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Im fernen Westen – Der junge Auswanderer 8

Der junge Auswanderer
Kapitel 8

Der Reiter, welchen Texas Dick vorhin hatte über die Hügelwelle reiten sehen, war in der Tat Alfred Richter gewesen. Er war seither ohne Schwierigkeiten im schlanken Trab geritten, um sein Pferd nicht sehr zu ermüden, denn er hatte noch einen weiten Weg vor sich. Als er aber in die Nähe der tief zerklüfteten Barranca kam und bemerkte, dass die Dämmerung bereits herabsank, so setzte er sein Pferd in Galopp, um die Schlucht noch vor Einbruch der Nacht zu passieren, weil diese voll mit Geröll lag. Aus diesem Grund hatte er den Anruf Dicks nicht mehr gehört. Als er in die Schlucht einritt, wurde die Dämmerung dichter wegen der Enge des Passes und der Höhe der Felsenwände zu beiden Seiten. Er musste daher seine ganze Aufmerksamkeit auf den schwierigen Pfad richten, über welchen er zu reiten hatte, und konnte sich nicht umsehen. Er mochte ungefähr die Hälfte der Schlucht durchritten haben, als es plötzlich vor ihm aufblitzte und ein lauter Knall folgte. Zugleich fühlte er gleichsam einen Schlag vor der Brust und am linken Arm und erkannte, dass er getroffen war. Im Nu zog er seinen Revolver, aber im selben Augenblick fielen noch zwei weitere Schüsse, die ihn blendeten. Alsbald bäumte sich sein Pferd auf und stürzte, durch den Kopf getroffen, mit ihm zusammen.

Ein Glück, dass er nicht ganz unter dasselbe zu liegen kam, sondern nur mit einem Bein festgeklemmt war. Kaum waren Ross und Reiter gefallen, so tauchten drei dunkle Köpfe hinter den Felsblöcken auf und sahen sich nach der Wirkung ihrer Schüsse um.

»Bueno, meine Jungen!«, rief einer von den drei Schützen, ein weißer Mann – Señor Tony, wie unsere Leser bereits erraten haben werden. »Er ist gestürzt, aber ich bezweifle, dass er tot ist. Macht ihn vollends nieder und die fünfzig Dollar und ein Fass Branntwein sind euer!«

Die Indianer grunzten beifällig, sprangen auf und traten hinter den Felsblöcken hervor, welche sie seither verdeckt hatten. Aber Pedro, welcher schon sein Messer gezückt hatte, stieß es wieder in die Scheide zurück und zögerte.

»Gelbhaar hat einen Revolver, schätze ich«, sagte er. »Er wird auf uns schießen.«

»Dummheit! Rück ihm zu Leibe und schlag’ ihm den Schädel ein!«, rief Tony ungeduldig. »Beeilt euch, verliert keine Zeit, ehe er sich wieder erholt und uns Ungelegenheit macht!«

»Schießt noch einmal hin!«, versetzte Pedro zögernd.

»Geh du, Miguel! Schnell!«

»Geh du, Señor! Du auch Revolver im Gürtel!«, sagte Miguel.

»Halt! Hört ihr nichts? Hufschlag! Pferde!«, sagte Pedro. »Pferde kommen!« Er hielte seine beiden Begleiter zurück.

Tony horchte und hörte den Hufschlag eines Pferdes. Der laute Schall desselben sagte ihm, dass der Reiter schon in der Schlucht sein müsse.

»Es ist nur ein Einziger«, flüsterte Tony. »Ladet schnell und schießt, sobald er aus dem Schatten herauskommt.«

Allein die Indianer schienen dazu keine Lust zu haben. Sie glaubten sich dazu entweder nicht verpflichtet oder wollten kein neues Wagnis eingehen. Sie duckten sich also wieder hinter ihre Felsblöcke und horchten auf den Hufschlag des rasch herannahenden Pferdes. In diesem Augenblick hörte Tony, wie Alfred sich seufzend aufrichtete und laut um Hilfe rief.

»Beeilt euch, schießt ihn nieder«, raunte er den Apachen zu. »Hier ist mein Gewehr. Schießt oder in einer Minute ist er wieder auf den Beinen und kampfbereit.«

»Schießt Ihr!«, sagte Miguel und versuchte zu den Pferchen zu flüchten.

