Lord Palmerston, von einer Kugel getroffen, sich verbluten. Gequält von den Schreckbildern ihrer aufgeregten Fantasie, ersehnte sie den Morgen, er brachte ihr keine Ruhe. Zwar wurde sie nicht mehr von Schreckbildern gemartert, wohl aber von der Überzeugung geängstigt, dem Kronprinzen und ihrem Geliebten drohe ein großes Unglück. Von Jugend auf gewohnt, die Glieder des königlichen Hauses als heilig und unverletzbar zu betrachten, konnte sie den Gedanken nicht los werden, dass es ihre heiligste Pflicht sei, den Kronprinzen vor der Gefahr zu warnen. Vergebens stellte sie sich vor, wie tief ihr Geliebter vom dänischen Thronerben beleidigt worden sei. Es mahnte sie ein inneres Gefühl, sie werde die unwürdigste Tochter Dänemarks sein, wenn sie ihres Vaterlandes und dessen künftigen Königs so gänzlich vergessen konnte, dass sie dem Letzteren keinen Wink zukommen lasse. Auf der anderen Seite machte sie den Schluss, dass die starke, stets wahre und gerechte Friederike gewiss auch in diesem Fall das Wahre erkannt haben müsse und wenn es nötig sei, selbst die Schritte getan haben würde, um Unglück zu verhüten. Sie versuchte es, die Schwache, sich an die Starke zu lehnen, jene für die Folgen eines Duells oder was sonst noch vorgenommen werden sollte, verantwortlich zu machen. Aber dann kam neue Besorgnis um das Leben ihres geliebten Palmerston über sie und sie zitterte schon bei dem Gedanken an die Möglichkeit, dass er verwundet werden könnte. So vom inneren Streit gefoltert verging ihr der Morgen, sie hatte sich abgehärmt und war doch zu keinem Resultat gekommen. Vor allem fehlte ihr der Mut, etwas zu tun. Da trat Friederike zu ihr ins Zimmer mit einem Gesicht voll strahlender Heiterkeit, wie es Christine noch nie an ihr gesehen hatte. Fast schien es, als ob sie die Rollen gewechselt hätten. Die sonst so heitere lebensfrohe Christine war in sich gekehrt, ihr bleiches Gesicht zeigte Spuren tief empfundenen Schmerzes, und in die sonst so ernsten Züge Friederikes hatte die Sonne der Lebenslust Frühlingsblumen gesät.

»Ich denke, liebe Christine, nach unserem Mittagsmahl machen wir einmal einen kleinen Ritt. Ich sehne mich danach. Seit drei Tagen sind wir ohnedies nicht viel zusammen gewesen.«

»Du fühlst es selbst, dass du mich vernachlässigt hast.«

»Ach, gutes Kind, du zürnst mir doch nicht? Du wirst mir doch nicht etwa gar umschlagen und sentimental werden? Nein, nein! Tröste dich! Ich habe an einem großen Werk gearbeitet und habe mir vorgenommen, dich nach dessen Vollendung in Erstaunen zu setzen.«

»Das wäre!«, versetzte Christine aufmerksam. »Und darf man denn gar nichts vorher erfahren? Gönnst du mir nicht einmal eine kleine Ahnung?«

»O, wenn dir so viel daran liegt, so kannst du auch alles vorher erfahren. Ich habe in diesen langweiligen Tagen an der Versöhnung mit unserer Familie gearbeitet. Mit dem Herrn Papa bin ich schon gestern wieder ausgesöhnt und heute hat er mir die tröstliche Nachricht überbracht, dass er deine Begnadigung von der Königin erbeten hat. Morgen schon sollst du wieder aller Hoffreuden teilhaftig sein und deine goldenen Fesseln anlegen. Hab ich dir nicht eine recht große Gefälligkeit getan?«

»Du setzt mich in das größte Erstaunen, Friederike. Auch du wieder bei Hof?«

»Ei, das versteht sich! Und zwar mit dir in gleichen Verhältnissen, als Hof- und Ehrendame der Königin.«

