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Jackson – Teil 11

Der Tote im Sand

Mühsam richtete ich mich auf. Ein leichter Schwindel erfasste mich, als ich mit weichen Knien auf das Gewehr zutorkelte.

Aber war es überhaupt ein Gewehr oder bildete ich mir das alles nur ein?

Ich wusste es nicht, ich wusste nur, dass ich mich beschissen fühlte.

Ich hatte Fieber, einen gehörigen Sonnenbrand, seit Stunden nichts mehr getrunken und vor zwei Tagen das letzte Mal etwas gegessen. Außerdem laborierte ich immer noch an den Nachwirkungen einer Gehirnerschütterung, die weder ausgeheilt, geschweige denn jemals ärztlich behandelt worden war. Aber mein Verstand war noch klar genug, um mich erkennen zu lassen, dass meine Erschöpfung, die glühende Sonne und die flimmernde Luft mir eventuell Dinge aufzeigten, die es gar nicht gab.

Der Umstand, ein Gewehr gesehen zu haben, konnte eine dieser Einbildungen sein, die meinen überreizten Sinnen entsprungen war.

Sie war es wahrscheinlich auch, denn nüchtern betrachtet war die Chance, irgendwo im australischen Busch ein Gewehr im Sandboden zu finden, ungefähr genauso groß, wie dem Papst im Puff von Barcelona zu begegnen.

Schritt um Schritt stapfte ich auf das langgezogene, blinkende Etwas zu, von dem ich dennoch hoffte, dass es das war, was ich mir einbildete, gesehen zu haben.

Beiläufig registrierte ich ein paar seltsame Sandkuhlen, die mich an irgendetwas erinnerten. Ich kam im Moment nur nicht dahinter, woran.

Als ich vor dem Ursprung des Blinkens stand, hätte ich am liebsten vor Erleichterung laut aufgeschrien. Doch aus meiner Kehle kam nur ein jämmerliches Krächzen. Ich fiel auf die Knie und begann mit meinen Händen um den sichtbaren Teil des Gewehrlaufes herum Sand und Dreck wegzuschaufeln. Ich verletzte mich dabei ein wenig an den Fingerkuppen, achtete jedoch nicht darauf, sondern grub immer tiefer.

Eine Minute später schrie ich überrascht auf, riss meine Hände aus dem Sand und schlenkerte sie angewidert hin und her.

Zwischen meinen Fingern krabbelten und wuselten mindestens zwei Dutzend Käfer. Blaugrüne, große, ekelhafte fette Käfer!

Gleichzeitig stieg mir ein Geruch in die Nase, der mich trotz meiner misslichen Lage wachsam machte. Ich kannte ihn zur Genüge aus den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit. Es war der süßlich-faulige Geruch von verwesendem Menschenfleisch.

Ich kniff mit der Linken die Nasenflügel zusammen, während ich mit der anderen Hand vorsichtig weiter grub. Sekunden später legte ich etwas frei, das den Schaft des Gewehres umklammert hielt …

Finger!

Ich bückte mich ein wenig tiefer, unterdrückte ein aufsteigendes Würgen und sah mir das Ganze etwas genauer an. Es schienen die Reste einer menschlichen Hand zu sein, jedenfalls sah es danach aus. Zeigefinger, Daumen und Daumenballen fehlten teilweise und der Rest war in seltsam anmutende weiße Stofffetzen gehüllt.

Weiße Stofffetzen??

Ich vergaß meinen Ekel, meine Kopfschmerzen und meine blutenden Fingerkuppen und wühlte mich wie ein Verrückter durch den Dreck.

Eine Viertelstunde später hatte ich Gewissheit. Das Gewehr und die Hand gehörten einem dieser geheimnisvollen weißen Männer.

Dieser Mann war im Moment allerdings alles andere als geheimnisvoll.

Er war nämlich tot, ziemlich tot sogar und sah aus wie ein angebissener Apfel.

Die Hälfte seiner rechten Hand mitsamt Teilen des Unterarms fehlte vollständig, der Rest war ein ekelerregendes Gebilde aus freigelegten Knochen, geronnenem Blut und Fleischfetzen. Oberarm und Schulter waren vollständig, die rechte Seite hingegen nicht mehr existent. Ich wusste nicht, wie Mediziner die einzelnen Dinge bezeichneten, die ich bei meinem Blick in diesen Teil des Körperinneren zu sehen bekam, für mich jedenfalls sah es aus wie frisch aus dem Wolf und ich begann erneut zu würgen. Als ich dann noch die fingerdicken gelblich weißen Maden entdeckte, die in dem Fleischbrei herumkrabbelten, war es mit meiner Beherrschung endgültig vorbei.

Ich drehte den Kopf zur Seite.

Mein Magen hob und senkte sich, aber das Einzige, was ich hervorbrachte, war ein bisschen weißer Schleim. Was sonst, ich hatte ja seit Tagen nichts mehr im Magen.

Als ich fertig war, wischte ich mir den Mund ab und buddelte stoisch weiter.

Kurz darauf hatte ich den Toten fast vollständig freigelegt.

Das war trotz meiner Situation kein Hexenwerk, denn der Mann war eigentlich nicht richtig begraben. Man hatte ihn lediglich in eine Kuhle gelegt und mit Sand und ein paar Büschen und Gräsern notdürftig abgedeckt. So, als wäre das nur eine Übergangslösung, um ihn später …

Ich konnte es förmlich rattern hören, als in meinem Schädel ein paar Rädchen rund liefen und schließlich einrasteten. Ein zweiter, genauerer Blick in meine Umgebung und meine letzten Zweifel waren schlagartig beseitigt.