Mit einer wilden Verwünschung riss Tony das Gewehr herauf und schoss. Aber er mochte schlecht genug gezielt haben, denn die Kugel pfiff über Alfred hinweg und schlug sich an einem Felsblock platt. In diesem Augenblick kam der Reiter ganz nahe heran und rief laut und ängstlich: »Alfred! Alfred!«

»Zum Donner, was seh’ ich? Eine Frau? Es ist Emmy!«, murmelte Tony. »Schießt nicht! Tut ihr nichts zuleide! Nehmt ihr nur das Pferd, sodass sie nicht zurückreiten kann! Die verliebte Törin! Hierher zu kommen!«

Allein die beiden Apachen rührten sich nicht und lauerten nur. Emmy war mittlerweile soweit herangeritten, dass sie trotz der Dämmerung das tote Pferd und den Reiter am Boden liegen sah. Mit einem unterdrückten Schrei hielt sie ihr Pferd an, glitt aus dem Sattel und näherte sich Alfred. Der Anblick einer Frau gab den Apachen Mut. Eine weiße Frau zu erbeuten, ist ja die höchste Gier des wilden Indianers, und mit ihrem wilden Kriegsgeschrei eilten sie auf sie zu. Allein Emmy erkannte nicht sobald ihre Absicht, als sie aufsprang und sie mit ihrem Revolver bedrohte. Die Indianer prallten zurück, und dieser Aufenthalt war für sie verhängnisvoll, denn in diesem Augenblick wurde ihr Kriegsgeschrei von einer anderen Seite her beantwortet. Drei Schüsse knallten, die Apachen flohen, und in der nächsten Minute hörte man sie die Schlucht hinauf davonsprengen.

Bevor Emmy noch Zeit gehabt hatte, die gefährliche Lage einzusehen, in welcher sie sich befand, sprangen drei dunkle Männergestalten auf sie zu.

Eine Männerstimme rief in tiefen Kehllauten: »Nicht schießen, Señorita Emmy, ich bin Cuervo!«

Ja, es waren der Ute und seine Söhne, welche in diesem kritischen Augenblick zur Stelle kamen.

»Dem Himmel sei Dank!«, stammelte Emmy. »Kommt, Cuervo! Helft mir! Señor Alfred stirbt!«

»Nicht doch, ich bin nur verwundet, liebe Miss«, erwiderte Alfred schwach. »Helft mir unter dem Pferd hervor, guter Cuervo!«

Die drei Ute hatten ihn schnell unter dem toten Pferd hervorgezogen, und Alfred konnte sie nun versichern, dass er nicht bedeutend verwundet sei, aber anscheinend den Fuß gebrochen habe. Sie setzten ihn nun auf einen Felsblock und versuchten ihm die Wunden zu verbinden. Er hatte eine Wunde am Arm, eine an der Schulter, eine an der Brust von einem Schuss, der offenbar mit gehacktem Blei geladen war. Emmy hatte ihn zärtlich umschlungen und hielt ihn aufrecht, und er küsste ihr stumm, aber in tiefer Bewegung die Hand. Jetzt hörte man Hufschlag und lautes Geschrei die Schlucht heraufkommen, und einige Minuten später ritten Gosport und Texas Dick mit ihren Leuten heran. Die Männer stiegen ab, sammelten dürres Gras und Unkraut und zündeten ein Feuer an, und Emmy lag in den Armen ihres Vaters. Der Mut und die Besonnenheit, welche sie in dieser Aufregung so lange aufrechterhalten hatten, schienen sie plötzlich zu verlassen, denn sie hing sich an den Hals ihres Vaters und schluchzte laut und krampfhaft.

Es war jedoch keine Zeit, der Empfindsamkeit Raum zu geben, denn Dick richtete einige Fragen an Alfred und sagte dann: »Na, jetzt wissen wir wenigstens, wer die Schurken waren und wie viele ihrer. Ich schätze, es nützt nichts mehr, sie zu verfolgen, denn wir könnten sonst nur in einen anderen Hinterhalt fallen. Ich schätze, wir kehren um! Nehmt dem toten Pferd Sattel und Zaumzeug ab und setzt Squire Alfred auf meinen Braunen. Ich will mir nur noch den Ort genauer ansehen!« Dann machte er sich mit Cuervo und seinen Söhnen daran, die ganze Umgebung abzusuchen, wobei sie sich mit Fackeln von harzigen, dürren Sträuchern leuchteten.

