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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Skalpjäger – Die westliche Wildnis

Die-SkalpjägerThomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Erster Teil
Erstes Kapitel
Die westliche Wildnis

Entrollt die Weltkarte und blickt auf den großen nördlichen Kontinent von Amerika. Fern in dem Wilden Westen der untergehenden Sonne zu, fern hinaus über die Meridiane der Vereinigten Staaten lasst eure Augen wandern. Werft sie dorthin, wo goldene Flüsse zwischen den Berggipfeln, welche mit ewigem Schnee bedeckt sind, entspringen. Lasst sie dort verweilen.

Ihr erblickt ein Land, dessen Oberfläche noch nicht von menschlichen Händen gefurcht ist, welches noch die Zeichen der Formung durch den Allmächtigen ebenso deutlich zeigt, wie am Morgen der Schöpfung, ein Land, in dem jeder Gegenstand das Gepräge Gottes trägt. Sein allmächtiger Geist lebt in der stummen Größe der Berge und spricht aus dem Brausen seiner mächtigen Flüsse. Es ist eine Gegend voller Romantik – reich an Abenteuern.

Folgt mir mit eurem inneren Auge durch Szenen wilder Schönheit und Erhabenheit.

Ich stehe auf einer weiten Ebene. Ich wende meine Augen nach Norden, nach Süden, nach Osten und Westen und sehe dieselbe auf allen Seiten von dem Blau des Himmels umgürtet. Weder Felsen noch Baum unterbricht den Ring des Horizonts. Was unterbricht die weite Fläche zwischen mir und ihm? Holz? Wasser? Gras? – Nein – Blumen! Soweit mein Auge trägt, ruht es nur auf Blumen – auf schönen Blumen!

Ich blicke wie auf eine kolorierte Karte – ein von allen Farben des Prismas glänzendes Emailgemälde.

Dort, wo die Sonnenrose ihr zifferblattartiges Gesicht der Sonne zuwendet, ist alles golden-gelb, dort, wo die Malve ihr rotes Panier schwingt, ist es scharlachrot. Hier ist ein Beet von der purpurnen Monarda, dort zeigt die Euphorbia ihr Silberblatt, in jener Richtung herrscht das Orange in den Blumen der Asclepia vor und jenseits derselben schweift das Auge über die rosenfarben blühende Cleome.

Der Wind bewegt sie. Millionen von Blumenkronen lassen ihre bunten Standarten flattern. Die hohen Stängel der Sonnenrosen beugen und erheben sich in langen Wellenlinien wie die Wogen eines goldenen Meeres.

Sie sind wieder in Ruhe. Die Luft ist mit Düften angefüllt, die süß sind wie die von Arabien und Indien. Myriaden von Insekten flattern mit ihren bunten Schwingen wie fliegende Blumen. Die Kolibris schwirren wie Sonnenstrahlen blitzend umher oder trinken, auf ihren rauschenden Schwingen ruhend, aus den Nektarbechern. Und die wilde Biene hält sich mit schwer beladenen Füßen an den Honigpostillen fest oder verlässt sie, um ihren fernen Bau mit einem Freudengesang aufzusuchen.

Wer hat diese Blumen gepflanzt? Wer hat sie zu diesen bunten Beeten verwoben? Die Natur! Es ist ihr reichster Mantel, herrlicher in seinen Farben als die Schals aus Kaschmir.

Dies ist die Unkrautprärie. Sie führt ihren Namen zu Unrecht. Es ist der Garten Gottes.

 

***

 

Der Schauplatz hat sich verändert. Ich bin in einer Ebene wie vorher und der Schauplatz liegt in einem ununterbrochenen Kreis um mich auf der Erde. Was erblicke ich? Blumen? Nein, es ist keine einzige Blume zu sehen, sondern eine ungeheure Fläche lebendes Grün. Von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, breitet sich die Präriewiese, grün wie ein Smaragd und glatt wie die Oberfläche eines schlummernden Sees aus!

Der Wind zieht über sie hin und bewegt die Seidenhalme. Sie schwanken und das Grün erhält hellere und dunklere Färbung, wie die Schatten von Sommerwolken, welche an der Sonne vorüberziehen. Das Auge schweift ohne Hemmnis darüber. Vielleicht begegnet es den dunklen, zottigen Gestalten des Büffels oder erkennt die zarten Umrisse der Antilope. Vielleicht folgt es in angenehmer Verwunderung dem wilden Galopp eines schneeweißen Rosses.

Dies ist die Grasprärie, die unbegrenzte Weide der Bisons.

 

***

 

Der Schauplatz verändert sich. Die Erde ist nicht mehr eben, aber noch ebenso baumlos und grün wie vorher. Die Oberfläche zeigt eine Reihenfolge von parallelen Wellenlinien, die hier und da zu glatt runden Hügeln anschwellen. Sie ist mit einem weichen Rasen aus glänzendem Grün bedeckt.

