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Der Totenwirt und seine Galgengäste 11

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Der Hexentanz auf dem Blocksberg

Das Gehöft des riesigen Gordian, Obermeister der zwölf Eisenhammerwerke des Grafen von Bardenfels, war ein großes Viereck, umgürtet von einem hohen Pfahlwerk aus geschmiedetem Eisen, die Wohnung Gordians einschließend, und die Hütten für die 30 Gesellen seiner Abteilung, von denen 26 mit ihren Frauen und Kindern darin lebten. Die 4 Unverheirateten bewohnten einen kleinen Anbau in Gordians Nähe und erhielten von ihm ihre Verpflegung. In jeder Ecke innerhalb des Pfahlwerks stand eine eiserne, mit Heu versehene Hundehütte, und in jeder dieser Hütten hauste ein gewaltiger, furchtbarer Bärenfänger, dem kein Bär dieser endlosen Wälder zu widerstehen vermochte. Zugleich waren diese Hunde zu Menschen so zahm, dass die Kinder unbedenklich mit ihnen spielen konnten. Vier solche Bärenfänger befanden sich bei jeder der übrigen vier Abteilungen, sie wurden niemals angekettet.

Die Nacht war eingebrochen.

Gordian, seine Frau Martha, sein 18-jähriger Sohn Christoph, seine beiden Töchter von 14 und 16 Jahren, zwei Mägde und die vier Gesellen hatten soeben ihr einfaches aber reichliches Abendessen beendet und das übliche Dankgebet gesprochen. Mutter, Töchter und Mägde griffen nach dem Spinnrocken. Vater, Sohn und die Gesellen schickten sich an, Späne zu schnitzen und sie mit Weidenzweigen zu Holzfackeln zu machen.

»Wir sollten heute eigentlich lieber beten, als eine Handarbeit verrichten«, bemerkte Gordian, »da wir heute einen kirchlichen Tag haben, Walburgis.«

»Richtig«, sagte seine Frau, »in dieser Nacht gibt’s immer einen Hexentanz auf dem Blocksberg.«

»Jawohl«, äußerte ihr Mann, »und wenn wir bis 10 Uhr wach bleiben, werden wir ein schreckliches Getöse in der Luft hören und die Hexen und Teufel da oben reiten sehen, wenn keine Wolken das Mondlicht verdunkeln. In unseren Wäldern rings um uns werden die Gespenster rumoren, als ob der Jüngste Tag gekommen wäre.«

»Obermeister, erlaubt, dass wir wach bleiben«, baten die vier Gesellen. »Wir möchten doch auch einmal eine solche Hexenfahrt sehen!«

»Meinetwegen. Ich bleibe selbst bei euch.«

»Wir auch!«, riefen die Mutter, Töchter und Mägde.

»Da mag es wohl schrecklich zugehen heute auf dem Blocksberg«, meinte der Sohn. »So etwas sollte man sehen können.«

»Du würdest nicht mehr lebendig davonkommen«, erwiderte der Vater.

»Vermag also kein Mensch zu sagen, was dort alles geschieht?«, fragte eine der beiden Töchter.

»Was man davon weiß, hat man durch die Geständnisse von Hexen erfahren, die dabei waren und später eingefangen und verbrannt wurden«, antwortete Gordian. »Ich selbst habe vor etwa zwanzig Jahren drüben in Unkendorf eine Hexe ausführlich erzählen hören, was auf dem Blocksberg alles geschieht. Sie war eine bildschöne Hexe von 24 Jahren, die mir recht wohl gefiel, und mich wohl bezaubert hätte, wenn sie keine Hexe gewesen wäre.«

Er lachte.

»Du!«, sagte seine Frau, lächelnd mit dem Finger drohend.