»Hallo, was ist das?«, rief er dann plötzlich, als er hinter einem der Felsblöcke eine schöne Hinterlader-Doppelflinte aufhob, welche Tony bei seiner Flucht entfallen war. »Ah, dich kenn’ ich ja und weiß nun gewiss, was mir immer geschwant hat! Ich weiß nun, wer der Mörder ist! … Sieh Cuervo! Die Läufe sind noch verrußt, und da stecken noch die frisch abgeschlossenen Patronen! Warte, mein sauberes Bürschchen! Das bringt dich an den Galgen, wenn wir dich kriegen!« Und er hing sich mit einer wilden Verwünschung die Flinte auf die Schulter und stieg hinter einem seiner Gefährten aufs Pferd. Cuervo und seine Söhne taten desgleichen und die ganze Gesellschaft verließ so rasch wie möglich die Schlucht.

Alles dies hatte sich in einer weit kürzeren Zeit zugetragen, als wir zur Erzählung dieser Ereignisse brauchten, und erst als man schon ein gutes Stück des Heimweges zurückgelegt hatte, begann Cuervo zu erzählen, auf welche Weise er so geschickt zum Entsatz gekommen war. Um seine nach indianischer Art weitschweifige Darstellung nicht wörtlich wiederzugeben, sagen wir in Kürze: Seit er von Texas Dick herbeibeschieden worden war, um die beiden herumlungernden Apachen zu beobachten, war er zu dem Schluss gekommen, dass sie von Tony gedungen seien, Alfred umzubringen oder zu verschleppen. Er und seine Söhne hatten sich daher darin geteilt, einerseits über Alfreds Sicherheit zu wachen, anderseits die Apachen und Tony nicht aus dem Auge zu lassen. Die Apachen betranken sich häufig in einer einsamen Schenke in der Prärie, welche ein mexikanischer Farbiger hielt, und schwatzten dann ihre Geheimnisse aus, welche dem Ute-Häuptling hinterbracht wurden. So hatte er den jüngst beabsichtigten nächtlichen Überfall, den er mit seinen Söhnen vereitelt hatte, erfahren. So auch den neuesten Anschlag, vor dem er Alfred durch Baldomero hatte warnen lassen wollen. Sobald er erfahren hatte, dass Baldomero den jungen Deutschen nicht getroffen hatte, war er mit seinen Söhnen zur Barranca de los Conejos geeilt, um den Hinterhalt, welchen Tony und seine Spießgesellen gelegt hatten, zu entdecken und zu vereiteln, hatten denselben aber an einer anderen Stelle gesucht und sich deshalb verspätet. Erst als Miss Emmy an ihnen vorübergeritten war, um zu dem Ort zu eilen, wo die Schüsse gefallen waren, kamen sie, da sie zu Fuß waren, noch rechtzeitig zur Stelle und konnten schließlich nichts anderes mehr tun, als auf die Apachen zu schießen. Dass sie diese leider verfehlt zu haben schienen, daran waren ihr rasches Laufen und die rasch einbrechende Dämmerung schuld gewesen. Aber sie verschworen sich nun hoch und teuer, dass sie die drei Schurken dennoch ausfindig machen und entweder niederschießen oder den Behörden überliefern würden, um sie hängen zu lassen. Etwa auf halbem Heimweg begegnete der Zug dem Squire Holz, welcher mit einigen seiner Leute eiligst herangeritten kam. Dieser war sehr empört über das, was er hörte, und konnte seinem Nachbarn und dessen Leuten nicht genug für die rasche Hilfe danken, welche sie seinem Neffen geleistet hatten, – ein Dank, welchen Mister Gosport als etwas auf der Grenze Selbstverständliches ablehnte.

»Meiner Treu, ich werde es mich einen Teil meines Vermögens kosten lassen, um dieses Gesindel von Indianern und niederträchtigen Weißen aus der Nachbarschaft zu vertreiben«, sagte er voll tiefer Entrüstung. »Ich schwöre …«

»Nein, schwört nicht, Boss«, fiel ihm Texas Dick ins Wort. »Ihr könntet es sonst wohl bereuen.«

»Ich? Warum denn?«, fragte der Farmer.

»Man sagt, man kenne den schuftigen Weißen, der sich mit den Apachen herumtreibt, – ja, ich schätze, man kennt ihn nun genau«, versetzte Dick.

