Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Michael Tsokos, Andreas Gößling – Zerschunden

ZerschundenMichael Tsokos, Andreas Gößling
Zerschunden

True-Crime-Thriller, Quality Paperback, Knaur, München, Oktober 2015, 432 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 9783426517895, auch als E-Book erhältlich

Alleinstehende alte Frauen werden europaweit zu Mordopfern. Der Täter hinterlässt eine Signatur, die er den Frauen direkt auf die Haut schreibt. Alle Opfer verbindet, dass sie in der Nähe von Flughäfen wohnen, und das macht die Ermittlung nicht leichter. Der Täter ist unberechenbar, niemand kann ahnen, in welcher Stadt er als Nächstes zuschlägt. Dennoch gibt es schnell einen Verdächtigen, der für Rechtsmediziner Fred Abel zu einem Problem wird. Denn es ist ein alter Kumpel von ihm, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, nur weil er nach einer Möglichkeit zur Rettung seiner sterbenskranken Tochter suchte. So jedenfalls ist seine Version, die Abel aber immer wieder zweifeln lässt …

Fred Abel heißt er also, der Rechtsmediziner, dem Michael Tsokos all seine beruflichen Erfahrungen anvertraut, damit er sie den Lesern zugänglich macht. Vergleicht man die Details aus dem Berufsalltag mit denen, die Tsokos in seinen Sachbüchern offenbart, kommt mir als Leser der Verdacht, dass es dringend Zeit wurde, dass sich da jemand mal alles von der Seele schreiben konnte. Im ersten Drittel des Buches hagelt es nur so von Leichen, die mal mehr, mal weniger übel zugerichtet wurden. Da danke ich dem Autor, dass er die Grausamkeiten durch ziemlich gewitzte Personenbeschreibungen noch lebender Personen aufgelockert hat. Wie schon in Abgeschnitten, dem Thriller, den Michael Tsokos zusammen mit Sebastian Fitzek geschrieben hat, finde ich die Vergleiche oder Metaphern, die er für die Charakterisierung seiner Protagonisten benutzt, gelungen und witzig. Auch wenn man viele Floskeln kennt, lockerten sie die düstere Stimmung erheblich auf, machten all die detaillierten Beschreibungen aus dem rechtsmedizinischen Alltag erträglich.

Doch dann war der Esprit leider schnell aufgebraucht, denn der Mittelteil handelt von purer Ermittlungsarbeit gepaart mit Abels Zweifeln und persönlichen Problemen. Es bleibt spannend, sprachlich wird es deutlich ernster. Irgendwann kommt der Punkt, an dem ich mich fragte, ob das alles noch glaubwürdig ist. Abel hat Verbindungen in die ganze Welt, wodurch er fast im Alleingang die Ermittlungen führt. Man bedenke, Fred Abel ist Rechtsmediziner, kein Mordermittler. Doch dann rief ich mir die Ankündigung des Buches ins Gedächtnis: »Der Auftakt zu einer hochspannenden Serie, die auf authentischen Fällen und echten Ermittlungen basiert – von Deutschlands bekanntestem Rechtsmediziner.« Ja, es bleibt doch alles im Rahmen des Möglichen und Machbaren, wie Abel dem Täter Schritt für Schritt näherkommt.

Im letzten Drittel des Buches arbeitet die Zeit gegen alle offenen Handlungsstränge. Wie viele Frauen müssen noch sterben? Wie lange hat der Täter sich noch in der Gewalt? Reicht die Zeit für Lars Moewig, um seiner Tochter den letzten Wunsch zu erfüllen? Es bleibt spannend bis zum Ende und danach bleibt nur ein mulmiges Gefühl, wenn man sich als Leser in Erinnerung ruft, dass dieses Buch aus den nackten Tatsachen des Berufsalltags in der Rechtsmedizin und Mordkommission entstanden ist.

Fazit:
Insgesamt ist Michael Tsokos zusammen mit Andreas Gößling ein Thriller gelungen, der spannend ist, der Gänsehaut beschert, der vor allem einen Einblick in die Arbeit der Rechtsmedizin in Zusammenarbeit mit der Mordermittlung gibt, der keine Tabus kennt und dennoch zu unterhalten weiß. Fred Abel ist eine Figur, von der man mehr erfahren möchte, aber auch Lars Moewig würde ich in einem nächsten Band gern wiederbegegnen, um zu erfahren, wie er den Schicksalsschlag überwunden hat und ob er sein Leben wieder richtig in den Griff bekommt. Er musste bis zum Ende trotz aller Mordopfer doch die tragischste Rolle spielen …

(ab)