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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Chakra, der Myalmann

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 24

Chakra, der Myalmann

Die Sonne sank gerade in das blaue karibische Meer hinab und erfüllte die strahlende Oberfläche des Jumbéfelsens mit rosenfarbigem Licht, als jemand den zu jener verrufenen Felsenspitze führenden schmalen Fußsteig hinaufstieg.

Ungeachtet der in dem Urwald herrschenden Dunkelheit, die beim schnellen Sonnenuntergang jeden Augenblick stärker wurde, war es jedoch genau zu unterscheiden, dass dies eine Frau sei, und zwar zeigte das dunkle Aussehen ihres Gesichtes und ihres nackten Halses, ihrer bloßen Hände und ihrer schuh- und strumpflosen Füße ganz deutlich, dass es eine Farbige, eine Mulattin war.

Ihr Anzug war in Übereinstimmung mit ihrer Farbe. Ein baumwollener buntfarbig bedruckter, an der Brust halboffener Rock und ein schimmerndes Kopftuch von Madraszeug waren ihre ganze Bekleidung, ausgenommen ein Baumwollhemd, dessen mit der Nadel gestickte Einfassung an der Öffnung des Kleides zu sehen war.

Sie war eine Frau von großer Gestalt und von keckem, leidenschaftlichem Gesichtsausdruck. Ihr Aussehen war durchaus nicht unangenehm, entbehrte aber alles Zarten und Feinen, da er lediglich sinnlich war.

In welcher Absicht sie auch jetzt ging, sowohl ihr Schritt als auch ihre Blicke verrieten die mutigste Entschlossenheit. Sicher war es schon ein Beweis von Mut, zu so ungewöhnlicher Zeit auf dem Berg und so nah bei dem Jumbéfelsen zu sein.

Allein es gibt Leidenschaften, die stärker sind als Furcht. Selbst die Angst vor dem Übernatürlichen wird von einem von Liebe angespornten oder von Eifersuchtsqualen getriebenen Herzen überwunden. War es vielleicht eine solche Leidenschaft, welche die einsame Wanderin auf dem Waldpfad erfüllte?

Ein gewisser Ausdruck von Beklommenheit, die sich zuweilen sogar bis zur Angst zu steigern schien, hätte es wohl bald klar getan, dass Eifersucht sie zumeist beherrschte, denn Liebe würde sie gewiss sanfter und hoffnungsvoller gestimmt haben.

Obwohl es offenbar war, dass sie wegen keines alltäglichen Geschäftes unterwegs war, so war doch nichts Besonderes an ihr, um ihre eigentliche Absicht zu verraten. Ein in ihrer Hand hängender Korb aus Palmenflechtwerk schien mit Lebensmitteln gefüllt zu sein, denn der nur halb geschlossene Deckel ließ darin einen Haufen Pisange, Tomaten und spanischen Pfeffer nebst einem prächtigen Perlhuhn wahrnehmen.

Dies hätte vielleicht eine bestimmte Absicht, etwa einen Gang zum Markt anzeigen können, allein die ungewöhnliche Zeit, die eingeschlagene Richtung, vor allem aber die Miene und Haltung der Mulattin, während sie den Bergpfad hinaufschritt, mussten diese Annahmen sofort zunichtemachen. Der Jumbéfelsen war sicherlich kein geeigneter Platz für den Verkauf eines Korbes mit Lebensmitteln.

Übrigens wollte sie da auch gar nicht hin, denn als sie in die Nähe der Bergspitze gelangte, hielt sie auf dem Pfad etwas an, sah sich einige Augenblicke um, als wolle sie etwas ausspähen, wandte sich dann zur Linken und schritt schräg an der Seite des Berges hin.

Aus Furcht hatte sie sich wohl jedenfalls nicht von dem Jumbéfelsen abgewandt, da die nun eingeschlagene Richtung sie zu einem von Abergläubischen ebenso gefürchteten Platz hinleitete, zum Teufelsloch.