»Sei er, wer er wolle«, sagte Mister Holz mit grimmigem Ernst, »ich schwöre, dass, wenn dieser Schurke morgen noch im Coloradogebiet ist, er sich gut verstecken muss, denn ich werde ihn hetzen, als ob er eine Wildkatze wäre! Nun, und wer ist denn der Schuft, der auf meinen Neffen geschossen hat? Heraus mit der Sprache, Dick!«

»Na, wenn Ihr es denn durchaus wissen wollt, Boss«, erwiderte Dick gerade heraus. »Es ist kein anderer als Euer Neffe Anthony Dirks, den Ihr vor zwei Jahren fortgejagt habt. Ihr braucht Euch aber seinetwegen nicht zu verschwören, denn es sind eine Menge wackere Jungen hier, die ihn kaltblütig niederschießen werden wie ein Stinktier, sobald sie ihn zu Gesicht bekommen.«

Squire Holz fuhr buchstäblich zusammen, als er dies hörte. »Unmöglich!«, sagte er dann nach einer Pause wie im Selbstgespräch. »Nein, es ist nicht möglich. Allein, wenn er auch zehnmal mein Neffe wäre, so muss er doch baumeln, wenn ich ihn bekomme … Aber sagt mir, Dick, worauf stützt Ihr Eure Behauptung, dass der Mordbube unser Anthony Dirks gewesen sei?«

»Nichts leichter als dies«, entgegnete Texas Dick. »Hier hab’ ich dieselbe Flinte, mit welcher der Schurke auf Mister Alfred geschossen hat. Ich fand sie zufällig am Ort der Tat und erkannte sie sogleich als Master Tonys Gewehr, und Ihr werdet sie auch sogleich erkennen, wenn Ihr sie zu Hause seht. Außerdem haben ihn verschiedene Leute in den letzten Tagen sich heimlich in der Gegend herumtreiben und mit dem weißen und farbigen Gesindel, namentlich mit dem alten Kojote Greenwood verkehren sehen. Und da er schon vor zwei Jahren, bald, nachdem Mister Alfred angekommen war, mit denselben zwei schuftigen Apachen sich hier herumtrieb und auf neue, schlimme Streiche zu sinnen schien, so hat mir schon damals geschwant, dass er es darauf abgesehen haben könnte, Mister Fred auf die Seite zu schaffen und dann zu versuchten, ob er sich wieder bei Euch in Gunst setzen könnte, oder ob er, – na, ich will es lieber nicht aussprechen, aber einem solch ausbündigen Schurken wie Tony ist ja alles zuzutrauen.«

Mister Holz schwieg, im Grunde tief betrübt über die Verworfenheit seines Neffen Tony, den er jahrelang gehätschelt und in dem er sich nur eine Schlange am Busen ernährt hatte. Was ihm Dick mitgeteilt, war ja nur allzu glaublich nach allem, was er selber von Tony erlebt hatte. Als er zu Hause aus Dicks Händen das Doppelgewehr empfing, welches dieser am Ort des Überfalls gefunden hatte, musste dem Farmer jeder Zweifel schwinden, denn er erkannte das Gewehr sogleich als dasjenige, womit er selbst vier oder fünf Jahre vorher Tony beschenkt hatte. Nun verkehrte sich auch der letzte Rest von Mitleid, welchen Holz seither mit Anthony Dirks gehegt hatte, in den tiefsten Abscheu, und er erklärte entschieden, dass er keine Kosten und Mühe scheuen werde, um Tony und seine Spießgesellen dem Arm der Gerechtigkeit zu überliefern.

Alfred hatte dies alles mit angehört, aber es sich nicht recht erklären können. Als er nach Hause gebracht, ins Bett gelegt und mit einem Notverband versehen wurde, sah er Onkel Holz so erschüttert, dass er ihn nicht darüber fragen mochte, und bedurfte selbst auch zu sehr der Ruhe, denn der Blutverlust hatte ihn schwach gemacht. Er hoffte aber, mit Zeit und Weile schon von Texas Dick die nötige Aufklärung darüber zu bekommen. Squire Gosport war mit Emmy und seinem Sohn Robert nach Hause geritten, sobald sie den Verwundeten gut untergebracht sahen. Bill und Red Gosport und Antonio waren aber auf Holz’ Ranch zurückgeblieben und hatten mit Texas Dick und den anderen Weißen noch eine Beratung gepflogen, nach deren Beendigung sie alle wieder zu Pferde stiegen und nach Andrew Jackson City ritten. Etwas entfernt von den Häusern stiegen sie ab, banden ihre Pferde an eine Fenca (Zaun) und ließen sie unter der Aufsicht eines Mexikaners zurück, lösten sich dann in eine Plänklerkette auf und umzingelten die ganze »Stadt«, sodass alle Ausgänge besetzt und das Haus des Postmeisters auf allen Seiten umstellt war. Nun trat Texas Dick an die Hintertür desselben und pochte leise, bis Greenwood erwachte und erschrocken fragte, was es gebe.