»Nun, sei nur ruhig. Nimm keine Notiz mehr von ihr, denn erstens wäre sie jetzt schon 44 Jahre alt, und zweitens hat sie auf dem Scheiterhaufen für immer ausgetanzt.«

»Vater«, baten die Töchter, »sag uns doch, was du von dieser Hexe erzählen hörtest.«

»Wohlan, passt auf! Diese Hexe hieß Anna Wettermacherin, ihr wirklicher Name, und so sollte eigentlich jede Hexe heißen, denn jede Hexe ist auch eine Wettermacherin, wenn sie auch nicht so heißt.

Sie bekannte reumütig alle ihre Verhexungen, und zwar auf ihren ausdrücklichen Antrag und auf den Rat ihres Beichtvaters, bei offenen Gerichtstüren, zur Warnung des Volkes, damit es sich nicht vom Teufel und seinen Helfershelfern verblenden lasse.

Sie war mit einem rechtschaffenen Landmann verheiratet und beide lebten zwei Jahre lang in glücklicher Ehe, obgleich sie in ihrer Wirtschaft nicht viel aufstecken konnten, wenigstens nicht genug zur Befriedigung der eitlen Putzsucht, welche sich im Herzen der Anna einnistete, als sie mit neidischen Augen andere Frauen im schönsten Staat in die Kirche gehen sah und dies ihnen nicht nachmachen konnte.

An einem Nachmittag, als sie eben im Wald Schwämme zur kargen Nahrung suchte und dabei bitterlich seufzte ob ihrem harten Schicksal, trat plötzlich ein junger schöner Jäger aus dem Gebüsch, zierlich gekleidet wie ein Rittersohn.

»Guten Tag, schöne Jungfrau oder Frau?«, sprach er gar freundlich.

»Auch so viel. Bin eine Frau«, erwiderte sie.

»Habt Ihr auch Kinder?«

»Nein.«

»Und eine so schöne Frau muss im Wald Schwämme suchen, wie das ärmste Weib? Mir scheint, dass es Euch nicht gut geht?«

»So ist es.«

»Ihr verdient ein besseres Los. Hier, nehmt einstweilen dieses Goldstück, und ein solches will ich Euch täglich geben, wenn ich Euch alle Tage an diesem Platz finde.«

Sie nahm dankend und ohne Sträuben dieses Goldstück, welches das höllische Draufgeld des Teufels war.

»Was soll ich aber meinem Mann sagen, wenn er mich fragt, woher ich es habe?«

»Sagt nur, Ihr habt es im Wald gefunden und wollt nun täglich suchen, denn vermutlich sei dieses Goldstück mit vielen anderen bei dem Vergraben eines Schatzes im hohen Gras verloren worden.«

Der Anna behagte diese Ausrede und sie versprach, alle Tage zu kommen. Sie kam auch richtig alle Tage und brachte immer wieder ein Goldstück heim, das sie mit ihrem Mann teilte, der sich nun, früher ein braver und arbeitsamer Mann, plötzlich dem Trunk ergab und nach sieben Wochen bei einem Raufhandel im Wirtshaus, ganz betrunken, von den Reisigen eines Ritters erstochen wurde. Wohl ihm, dass er sein Weib nicht mehr brennen sah!

Die Frauen im Dorf rissen ihre Mäuler weit auf vor Verwunderung über die prächtigen Kleider der Wettermacherin, der sie jetzt freilich nachstehen mussten. Sie vermuteten, dass Anna wohl irgendwo einen vergrabenen Schatz gefunden habe.

Aus der Bekanntschaft mit dem schönen Jäger im Wald war schon lange eine Liebschaft geworden. Er hatte es sogar dahin gebracht, dass sie ihm ihre Seele verschrieb, weil er ihr drohte, außerdem nicht nur keine Geschenke mehr zu machen, sondern auch alle ihre kostbaren Kleider in Asche verwandeln zu wollen. Sie wurde ein Opfer ihrer Putzsucht und ihres Hochmutes. Dagegen unterrichtete sie aber der Teufel in der Gestalt dieses Jägers in allen Hexenkünsten, durch die sie an allen Personen, die ihr missfielen, ihre Bosheit oder Rachsucht ausführen konnte.