Etwas hatte diesen Mann angefallen, ihn angefressen und dann oberflächlich im Boden verscharrt. Mir wurde klar, dass dieser Tote nichts anderes als die Beute von etwas war, das ihn abgelegt hatte, wie es ein Eichhörnchen mit seinen Nüssen macht, die es für schlechte Zeiten einlagert. Der Tote war genaugenommen eine Art Vorrat, und zwar für niemanden anderes als für jene urzeitliche Echse, deren Bekanntschaft ich vor Tagen gemacht hatte, als Yalla, Skmil und ich von den weißen Männern verfolgt wurden.

Allmählich dämmerte es mir auch, was es mit den Sandkuhlen auf sich hatte, die mir zwar bekannt vorkamen, die ich aber bisher nicht zuordnen konnte. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt, denn nun war mir klar, dass es sich bei diesen Einbuchtungen um die Fußabdrücke der riesenhaften Echse handelte.

Ich wusste nicht warum, aber plötzlich verfiel ich in Panik. Ich riss dem Toten die Waffe aus den Händen und hantierte sofort damit herum.

Die Form war zwar ziemlich futuristisch, aber die Handhabung erinnerte eindeutig an die SA80 Standardversion jener Waffe, die noch heute in der britischen Armee ihren Dienst als Sturmgewehr versah. Das Rohr samt Gehäuse, die Zielvorrichtungen und die Schulterstütze waren identisch, lediglich das Magazin zwischen Handschutz und dem Griffstück mit der Abzugseinrichtung fehlte. An seiner Stelle befand sich ein klobiger Metallstutzen, der auf mich wie ein Akku für eine übergroße Bohrmaschine wirkte.

Ich hatte während meiner Armeezeit und den Jahren als Sicherheitsagent fast alles in den Händen gehalten, was nach einer Waffe aussah, mit der man schießen konnte, von daher kam ich auch mit diesem Modell ziemlich schnell klar.

Als ich der Meinung war, dass ich die Waffe beherrschte, betrachtete ich den Toten.

Konnte ich irgendetwas von ihm gebrauchen?

Vielleicht einen Teil seines weißen Ganzkörperanzuges, der noch relativ gut erhalten war?

Irgendwelche Skrupel oder Sentimentalitäten konnte ich mir nicht leisten. Ich war nackt, mein Sonnenbrand verschlimmerte sich mit jeder Minute, in der ich länger ungeschützt durch die Gegend lief, und ich musste dringend etwas gegen meinen Durst unternehmen, sonst würde ich den nächsten Morgen wahrscheinlich nicht mehr erleben.

 

***

 

»Beeil dich, da vorne muss es sein!«

Vor Schreck ließ ich beinahe das Gewehr fallen. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, in dieser Einöde eine menschliche Stimme zu hören. Ich riss das Gewehr hoch und sprang auf die Beine. In der Nähe gab es eine kleine Felsformation, die von Weitem nicht eingesehen werden konnte.

Ich überlegte nicht lange. So schnell es mein Zustand zuließ, lief ich hinüber und nahm hinter einem der schroffen Felsen Deckung.

Angespannt und mit dem Finger am Abzug lauschte ich.

Ich musste nicht lange warten, dann sah ich zwei Männer hinter einer Bodenwelle auftauchen.

Meine Überraschung hielt sich in Grenzen, als ich sah, dass sie uniformartige, weiße Ganzkörperoveralls trugen. Ich weiß, es klingt seltsam, aber irgendwie hatte ich mit ihnen gerechnet. Sie schienen einen langen Marsch hinter sich zu haben. Der Staub des Buschlandes bedeckte sie und ihre Bewegungen wirkten erschöpft.

Die Hitze schien ihnen mehr als mir zuzusetzen, denn beide hatten ihren Helm abgenommen und die obersten Kragenknöpfe ihrer Uniform geöffnet.

Ihre hageren, unrasierten Gesichter waren von den hinter ihnen liegenden Strapazen gezeichnet. Die Tatsache, dass es sich bei ihnen auch nur um normale Menschen handelte, nahm ihnen viel von ihrer unheimlichen Erscheinung.

Ich bemühte mich, flach zu atmen, um kein Geräusch zu verursachen, und beobachtete die Männer, ohne mich zu weit aus meiner Deckung herauszuwagen. Sie schienen alleine zu sein und waren wohl auf der Suche nach etwas.

Je näher sie der Kuhle mit dem Toten kamen, umso deutlicher konnte ich verstehen, was sie redeten.

»Wenn das wieder nur eine von deinen Vermutungen ist, kannst du mich langsam aber sicher am Arsch lecken. Wir laufen seit gestern durch die Gegend, ohne auch nur eine Spur von ihm entdeckt zu haben. Allmählich habe ich genug von der Scheiße, lass uns endlich wieder zur Basis zurückkehren«, sagte der Größere von beiden.

»Lass das bloß nicht den Captain hören. Wenn wir ohne Phil zurückkommen, reißt er uns den Kopf von den Schultern«, erwiderte der andere.

»Und wenn wir ihn tatsächlich nicht finden, was dann?«

»Dann haben wir ein Problem. Du weißt genau, wie nervös die da oben alle sind, seit dieses verdammte Flugzeug in die verbotene Zone eingedrungen ist.«

Der Kleinere der Männer lachte gehässig.

»Oh ja, erinnerst du dich noch, was für ein Gesicht der Captain machte, als er erfuhr, dass es einem der Passagiere tatsächlich gelungen war, unserer Suchmannschaft zu entkommen?«

Ich spitzte die Ohren, denn dieser Flüchtende war ich.

 

Fortsetzung folgt …