»Wie konntest du dich so schnell verändern?«

»Der Mensch ist ja einmal ein veränderliches Wesen und das Weib ganz besonders. Sagen nicht alle Philosophen so? Warum soll ich gerade eine Ausnahme machen? Ich habe Lust, mir die Hofnarretei wieder in der Nähe anzusehen.«

»Du bist mir unbegreiflich.«

»Ich bin mir es selbst. Aber hör nur, ich habe auch ein besonderes Gelüste, Komödie zu spielen und schäme mich doch im Herzen, selber auf die Bretter zu treten. Ei, so will ich mir ein paar Marionetten abrichten. Die zieh ich an meinen Fäden und spreche die Rollen hinter den Kulissen. So spielt ich flott mit und niemand von den Zuschauern merkt es.«

»Aber was soll ich unter jenen Larven?«

»Auch eine Larve vornehmen und mitspielen, gleich mir.«

»Ich will es!«, sagte Christine halb für sich, aber in einem ganz anderen Sinne, als Friederike es nahm. Sie fasste nämlich so diesem Augenblick den Vorsatz, gegen die Freundin sich zu verstellen, so wie jene sich unverkennbar gegen sie verstellte.

»Wohlan denn, so komm und besteige dein Pferd!«, rief das Fräulein von Gabel. »Der Kronprinz hält morgen Jagd. Da werden wir auch mitreiten.«

Christine horchte auf und stimmte bei. Sie verließen zu Pferde die Stadt und waren noch nicht lange geritten, als ihnen der Kammerjunker von Raben begegnete. Nach dem, was Christine am vorigen Abend in der Laube gehört hatte, war es ihr nicht schwer, zu erraten, dass ihre Gespielin mit Absicht diesen Weg gewählt und durch ihre Kundschafter erfahren hatte, dass der Kammerjunker hier anzutreffen sei. Dennoch fiel ihr Friederikes Benehmen auf. Mit freundlichen Blicken lud sie ihren sonstigen Verlobten zu ihrer Begleitung ein und ermutigte ihn, als er dadurch angelockt, mit kriechender Freundlichkeit nahte und einige nichtssagende Worte stammelte, durch wohlgefällige Rede noch mehr. Hätte Christine nicht in der Laube die Unterredung ihrer Freundin mit dem Kaperkapitän belauscht, sie würde nicht aus dem Staunen herausgekommen sein.

»Nicht schön genug kann ich Ihnen den Eindruck beschreiben, mein wertes Fräulein«, füßelte der Kammerjunker, »den die Nachricht von ihrem morgigen Erscheinen in unserer Hofwelt in allen Gemütern hervorgebracht hat.«

»In allen?«, fragte Friederike schelmisch. »Sie beurteilen andere wohl nach sich.«

»Ach, wie schön gesagt!«, fabelte der Kammerjunker. »Das Bewusstsein, dass in Ihnen die Überzeugung von meiner Wonne lebt, Sie nun wieder in denjenigen Kreisen zu sehen, wohin Sie nach Geburt und Talent gehören. Schon dieses Bewusstsein macht mich überglücklich. Erlauben Sie, dass ich Ihnen dafür die Hand küsse.«

»Hier, mein Ritter, küssen Sie sie!«

»Aber wahrlich auf die Gemüter unterer Hofdamen wird diese Nachricht nicht gleichen Eindruck gemacht haben, denn die Sterne müssen erblassen, wenn die Sonne aufgeht, und nun zumal, nachdem ein neidisches Gewölk uns ihren strahlenreichen, erquickenden Anblick so lange entzogen hat.«

»Sie werden ja ganz poetisch, mein Ritter. Sie haben gewiss die Franzosen in der Zeit studiert, seit wir uns nicht sprachen, denn ich erinnere mich nicht, früher ähnliche Reden von Ihnen gehört zu haben. Wer wüsste, was sonst geschehen wäre!«