Dahin wollte sie offenbar. Freilich führte kein bestimmter Fußsteig dahin, allein die Sicherheit, mit der sie ihren Weg einschlug und das Selbstvertrauen, das sie auf ihre Ortskenntnis setzte, bewiesen klar, dass sie hier schon früher gewesen war.

Sie machte sich unbeirrt durch Weinreben, Gebüsch, Schlingpflanzen und Zweigen Bahn, schritt mutig weiter und langte zuletzt am Rand des Teufelsloches an.

Dieses erreichte sie gerade oberhalb des Schlundes, da, wo die bereits beschriebene, von Bäumen, Wurzeln und Schlingpflanzen gebildete Gruppe zum See hinabführte. Aus allem war ersichtlich, dass ihr der Weg wohlbekannt sei und dass sie beabsichtigte, auf den Grund des Felsentals hinabzusteigen.

Ebenso ersichtlich war es, dass sie es ganz wohl wusste, sie könne dies nicht allein mit eigener Kraft vollbringen, und dass sie deshalb noch jemand zu ihrer Hilfe erwartete, denn sobald sie am Felsenrand angekommen war, begann sie ein Zeichen zu machen. Sie zog nämlich aus einer Tasche ihres Kleides ein kleines weißes Tuch hervor, breitete es über den Zweig eines sichtbar oberhalb des jähen Abgrunds wachsenden Baumes aus, und wartete dann, während sie ihre Hand gegen den Baum stemmte, mit festem und aufmerksamem Blick, stets auf das unter ihr befindliche Wasser sehend.

In der bereits ziemlich stark eingetretenen Abenddämmerung wäre das weiße Tuch möglicherweise leicht gar nicht gesehen und bemerkt worden. Allein das Mädchen schien dies durchaus nicht zu befürchten, denn ihr Blick war voll Erwartung und Vertrauen, ganz als ob das von ihr gegebene Zeichen ein vorher genau verabredetes und sie fest versichert war, dass der, dem es galt, bereits voll Ungeduld auf sie harre.

Auch wurde sie wirklich nicht getäuscht. Kaum fünf Minuten mochten seit dem Aushängen des Taschentuches verflossen sein, als ein Nachen unter den ummoosten, am oberen Rand des Sees stehenden Bäumen hervorkam und sich dem Fuß des Felsens näherte, auf dem sie stand.

Nur eine Person befand sich im Nachen, die trotz der immer stärker werdenden Dunkelheit als ein Mann von widerlichem und Furcht einflößendem Äußeren zu erkennen war.

Es war ein Schwarzer von riesenhaftem Wuchse, obwohl das kaum zu bemerken gewesen wäre, da er zusammengekauert in dem Nachen saß, wenn nicht die außerordentliche Breite seiner Schultern, zwischen denen ein kolossaler Kopf saß, dies sofort bewiesen hätte. Sein wie ein Bogen gekrümmter Rücken zeigte einen bedeutenden Höcker, der teils die Folge des Alters, teils aber auch eine ursprüngliche Missbildung war. Seine Haltung im Boot verlieh ihm ein sehr zusammengedrücktes Aussehen, sodass, wenn er sich vornüber auf das Ruder beugte, sein Gesicht ebenfalls niedergebeugt war, als sehe er nach einem Gegenstand auf dem Boden des Kahnes.

Des Mannes Kleidung war seltsam und wild. Der einzige Teil derselben, der einer zivilisierten Sitte entsprach, war ein Paar weite Hosen von grobem Osnabrücker Leinen, wie sie von den Feldarbeitern auf den Zuckerpflanzungen getragen werden. Ihre schmutzig gelbe Farbe zeigte deutlich, dass sie seit langer Zeit nicht gewaschen waren, während verschiedene rote Flecke bewiesen, dass sie das letzte Mal von Blut befeuchtet gewesen waren, nicht von Wasser.