»Auf den Befehl meines Buhlen«, so begann die zum Scheiterhaufen verurteilte Wettermacherin bei offenen Türen ihr Geständnis, nachdem sie zuvor auf die Folter gespannt worden war, und nun gebt wohl acht! – »musste ich auch zum Tanz auf den Blocksberg reiten, unter dem Versprechen, dass er mich begleiten wolle, weil es das erste Mal sei, und ich mich fürchtete, aus der Luft herabzustürzen. Drei Tage vor Walburgis brachte er mir einen kleinen Topf mit Salbe und erklärte mir, wie ich sie gebrauchen sollte. Abends nach 10 Uhr kam der Teufel, gekleidet wie ein Ritter bei einem Festbankett, in meine Schlafkammer, um mich abzuholen.

›Ich fürchte‹, sagte sie zu ihrem Begleiter, ›das ein gefährliches Geschrei im ganzen Dorf entstehen wird, wenn jemand von meinen Leuten in meine Schlafkammer dringt, etwa eine neugierige Magd, und mein Bett leer findet.‹

›Dafür hab’ ich schon gesorgt‹, erwiderte er lachend. ›Schau nur in dein Bett.‹

Ich drehte mich um, und erblickte mit Schaudern mich selbst in meinem Bett ruhig schlafend.

›Das ist ein Kamerad von mir‹, sagte er, ›der während deiner Abwesenheit statt dir in den Bett liegt.‹

Angetan mit meinem schönsten Gewand, aber ohne Schuhe und Strümpfe, ging ich in die Küche, schmierte meine Füße mit der von ihm erhaltenen Salbe, und die Ofengabel, nahm diese zwischen meine Füße, und blitzschnell ging es durch den Schornstein hinaus zum Blocksberg. Auf der Spitze desselben brannte ein großes Feuer, umstanden von bösen Geistern mit Fackeln in ihren Krallen. Im Hintergrund saß auf einem Thron von glühendem Rubin, eine Flammenkrone auf dem Haupt, Satan. Alle Anwesenden beiderlei Geschlechts, von jedem Alter, mussten zuerst vor ihm niederknien, ihm huldigen und ewige Treue schwören.

Zur Rechten Satans saß ein Schreiber, der alle unsere Namen in ein schwarzes Buch eintrug. Wer unerhörte Gräueltaten seit der letzten Zusammenkunft begangen zu haben sich rühmen konnte, musste sie erzählen, belohnt durch ein höllisches Beifallsgeschrei. Vornehmes und gemeines Volk waren untermischt versammelt. Ich kannte viele darunter, sogar zwei Hexen aus meinem Dorf. Die vornehmen Herren und Damen trugen schwarze Masken vor ihren Gesichtern, um von Herren, welche vielleicht in die Hände des Gerichtes fielen, nicht verraten werden zu können.

Bald darauf begann der Hexentanz. Zauberer und Hexen, immer ein Zauberer oder Teufel zwischen zwei Hexen, reichten sich die Hände und tanzten im Kreis herum. Die Spielleute waren Gespenster, und ihre Instrumente ausgegrabene Knochen hingerichteter Verbrecher, die auf dem Schindanger verscharrt worden waren. Einer der Musikanten hatte den Kopf eines verendeten Rosses in der Hand, dessen Ohren er beständig hin und her drehte, dass man meinte, er habe eine Drehorgel mitgebracht. Von diesem Höllenlärmen kann sich kein Mensch eine Vorstellung machen.