»Ha, ich habe sie Tag und Nacht gelesen, studiert, sie in Blut und Saft verwandelt. Ich glaube, ich bin selbst ein zweiter Corneille oder Racine geworden! Und weshalb dies alles? O, weil ich noch nie die Hoffnung verloren hatte, der Mai des Lebens werde mir an Ihrer Hand noch einmal blühen. Warum sage ich dies? Um Ihnen zu gefallen. Warum? Weil Sie die Franzosen loben. Ha, und schon winken mir die Früchte meiner Anstrengung. Nicht wahr, ich bin ein ganz anderer Mensch geworden? Alles durch Sie, mein teuerstes Fräulein. Der Kronprinz lobt mich auch täglich mehr, und seit er vollends weiß, dass Sie Ehrendame der Königin sind, ist er ganz wie närrisch in mich verliebt.«

»Wirklich? Das gönne ich ihm von Herzen. Sagten Sie nicht, dass der Kronprinz morgen eine große Jagd halte?«

»Sagte ich es schon? Nun, eine große Jagd wird es nicht. Nein, ein kleiner vertrauter Kreis. Die nächsten Freunde Seiner Königlichen Hoheit. Es werden nicht viele Damen dabei sein. Aber unter den Wenigen wird man die beiden nicht vermissen, welche ein böses Geschick zeither von den Hoffesten entfernt hielt. Wenn Sie nach Hause kommen, werden Sie die Einladung Seiner Hoheit finden.«

»Man wird doch fragen dürfen, wohin es geht?«

»Ich stehe mit der größten Freude zu Diensten.« Der entzückte Kammerjunker erzählte nun mit der umständlichsten Breite, um wie viel Uhr man aufbrechen werde, wer dabei sei, wohin der Weg gehe, was der Prinz für ein Pferd reite, wo man haltmache, wo man frühstücke …

Man hatte auf Friederikes Veranlassung den Weg zum Hafen eingeschlagen. In der Nähe desselben bemerkte Christine zur Seite oft einen jungen Menschen in Matrosentracht. Sie sah, dass er Friederike nie aus den Augen ließ, dass diese ihm verstohlen winkte. Im Hafen angelangt, verlangte Friederike nach einer Erfrischung. Der Kammerjunker hob die Damen von den Pferden und führte sie in die Schenke, wo vornehme Gäste einzukehren pflegen. Er selbst eilte, das Verlangte zu bestellen. Friederike trat in eine Fensterwölbung, und Christine, die sich unaufmerksam stellte, sah sie ein Blatt aus dem Busen ziehen, mit einer Bleifeder darauf schreiben und wieder verstecken. Nachdem sie sich erfrischt hatten, bestiegen sie die Pferde wieder. Der Knabe stand hinter Friederike. Sie drückte ihm das Papier in die Hand und schwang sich in den Sattel. Nun wusste Christine, dass er derselbe war, den sie am Abend vorher gesehen hatte.

Jetzt glaubte sie die geheiligte Person des Königsohns von ihrer eignen Freundin verraten. Friederikes Verstellung kam ihr verächtlich vor, und daraus gewann sie Kraft zu dem Entschluss, zu handeln. Sie wollte mit auf die Jagd reiten und des Kronprinzen schützender Genius sein. Sobald sie darüber mit sich im Reinen war, wurde sie ruhig und wohnte abends mit Heiterkeit einem Familienfest bei, welches der alte Vizestatthalter seiner Tochter und seiner Nichte zu ihrer Wiederkehr in sein Haus und seine Liebe gab.

