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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Zauberbaum

Die-Geister-Erstes-BuchChristoph Wilhelm Meißner
Die Geister
Erster Band
Berlin 1805, bei Oehmigke jun., überarbeitet 2015

Der Zauberbaum

Auf meiner Reise nach Z… musste ich auch den Wald passieren. Wahrscheinlich hatte ich den rechten Weg verfehlt, denn so sehr ich auch meinen Gaul anspornte, um noch vor dem völligen Untergang der Sonne irgendeinen Ort zu erreichen, wo ich übernachten könnte, so waren doch alle meine Bemühungen vergeblich. Die Nacht überfiel mich, und ich sah mich in die unangenehme Notwendigkeit versetzt, hier übernachten zu müssen. Um nicht noch tiefer mich in die Wildnis zu verirren, stieg ich ab und suchte mir einen bequemen Ort für mein Nachtlager, den ich auch unter einer alten, gewiss tausendjährigen Eiche fand. Mein Pferd band ich an einen benachbarten Baum, ich selbst aber legte den Mantelsack unter meinen Kopf und beschloss so den Anbruch des Tages zu erwarten.

Die mancherlei Sagen, die man von diesem Wald erzählt, beschäftigten lange meine Fantasie und zauberten mir manche seltsame Abenteuer und Szenen vor meine Augen.

Beschäftigt mit diesen Ideen mochte ich in einen sanften Schlummer verfallen.

Plötzlich sah ich mich in einen alten Rittersaal versetzt, worin sich ein Sofa befand, welches die unverkennbaren Spuren des Alters an sich trug. Ich nahm ohne Bedenken Besitz davon.

Auf einmal glaubte ich in einem Nebenzimmer ein Geräusch von einigen Menschenstimmen zu vernehmen. Neugierig, den Inhalt des Gesprächs zu hören, schlich ich leise an die Tür des Zimmers, worin ich die Sprechenden vermutete, und legte mein Ohr an das Schlüsselloch. Allein, vergeblich war meine Mühe. Man flüsterte so leise, dass ich auch nicht eine Silbe verstehen konnte, und verdrießlich schlich ich wieder zu meinem Lager zurück.

Kaum hatte ich mich aber niedergelegt, so öffnete sich die Tür des Zimmers, woran ich eben gehorcht hatte, und drei ganz schwarz gekleidete Männer, wovon jeder ein brennendes Licht in der Hand und ein schwarzes Tuch, worin etwas eingewickelt war, unter dem Arm hatte, traten heraus in den Saal.

Ihnen folgten neun andere, wovon keiner unter fünfzig Jahren zu sein schien, und die alle, einen ausgenommen, der einen roten Mantel trug und den Hut tief in die Augen gedrückt hatte, ebenfalls ganz schwarz gekleidet waren, und entsetzlich große Perücken trugen.

Letztere, welche die Vornehmsten zu sein schienen, setzten sich an eine Tafel, die ich bisher der Dunkelheit wegen nicht bemerkt hatte, nachdem vorher einer von den dreien, die mit den brennenden Lichtern zuerst in den Saal getreten waren, dieselbe mit dem unter dem Arm habenden schwarzen Tuch bedeckt, und zwei Lichter, eine Sanduhr einen Totenkopf und ein Kruzifix nebst Tinte, Feder und Papier darauf gesetzt hatte. Die beiden Übrigen aber folgten dem Rotmantel in ein Seitenzimmer.

Es dauerte nicht lange, so kamen alle drei wieder zurück und brachten einen sehr jungen Menschen mit sich, der ganz weiß gekleidet war und an Händen und Füßen eine ungeheure Kettenlast trug. Sein blondes Haar, das fast bis auf die Erde reichte, hing ungebunden den Rücken hinab. In seinem Gesicht sah man Schmerz und Verzweiflung in unverkennbaren Zügen.

Mit gesenktem Haupt und bebenden Lippen trat er hin vor seine Richter und schien ängstlich sein Urteil zu erwarten.

Nach dem Verhör, das nur kurz dauerte, nahm man ihm die Fesseln ab, ließ ihn auf ein ausgebreitetes schwarzes Tuch niederknien, verband ihm die Augen, und der Rotmantel trennte in einem Augenblick mit einem handbreiten Schwert, das er unter dem Mantel verborgen gehabt hatte, den Kopf vom Rumpf.

