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Jimmy Spider – Folge 21

Jimmy Spider und die Mördereiche

Wenn ich etwas hasste, dann, dass einem eher aus dem Gesäßteil Flügel wachsen, als dass man bei der TCA Urlaub (den ich nach dem Fall mit der schwarzen Box mal wieder dringend gebraucht hätte) erhält. Dementsprechend stand es mit meiner Laune auch nicht unbedingt zum Besten, als ich von dem Auftrag erfuhr, eine angeblich Menschen verschlingende Eiche zu untersuchen. Als ob es dafür keine ausgebildeten Holzfäller gäbe …

Zumindest hatte ich zur Erfüllung meiner sinnfreien Aufgabe nicht wieder um die halbe Welt, sondern lediglich bis zu einem kleinen Wald in der Nähe von Glasgow reisen (und mir eine dickere Jacke besorgen) müssen. Hier, in einem schmucken, naturbelassenen Bereich im Schatten zweier stämmiger Erlen (es konnte sich aber auch um eine Vielzahl anderer Baumarten handeln – Tannen einmal ausgenommen; meine silvologischen Kenntnisse endeten bei dem Wissen, wie man einen Baum fällt), wuchs die berüchtigte Mördereiche von Glasgow (wie eine nach einem recht prominenten Himmelskörper benannte Tageszeitung getitelt hatte). Als ich meinen Kopf in den Nacken legte, erblickte ich das mächtige, weitverzweigte Blätterdach des Baumes, durch das die kräftigen Strahlen der Herbstsonne zirkulierten.

Nachdem ich meinen Blick wieder auf den Stamm und die Wurzeln gerichtet hatte, ließ ich gedanklich noch einmal Revue passieren, was ich so alles über dieses noch recht harmlos wirkende Gewächs wusste: Sieben Menschen waren in diesem Wald verschwunden, von allen hatte man lediglich Kleidungsreste gefunden, die zwischen den Wurzeln der Eiche gesteckt hatten (woraufhin man freilich dem Baum die Schuld in die Schuhe – bzw. in diesem Fall eher in die die Wurzeln umgebende Erde – geschoben hatte, andere Verdächtige waren wohl gerade nicht aufzutreiben gewesen).

Bei dem sechsten Mord hatte es sogar einen Zeugen gegeben – den Förster. Er hatte den örtlichen Behörden berichtet, dass sich bei einem Kontrollgang durch seinen Wald die Wurzeln der Eiche aus dem Erdreich gelöst und einen hilflosen Wanderer in einen finsteren Schlund unterhalb des Baumes gezogen hätten. Somit war zumindest der Schuldige an meinem unfreiwilligen Waldspaziergang schnell gefunden.

Allerdings hatte sich der Förster – Robert Frenette – als wenig glaubwürdiger Zeuge erwiesen, galt er doch in Fachkreisen als weitaus talentierterer Kornbrenner und –konsument und nicht als ausgewiesener Forstexperte. Außerdem hatte er mehrfach mit exhibitionistischen Waldspaziergängen auf sich aufmerksam gemacht. Diese wenig ruhmreiche Karriere hatte auch den Ausschlag gegeben, dass sich die örtliche Polizei schnellstmöglich des Falles entledigt und ihn dankenswerterweise an die TCA »zur weiteren Bearbeitung« weitergereicht hatte. Äußerst lobenswert.

Nun stellte sich aber die Frage, wie ich die Eiche des siebenfachen Mordes überführen und gegebenenfalls zur Rechenschaft ziehen sollte. Neben meinem weitreichenden Intellekt standen mir natürlich meine Desert Eagle, mein Einsatzkoffer (gefüllt mit einer Handsäge, einem Mini-Flammenwerfer, Dynamit, einem Feuerzeug – sehr sinnvoll, wenn man sich die vorherigen Gerätschaften vor Augen führt -, Ersatzmunition sowie der unvermeidlichen Flasche Wodka; die Siegerzigarren trug ich natürlich in meiner Jacke versteckt) und ein freundlicherweise von dem bereits erwähnten Förster gesponserter Spaten zur Verfügung.

Zunächst einmal wollte ich aber den Baum selbst näher unter die Lupe nehmen. Dazu trat ich direkt an den mächtigen Stamm heran.

Als ich meine rechte Hand auf die Rinde legte, spürte ich – nichts. Außer die klebrigen Reste eines Hirschkäfers, den ich bei meiner Aktion versehentlich in den Käferhimmel geschickt hatte.

Nachdem ich die Bescherung beseitigt hatte, klopfte ich zum Test mit meiner wieder sauberen rechten Hand gegen die Rinde.

»Jemand zu Hause?«, fragte ich in der Hoffnung, gerade nicht beobachtet und für einen geisteskranken Druiden gehalten zu werden.

