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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 14

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 14

Am nächsten Morgen zog Hohermut die Bilanz des Kampfes. Der Überfall war abgewehrt, der Feind zurückgeschlagen, Gefangene waren gemacht worden. Ihre Zahl war nicht groß. Sie betrug außer jenem Reiter siebenunddreißig Eingeborene, alle vom Stamm der Cuebas. Die eigenen Verluste waren schwer: drei Tote, sieben Verwundete. Es war jedoch zu befürchten, dass auch die Verwundeten noch sterben würden. Bei allen machte sich die Wirkung des furchtbaren Pfeilgifts der Indianer, des Curare, bemerkbar, das allmählich alle Glieder lähmt und langsam zum Tod führt, wobei der Todgeweihte bis zum letzten Atemzug bei vollem Bewusstsein bleibt. Pater Severinus hatte alle Hände voll zu tun, die Sterbenden für den letzten Weg vorzubereiten. Besonders schlimm aber war es, dass im Getümmel der Kampfnacht ein großer Teil der indianischen Träger – Xideharas zumal, die an der Todesschlucht gefangen worden waren – geflohen war. Die siebenunddreißig Gefangenen Cuebas konnten den Verlust bei Weitem nicht ausgleichen.

Unter den Verwundeten befand sich auch Fernando Piedrahita, jener Kastilianer, der Velasco auf seinem Ritt ins Gebirge begleitet hatte.

Hans Hauser sah mit Staunen auf Zischende Viper, den Xidehara. Warum war er nicht mit seinen Stammesgenossen geflohen? Warum hatte er ihn, seinen weißen Herrn, gewarnt und ihm das Leben gerettet? Musste er nicht wünschen, dass sie alle zugrunde gingen, die weißen Männer, die ihm den Vater erschlagen und ihn selbst zum Sklaven gemacht hatten? Er konnte es den Indianer nicht fragen, er wusste nicht, was »Treue« heißt in der Sprache der Aruak. Gab es dieses Wort überhaupt? Hatte der Xidehara so etwas wie eine Seele? Hans Hauser wusste es nicht. Er beschloss, Pater Severinus um seine Meinung zu fragen.

Man brachte Hohermut die Waffe, die man dem indianischen Reiter abgenommen hatte.

Der Führer, umgeben von den Hauptleuten der Truppe, wog das prachtvolle, reichverzierte Rapier in der Hand.

»Könnt Ihr mir das erklären, Don Francisco?«, wandte er sich an Velasco.

»Nein«, erwiderte Velasco, »oder vielmehr doch: Die Indianer werden den Leichnam des unglücklichen Cevallos beraubt haben.«

»Wie aber ist es mit dem Pferd?«, mischte sich Estéban Martin ein. »Der Cueba, der heute Nacht zu Ross seine Stammesgenossen anführte, hat Cevallos’ Pferd geritten. Man hat es eingefangen. Sagtet Ihr nicht, dass Cevallos mitsamt dem Pferd in die Schlucht gestürzt und Ross und Reiter zerschmettert worden seien?«

Velasco gab keine Antwort.

»Nur Ihr könnt dieses Rätsel lösen, Don Francisco«, sagte Hohermut ernst. »Habt Ihr mir nichts zu sagen?«

»Es ist, wie ich sagte«, antwortete Velasco. »Durch ein Wunder muss das Tier mit dem Leben davongekommen sein. Es wäre ja nicht das erste Wunder«, fügte er höhnisch lachend hinzu. »Gehen in diesem verrückten Land nicht sogar die Geister der Verstorbenen um?«

»Hier ist nichts Übernatürliches im Spiel, Hauptmann Velasco«, sagte Hohermut streng. »Wohl aber handelt es sich um etwas, wofür Ihr mir Rechenschaft schuldig seid. Don Francisco«, fuhr er mit erhobener Stimme fort, »wie war das mit dem Tod des Leutnants Cevallos?«

Der Spanier schwieg trotzig.

In diesem Augenblick trat Pater Severinus an den Gubernator heran und sprach leise mit ihm. Hohermut sah Velasco an.