Sobald dieses geschehen war, nahm der Rotmantel den Kopf, legte ihn in eine goldene Schüssel und eilte damit in ein Zimmer, welches zunächst an dasjenige stieß, aus welchem man den unglücklichen jungen Menschen heraus vor seine Blutrichter geführt hatte. Den Rumpf aber trugen die zwei Gehilfen in dem schwarzen Tuch, worauf die Enthauptung vorging, in das Zimmer, woraus die ganze Gesellschaft gekommen war. Die acht Richter folgten ihnen, und diesen wieder der Rotmantel, der nach wenigen Minuten mit dem Kopf aus dem Nebenzimmer zurückkam.

Noch hatte ich mich nicht völlig von meinem Entsetzen erholt, als die Totenstille, die nunmehr wieder herrschte, durch eine angenehme, aber rührende Musik unterbrochen wurde. Es schien mir, als käme der Schall aus dem nämlichen Zimmer, wo man den Leichnam des unglücklichen Jünglings hineingetragen hatte. Ich irrte mich nicht.

Die Musik, welche auch von schönen Menschenstimmen begleitet wurde, war wirklich in diesem Zimmer und dauerte fast eine Viertelstunde. Dann aber wurde sie immer schwächer und schwächer und verlor sich endlich ganz.

Mit einem starken Donnerschlag, begleitet von einem heftigen Blitz, öffnete sich plötzlich die Tür dieses Zimmers. Es war ganz schwarz ausgeschlagen und ringsum mit kristallenen Spiegelleuchtern erhellt. In der Mitte desselben standen zu beiden Seiten eines auf der Bahre stehenden Sarges, in welchem der Enthauptete mit großer Pracht lag, vierundzwanzig Guéridons mit silbernen Leuchtern, auf welchen ebenso viele Wachslichter brannten.

Obgleich das Zimmer von schwarz gekleideten Herren und Damen ganz gefüllt war, so herrschte doch eine solche Stille, dass es schien, als ob keine lebendige Seele anwesend sei.

Diese Stille dauerte einige Minuten. Dann wurden die Guéridons auf die Seite gesetzt, und zwölf große und starke Männer luden den Sarg auf ihre Schultern. Die Übrigen gingen paarweise mit brennenden Wachsfackeln teils vor dem Sarg her, teils folgten sie ihm in eben dieser Ordnung.

Der Zug nahm langsam und feierlich seinen Weg durch den Saal, dicht an mir vorbei, die Treppe hinab über den Hof und entschwand meinen Augen, wie ich durch das mir gegenüberliegende Fenster deutlich bemerken konnte, hinter einem Gebäude, das ich für eine alte Kapelle hielt.

Nach Verlauf einiger Zeit kam der Zug, jedoch ohne Sarg, in eben der Ordnung zurück, in der er bei mir vorübergegangen war. Alle sahen nun weit freundlicher aus und nahmen bald nach ihrer Rückkehr in den Saal, der jetzt ebenfalls erleuchtet wurde, an eben der Tafel Platz, an der kurz vorher Gericht gehalten worden war. Die Speisen wurden in goldenen Gefäßen aufgetragen und dufteten so lieblich, dass ich, ungeachtet der Furcht und des Entsetzens, die sich während dieser fürchterlichen Auftritte meiner wechselweise erfasst hatten, keinen Augenblick angestanden haben würde, davon mit zu genießen, wenn man mich darum ersucht hätte.

Allein man tat, als ob man mich gar nicht bemerke, aß und trank und überließ mich ganz meinen Betrachtungen. Außerdem aber sprach keiner von allen nur ein Wort, sodass es nicht anders schien, als ob die ganze Gesellschaft aus lauter stummen Personen bestünde.

Nachdem sie ihren Hunger und Durst gestillt hatten, schlug der eine, der dem Anschein nach der Vornehmste unter allen war, mit einem kleinen Hammer dreimal an ein silbernes Glöckchen, das neben ihm auf der Tafel stand, und im Nu sprang alles von den Stühlen in die Höhe und eilte in das Zimmer zurück, aus dem man den Sarg herausgetragen hatte.

Die Tafel wurde abgeräumt, und die Lichter verlöschten zum zweiten Mal.

Schon glaubte ich, das Gaukelspiel würde nun beendet sein, als aus dem Zimmer, in welches der Rotmantel den Kopf des unglücklichen Jünglings getragen hatte, ein ganz weiß gekleidetes Frauenzimmer mit einem brennenden Licht kam. Sie sah sich allenthalben um, als ob sie jemand suche, und kehrte, sobald sie mich erblickte, sogleich wieder um.

Wenige Minuten später kam sie zurück und winkte mir, ihr zu folgen.

Ich gehorchte! Sie führte mich stillschweigend aus einem Zimmer ins andere, und endlich auch in eines, dessen größte Zierde ein üppiges Sofa war.