»Macht auf, Mister Greenwood«, sagte Dick mit verstellter Stimme. »Ich bringe Euch eine Botschaft von Master Tony Dirks. Öffnet schnell, – es eilt!«

Greenwood erschrak noch mehr, denn sein Gewissen schlug ihm. Gleichwohl aber oder vielleicht eben deshalb fürchtete er falsches Spiel.

»Wer seid Ihr?«, fragte er und suchte seiner Stimme einen möglichst barschen Ton zu geben.

Dick nannte den Namen des farbigen Mexikaners in der Prärie, welcher die Branntweinschenke hielt, und das flößte Greenwood so viel Vertrauen ein, dass er die Tür halb öffnete, aber mit der schussfertigen Sattelpistole in der Hand. Im Nu jedoch war er von einer nervigen Faust an der Kehle gepackt, zu Boden gerissen und ihm die Pistole entwunden, und in der nächsten Minute füllte sich die Stube mit Bewaffneten.

Es wurde Licht angezündet, und Greenwood sah lauter bekannte Gesichter von den bewaffneten Ranches. Ehe er sich’s versah, war er an Händen und Füßen gebunden und sah ein halbes Dutzend jener furchtbaren Peitschen, welche man zum Eintreiben des Viehes benutzt, in den Händen derer, die um ihn standen.

»Wir sind die Regulators1, sagte Texas Dick. »Nun mach’ reine Brust und gestehe, was du von Tony Dirks Plänen weißt, sonst werden wir dich zunächst cowhide2

»Tony ist gefangen«, sagte einer der jungen Leute. »Gesteh’, was du weißt, ehe er gegen dich aussagt!«

Nun fiel dem feigen Schuft das Herz in die Schuhe und er sagte alles aus, was er nur wusste: wie er Tony damals, als Mister Holz ihn fortgejagt, Unterkunft gegeben, wie er die von Holz aufgegebenen Briefe vor dem Abschicken geöffnet und abgeschrieben, wie Tony sich dieselben durch einen deutschen Ansiedler habe übersetzen lassen und dadurch Kunde von Holz’ Absicht, einen deutschen Verwandten zu sich zu nehmen, erhalten, wie Tony sich damals in Denver und Kansas City herumgetrieben, bis die Antwort aus Deutschland gekommen sei, welche Greenwood wieder geöffnet und für Tony abgeschrieben habe. Greenwood erzählte dann, was er von Tony wusste: wie dieser dem deutschen Neffen entgegengereist sei, um ihn womöglich schon in New York beiseitezuschaffen oder auf einen Walfischfänger zu bringen, wie der Anschlag sowohl in New York als auch in Kansas City misslungen, wie Tony dann wieder nach Andrew Jackson City gekommen sei, um mittels der beiden indianischen Vagabunden Alfred aus der Welt zu schaffen, wie aber vor zwei Jahren der Aufschlag dadurch vereitelt worden sei, dass ein Farmer, welchem Tony im betrügerischen Spiel eine Summe Geldes abgenommen hatte, denselben erkannt und verfolgt hatte; wie dann, weil Farmer Berson nun weggezogen, Tony vor Kurzem wiedergekommen sei, um Alfred zu beseitigen, in der Hoffnung, dass er nach dessen Beseitigung vielleicht sich wieder die Verzeihung und Gunst von Christoph Holz erwerben könne; wie er aber im anderen Fall, wenn ihm dies nicht gelingen würde, bei dem alten Holz wieder liebes Kind zu werden, die Absicht gehabt habe, den alten Holz umbringen zu lassen, um dessen Hinterlassenschaft als Erbe in Anspruch zu nehmen und dergleichen mehr.

Diese Enthüllungen des elenden Greenwood empörten die Zuhörer so sehr, dass sie den Schurken am liebsten sogleich halb zu Tode gepeitscht hätten. Allein Texas Dick verhinderte dies.

