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Der Marone – Ein verweigerter Kampf

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 31

Ein verweigerter Kampf

Der Zuschauer auf dem Baum glaubte jetzt wirklich zu träumen. In dem kurzen Zeitraum von zwanzig Minuten hatte er einer größeren Anzahl von aufregenden Begebenheiten beigewohnt, als er in seinem eigenen Vaterland während derselben Anzahl von Jahren gesehen hatte! Und doch war das Ende des Schauspiels noch keineswegs gekommen! Die Gebärden des Flüchtlings und die Reden seines Ergreifers hatten ihm bereits angedeutet, dass noch ein anderer Auftritt kommen würde, und jetzt war es aus der Haltung beider einleuchtend, dass dieser Auftritt sich bald auf derselben Bühne ohne Veränderung der Szene abspielen werde.

Bis jetzt sah der junge Engländer keinen besonderen Grund, weshalb er bei diesem westindischen Schauspiel aufhören solle, Zuschauer zu bleiben und Mitwirkender zu werden. Dass der gelbe Jäger einen wilden Eber getötet, einen flüchtigen Sklaven ergriffen und dann sowohl seinen Gefangenen als auch sich selbst vor einem Paar Bluthunde durch die Tötung dieser wütenden Tiere geschützt hatte, das ging ihm alles gar nichts an. Das Einzige, was ihn betraf, war höchstens die Art, ohne alle Umstände seine Vogelflinte zu benutzen, doch hätte der junge Engländer, wäre er gefragt worden, wohl gern freiwillig das Gewehr zu solchem Gebrauch hergeliehen.

So hatte sich bisher eigentlich nichts ereignet, um ihn aus seiner strengen Neutralität heraus zu bringen. Bis so etwas käme, war er entschlossen, die bis dahin durchgeführte untätige und lediglich beobachtende Haltung vollkommen zu bewahren.

Indes war er kaum zu diesem Entschluss gelangt, als neue handelnde Personen auf der Bühne erschienen.

Offenbar waren sie sowohl von dem Flüchtling als auch von seinem Verteidiger erwartet worden, da beide nach der Beseitigung der Hunde stets auf das Dickicht hinblickten, aus dem die Tiere gekommen waren.

Der nun neu Angekommenen waren drei. Der Erste voran und jedenfalls der Führer war ein großer, schwarzbärtiger Mann in einer roten Plüschweste und hohen Stiefeln von Pferdeleder. Die beiden anderen waren magere, geschmeidig aussehende Burschen in gestreiften Hemden und Beinkleidern, von denen jeder einen breitkrempigen Palmblatthut trug, der eine scharfe spanische Physiognomie überschattete.

Der Bärtige war mit Flinte und Pistolen bewaffnet. Die beiden anderen schienen aber ohne alle Feuerwaffen zu sein, doch führte jeder einen rapierähnlichen Degen in der Hand, dessen Scheide an seiner Hüfte hing. Es war die Machete, dieselbe Art Waffe, die der gelbe Jäger wenige Augenblicke zuvor so äußerst geschickt gehandhabt hatte.

Als sie die unter dem Baum sich Befindenden gewahrt hatten, machten die Neuankömmlinge mit nicht geringer, sich in ihren Blicken ausdrückender Verwunderung Halt. Indes schienen diese Männer von spanischem Gesichtsschnitt noch viel mehr verwundert. Unwillen mischte sich in ihre Verwunderung, als sie die Körper ihrer eigenen Bluthunde tot auf dem Rasen hingestreckt sahen.

Der bärtige Mann, der als Führer zu gelten schien, gab den sie alle drei beseelenden Gefühlen zuerst Ausdruck.

»Was ist das für eine Geschichte?«, schrie er mit vor Wut hochrotem Gesicht. »Wer seid Ihr, der es gewagt, sich in unsere Verfolgung einzumischen?«

»Carajo! Wer hat unsere Hunde getötet?«, brüllte einer von den Spaniern.

»Demonios! Dafür wirst du mit deinem Leben zu bezahlen haben!«, kreischte der Dritte und erhob drohend seine Machete.