Nach einer halben Stunde, während welcher auf einem großen freien Platz zwischen den Bäumen mehrere Tafeln gedeckt wurden, war der Tanz zu Ende, und die Teufel und Zauberer führten ihre Hexen zum Mahl. Auf den Tischen standen große Schüsseln dem Anschein nach voll mit herrlichen Speisen, Gebratenes und Gesottenes, Pasteten, Torten, Vögel und Fische, Hirschwildbret und Rehkeulen, aber von ekelhaftem Geschmack und stinkend wie Aas. Dagegen griffen wir begierig nach den Speisen und Getränken, welche reiche Herren mitgebracht hatten: Wein, Bier, Braten, Kuchen und frischgebackene Nudeln wohlhabender Bäuerinnen. Wie bei dem Teufel alles Lug und Trug ist, so war auch ihr Bier wie zähes Leimwasser, ihr roter Wein nur Pfützenwasser mit dem Blut geköpfter Missetäter vermischt, und der weiße Wein, den sie als etwas Köstliches kredenzten, bestand nur aus bitteren Tränen von Familien, welche von den Hexen ins Unglück gestürzt wurden.

Dreimal meckerte Satan grässlich, der, was ich zu bemerken vergaß, als ein schwarzer Bock in der Größe eines Elefanten anwesend war, und dies galt als ein Zeichen des Endes der Tafel, und plötzlich umgab uns finstere Nacht. Mit lauter Stimme verkündete uns Satan, was wir für neue Schandtaten bis zum nächsten Wiedersehen verüben und wie wir uns an unsern Feinden rächen sollten.

›Tut es‹, donnerte Satan, ›oder ihr müsst alle sterben, und vor der Zeit in die Hölle fahren!‹

Hierauf fasste jeder Teufel oder Zauberer seine Hexe, mich aber mein Jäger, der heute wie ein abscheulicher Teufel aussah, und fort ging es nach Hause wieder durch die Luft nach allen Richtungen hin, sausend, brausend, zischend, pfeifend, heulend. In dem Augenblick, da ich in meine Kammer trat, verschwand mein stellvertretender Teufel vor meinen Augen.«

»Das ist die Erzählung von dem Hexentanz auf dem Blocksberg, wie ich sie aus dem Mund der Wettermacherin mit mehr als hundert anderen Menschen vernommen habe. Sie gab allen Anwesenden reumütig noch viele gute Lehren und Warnungen, durch deren frühere eigene Befolgung sie dem schrecklichen Tod auf dem Scheiterhaufen entgangen wäre.«

Eben hatte am Schluss seiner Erzählung Gordian als Familienvater und Obermeister seinen Kindern, den Mägden und Gesellen die dringende Ermahnung zu geben begonnen, immer ein gottesfürchtiges, pflichteifriges und ehrbares Leben zu führen, um nicht in des Teufels Faltstricke zu geraten, als oben in den Lüften ein furchtbares Getöse sich vernehmen ließ, sausend, brausend, zischend, pfeifend, heulend. Alle Anwesenden eilten an die Fenster und sahen, vom Mond beleuchtet, der sich eben durch verschleierte Wolken drängte, eine Unzahl von Hexen und Teufeln auf Ofengabeln, Bratspießen, Schaufeln, Hopfenstangen, Besen, Latten, Bänken, Zaunpfählen und kurzen Leitern hoch über den Wipfeln der Bäume des Waldes in rasendem Flug dahinstürmen. Im Nu war alles vorüber, doch lange noch dröhnte aus der Ferne der höllische Lärm.

»Dies war der Hexenritt zum Blocksberg«, sagte der Obermeister Gordian, indem er, wie alle in der Kammer, andächtig das Zeichen des heiligen Kreuzes machte. Ringsumher im Wald schien ein unheimliches Leben zu beginnen, man hörte Bären brummen und Wölfe heulen, und sah oberhalb des Pfahlwerks allerlei hässliche, geisterhafte Missgestalten vorbeihuschen.

»Gott verhüte«, fuhr Gordian fort, »dass zur Stunde oder in dieser Nacht ein einsamer Wanderer durch unsere Wälder zieht! Wenn ihn auch kein Gespenst erwürgt, so kann ihn doch schon der Schrecken töten.«