Eigentlich hatte ich nicht mit einer Antwort gerechnet, als tatsächlich ein kratziges »Nein!« aus dem Inneren des Stammes erklang.

Wollte mich die Eiche etwa für dumm verkaufen?

Ich beschloss, Nägel mit Köpfen zu machen. »Sie stehen unter dem dringenden Tatverdacht, sieben Menschen ermordet zu haben«, sagte ich bestimmend, auch wenn mir die Situation recht bizarr vorkam.

Die folgende Antwort stand dem in nichts nach. »Verschwinden Sie, Spider!«, drang es aus dem Baum.

Jetzt war ich aber doch überrascht. Die Eiche kannte also meinen Namen – oder aber sie hatte mich mit einem dieser achtbeinigen Wesen verwechselt, die in meiner Wohnung zuweilen zur Untermiete wohnen. Aber irgendwie glaubte ich nicht daran.

Ich versuchte, ein paar zusätzliche Informationen aus der Eiche hervorzulocken. »Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte ich.

»In meinen Kreisen steht Ihr Name für das Feindbild Nr. 1.«

Schön. Ein paar Feinde mehr, was schadete das schon? Herausgefunden hatte ich damit allerdings noch kaum etwas, deshalb fragte ich: »Und was verschafft mir die Ehre?«

»Sie haben einen von uns getötet!«

»Sie müssen mich verwechseln, ich bin kein Holzfäller.«

Aus dem Stamm drang nur ein wütendes Gemurmel. Statt mir nur schwammige Antworten zu geben, öffnete er sich mir nun wortwörtlich.

In Höhe meiner Hüfte entstand ein gewaltiger Riss im Baum. Als hätte sich eine Flügeltür geöffnet, schoben sich die zwei Hälften des Stammes in entgegengesetzte Richtungen auseinander und gaben so den Blick in sein Inneres frei.

Meine Augen weiteten sich für einen Moment. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet – der Baum war innen vollkommen hohl, allerdings nicht leer. Auf der Höhe meiner Knie saß … ein Kobold! Runzlige grün-braune Haut, gelb leuchtende Augen, struppiges Haar, zwergenhafter Körper und Kleidung, die er auch einem Gartenzwerg gemopst haben konnte; eben genau so, wie man sich einen Kobold vorstellt – und wie ich eines dieser Wesen vor ein paar Monaten schon einmal erlebt hatte, als Tanja Berner (von der ich schon eine Weile nichts mehr gehört hatte) und ich beinahe einem in sein Gold vernarrten Kobold zum Opfer gefallen wären. Diesmal würde ich aber wohl meinen Verstand behalten dürfen.

Der kleine grüne Wicht vor mir saß auf einem in seiner Form an einen Fernsehsessel erinnernden, grüngelb leuchtenden Stein und starrte mich hasserfüllt an. »Na, überrascht, Spider?«, fragte er geifernd.

»Nur, dass du mich nicht mit Reimen überschüttest.« Bei diesem Anblick konnte ich unmöglich beim förmlichen Sie bleiben.

Mein Gegenüber sah das offenbar ähnlich. »Das würde ich nur, wenn ich einen Topf voll Gold bewachen würde, du Frevler.«

»Die Sache mit dem anderen Kobold scheint sich in Schottland also herumgesprochen zu haben.«

Er nickte und fixierte mich dabei mit seinen gelb leuchtenden Augen. »Wer einen von uns tötet, ist in den Augen von jedem unserer Art bereits zum Tode verurteilt. Es ist eine glückliche Fügung des Schicksals, dass ich das Urteil vollstrecken darf.«

»Freu dich nicht zu früh!«, entgegnete ich und zog dabei meine Desert Eagle. Bei meiner letzten Begegnung mit einer dieser liebenswerten Gestalten hatte die Spezialmunition meiner Waffe genügt, um sie in eine übel riechende Suppe zu verwandeln.

Dieser Kobold wollte es mir aber nicht so leicht machen. Mit seinen kleinen Klauenhänden löste er auf seiner Sitzgelegenheit irgendeinen (vermutlich magischen) Mechanismus aus.

Neben und hinter mir brach plötzlich die Erde auf. Heraus schossen die dicken und zahlreichen Wurzeln der alten und ausgehöhlten Eiche und griffen sofort nach mir.

Mit einem Hechtsprung schaffte ich es, auf Abstand zu dem Baum zu gehen und den ersten Wurzelschlägen auszuweichen. Jetzt musste ich versuchen, an meinen Einsatzkoffer zu gelangen. Leichter gesagt als getan hatte ich ihn doch in Anbetracht der vermeintlichen Friedfertigkeit dieses Ortes etwa zehn Meter von der Eiche entfernt abgestellt und lediglich den Verschluss geöffnet.