Diese Wellenlinien erinnern an den Ozean nach einem mächtigen Sturm, wo der weiße Schaum auf den Wellen verschwunden ist, und die langen Wogen, sich überstürzend, herankommen. Sie sehen aus, als wären sie einst solche Wogen gewesen, die ein allmächtiges Gebot in Erde verwandelt und plötzlich zum Stehen gezwungen hätte.

Dies ist die rollende Prärie.

 

***

 

Von Neuem verändert sich der Schauplatz. Ich bin von hellen, glänzenden Blumen umgeben, aber die Aussicht wird durch Haine und Gruppen von Bäumen unterbrochen. Das Laub ist verschiedenartig, seine Farben sind lebhaft und seine Umrisse weich und graziös. Indem ich vorwärts schweife, eröffnen sich mir beständig neue Landschaften – parkartige, malerische Ansichten. Gruppen von Büffeln, Rudel von Antilopen und Herden wilder Pferde zeigen sich in der Ferne, Truthühner laufen in das Gebüsch und Fasanen schwirren vor meinem Pfad auf.

Wo sind die Eigentümer dieser Ländereien, dieser Herden und Vögel? Wo sind die Häuser, die Paläste, welche zu diesen fürstlichen Parks gehören sollten? Ich blicke um mich und erwarte die Zinnen hoher Burgen hinter den Hainen aufragen zu sehen. Aber nein. Auf Hunderte von Meilen in die Runde entsendet kein Schornstein seinen Rauch. Trotz ihres bebauten Aussehens wird diese Gegend doch nur von dem mit Mokassin bekleideten Fuß des Jägers und seines Feindes, des roten Indianers, betreten.

Dies sind die Mottes – die Inseln des Präriemeeres.

 

***

 

Ich bin im tiefen Wald. Es ist Nacht und das Holzfeuer wirft seinen zinnoberroten Glanz malerisch auf die Gegenstände, welche unser Biwak umgeben. Mächtige Stämme stehen rund um uns her, und massive, graue, riesenhafte Äste strecken sich über uns aus. Ich betrachte die Rinde. Sie ist zersprungen und hängt in breiten, nach außen gekrausten Schuppen, fast langen schlangenartigen Parasiten gleichend, von Baum zu Baum und umschlingt die Stämme, als ob sie diese erdrücken wollte. Zu meinem Haupt sind keine Blätter sichtbar, sie sind reif geworden und abgefallen, aber das weiße spanische Moos, welches girlandenartig die Äste schmückt, hängt weinend wie die Drapiere eines Sterbebettes herab.

Umgestürzte halb vermoderte Stämme von mehreren Ellen im Durchmesser liegen auf dem Boden. Ihre Enden zeigen große Höhlungen, wo das Stachelschwein und Opossum gegen die Kälte Schutz gesucht haben.

Meine Kameraden liegen in ihre Decken gewickelt, auf dem abgestorbenen Laub ausgestreckt und schlafen. Sie haben die Füße dem Feuer zugewendet und ihre Köpfe ruhen in der Höhlung ihrer Sättel. Die Pferde stehen um einen Baum, um dessen untere Äste sie gebunden sind, und scheinen ebenfalls zu schlafen. Ich bin wach und lausche. Der Wind hat sich erhoben. Er pfeift in den Bäumen und macht die langen weißen, wimpelartigen Moosgirlanden erzittern. Er verursacht eine wilde wehmütige Musik. Sonst vernehme ich nur wenig Töne, und der Laubfrosch und die Zikade schweigen. Ich höre das Prasseln der Fichtenknoten im Feuer, das Rascheln des trockenen Laubes, welches von einem Wirbelstoß aufgetrieben wird, das Uhu der weißen Eule, das Bellen des Waschbärs und von Zeit zu Zeit das jammernde Geheul der Wölfe. Dies sind die nächtlichen Stimmen des Winterwaldes. Es sind wilde Klänge, und doch gibt es in meinem Herzen eine Saite, welche unter ihrem Einfluss vibriert, und mein Geist färbt sich mit Romantik, während ich daliege und ihnen lausche.

 

***

 

Der Wald im Herbst – noch im Besitz seines vollen Laubes. Die Blätter sind so bunt gefärbt, dass sie Blumen gleichen. Sie sind rot und gelb und goldig und braun. Der Wald ist jetzt warm und köstlich und die Vögel flattern zwischen den beladenen Zweigen umher. Das Auge schweift entzückt in langen Durchsichten hinab und über sonnenhelle Lichtungen. Es wird von dem blitzenden, bunten Gefieder, dem goldenen Grün des Papageis, dem Blau der Elster und den orangenen Schwingen des Pirols angezogen. Der Scharlachvogel flattert tiefer unten in dem Dickicht von grünen Papapflanzungen oder unter den bernsteinfarbenen Blättern der Buchen. Hunderte von winzigen Schwingen flattern durch die Öffnungen und glitzern in der Sonne wie Edelsteine.