»Dies alles muss er vor Squire Holz wiederholen, damit der Boss erfährt, was für ein sauberes Brüderlein der hochnäsige Tony ist«, sagte er. »Wisse, du Schuft von einem Postmeister, dass wir dich nun zu Squire Holz nehmen und dass du gegen Tony Dirks aussagen musst. Willst du das nicht, so werden wir dir den Ochsenziemer zu kosten geben, bis deine Alligatorseele in die Hölle fährt. Jetzt packt ihn auf ein Pferd, Jungs, und fort mit ihm zu Holz’ Ranch!«

Dies geschah, und am Morgen musste Greenwood vor Mister Holz seine ganze Aussage wiederholen. Der ehrliche Farmer schauderte, als er die ganze Verworfenheit seines undankbaren Pflegesohnes erfuhr, und er ließ Greenwood, nachdem er vorläufig tüchtig ausgepeitscht worden war, in das Countygefängnis abliefern, damit ihm später der Prozess gemacht werde, denn er wollte nicht, dass man Greenwood lynche, ehe Tony gefangen sei. Gleichzeitig ließ er dem Friedensrichter den Mordanschlag berichten und die Justiz gegen Anthony Dirks aufbieten. Mit dem frühesten Morgen ritten Texas Dick und eine Anzahl junger Leute auf die Verfolgung von Tony und den beiden Apachen aus, denn Gosport und andere Farmer hatten auf die Beibringung der Schurken eine Prämie von je hundert Dollar gesetzt. Von allen Ranches und Farmen auf mehrere Tagesreisen in der Umgebung schlossen sich bewaffnete Männer dem Haufen an, um die drei Landstreicher einzufangen oder niederzuschießen. Acht Tage durchstreifte man die Plains und die benachbarten Vorberge nach den drei Schurken, ohne jedoch eine Spur von ihnen zu finden. Diese schienen glücklich entronnen zu sein. Endlich am neunten oder zehnten Tag fanden einige Baqueros die Leiche eines Indianers mit einem Schuss in die Brust und dem Rest eines Lariats um den Hals in einer Senke in der Prärie. Die Leiche wurde als diejenige des Apachen Pedro erkannt und zeigte, dass derselbe mehrere halb verheilte Schrotwunden hatte und ein Stück weit am Boden geschleift worden war. Einige Tage darauf fand ein Ansiedler, welcher auf die Antilopenjagd ausgeritten war, an der Wegfährte nach Los Animas die nackte Leiche eines Weißen, welche skalpiert war, und erkannte in ihm Tony Dirks, den also hier sein Schicksal ereilt hatte, und berichtete darüber an Squire Holz.

Mittlerweile lag Alfred zu Hause, von einem Arzt aus Trinidad verbunden, von Onkel Holz auf das liebreichste verpflegt, denn wenn dieser seinem Neffen schon seither herzlich gut gewesen war, so schien er ihm nach den erzählten Ereignissen noch viel teurer geworden zu sein. Er behandelte Alfred wie seinen leiblichen Sohn, setzte ihn in einem Testament zum Erben ein und konnte seine Genesung kaum erwarten. Emmy Gosport, welcher Alfred wohl unbedingt die Erhaltung seines Lebens verdankte, kam jeden Tag herübergeritten, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, und war sehr um seine Genesung bekümmert. Es war unverkennbar, dass die beiden jungen Leute einander unsäglich lieb hatten, und alle Bekannten sahen in ihnen schon ein verlobtes Paar.

Etwa zwei Monate später saß Texas Dick an einem Sonntag Nachmittag neben Alfreds Bett, rauchte seine Pfeife und plauderte mit ihm von allerlei Dingen.

Da sagte Alfred: »Hört mal, Dick, ich habe schon so viel von dem niederträchtigen Tony reden hören, der ein solch trauriges Ende genommen hat, und doch konnte ich nie etwas Näheres über seine früheren Geschäfte erfahren, weil mein Onkel niemals von ihm reden will. Könnt Ihr mir’s nicht sagen, was eigentlich an dem Burschen war?«