»Fernando Piedrahita, der Reiter, der Euch auf Euerm Ritt ins Gebirge begleitete, wünscht mich zu sprechen.«

Der Spanier verfärbte sich. »Er lügt. Glaubt ihm nicht!«, schrie er.

Aller Augen richteten sich auf den leidenschaftlich Erregten. Hohermut maß ihn erstaunt. Dann befahl er, Piedrahita herzubringen. Der Verwundete lag auf einer aus Bambusstöcken roh zusammengezimmerten Bahre. Ein paar mitleidige Hände hatten ihm ein Graspolster unter den Kopf geschoben. Das Pfeilgift wirkte furchtbar. Piedrahita konnte kein Glied mehr rühren. Nur die Augen, die in dem eingefallenen, gelben, von einem schwarzen Bart umrahmten Gesicht seltsam glühten, verrieten, dass er noch lebte.

»Er lügt!«, schrie Velasco noch einmal. »Er hasst mich, er will mich verderben!«

»Ich lüge nicht«, sagte Piedrahita ruhig. »Wozu soll ich lügen? Ich habe nur noch kurze Zeit zu leben. Ehe der Abend kommt, bin ich tot. Man lügt nicht, wenn man vom Leben nichts mehr will.« Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Sie sagen, dass Ihr den Leutnant Cevallos getötet hättet, Don Francisco, dass Ihr ein Mörder wäret. Es ist nicht wahr, Ihr seid kein Mörder.«

Aufstöhnend sank Velasco auf einen Feldstuhl und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Erzählt!«, gebot Hohermut.

Der Spanier berichtete. Er sprach ruhig und klar, aber seine Stimme klang manchmal seltsam, wie aus weiter Ferne.

»Die Schar«, begann er, »die Euer Gnaden unter Kapitän Velasco aussandte, fiel in das Land der Cuebas ein. Sie sind wild und kriegerisch, die Cuebas. In der Nacht hörten wir den dumpfen Ruf ihrer Hörner, und auf den Bergen sahen wir die Feuer, die sie als Warnungszeichen angezündet hatten. Manchmal erblickten wir einen Indio, der unseren Marsch aus der Ferne beobachtete. Am achten Marschtag kamen wir an ein großes Pueblo. Wir fanden die Dorfeingänge durch starke Dornenverhaue gesperrt. Als sich einer unserer Reiter näherte, schossen die Indianer auf ihn. Don Francisco befahl, das Dorf zu stürmen. Wir zündeten es an vier Ecken an. Die Eingeborenen wehrten sich verzweifelt. Schließlich war nur noch ein Haufen Indios übrig – Männer, Frauen und Kinder -, der sich in einer großen Hütte in der Mitte des Dorfes verschanzt hatte. Don Francisco befahl, die Hütte anzuzünden. Alle kamen um. Wem es gelang, die Flammen zu durchbrechen, der wurde erschlagen.«

Der Erzähler schöpfte einen Augenblick Atem.

»Es ist Kriegsbrauch so«, sagte Velasco.

»Gott sei den armen Seelen gnädig!«, sprach Pater Severinus leise vor sich hin.

»In einer unversehrt gebliebenen Hütte«, fuhr Piedrahita fort, »fanden wir reiche Vorräte an Mais und Salz. Unser Hauptmann gönnte uns nur das Notwendigste. Alle anderen Vorräte befahl er ins Lager zu bringen. Aber Kapitän Velasco fand noch mehr: im Brandschutt einer Hütte Schmuckstücke, seltsame kleine Tiere, Eidechsen, Vögel, Schlangen aus purem Gold getrieben.«

Velasco fühlte, wie alle ihn ansahen. »Ich habe sie in meiner Satteltasche«, sagte er höhnisch. »Ihr könnt sie haben, wenn ihr sie wollt. Ich schenke sie euch.«

Hohermut gab dem Erzähler einen Wink, fortzufahren.