»Und wie nun, wenn ich wirklich Eure Hunde getötet habe?«, erwiderte der gelbe Jäger mit kalter Miene, die den stillen Beifall des Zuschauers auf dem Baum gewann. »Wie, wenn ich es getan habe? Hätte ich sie nicht getötet, so hätten sie mich getötet.«

»Nein«, sagte einer der Spanier, »sie würden Euch gar nicht berührt haben. Caramba! Sie waren dafür zu wohl abgerichtet, sie waren ihm nach. Warum stelltet Ihr Euch in den Weg, um ihn zu beschützen? Das ist ja nicht Euer Geschäft.«

»Das, werter Freund, ist ein Irrtum«, erwiderte der in dem Haarnetz spöttisch hohnlächelnd. »Es ist wohl mein Geschäft, ihn zu beschützen, und außerdem mein Vorteil, da er mein Gefangener ist.«

»Euer Gefangener!«, rief einer der Männer mit unruhigem Blick.

»Gewiss ist er mein Gefangener, und es war mein Interesse, ihn nicht von den Hunden zerreißen zu lassen. Tot würde ich nur zwei Pfund für seinen Kopf bekommen. Lebend ist er mir das Doppelte wert, und Meilengeld obendrein, obwohl ich mit Bedauern an dem J. J. auf seiner Brust gesehen, dass das Meilengeld nicht viel sein wird. Nun, was habt Ihr nun noch mehr zu sagen, meine guten Herren?«

»Nur das«, schrie der Mann mit dem schwarzen Bart, »dass wir auf solchen Unsinn, wie den hier, gar nicht hören. Wer Ihr auch sein mögt, ich kümmere mich nicht darum. Ich vermute, wer Ihr seid, aber das hält mich nicht ab, Euch zu sagen, Ihr habt gar kein Recht, Euch in diese Angelegenheit zu mischen. Dieser Flüchtling gehört dem Jacob Jessuron. Ich bin sein Aufseher. Er ist auf Jessurons eigenem Grund und Boden ergriffen worden. Ihr könnt deshalb weder den Gefangenen noch den Preis fordern. So werdet Ihr ihn uns ausliefern.«

»Caramba si!«, brüllten beide Spanier in einem Atem, während die drei zu gleicher Zeit sich dem Flüchtling näherten, der bärtige Aufseher mit einer Pistole in der Hand, und seine beiden Gefährten ihre Machetes gezogen und bereit, sie zu gebrauchen.

»Kommt heran denn!«, rief der Jäger mit höhnischem Ton und machte beim Sprechen dem Flüchtling, dessen Flinte er wieder geladen hatte, ein Zeichen, zur Verteidigung bereit zu sein. »Kommt heran, aber erinnert Euch, der Erste, der Hand an ihn oder an mich legt, ist sofort des Todes. Ihr seid Eurer drei und wir nur zwei, der eine noch dazu schon halb tot durch Eure unmenschliche Grausamkeit!«

»Drei gegen zwei! Das ist kein ehrlicher Kampf!«, schrie der junge Engländer, sprang vom Baum herunter und stellte sich auf die schwächere Seite. »Vielleicht wird der Kampf nun gleicher sein«, fügte er hinzu, zog sein Pistole aus der Brust heraus und spannte den Hahn, offenbar um es gegen die Person des Aufsehers zu gebrauchen, sollte dieser es versuchen, den Streit weiterzuführen.

Diese Vermehrung der Anzahl der Streitenden, beiden Parteien sicher in gleicher Weise vollkommen unterwartet, erregte bei beiden Verwunderung. Doch als es sich herausgestellt, auf welche Seite sich Herbert Vaughan gestellt, nahmen andere Regungen die Stelle der Verwunderung ein. Die eine Partei betrachtete ihn mit Blicken freudiger Dankbarkeit, während die andere ihn mit Gefühlen ingrimmiger Feindschaft ansah.

Sein Dazwischenkommen hatte die Kraft der entgegenstehenden Parteien so ziemlich gleich gemacht, wie ihre Anzahl. Dies führte, wie oftmals in solchen Fällen, ein Zurückziehen vom Kampf herbei, indem der bärtige Aufseher und seine beiden schwarzbraunen Gehilfen sich sofort von ihrer drohenden Haltung zur Unterhandlung herabließen.