Meine bezaubernde Führerin gab mir zu verstehen, dass ich hier einen Augenblick verweilen möge, und ging in das angrenzende Gemach.

Während ihrer Abwesenheit nahm ich das Zimmer, in dem ich mich befand, genauer in Augenschein. Es war durchaus mit den meisterhaftesten Gemälden verziert, die aber den Wohlstand beleidigen und der Tugend gefährlich werden mussten.

Noch war ich in ihrem Anschauen versunken, als meine Führerin mit einer alten Dame hereintrat, die so hässlich, als jene schön war.

Sie musterte mich von oben bis unten, gab ihre Zufriedenheit durch ein freundliches Kopfnicken zu erkennen, setzte sich auf das Sofa und gab dem jungen Mädchen einen Wink, sich zu entfernen. Diese gehorchte dem Befehl ihrer Gebieterin und setzte mich dadurch in die peinlichste Verlegenheit.

Die Dame forderte mich auf, neben ihr Platz zu nehmen, und aus Furcht, sie zu erzürnen, erfüllte ich ihren Wunsch. Jedoch setzte ich mich so weit von ihr wie ich es konnte. Doch meine Gesellschafterin, der dies sehr ungelegen zu sein schien, wusste sich bald zu helfen. Sie rückte immer näher, und endlich so nahe, dass ich, wenn ich noch weiterrutschte, Gefahr lief, vom Sofa zu fallen.

Sie ergriff meine Hand, drückte sie zärtlich und ließ sich nicht undeutlich anmerken, dass sie es gern sähe, wenn ich den Druck erwidere. Ich stellte mich sehr blöd an und suchte durch allerlei Ausflüche ihren ekelhaften Liebkosungen auszuweichen. Vergeblich!

Sie wurde immer zudringlicher und trieb es endlich so arg, dass mir die Geduld verging. Mit Gewalt entwand ich mich ihren abgezehrten Armen, womit sie mich fest umschlungen hielt, sprang vom Sofa auf und wollte zum Zimmer hinaus.

Allein die Alte, die wahrscheinlich im Voraus vermutet hatte, dass es so kommen würde, hatte schon solche Maßregeln getroffen, dass ich ihr so leicht nicht entwischen konnte. Sie blieb ruhig auf ihrem Sofa sitzen und lachte herzlich, dass ich mir es so sauer werden ließ, die wohl verschlossene Tür zu öffnen.

»Du bemühst dich vergeblich«, sagte sie endlich mit der größten Kaltblütigkeit zu mir. »Hier ist an kein Entrinnen zu denken. Sei klug und schicke dich in Zeit und Umstände!«

Ich sah ein, dass ich mit Gewalt hier nichts ausrichten würde, und stellte mich daher, als ob ich ihre Umarmung für das größte Glück halte, bedauerte aber zugleich herzlich, dass ich davon keinen Gebrauch machen könnte.

»Und was hält dich denn ab, den süßen Trieben zu folgen?«

»Nichts, als …«, erwiderte ich, stockte und sah sie bedenklich an.

»Meine hässliche Gestalt, nicht wahr? … O, wenn das so ist …«, fuhr sie ohne meine Antwort abzuwarten fort. »Diese Schwierigkeit soll bald behoben sein!«

Bei diesen Worten zog sie ein Gläschen aus der Tasche, goss einige Tropfen von der darin befindlichen Flüssigkeit in die Hand, fuhr sich damit über das Gesicht, und im Nu stand sie als das reizendste Mädchen vor mir!

Ich stand vor Verwunderung wie in den Boden gewurzelt. Meine Augen waren starr auf diese Schönheit gerichtet.

»Nun, lieber Freund!«, sprach sie nun lächelnd zu mir und sah mich mit einem festen Blick an. »Werdet Ihr mich noch vergeblich nach Gegenliebe seufzen lassen?«

»Keinen Augenblick, wenn mich nicht bereits ältere Bande fesselten …!«, entgegnete ich mit einem tiefen Seufzer.

»Wenn ich Euch aber beweise, dass sich das Mädchen, der ihr mich nachsetzt, eben jetzt in den Armen eines Mannes befindet – werdet Ihr dann noch anstehen, meine Liebe mit Gegenliebe zu belohnen?«

»Nein, wunderbares Wesen«, erwiderte ich etwas feurig. »Sobald Ihr mir dies beweisen könnt, bin ich ganz der Eure!«

»Wohl, ich halte Euch beim Wort!« sagte sie und eilte in ihr Zimmer zurück. Sie kam aber bald wieder und hatte einen kleinen, runden, metallenen Spiegel in der Hand.