Hinter mir erklang erneut die Stimme des Kobolds. »Jetzt wirst du erleben, was ich schon mit den sieben Wanderern gemacht habe.«

Während ich hastig einer nach mir greifenden Wurzel auswich, nahm ich mir noch die Zeit, meine Neugierde zu stillen. »Und was hast du nun mit ihnen gemacht?«

Da ich aus Erfahrung wusste, dass Bösewichte kurz vor ihrem vermeintlich triumphalen Triumph über ihren Gegner die Angewohnheit haben, alle rätselhaften Vorgänge noch einmal haarklein zu erklären, versuchte ich mit diesem Trick den Kobold ein wenig abzulenken, um an meinen Einsatzkoffer zu gelangen. Und ich hatte tatsächlich Erfolg damit.

»Mit den Wurzeln dieser Eiche habe ich sie gepackt und unter die Erde gezogen.« Was für eine Überraschung! Aber es ging zum Glück noch weiter. »Dank des magischen Kristallthrons, den du bereits gesehen hast, bin ich in der Lage, diese Eiche vollkommen zu kontrollieren. Durch ihn konnte ich die Menschen überraschen, überwältigen und unter die Erde ziehen, um sie dort selbst in Kobolde zu verwandeln, die nun in unserer Welt …« Während mein Gegenspieler noch einiges zum Thema Koboldmythologie zum Besten gab, war ich endlich durch den Wurzeldschungel zu meinem Koffer gelangt. Gerade als ich nach ihm greifen wollte, wurde er von einem dieser nervigen Gewächse wuchtig umgestoßen, wodurch sich der Inhalt auf dem Waldboden verteilte.

Ich griff nach der erstbesten Waffe, dem Mini-Flammenwerfer, und warf mich zu Boden, da mir gerade eine Wurzel beim Tragen meines Kopfes behilflich sein wollte. Weitere Fangarme schlängelten sich heran, genau vor die Mündung meines Flammenwerfers. Da drückte ich ab.

Eine gewaltige Feuerlohe, die ich der kleinen Waffe gar nicht zugetraut hatte, schoss den Wurzeln entgegen, die augenblicklich lichterloh brannten. Leider nicht nur sie, denn bei meiner übereilten Aktion hatte ich auch die Lunten zweier herumliegender Dynamitstangen-Bündel in Brand gesteckt. Und als wäre die Bescherung nicht schon groß genug, spürte ich plötzlich, wie sich eine Wurzel um mein linkes Bein wickelte. Nun kam ich also auch nicht mehr weg.

Wenn mir nicht schnell etwas einfiel, würden die TCA-Spurensicherer (oder ein nackt wandernder Förster) von mir nur noch Grillkohle finden. So weit wollte ich es nicht kommen lassen.

Mit all meiner Kraft wuchtete ich mich noch einmal hoch, sprang ein Stück nach vorn und bekam das Dynamit zu fassen. Die Lunten waren schon fast heruntergebrannt. Als ich sie gerade löschen wollte (auch auf das Risiko hin, die plastisch-chirurgischen Eingriffe zur Rettung meiner Fingerhaut auf die Spesenrechnung für meinen Chef setzen zu müssen), glitt mein Blick noch einmal zu der Eiche. Selbst aus der Entfernung sah ich das triumphierende Grinsen auf dem Gesicht des Kobolds. Gleichzeitig begann sich der Riss langsam wieder zu schließen.

So wollte ich ihn nicht davonkommen lassen. Zwar hatte er bisher keine dieser kriminell schlechten Reime von sich gegeben, aber immerhin hatte er bereits sieben Menschen verkoboldisiert und würde sicher nicht allzu bald damit aufhören.

Statt die Lunten auszudrücken, warf ich das Dynamit einfach in Richtung der Öffnung im Stamm. Ein Bündel segelte vorbei, das zweite aber flog genau in dem Augenblick in die Eiche hinein, als sich der Riss endgültig schloss. Das Letzte, was ich aus dem Inneren wahrnahm, waren die schreckgeweiteten Augen des Kobolds.

Im nächsten Moment schon erschütterten zwei gewaltige Explosionen die mächtige und uralte Eiche. Mit einem infernalischen Krachen barst das Holz, während sich die Reste des Baumes in einen riesigen Feuerball verwandelten. Nicht mal eine Minute später war von ihm nur mehr ein Haufen Grillkohle übrig (die Rolle, die ich mir schon zugedacht hatte).

Die nun führerlosen Wurzeln zogen sich wieder ins Erdreich zurück, leider hielten sie, als ob sie mich doch noch bestrafen wollten, meine Wodka-Flaschen und den Einsatzkoffer umschlungen und gaben sie nicht mehr frei. Wie sollte es auch anders sein …

So blieb mir zum Zelebrieren meines Sieges nur meine Zigarre, die ich mir noch im Liegen ansteckte und dabei meinen kleinen Triumph auskostete.

Copyright © 2010 by Raphael Marques