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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Smythje von seinen Stiefeln gequält

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 7

Smythje von seinen Stiefeln gequält

So plötzlich der Sturz war und so dunkel der Abgrund, in den dieser geraten, der Jäger wurde keineswegs dadurch getötet, nicht einmal stark verletzt, denn das verfaulte Holz, durch welches er gefallen, war freilich nicht mehr fest genug, um ihn zu tragen, hatte aber der Heftigkeit seines Sturzes doch hinlänglichen Widerstand geleistet, sodass er auf den Grund nur langsam und nach und nach gelangte.

Aber obwohl durch den Fall weder getötet noch wirklich ernsthaft verletzt, war er doch einige Zeit seiner Sinne so vollständig beraubt, als wäre dies wirklich der Fall gewesen. Der schreckliche Sturz hatte ihm nicht nur die Sprache, sondern auch die Besinnung geraubt, und einige Augenblicke hindurch war er deshalb ganz mäuschenstill, gerade wie ein Schachtelmännchen, das wieder in seine Schachtel eingesperrt war.

Doch bald fühlte er, dass er, obgleich böse erschreckt, doch nicht arg verletzt sei. Sein Bewusstsein kehrte wieder und er machte mit seinen Beinen eine kräftige Bewegung, um in die Höhe zu kommen, denn bei dem Sturz hatte er wider seinen Willen einen schneiderartigen Sitz eingenommen.

Nach verschiedenen Anstrengungen stand er auch wieder einigermaßen auf den Füßen. Und da er bemerkte, dass von oben Licht kam, so wandte er seine Augen dorthin.

Wohl bedurfte er einiger Zeit, um die Eigentümlichkeit des Ortes, an dem er sich befand, wirklich zu begreifen, denn eine dichte Wolke schwamm um ihn herum, die ihn nicht nur am Sehen hinderte, sondern ihm auch in Mund und Nase drang und ihn so zu starkem Niesen zwang.

Nach und nach jedoch verzog sich der Staub und der unglückliche Smythje war imstande, seine Lage zu übersehen.

Über seinem Kopf befand sich ein lichter runder Fleck, den er als den Himmel erkannte, und rund um ihn herum eine dunkelbraune Wand, die sich mehrere Fuß über dem Bereich seiner ausgestreckten Arme erhob. Nun sah er ein, dass er sich in der Höhlung eines großen aufrechten Zylinders aus altem verfaulten Holz befand.

Als seine Sinne sich stärkten und auch die Luft um ihn klarer und reiner wurde, fing er an, den Unfall, der ihn getroffen hatte, besser zu begreifen. Zuerst sah er ihn gar nicht als ein so großes Missgeschick an und war fast in der Stimmung, darüber wie über ein spaßhaftes Abenteuer zu lachen. Erst als er weiter nachdachte, wie er herausklettern wolle und bereits einen wirklichen Versuch dazu gemacht hatte, gewahrte er die bisher gar nicht in Erwägung gezogene Schwierigkeit und fühlte sich sehr dadurch beunruhigt.

Ein zweiter Versuch, aus dem merkwürdigen Gefängnis herauszukommen, war ohne Erfolg wie der erste, ebenso ein dritter. Ein vierter Versuch hatte keinen besseren Ausgang, ein fünfter schlug ebenfalls fehl und nach dem sechsten sank er halb verzweifelt auf den verfaulten Moder zurück.

Wohl hätte er hier passend ausrufen können: »Facilis descensus Averni, sed revocare gradum.« Leicht ist’s, den Avernus hinab zu steigen, aber schwer einen Schritt zurück zu tun.

Virgil

 

***

 

Herr Smythje wurde nun von unbeschreiblicher Furcht ergriffen, die ihn einige Zeit hindurch auch vollständig überwältigte und all sein Denken behinderte.

Als er aber wieder zu einigem Nachdenken gelangte, machte dieses die fürchterliche Wirklichkeit seiner Lage nur um so gewisser, denn je mehr er überlegte, desto mehr wurde er von der wirklich vorhandenen Gefahr überzeugt, in die ihn sein rascher, unüberlegter Sprung gestürzt hatte.

Es war deshalb keineswegs nur ein leichtes Missgeschick, ein spaßhaftes Abenteuer, sondern geradezu ein Unglück, eine Gefahr, eine entschiedene Gefahr für sein Leben.

Ja, sein Leben war unbedingt in Gefahr, und gar rasch erkannte er dies selbst. Die ganze Gefahr wurde seinem Geist jetzt auf einmal vollständig klar, denn wenn er sich selbst aus dem Gefängnis, in das ihn sein unglücklicher Sprung einsperrte, nicht heraushelfen konnte, wer sollte es dann tun?

Auf Quashie konnte er schwerlich große Hoffnung setzen. Der schwarze Bube war eine ziemliche Entfernung zurückgelassen worden, und da er auf sein Rufen nicht geantwortet hatte, so musste er schlafen oder fortgegangen sein und irgendwo umherschweifen. Jedenfalls, durch welches ungefähr sollte Quashie ihn finden?

Vermochte der Bube seinen Spuren bis zum Baum hin zu folgen? Das war höchst unwahrscheinlich, denn Smythje erinnerte sich, dass der Weg, den er hierher gemacht hatte, meist mit wildem Guineagras bedeckt gewesen war, worauf weder seine Füße noch seine Knie eine Spur zurückgelassen haben konnten. Wenn Quashie aber seine Spuren nicht entdecken konnte, wie sollte er ihn auffinden? Und wer sollte ihn überhaupt nur auffinden, ach, wer sonst nur? Wer konnte hier wahrscheinlicher Weise des Weges kommen?