Die Luft ist von Musik, von süßen Tönen der Liebe erfüllt. Das Bellen des Eichhorns, das Girren paarender Tauben, das Ra-ta-ta des Hähers und das beständige, taktmäßige Zirpen der Zikade erklingen alle zusammen. Hoch oben auf einem Zweig des Wipfels lässt der Spottvogel seine nachahmenden Töne erschallen, als ob er alle übrigen Sänger zum Schweigen bringen wolle.

 

***

 

Ich bin in einer Region aus brauner, nackter Erde und gebrochenen Umrissen. Es sind Felsen und Klüfte und Flecken unfruchtbaren Bodens. Seltsame vegetabilisch Gestalten wachsen in den Klüften und hängen in den Felsen. Andere sind kugelförmigen Gestalten und ruhen auf der Oberfläche der dürren Erde. Noch andere erheben sich scheitelrecht zu einer großen Höhe wie geschnitzte, kannelierte Säulen. Einige treiben Äste, gekrümmte zottige Äste, mit haarigen, ovalen Blättern. Und doch haben alle diese vegetabilischen Formen in ihrer Farbe, ihren Früchten und Blüten eine Gleichartigkeit, welche verkünden, dass sie zu einer Familie gehören: Es sind Kakteenarten. Ich befinde mich in einem mexikanischen Nopalwald. Mein Auge erblickt noch eine andere eigentümliche Pflanze. Sie treibt lange, dornige, abwärts gekrümmte Blätter. Es ist die Agave, die weit berühmte Meskalpflanze von Mexiko. Hier und da mischen sich Akazien- und Mesquitebäume, die Bewohner der Wüste, unter die Kakteen. Kein heiterer Gegenstand gewährt dem Auge Abwechslung, kein Vogel ergießt seine Melodien in das Ohr, die einsame Eule flattert hinweg in das undurchdringliche Dickicht, die Klapperschlange gleitet in seinem Schatten dahin und der Kojote schleicht durch seine stillen Räume.

 

***

 

Ich habe einen Berg nach dem anderen erstiegen und immer noch sehe ich, hoch über mir, von nie schmelzendem Schnee gekrönte Gipfel aufragen. Ich stehe auf überhängenden Klippen und schaue in unter mir gähnende Schlünde hinab, die im Schweigen der Verödung schlafen. Große Felsentrümmer sind in sie gefallen und liegen übereinander geschichtet da. Andere hängen drohend über, als warteten sie auf eine Erschütterung der Atmosphäre, die sie aus ihrem Gleichgewicht schleudern solle. Düstere Abgründe flößen mir Furcht ein und vor meinen Augen verschwimmen die Gegenstände in schwindelnder Ohnmacht. Ich halte mich an einen Fichtenstamm oder an eine Ecke eines festen Felsens.

Über mir, unter mir, um mich her sind in chaotischer Verwirrung Berge gehäuft. Die einen sind nackt und kahl, die andern zeigen Spuren von Vegetation in den dunklen Nadeln der Fichte und Zeder, deren verkrüppelte Gestalten halb auf den Klippen wachsen, halb von ihnen herabhängen. Hier ragt ein kegelförmiger Gipfel herauf, bis er in Schnee und Wolken verschwindet. Dort erhebt ein Bergrücken seine scharfen Umrisse gegen den Himmel, während auf seinen Abhängen mächtige Granitgerölle liegen, die wie von Titanenhänden hinabgeschleudert aussehen.

Ein furchtbares Ungeheuer, der graue Bär, schleppt seinen Körper über die hohen Bergrücken dahin. Der Carcajou kauert auf den überhängenden Felsen und erwartet das Elen, welches auf seinem Weg zum Wasser unter ihm vorüberkommen muss. Das wilde Schaf springt von Klippe zu Klippe, um sein scheues Weibchen zu suchen. Auf dem Fichtenast wetzt der Aasgeier seinen schmutzigen Schnabel, und der über allen schwebende Kriegsadler zeichnet sich scharf gegen das blaue Himmelsfeld ab!

Dies sind die Felsengebirge, die amerikanischen Kordilleren, die kolossale Wirbelsäule des Kontinents!

 

***

 

So sieht es im Wilden Westen aus – dies sind die Dekorationen unseres Dramas.

Wir wollen den Vorhang aufziehen und die Personen auf die Bühne bringen.