»Ich überraschte Kapitän Velasco dabei, wie er seinen Fund vor sich ausbreitete und gierig betrachtete. Er bedrohte mich mit dem Tod, wenn ich irgendjemand etwas von dem Fund verriete. Nur einen weihte er in sein Geheimnis ein: Cevallos.« Wieder hielt der Erzähler inne, als überlege er. »Der Anblick des Goldes«, fuhr er dann fort, »ich glaube, er hat meinen Hauptmann um den Verstand gebracht. Er ging umher wie ein Schlafwandler, und in der Nacht hörte ich ihn im Traum stöhnen.«

»Auri sacra fames«, murmelte Fabricius.

»Unter den wenigen Überlebenden war eine junge Indianerin. Don Francisco hatte sich in den Kopf gesetzt, dass sie um die Herkunft des Goldes wisse. Er quälte sie. Wir verstanden sie nicht. Sie wies nur immer nach Westen, wo das Gebirge in die Wolken ragt. Eines Abends weihte Don Francisco Cevallos und mich in seine Pläne ein. Wir – nur wir drei – sollten in das Gebirge vordringen mit der jungen Indianerin als Führerin und den Pass, den Weg ins Dorado, suchen. Cevallos riet ab. Eine solche Unternehmung, meinte er, müsse sorgfältiger vorbereitet werden. Doch als Velasco ihn verspottete und ängstlich schalt, schwor er sich, ihm zu folgen, nicht um des Goldes, sondern um des Abenteuers willen. So sagte er.

Velasco übergab das Kommando dem Leutnant de Medina und befahl ihm, mit der Beute ins Lager zurückzukehren. Wir – Velasco, Cevallos und ich – brachen in der Morgenfrühe auf.

Velasco hatte der Indianerin die Hände auf den Rücken gefesselt und das Ende des Stricks an seinen Steigbügel gebunden. Die junge Frau, von Velascos Peitsche bedroht, schlug die Richtung nach Westen ein.

Der Weg führte in einem Flusstal aufwärts. Immer enger wurde die Schlucht. Bald war kein Pfad mehr neben den stürzenden Wassern. Wir ritten im Bett des Flusses, oft genug in Gefahr, von den reißenden Fluten fortgeschwemmt zu werden. Wo das Wasser zu tief war, da nahm Velasco die Indianerin vor sich auf den Sattel. Das machte ihr Freude. Sie lachte laut.

Fünf Tage klommen unsere Pferde aufwärts. Tief unter uns lagen die Llanos. Es wurde kalt, wir froren, das Atmen wurde uns schwer.

Eines Morgens war die Indianerin verschwunden. Sie hatte wie eine Ratte den Strick durchnagt, mit dem Velasco sie an einen Baum gefesselt hatte. Cevallos riet zur Umkehr, aber Velasco wollte nichts davon hören. ›Wer weiß, ob wir nicht am Ziel sind, heute oder morgen!‹, meinte er.

Am nächsten Tag gegen Mittag konnten wir mit den Pferden nicht mehr weiter. Wir waren in einem Kessel, wo zerklüftete Felswände überall fast senkrecht aufragten. Wieder sprach Cevallos von Umkehr, aber Velasco wies in die Höhe. ›Vielleicht liegt dort oben das Dorado.^‹

Velasco und Cevallos machten sich daran, die Wand zu erklettern. Ich musste bei den Pferden zurückbleiben. Sie würden mich später holen, vertrösteten sie mich, sobald sie einen Pfad gefunden hätten.

Ich konnte Cevallos’ und Velascos Aufstieg in der kühlen, klaren Luft gut verfolgen. Ich sah, wie sie von Fels zu Fels, von Klippe zu Klippe höher klommen. Gegen Abend mochten sie die Hälfte der Wand überwunden haben. Velasco kletterte voraus, Cevallos folgte.

Da sah ich, wie Cevallos strauchelte und stürzte. Velasco kehrte sich nach ihm um und kletterte zurück. Er beugte sich über den Gestürzten und versuchte, ihn aufzurichten. Es gelang ihm nicht. Da lud er sich den Verwundeten auf den Rücken und wandte sich zum Abstieg. Er schwankte unter der Last. Hoch oben klebte er am Felsen, unter sich den gähnenden Abgrund.«

Der Erzähler schöpfte einen Augenblick Atem. Die Zuhörer schwiegen erschüttert. Velasco hatte den Kopf in die Hände vergraben.