Die Einladung des Kronprinzen war wirklich da. Zur bestimmten Stunde ritten Friederike und Christine an den Versammlungsort. Da sie den folgenden Tag erst der Königin vorgestellt werden sollten, so waren sie heute nur inkognito von der Partie. Sie wurden beide mit Auszeichnung vom Kronprinzen empfangen, und er schenkte von Stund an Friederike wieder die alte Aufmerksamkeit, Sie nahm die Huldigung wie einen ihr gebührenden Tribut an und war freundlicher und liebenswürdiger denn je zuvor. Der Kammerjunker von Raben schwamm nicht weniger in einem Meer von Entzücken wie sein gnädiger Herr und Gebieter. Denn so viel holde Worte, so viel süße Blicke hatte er selbst zurzeit seines Bräutigamsstandes nicht von Friederike erhalten. Es war allen, als habe zwischen ihrem letzten Erscheinen in den Hofkreisen und dem heutigen Tag ein böser Zauber gelegen, der nun gelöst war. Auch all das harte und weibliche Wesen, welches sonst an Friederike missfiel, mit hinweggenommen und so sie zur trefflichsten Dame umgewandelt hätte. Nur eine war, die die schlaue Spielerin durchschaute, die da wusste, dass gerade in diesen Augenblicken, wo das süßeste Lächeln für den überglücklichen Königssohn Friederikes schönen Mund umspielte, ihr Herz in den wütendsten Hassflammen gegen ihn aufloderte, in Flammen, die ihn in das Verderben hinabzureißen drohten. Auch Christine suchte ihrer Bewegung Meisterin zu werden und unter der Maske froher Laune die Bekümmernisse, die sie bedrückten, zu verbergen.

Der Kronprinz gab sich an Friederikes Seite dem Vergnügen der Jagd hin. Sie tat alles, ihn zu bezaubern. Der Schwächling war bald ermüdet. Man ritt aus den Wäldern und wandte sich nach Güldenlund. Dort nahm die Gesellschaft eine Erfrischung ein. Der Tag begann sich zu neigen. Als Christine wieder zu Pferde stieg, sah sie plötzlich den Schiffsjungen neben Friederike stehen.

»Wir reiten doch am Strand hin?«, sagte Friederike wie gleichgültig zum Kronprinzen. »Wir sind alle ermüdet und es ist der kürzeste Weg.«

»Sie haben recht, mein Fräulein«, versetzte Prinz Christian. »Ich sehne mich nach Ruhe und wähle den Weg, den Sie mir vorschlagen.«

In diesem Augenblick lief Juel davon und verschwand in den Büschen des Strandes, aber auch in demselben Augenblick war Christine an des Kammerjunkers von Raben Seite und flüsterte ihm hastig zu: »Halten Sie den Kronprinzen auf alle Weise ab, am Strand hinzureiten. Es droht ihm dort große Gefahr. Ich beschwöre Sie beim Heiligsten!«

Von Raben sah das Fräulein groß an. Es lag in ihren Worten aber ein so unverkennbares Gepräge der Wahrheit, dass er, ohne zu antworten, an des Kronprinzen Seite sprengte und sagte: »Wär es Eurer Königlichen Hoheit nicht lieber genehm über die Höhe und Jägersburg zu reiten? Der Wind am Strand ist rau und wild. Ich fürchte, Ew. Hoheit möchten sich dort erkälten. Der Weg ist ohnedies holprig und unangenehm. Und wenn wir auch über Jägersburg eine kleine Strecke weiter haben, so haben Sie doch nicht allein den schönen Vorteil, noch einige Minuten länger in der angenehmen Gesellschaft dieser Damen zuzubringen, sondern auch ebenen Weg und das Vergnügen, von der Höhe aus das Ende der Jagd noch mit anzusehen. Ich berufe mich auf das Urteil der anderen Herren und bitte untertänigst, meinen Gründen ein geneigtes Ohr zu leihen.«

Der Marschall von Gersdorf und der Kammerjunker von Reikov, die zunächst hielten, stimmten mit ein.

»Du bist ein gescheiter Kerl«, versetzte der Prinz, »und deine Gründe sind so überwiegend, dass man ihnen nachgeben muss. Heute wollen wir über Jägersburg reiten, morgen können wir die Tour am Strand hin machen.«

Friederike schoss einen giftigen Blick auf Raben, dann lenkte sie ihr Pferd in die geänderte Richtung und war so freundlich wie zuvor. Verstimmt kam sie zu Hause an.