O, niemand, niemand! Der Baum, der ihn umschloss, stand in der Mitte einer Wildnis, rundherum einsamer Forst, keine Wege, keine Pfade! Er konnte da einen Monat verweilen, ohne dass sich ein menschliches Wesen dem Platz näherte. Und eine Woche würde ja mehr als genug sein, um ihn zu töten! Ja, in einer Woche oder in noch kürzerer Zeit musste er notwendig hier verhungern! Die Aussicht war schrecklich!

Und sie erfüllte ihn auch in der Tat mit solchem Schrecken, dass sein Mut gänzlich sank und er in die äußerste Betäubung des Verzagens und der Verzweiflung verfiel.

Es ist nicht natürlich, dass jemand sich der äußersten Verzweiflung sofort überlässt, ohne eine letzte Anstrengung gemacht zu haben. Der selbst den niedrigen Tieren innewohnende Trieb der Selbsterhaltung beseelt auch den schwächsten menschlichen Geist. Der unseres Montagu Smythje war nun freilich keiner der stärksten und war auch bereits gleich dem ersten Angriff unterlegen. Doch nach einiger Zeit trat eine Gegenwirkung ein und spornte ihn zu erneuter Anstrengung für sein Leben an.

Noch einmal versuchte er, die steile, ihn umringende Wand zu erklettern, doch abermals missglückte dieser Versuch wie zuvor.

Bei diesem letzten Versuch hatte er bemerkt, dass seine Anstrengungen hauptsächlich durch drei verschiedene Hindernisse zunichte gemacht worden, nämlich durch die enganliegenden, von Schweiß feuchten rehledernen Beinkleider, durch die Stiefel und ganz besonders durch die, die Beinkleider wie die Stiefeln festhaltenden Sprungriemen oder Stege.

Sich von diesen Hindernissen zu befreien, war nun sein nächster Gedanke, und dies schien auch nicht so schwer zu erreichen zu sein, allein beim wirklichen Versuch stellte es sich als höchst schwierig heraus.

In dem engen Raum, worin er stand, konnte er keine gebückte Stellung einnehmen, um imstande zu sein, die Stege zu fassen und abzuknöpfen, denn solange diese geknöpft verblieben, war es unmöglich, die Stiefel auszuziehen. Freilich konnte er sich wohl im Schneidersitz niederkauern, wie er es schon früher getan hatte, aber in dieser Stellung wurden die Stege so straff angezogen, dass sie durchaus nicht abzuknöpfen waren. Die zarten Finger des Stutzers wenigstens waren hierzu vollkommen unfähig.

Allein Not macht erfinderisch. Dieses Sprichwort bewährte sich auch in Smythjes Fall, denn nun fiel es ihm ein, die Tragbänder anstatt der Stege loszumachen und sich auf diese Weise gänzlich von seinen Unterkleidern zu befreien.

Zu diesem Zweck erhob er sich wieder auf die Füße. Doch während dem fiel ihm noch etwas Besseres ein, nämlich seine rehledernen Unaussprechlichen gerade über den Knien abzuschneiden und so alle Hindernisse auf einmal zu beseitigen.

Sein Jagdmesser hatte er bei der Branntweinflasche auf dem Frühstücksplatz zurückgelassen, aber das Federmesser, das er glücklicherweise in der Westentasche trug, war hierzu viel geeigneter. Deshalb zog er es heraus, öffnete es und begann damit, seinen letzten Gedanken ins Werk zu setzen.

Ein Querschnitt in dem Rehleder gerade über den Knien war leicht gemacht, und dann wurden mit abwechselnder Unterstützung der Zehen und der Hacken die Stiefel, die Beinkleider, die Stege mit allem, was daran war, zu gleicher Zeit entfernt und Smythje stand nun auf Strümpfen.

Lange blieb er jetzt nicht untätig, die Gefahr zwang ihn zur äußeren Anstrengung, und noch einmal versuchte er, die Wände seines Baumgefängnisses zu erklettern.

Weh! Nach allen heißen Bemühungen, nach manchem oft wiederholten, aber stets erfolglosen Klettern wurde er zu der erschreckenden Überzeugung genötigt, dass seine Rettung durch ihn selbst unmöglich sei.

Freilich konnte er bis zu vier Fuß von der Mündung der Baumhöhle entfernt die Wand hinaufgelangen, aber hier war die Oberfläche, die lange der Luft und dem Wetter ausgesetzt gewesen schien, so glatt und außerdem noch vom letzten Regen so feucht und schlüpfrig, dass er sich durchaus nicht daran festzuhalten vermochte, denn jedes Mal, wenn er das verfaulte Holz fassen wollte, verlor er das Gleichgewicht und fiel auf den Grund zurück.

Diese wiederholten Fälle betäubten und verwirrten ihn, denn sie geschahen aus nicht unbeträchtlicher Höhe, zehn oder zwölf Fuß. Wäre der weiche Moder nicht unten gewesen und hätte die Erschütterung des Falles gemildert, ganz sicher hätte ein einziger solcher Sturz vollkommen genügt, ihn für immer zum Krüppel zu machen.

Abermals sank nun sein Mut, abermals überließ er sich der grimmigen Verzweiflung.