Dann fuhr Piedrahita fort: »Am nächsten Morgen kam zu Tode erschöpft Velasco mit seiner Bürde bei den Pferden an. Es war ein Wunder, dass er in der Dunkelheit nicht abgestürzt war. Cevallos stöhnte leise. Er hatte einen Fuß gebrochen und eine Rippe. Er konnte weder gehen noch reiten. Wir banden ihn aufs Pferd. Er wurde ohnmächtig vor Schmerz. Da machten wir aus den Zweigen einer Krüppelkiefer eine Bahre und trugen ihn. Unendlich langsam kamen wir vorwärts, denn wir mussten doch auch die Pferde führen. An schwindelnden Abgründen führte der Weg vorbei. Wir taumelten, zu Tode erschöpft, aber Gott wollte nicht, dass wir stürzten und Erlösung von unerträglicher Qual fanden. Der Mundvorrat, den wir mitgenommen hatten, war längst aufgezehrt, und wir fanden in der steinigen Öde keine Beere, keine Frucht, keine Wurzel, um unseren Hunger zu stillen. Ich nahm, um die wütende Gier zu dämpfen, einen Riemen in den Mund. Ich zerriss ihn mit den Zähnen und schlang die Stücke hinunter. Wir wussten, dass wir alle drei verloren waren, wenn nicht …«

Der Erzähler stöhnte auf. Pater Severinus beugte sich über ihn.

»Nein, nein, ehrwürdiger Vater«, flüsterte ihm Piedrahita zu, »ich sterbe noch nicht. Erst wenn ich meine Schuld gebeichtet habe, will ich sterben. Dann mag Gott meiner armen Seele gnädig sein.«

»Wir wussten«, fuhr Piedrahita lauter fort – es war, als stieße er die Worte mit letzter Willenskraft hervor – »dass wir alle drei verloren waren, wenn wir, Velasco und ich, nicht Cevallos zurückließen. Cevallos sprach es zuerst aus. ›Lasst mich liegen und rettet euch‹, sagte er. ›Nein, nein‹, schrien wir, ›wir verlassen dich nicht!‹ Wir schleppten den Todwunden mit Aufbietung unserer letzten Kräfte. Am Abend warf ich mich auf die Knie und betete inbrünstig: ›Herr, Herr, lass mich nicht wünschen, dass er stirb!‹ Am nächsten Morgen weckte mich Velasco aus dem tiefen Schlaf der Erschöpfung. ›Komm‹, sagte er, ›er schläft!‹ Ich wusste sofort, was er wollte. Er hatte Cevallos’ Pferd neben den Schlafenden an einen Baum gebunden. Wir mochten uns nicht mit dem Tier belasten. Vielleicht auch, dass es Cevallos eine letzte Möglichkeit bot, sich zu retten. Wir stellten noch ein Gefäß mit Wasser neben den Schlafenden, dann warfen wir uns auf die Pferde. Wir ritten, als säße uns der Gottseibeiuns im Nacken. Das Fünffache der Wegstrecke der vergangenen Tage legten wir in der gleichen Zeit zurück. Schon nach drei Tagen waren wir in der Ebene. Ich schoss einen Spießhirsch. Als wir das Blut tranken und das Fleisch hinunterschlangen, dachten wir an Cevallos, der hoch oben im Gebirge verlassen und hilflos in der Einöde lag. Zurückreiten? Nein, nein! Ein Grausen packte uns bei dem Gedanken. Nur fort, fort von hier! Wir stießen auf versprengte Cuebas und flohen vor ihnen. Wir dachten nur noch an unsere Rettung. Am fünfzehnten Tag, nachdem wir Cevallos verlassen hatten, sahen wir das Lager vor uns. Wir verabredeten, was wir über Cevallos’ Schicksal erzählen wollten …«