»Ei, warum denn nicht?«, erwiderte Dick. »Die Geschichte ist ja kein Geheimnis. Tonys Vater hatte einen Store (Kramladen) zu Topeka in Kansas und wurde in trunkenen Händeln von einem Rowdy erschossen. Er war Witwer und ein schlimmer Haushälter. Squire Holz, dessen Frau die Schwester von Tonys Vater war, reiste hin und holte den Jungen, welcher damals erst vierzehn Jahre alt, aber ein grundverdorbener Bursche und ein feiger Heuchler war. Misses Holz verhätschelte den Jungen vollends, denn sie und der Boss hatten einen Narren an dem Kerl gefressen. Er kam in schlechte Gesellschaft und machte viele dumme Streiche, welche aber Misses Holz immer verdeckte und verheimlichte. Als sie tot war, bestahl Tony den Boss, wo er nur konnte, und dieser sah ihm alles nach, weil er seiner Frau auf ihrem Sterbebett versprochen hatte, für Tony zu sorgen. Er warnte ihn und machte ihm ernstliche Vorstellungen, aber es half nichts. An einem schönen Morgen kam’s heraus, dass Tony des Alten Unterschrift auf einem Wechsel über tausend Dollar gefälscht hatte. Der Boss bezahlte den Wechsel, anstatt den Buben den Gerichten zu übergeben, jagte ihn zwar fort, gab ihm aber noch taufend Dollar unter der Bedingung, dass er damit nach Kalifornien gehe und ein neues Leben anfange. Er erklärte Tony, dass er ihm nie wieder über die Schwelle kommen dürfe, und der Bursche verduftete. Das ist alles, denn das Übrige wisst Ihr ja. Na, er hat nun doch am Ende seinen Teil bekommen.«

Alfred genas wieder und sein gebrochenes Bein heilte. Der Winter verging, aber er hatte Heimweh nach den Seinen, wie sie nach ihm, seit die Mutter aus Holz’ Briefen erfahren hatte, welcher Gefahr ihr Sohn ausgesetzt gewesen war. Squire Holz bemerkte, dass der Junge den Kopf hängen ließ und lockte aus ihm heraus, wo ihn der Schuh drücke.

»Da kann ja geholfen werden, Junge!«, sagte Squire Holz. »Du bist nun mein Erbe, und für deine Mutter und Geschwister ist hier Platz genug. Ich gebe dir ein Stück Geld, und du lässt sie zu uns kommen, wo wir für sie sorgen wollen. Dann bilden wir hier eine große Familie. Bist du zufrieden?«

»Onkel, Sie überhäufen mich mit Wohltaten! Wie soll ich es Ihnen vergelten?«, rief Alfred mit Tränen in den Augen. »Fürwahr, ich kann es nicht wettmachen. Wenn aber Mutter hier ist, hab’ ich keinen weiteren Wunsch mehr auf Erden.«

»Sag das nicht, Junge!«, versetzte Christoph Holz lächelnd. »Ich weiß, du hättest noch einen anderen, den du nicht auszusprechen wagst. Aber ich hab’ ihn längst erraten und bin damit einverstanden. Ich werde heute Nachmittag zu Nachbar Gosport hinüberreiten und um Miss Emmys Hand für dich anhalten, und zu Ostern soll dann Hochzeit sein. Was meinst du?«

»Onkel, lieber Onkel! O, das ist zu viel! …«

»Ja, na, lass nur, Junge! Lass mich nur gewähren«, sagte Squire Holz ergriffen. »Der Mensch ist ein übernächtiges Geschöpf und ich bin nachgerade ein alter Knabe, den der Sensenmann jeden Tag holen kann. Da möchte ich auch noch erleben, ein paar Enkel auf dem Schoß zu wiegen und um mich herumhüpfen zu sehen. Du bist ja mein Sohn und kannst mir keine größere Freude machen, wenn du mir Emmy Gosport als Tochter zuführst.«

Alfred fiel vor Freuden dem Onkel um den Hals.

Der aber schüttelte ihn sachte ab und sagte lächelnd: »Du kannst eigentlich auch mit hinüberreiten, wenn dein Bein es erlaubt, und kannst dir gleich den Verlobungskuss holen, du Duckmäuser!«

Natürlich erhielt Alfred von Emmy und Squire Gosport gern das Jawort, und zu Ostern wurde die Hochzeit gefeiert, und Emmy zog wie ein guter Engel auf Holz’ Ranch ein und begann daselbst als holde, rührige Hausfrau zu walten.

Einige Wochen später kamen eines Nachmittags einige Hirten auf Holz’ Ranch angeritten und brachten einen verwundeten und gebundenen Indianer, den sie beim Pferdediebstahl ertappt und von seinem Gaul heruntergeschossen hatten.