»Dieser Spiegel«, sagte sie, »hat die sonderbare Eigenschaft, dass er alle Fragen, die man an ihn stellt, mit der größten Geschwindigkeit beantwortet. Nehmt hin! Er kann Euch am besten sagen, ob Eure geliebte Eurer wert ist.«

Ich griff hastig zu, fragte ungeduldig den Spiegel. »Wo befindet sich in diesem Augenblick meine Verlobte Amalie?«

Und im Nu zeigte sich auf der Oberfläche desselben ein Zimmer, welches ich sogleich für das meines Schwiegervaters erkannte. In demselben war Amalie und lag in den Armen ihres Vaters!

Diese unvermutete Hinterlist schien mich zu berechtigen, mein unbedingtes Versprechen zurücknehmen zu dürfen. Dies gab der ganzen Sache aber bald ein ernsthafteres Ansehen.

»Noch fünf Minuten gebe ich Euch Bedenkzeit«, sagte die Dame ziemlich entrüstet. »Beharrt Ihr aber nach Verlauf derselben bei Eurem gefassten Entschluss, so zittert vor der Rache eines verschmähten Weibes!«

Sie verließ nach diesen Worten eilig das Zimmer und ließ mir Zeit, über meine missliche Lage nachzudenken. Noch sann ich hin und her, wie ich mich aus dieser Verlegenheit ziehen könne, als sie schon wieder zurückkam und meine bestimmte Erklärung zu hören verlangte.

Ich beharrte bei meinem ersten Vorsatz.

»Unbesonnener!«, schrie sie mit so lauter Stimme, dass der Saal davon widerhallte. »Hat dich das Beispiel des Jünglings, den du vor einer Stunde mit dem Tod vermählen sahst, nicht gewarnt? Willst du durchaus ein gleiches Schicksal mit ihm haben?«

»Wenn es das einzige Mittel ist, das mich von der Schande, treulos zu handeln, befreien kann – ja!«, versetzte ich mit der größten Entschlossenheit.

»Nun wohlan, so werdet das Opfer Eures Eigensinns!«

Sie zog heftig an einer Schnur. Augenblicklich traten vier riesenähnliche Männer herein, und mit ihnen der Rotmantel, der kurz zuvor im Saal bewiesen hatte, dass er seiner Kunst gewiss sei.

Mich überlief bei seinem Anblick ein eiskalter Schauer. Doch raffte ich alle meine Standhaftigkeit zusammen und sah den Zubereitungen zu meinem Tod ganz gelassen zu.

Noch einmal bot sie nun ihre ganze Überredungskunst auf, mich auf andere Gedanken zu bringen. Aber vergeblich! Die Zubereitungen zu meinem Tod nahmen daher ihren Fortgang. Ich musste niederknien, der Rotmantel schwang das Schwert, um den schrecklichen Streich, der mein Dasein vernichten sollte, zu tun … als … ein heftiges Rütteln mich aufschreckte und das ganze Abenteuer verschwunden war!

Ich blickte auf. Es war schon heller Tag, und die Strahlen der gerade aufgehenden Sonne schimmerten durch die Gipfel der Bäume. Dicke Schweißtropfen standen auf meiner Stirn, und ein unwillkürliches Zittern hatte sich all meiner Glieder bemächtigt.

Vor mir stand ein Mann in grünen Kleidern, der, wie ich nachher erfuhr, der Förster dieses Waldes war, und mich mit einem mitleidigen Lächeln ansah.

»Ei, ei, lieber Herr!, sprach er in einem gutmütigen Ton. »Ihr habt Euch gewiss verirrt. Diese Gegend ist nicht geheuer, und der Baum, unter dem Ihr liegt, der verrufene Zauberbaum, den alle Bewohner dieser Gegend sorgfältig meiden. Ihn beherrscht ein Kobold, der diejenigen, welche sich in seine Nähe wagen, einzuschläfern weiß und sie dann mit furchtbaren Unbilden foltert. Steht auf, kommt mit mir in meine Hütte und erholt Euch dort. Ich werde Euch dann auf den rechten Weg bringen.«

Ich nahm des biederen Försters Anerbieten mit Dank an, schwang mich auf mein Pferd und folgte ihm. Unterwegs erzählte er mir noch manche Szene von diesem wundervollen Baum, der hier zum Volksmärchen diente, wobei ich im Stillen seine Unwissenheit belächelte. Denn die Ursache meines gehabten lebhaften Traumes schrieb ich keineswegs dem Zauberbaum, wohl aber den mancherlei abenteuerlichen Betrachtungen zu, mit denen ich mich vor meinem Einschlummern beschäftigt hatte, und die meine geschädigte Seele, mit seltsamen Bildern verziert, mir vorgezaubert hatte.

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