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Jackson – Teil 31

In den Katakomben des Grauens

Linda schaltete die Taschenlampe ein. Das blaue Licht durchdrang die Finsternis und leuchtete den abschüssigen Gang hinter der Stahltür beinahe taghell aus. Ich zögerte, warum, wusste ich nicht. Vielleicht lag es daran, dass der faule Geruch in der Luft umso stärker wurde, je länger wir vor der Tür standen.

»Was ist jetzt?«, fragte Linda ungeduldig. »Gehen wir nun weiter oder willst du hier Wurzeln schlagen?«

»Immer langsam mit den jungen Pferden«, entgegnete ich bedächtig und deutete mit der Hand auf den Boden.

Der Weg vor uns war ziemlich schmal und führte steil nach unten. Außerdem war es in dem Gang ungewöhnlich feucht. Der felsige Boden glänzte im Licht der Taschenlampe, als ob er eingeölt wäre.

»Das sieht mir ziemlich rutschig aus. Wenn wir gehen, dann langsam, ich habe keine Lust, schon nach drei oder vier Schritten auf die Schnauze zu fallen.«

Skmil schien der gleichen Meinung zu sein, jedenfalls deutete ich sein Knurren so.

Linda murmelte etwas, das alles andere als damenhaft klang, hob die Taschenlampe an und eilte voraus. Skmil und ich tappten unsicher hinterher.

Danach dauerte es keine fünf Minuten, bis sich meine Befürchtungen bewahrheiteten.

Linda stieß plötzlich einen spitzen Schrei aus, lag für die Dauer eines Lidschlages beinahe waagerecht in der Luft und krachte dann mit solcher Wucht auf den Rücken, dass sogar ich als Unbeteiligter schmerzvoll das Gesicht verzog.

So schnell, wie es mir möglich war, ging ich auf Linda zu. So, wie sie auf dem Boden aufgeschlagen war, musste ich befürchten, dass sie sich sämtliche Knochen gebrochen hatte. Aber sie erhob sich bereits wieder, als wäre nichts gewesen, und starrte mich an.

»Spar dir deine Kommentare, mir ist nichts passiert.«

Ich sagte nichts, denn der verkniffene Gesichtsausdruck strafte ihre Worte Lügen. Sie musste Schmerzen am ganzen Körper haben, aber gut, wer nicht will, der hat. Ich an ihrer Stelle wäre in einer solchen Situation für jede Hilfe dankbar gewesen.

Etwas Gutes hatte die Sache trotzdem.

Die Lady schien die Lektion begriffen zu haben, jedenfalls bemühte sie sich ab sofort, das zu tun, was ich sagte.

Geraume Zeit später wurde der Weg immer steiler, bis er schließlich beinahe senkrecht nach unten abfiel. Eine Tatsache, die auch den Erbauern dieses Ganges bewusst gewesen zu sein schien. Unvermittelt waren zu beiden Seiten Eisengeländer zu sehen und in den Felsspalten und Öffnungen entlang der Felswände flammten in immer kürzeren Abständen kleine Strahler auf, sobald wir an ihnen vorbeigingen.

Wahrscheinlich waren hier überall Bewegungsmelder installiert.

Sofort begann sich mein Pulsschlag zu beschleunigen. Was, wenn diese Bewegungsmelder nicht nur für Licht sorgten, sondern ein paar Stockwerke weiter oben in der Zentrale im Hauptquartier gleichzeitig unsere Existenz anmeldeten?

Die technischen Voraussetzungen hierfür gab es in diesem Gebäude sicherlich.

Ich schüttelte den Kopf.

Eigentlich wollte ich gar nicht weiter darüber nachdenken, was hier noch alles möglich war.

Der futuristisch aussehende Hubschrauber, der mir bereits zweimal fast das Lebenslicht ausgeblasen hatte, der unsichtbare Zaun rund um die Area, der jeden, der sie unrechtmäßig verlassen wollte, in Asche verwandelte, oder die seltsamen stabartigen Waffen, die anscheinend zur Grundausrüstung für das Wachpersonal gehörten, genügten mir vollauf.

 

Aber die Realität sah leider anders aus.

Ich verharrte mitten im Schritt und hob den Kopf. Unten, vom Ende des Ganges, stieg plötzlich ein Luftschwall auf, der so ekelhaft war, dass nicht viel fehlte, um mich kotzen zu lassen. Angeekelt rümpfte ich die Nase.

Was zum Teufel stank hier so?

Der Luftstrom, der uns entgegenkam, war nicht nur seltsam kalt, sondern roch dermaßen nach Schweiß, Erbrochenem und menschlichen Exkrementen, dass es mir den Atem verschlug.

Inzwischen war auch Linda vor mir ruckartig zum Stehen gekommen.

Gerade, als ich sie daraufhin ansprechen wollte, hörte ich jenen Schrei wieder, den nur eine Kreatur ausstoßen konnte, die den Tod vor Augen hatte.

***

Obwohl es bis zum Ende des Ganges nur noch wenige Schritte waren, benötigten wir dafür eine gefühlte Ewigkeit. Vorsichtig setzten wir einen Fuß vor den anderen, begleitet von unheimlichem Stöhnen und Ächzen, das immer lauter wurde, je weiter wir vordrangen.

Unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Als wir schließlich unten angelangt waren, verschlug es mir die Sprache.

Das Licht der durch unsere Bewegungen ständig aufzuckenden Strahler zeigte mir ein Szenario, das ich bisher eigentlich nur von mittelalterlichen Folterkellern und Büchern über die Inquisition kannte.