»Potz Donner! Das ist ja Pequito Miguel, der Apache!«, rief Texas Dick, sobald er ihn erblickte. »Hat dir’s keine Ruhe gelassen, bis du uns endlichen die Hände fielst, du Stinktier? Na, Boss, nun werden wir ja erfahren, wie Tony unterging! Rede, Miguel, wo ist der weiße Mann geblieben, mit dem du damals in der Kaninchenschlucht warst? Sprich oder ich kitzle dich mit der Peitsche!«

»Miguel hat ihn erschlagen, sein Skalp an Miguels Köcher«, versetzte der Indianer mit wilder Schadenfreude. »Aber sein Skalp böse Medizin, Miguel nur Unglück gebracht, – damn him!« Und dann erzählte er mit der wilden Ruhmredigkeit und Schadenfreude der Indianer, wie Pedro und er mit Tony Dirks geflohen seien und unterwegs Händel bekommen haben, weil Tony ihnen die fünfzig Dollar und das Fässchen Branntwein vorenthalten habe, weil »Gelbhaar« nicht totgemacht worden sei, wie sie Tony mit den Messern bedroht, wie Tony Pedro dann niedergeschossen, ihm den Lariat über den Kopf geworfen und ihn am Boden geschleift habe, bis er tot gewesen sei. Wie Miguel, darüber empört, dass sein Bruder als erwürgt3 nicht in die ewigen Jagdgründe, den Indianerhimmel, abgegangen sei, – sich gelobt, den weißen Mörder umzubringen, wie er ihn verfolgt, eingeholt, im Schlaf erschlagen, bis auf die Haut ausgeplündert, skalpiert und so nach indianischem Brauch die Blutrache an ihm vollzogen habe.

Squire Holz ließ den Apachen nicht lynchen, wie es seine Leute wünschten, sondern nach Pueblo abliefern, wo Pequito Miguel prozessiert, zum Tode verurteilt und gehenkt wurde, denn es ging ihm nicht so gut wie dem erbärmlichen Greenwood, welchem es gelungen war, nach ein paar Nächten aus dem Gefängnis zu entkommen, und von dem man seither nichts mehr gehört hatte.

Als Frau Richter den Brief Alfreds erhielt, worin er sie dringend bat, mit ihren Kindern zu ihm zu kommen, erschrak sie beinahe zu Tode bei dem Gedanken, dass sie über den Atlantischen Ozean fahren und in ein Land gehen sollte, wo es noch Räuber und blutdürstige Indianer gab. Ihre Kinder dagegen nahmen die Sache nicht so schwer und freuten sich über die Möglichkeit, nach Amerika zu kommen. Dazu schrieb Alfred so beweglich, bat so dringend und ernsthaft und sandte ein solch reiches Reisegeld, dass alle Freunde und Bekannte der guten Frau ihr nur dringend rieten, seiner Einladung zu folgen. So entschloss sie sich, um ihrer Kinder willen, nach vielem Bedenken, unter vielen schlimmen Ahnungen, Seufzern und Tränen, verkaufte ihre Habseligkeiten und reiste mit den ihren ab. Sie fand denn auch bald, wie es schon Tausenden vor ihr ergangen war, dass der schwerste Schritt nur der Entschluss zur Reise war, und dass man auch eine lange Seereise überleben kann. Die Überfahrt ging glücklich vonstatten, die Landreise auf dem vorgezeichneten Weg war weniger mühsam, als sie befürchtet hatte.

Als sie an einem schönen Junitag in Denver aus dem Eisenbahnwagen stieg, trat Alfred ihr am Arm einer sehr hübschen Dame entgegen und sagte: »Liebe Mutter, dies ist meine Frau. Ich bin überzeugt, du wirst sie lieb haben!«

Dies war ein freudiges Wiedersehen, eine unbeschreiblich holde Überraschung. Mutter und Geschwister folgten Alfred zur Ranch, wo sie herzlich von Onkel Holz willkommen geheißen wurden und niemals bereuen durften, dass sie am Fuß der Felsengebirge eine neue Heimat gesucht hatten.

Show 3 footnotes

  1. Regulators nennen sich die Mitglieder der Sicherheitsausschüsse oder Vigil’ance commitees, welche in wenig besiedelten Gegenden des Westens für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und für die Bestrafung brutaler Verbrechen durch summarische Justiz, lynchen, sorgen.
  2. To cowhide heißt, mit dem Ochsenziemer bearbeiten, d. h. halb zu Tode prügeln- die gewöhnliche Strafe für kleinere Vergehen im fernen Westen.
  3. Die Indianer glauben, die Seele des Sterbenden fahre durch die Kehle aus, um in die künftige Welt einzugehen. Wer daher gehenkt, erwürgt oder skalpiert wird, kann nicht in die ewigen Jagdgründe eingehen, und dies ist der größte Schrecken für einen Indianer.