»Und wer sind Sie, Herr?«, fragte der Erste mit so viel Anmaßung, als er nur in seine Rede zu legen wusste. »Wer, frage ich, Herr, ist der Weiße, der sich auf diese Weise den Gesetzen der Insel widersetzt? Sie kennen die Strafe, Herr. Und bei meinem Wort, Sie sollen sie bezahlen.«

»Wenn ich wirklich die Gesetze verletzte«, erwiderte Herbert. »so werde ich freilich wohl dafür verantwortlich sein. Aber einstweilen möchte ich wissen, welches Gesetz ich verletzte, und Sie werden hoffentlich nicht mein Richter sein.«

»Sie leisten Hilfe bei der Flucht eines Sklaven!«

»Das ist nicht wahr«, unterbrach ihn der gelbe Jäger. »Der Sklave ist bereits eingefangen, er hätte nicht entwischen können, und dieser junge Herr, der mir eben so fremd ist, wie Euch, hat sicherlich gar nicht die Absicht, ihm bei einer Flucht beizustehen.«

»Pah!«, rief der Aufseher aus, »wir kümmern uns um Euer Geschwätz nicht, wir leugnen Euer Recht, ihn festzuhalten. Es ist gar nicht Eure Sache, sich einzumischen. Wir hatten ihn bereits mit den Hunden aufgespürt und würden ihn auch ohne irgendeine Hilfe von Euch gefasst haben. Deswegen ist er unsere Beute, und ich verlange wiederholt von Euch, ihn aufzugeben.«

»Wirklich!«, erwiderte der gelbe Jäger hohnlächelnd.

»Ich stelle diese Forderung«, fuhr der andere, ohne das Lächeln zu berücksichtigen, fort, »im Namen Jacob Jessurons, dessen Aufseher ich bin.«

»Und wenn Ihr Jacob Jessuron selbst wäret, ich würde es verweigern«, versetzte der Jäger kalt, ohne allen Anschein von Großsprecherei.

»Ihr verweigert also wirklich, ihn auszuliefern?«, sagte der Aufseher, gleichsam seine letzte Forderung stellend.

»Ja, das tue ich«, war die feste Antwort.

»Genug, Ihr werdet es zu bereuen haben. Und Sie, Herr«, fuhr der Bevollmächtigte Jessurons fort und warf einen wilden Blick auf Herbert, »Sie werden den Anteil, den, es Ihnen beliebt hat, an dieser Verhandlung zu nehmen, vor der Obrigkeit verantworten. Ein hübscher, weißer Mann, Sie, hier für Jamaika! Nur noch ein Paar mehr von Ihrer Art, und wir würden hier eine schöne Geschichte mit unseren Schwarzen erleben. Fürchten Sie nicht, Herr, Sie sollen mich wiedersehen.«

»Danach habe ich gar kein besonderes Verlangen«, erwiderte Herbert, »denn wahrhaftig,« fuhr er mit herausfordernder Heiterkeit fort, »ein hässlicheres Gesicht wie das Ihre ist mir noch nie vorgekommen. Es würde mir gar kein Vergnügen machen, es noch einmal zu sehen.«

»Donnerwetter!«, schrie der Aufseher. »Die Frechheit sollen Sie bereuen, bevor Sie einen Monat älter werden. Der Teufel soll mich holen, wenn Sie das nicht tun!«

Und mit dieser schrecklichen Drohung wandte sich der Raufbold um und ging trotzig fort.

»Cospita!«, rief einer der Spanier, als sie beide ihrem Führer unverzüglich folgten. »Meine braven Hunde! Ah, Demonios! Du sollst sie teuer bezahlen. Zweihundert Pesos für jeden – nicht einen Cuartito weniger!«

»Nicht einen Cuartito für jeden«, erwiderte der gelbe Jäger mit höhnischem Gelächter. »Hab ich nicht klar bewiesen, dass sie nichts wert waren? Mit allem Euren Prahlen, was Eure Hunde leisten könnten, seht sie jetzt an! Vaya con dios! Ihr lieben Herren! Geht nach Eurem Vaterland zurück und jagt da schwarze Flüchtlinge. Hier müsst Ihr das Vergnügen denen überlassen, die es verstehen, den Maronen!«

Herbert bemerkte, dass der Jäger sich beim Aussprechen des letzten Wortes mit einer Miene würdevollen Stolzes höher erhob und verächtlich auf die Cacadores hinabsah.

Ein zorniges »Carrai!« flog zu gleicher Zeit über beider Lippen und war die einzige Antwort der Spanier, die sich ebenfalls von der Ceiba wegwandten und ihrem Führer folgten.

Wenige Augenblicke später hatten die drei, die Lichtung verlassend, bereits das Unterholz erreicht und entschwanden den Augen derer, die beim Baum verblieben waren, der junge Engländer, der gelbe Jäger und der rote Flüchtling.