Der Gang mündete in eine lang gestreckte Halle, in der sich rechts und links vergitterte Zellen befanden. Sie waren lediglich mit Stroh ausgelegt. In den meisten davon glaubte ich Menschen zu erkennen, aber sicher war ich mir nicht, denn die Gestalten, deren Umrisse ich nur erahnen konnte, lagen völlig apathisch in den hintersten Ecken ihrer Zellen und rührten sich selbst dann nicht, als wir direkt an ihnen vorbeiliefen.

Nur das Stöhnen und Seufzen wurde lauter.

An einer der Zellen hielt Linda schließlich an. Sie hob ihre Lampe an und leuchtete den Raum hinter dem Gitter aus. Stroh raschelte und dann kam eine Gestalt aus dem Dunkel der Zelle auf uns zu, mit der ich am allerwenigsten gerechnet hatte.

Er war noch nie ein Adonis gewesen mit seinem Gesicht, das an eine Schüssel Teig erinnerte, die man an die Wand geklatscht hatte, seinem Hinkebein und seinen kurzen Haarstoppeln, die wie Strohhalme aussahen. Aber nun sah er aus wie eine lebende Leiche. Abgemagert, mit eingefallenem Gesicht und einem kahlrasierten Schädel, der von mehreren fingerdicken und blutverschorften Operationsnarben überzogen war. Obwohl er einen entsetzlichen Anblick bot, erkannte ich ihn sofort. Es war Arne!

Jener Arne, der damals, als dieser Alptraum begann, mit mir zusammen in der Piper saß, die uns von Perth aus nach Jerome bringen sollte. Er umklammerte mit seinen Händen die Gitterstäbe, presste sein Gesicht dagegen und blickte mich an.

Sekundenlang sprach keiner von uns ein Wort.

»Schön, dich wiederzusehen, allerdings wäre es mir lieber gewesen, wenn wir uns unter anderen Umständen getroffen hätten. Du verstehst, was ich meine?«

Ich weiß, meine Begrüßung war nicht gerade feinfühlig oder besonders intelligent, aber was zum Teufel sagt man auch zu jemandem, der normalerweise tot sein musste?

Damals, als unser Flugzeug explodiert war und eine Armee von weiß gekleideten Killern unseren Piloten und eine Mitarbeiterin meines neuen Auftraggebers kaltblütig über die Klinge springen ließen, hatten wir die Beine in die Hand genommen und waren um unser Leben gerannt. Sein Pech war dabei mein Glück, denn genau genommen hatte ich es nur ihm zu verdanken, dass ich heute auf der anderen Seite des Gitters stand.

Er war durch sein Handicap mit dem Bein nicht schnell genug gewesen. Die Zeit, in der ihn die Killer eingeholt und sich mit ihm beschäftigt hatten, hatte gereicht, um mich in die Büsche zu schlagen und zu entkommen. Das Letzte, was ich damals noch mitbekam, war, wie sie ihn umzingelten und er zu brüllen anfing.

Jetzt stand er wieder vor mir und ich hatte das Gefühl, als ob in meiner Kehle ein riesiger Kloß feststeckte.

»Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich freue zu sehen, dass du noch lebst.«

»Schön für dich, aber mir wäre lieber, wenn ich tatsächlich tot wäre.« Seine Stimme hatte dabei etwas an sich, das mich schlucken ließ.

»Sag so was nicht.«

Arne winkte ab. Dabei gab er einen Laut von sich, der mich aufhorchen ließ.

»Du würdest anders reden, wenn du wüsstest, was diese Dreckschweine mit mir gemacht haben.«

Bevor ich ihm darauf eine Antwort geben konnte, geschah etwas, das mich bis in mein Innerstes hinein erschütterte. Das Grauen hatte einen neuen Namen bekommen: Arne!

***

Eine Ratte, ein ungewöhnlich großes Exemplar, versuchte hinter Arne die Zelle zu durchqueren. Die Krallen ihrer Pfoten kratzten dabei über den Felsboden der Zelle. Im gleichen Moment wirbelte Arne mit einer Schnelligkeit herum, die ich ihm aufgrund seiner Schädelverletzungen und seinem kaputten Bein überhaupt nicht zugetraut hätte. Seine Rechte wischte mit einer Bewegung, die kaum mit den Augen zu verfolgen war, über den Boden, und bevor ich kapierte, was hier vor sich ging, hielt er den zappelnden Nager in seiner Hand.

Wieder entrang sich seiner Brust ein Laut, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber als ich mit ansah, wie er seine Zähne in das Fell der Ratte bohrte, blieb ich stumm.

Ungläubig sah ich zu, wie er den Kopf hob, seinen blutverschmierten Mund verzog und mit den Schultern zuckte, als wollte er sich für sein Verhalten entschuldigen. Dann schlurfte er mit der Ratte in der Hand nach hinten, und als ich kurz darauf das Splittern von Knochen und sein Schmatzen hörte, hatte ich Mühe, mich nicht zu übergeben.

»Vergiss ihn!« Lindas Stimme riss mich wieder in die Realität zurück. »Jeder, der hier unten landet, ist so gut wie tot. Trotzdem können nur noch sie uns helfen.«

»Wie denn?«, fragte ich konsterniert.

Irgendwie hatte ich noch nicht begriffen, worauf Linda hinauswollte.

»Nicht nur dein Freund liebt frisches Fleisch, auch alle anderen hier drin haben es gerne, wenn ihre Beute noch warm ist und das Blut frisch. Was glaubst du wohl, was passiert, wenn wir sie alle befreien und nach oben schicken?«

Ich schloss für eine Sekunde die Augen in der Hoffnung, dass, wenn ich sie wieder öffnete, dieser Wahnsinn vorbei war.

Aber er war es nicht.

Linda tanzte wie ein Derwisch durch die Halle und öffnete eine Zelle nach der anderen.

Als ich ihr kaltes Lachen hörte, war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, wer hier unten eigentlich verrückt war.

Fortsetzung folgt …