Eine Art von Mantel, aus Tierfellen gemacht, hing über seinen Schultern und war sein einziges übriges Kleidungsstück. Dieser, um seinen dicken kurzen Hals mit einem ledernen Riemen befestigt, bedeckte seinen ganzen Körper bis zu den Lenden. Seine Füße waren nackt. Auch hatten sie den Schutz der Schuhe gar nicht nötig, da die Fußsohlen dick mit einer hornartigen Schwiele bedeckt waren, die sich von dem Ballen der großen Zehe bis weit hinten nach den breiten Hacken und noch darüber hinaus erstreckte.

Seine Kopfbedeckung war ebenfalls wunderlich. Sie bestand in einer Art aus dem Fell eines wilden Tieres geschnittener Kappe, die dicht anliegend den ungeheuren von ihr umschlossenen Schädel in seiner ganzen Größe hervorhob. Ein eigentlicher Rand war nicht an der Kappe, sondern stattdessen war die getrocknete Haut der großen gelben Schlange rund um die Schläfen gewunden, mit dem Kopf nach vorn, wobei zwei glänzende Kieselsteinchen in die Augenhöhlen eingesetzt waren, um dem Ganzen den Anschein des Lebens zu verleihen.

Das Gesicht des Mannes hatte diesen schrecklichen Zierrat keineswegs nötig, um die ihn Erblickenden mit Furcht zu erfüllen. Der düstere Glanz seiner tiefliegenden Augäpfel, die breiten, weit geöffneten Nasenflügel, die regelmäßigen, großen und haifischähnlich hinter den dunkelroten Lippen in blendender Weiße schimmernden Zähne, die rote Tätowierung auf den Wangen und auf der breiten Brust, dies alles war für sich schon schreckend und furchterregend genug, um der Hilfe der Schlangenumwindung des Kopfes selbst zu den grässlichen Zwecken gar nicht zu bedürfen. Auch schien es sogar die wilden Bewohner des Teufelsloches zu erschrecken. Der im Schilfrohr sitzende Reiher flatterte mit einem hellen Angstschrei auf, und der Flamingo breitete seine Scharlachflügel voll Furcht aus, erhob sich kreischend über die Felsen und entfloh. Selbst das ihn erwartende Mädchen, so mutig und keck sie auch zu der freiwillig von ihr gesuchten Zusammenkunft zu kommen schien, konnte sich eines Schauders nicht erwehren, als der Nachen näher kam, und schien einen Augenblick sogar unentschlossen zu sein, ob sie sich wirklich einem so unheimlichen Mann anvertrauen solle.

Indes stand ihr von einer heftigen Leidenschaft eingegebener Einschluss bald wieder fest, und als der Nachen zwischen das am Fuß des Felsens, wo sie stand, wurzelnde Gebüsch lief, und sie die Stimme des darin sitzenden Mannes sie auffordern hörte, herabzusteigen, nahm sie das Zeichen vom Baum fort, hing den Korb über ihren Arm und ließ sich an den Zweigen und Bäumen die Felsenwand hinunter.

Bald erschien der Nachen bei seiner Rückkehr auch wieder auf dem offenen Wasser des Sees. Das Mulattenmädchen saß hinten und der Mann, das Ruder führend, vorn im Nachen. Dieser musste alle seine Kraft anwenden, um zu verhüten, dass das leichte und gebrechliche Fahrzeug nicht vom Strom ergriffen und den Wasserfall hinuntergezogen werde, dessen lautes Ächzen und Stöhnen durch den Felsenschlund heraufschallte.

Als er wieder unter dem Baum, von dem er zuerst ausgefahren, angekommen war, knüpfte der Jäger seinen Kahn an einen der großen Baumzweige fest, sprang an Land und ging, von dem Mädchen gefolgt, zu dem Tempel des Obi, dessen Orakel und Priester er selbst war.