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Jimmy Spider – Folge 12

Jimmy Spider und der Kobold im Regenbogen

Nach den letzten Ereignissen waren Tanja und ich noch bis zum Morgengrauen bei dem geheimen Hauptquartier des Tigerordens geblieben.

Zunächst einmal hatten wir die Toten abholen lassen. Neben Basil MacArthur und nicht wenigen Monchoppie-Kadavern (die, wie ich nun erfahren hatte, nach einigen Stunden anfingen, nach Kuhmist zu stinken) hatten auch drei von Commander Rathbones Leuten den Kampf um den Tigerorden mit ihrem Leben bezahlt. Die TCA würde mit Sicherheit ein anständiges Begräbnis für sie organisieren.

Dazu hatten wir bei einer anschließenden Hausdurchsuchung feststellen müssen, dass in einem abgeschotteten Wachraum zwei weitere Tote lagen. Wachmänner der Tigerorden-Sekte, die wahrscheinlich von Raymond Sterling geköpft worden waren.

Unser Gegner selbst war natürlich längst über alle Berge, und auch von den Monchoppies fehlte jede Spur. Unfassbar, dass eine Horde knurrender Kuschelmonster mitten in den schottischen Highlands einfach so verschwinden konnte.

Nun, es würde sicher nicht die letzte Begegnung mit dieser menschenfressenden Horde werden, da war ich mir sicher.

Jedenfalls hatte ich mit meinem Chef telefoniert und zwei Tage Urlaub herausschlagen können. Selbstredend nicht nur für mich, sondern auch für Tanja Berner.

Mittlerweile tourten wir bereits zwei Stunden in unserem Wagen durch Schottland. Einsame Dörfer, schier unendliche Wälder und eine Landschaft, die jede Postkarte vor Neid erblassen lassen würde, zogen an uns vorbei. Dazu ein strahlender Sonnenschein, der leider langsam aber sicher von einigen bedrohlich dunklen Wolken überdeckt wurde.

Auch meine braunhaarige Partnerin hatte diese düstere Ankündigung bemerkt. »Sieht nach Regen aus, Jimmy.«

Ich nickte nur.

»Vielleicht sollten wir uns irgendwo ein einsames Hotel suchen.«

Ich schaute lächelnd zu ihr hinüber. »Warum denn unbedingt ein einsames?«

Tanja lächelte mich ebenfalls an. »Um die Natur zu genießen.«

»Ach so.« Nicht, dass ich eine andere Antwort erwartet hätte.

Meine Partnerin lächelte weiterhin, wandte aber wieder ihren Blick in Richtung Wolken.

Das hoch technisierte Navigationssystem meines TCA-Geländewagens zeigte mir auf Anfrage allerdings an, dass die nächste Ortschaft gute zwanzig Kilometer entfernt lag.

Über uns grummelte es bereits verdächtig. Dass es bereits in der letzten Nacht ausgiebig geregnet hatte, schien die zurzeit diensthabenden Wettergötter nicht weiter zu interessieren.

Erste Tropfen landeten bereits auf der Frontscheibe.

»Sieht aus, als müssten wir mit einem fahrbaren Hotel vorlieb nehmen.«

Tanja Berner antwortete, ohne ihren Blick vom Himmel zu wenden. »Das kann auch manchmal sehr kuschelig sein.«

»Bitte, von Kuscheleien habe ich zurzeit die Nase voll.«

Als ich merkte, dass dieser Satz überhaupt nicht so klang, wie ich es eigentlich gemeint hatte, war es bereits zu spät. Tanja Berner beendete unser Gespräch mit einem eingeschnappten »Dein Problem«, danach war erst mal Ruhe.

Ich verdrehte nur die Augen. Das hatte ich mir selbst zuzuschreiben.

Inzwischen intensivierte sich der Regen immer mehr. Waren es vor einige Minuten noch einige Tropfen, fielen nun wahre Sturzbäche an Wasser auf die Erde nieder.

Langsam aber sicher wurde die Umgebung so dunkel, dass ich selbst mit eingeschalteten Scheinwerfern kaum fünf Meter weit sehen konnte.

Eine zweite Sintflut schien sich anzukündigen, denn schon bald schwammen wir förmlich über die Straße.

Als ich eine kleine natürliche Haltestelle sah, wendete ich sofort das Fahrzeug nach links und stellte den Motor ab. Bei so einem Wetter machte eine Weiterfahrt ungefähr so viel Sinn wie ein Skiurlaub in der Wüste Gobi.

»Ich weiß nicht, wie es dir geht, Tanja, aber ich werde jetzt erst mal ein Nickerchen halten. Weck mich, wenn der Regen vorbei ist.«

Meine Partnerin sagte nichts. Ich nahm das einfach mal als ein ‚ja’ hin und schloss die Augen.

Wenige Minuten später zollte ich bereits den harten letzten Stunden Tribut und schlief ein …

 

… nur um einen Augenblick später wieder die Augen zu öffnen.

Verwirrt blickte ich mich um. Das war nicht mehr das Auto, in dem ich eben noch gelegen hatte, sondern ein vor Sonnenlicht schillernder Laubwald.

Grüne Farne, Blätter und Stämme, so weit das Auge reichte. Ein Wald wie im Märchen. So dicht und natürlich, wie es heute kaum noch Gegenden gab.

Und inmitten stand – ich konnte es kaum glauben – ein Topf voller Gold! Bis zur Brust türmten sich schillernde Münzen vor mir auf, die in einem braunen Gefäß lagen.

Irgendwo kicherte jemand. Doch es war niemand zu sehen. Trotzdem, von irgendwo her erklang eine kratzige Stimme.

»Hast du gefunden den Topf voller Gold,

ist dir des Glückes guter Wille hold.«

Links neben mir trat eine Gestalt aus den Büschen. Ein Wesen, das mir gerade einmal bis zur Hüfte reichte. Es trug einen grünen Hut, eine ebenfalls grüne Jacke und eine (wie sollte es anders sein) grüne Hose. Dazu schwarze Schuhe mit einem goldenen Einband.

Ein Mensch war diese Gestalt in jedem Fall nicht, denn neben ihrer Kleinwüchsigkeit besaß sie auch eine runzelige, grünbraune Haut und Augen mit gelben Pupillen.

Das Wesen kicherte wieder.

 

»Du fragst dich bestimmt Wie komm’ ich hier hin?,

und natürlich wer ich wohl bin.

Nun, man nennt mich Archibald,

der Kobold aus dem verwunschenen Wald.

Ich bewache mein Gold am Ende des Lichts,

doch wenn ich nicht will, siehst du auch nichts.

Ich warte auf die, die meinen Schatz suchen,

um die, die ihn mir stehlen, auf ewig zu verfluchen.

Doch komm nur, mein Schatz ist auch dein,

so war es, so ist es, so wird es immer sein …«

 

Gold … dieses eine Wort prägte sich in meinem Unterbewusstsein ein. Gold … das Wort versteckte sich, nistete sich in meinem Innersten ein, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Doch kurze Zeit später schien es wieder verschwunden zu sein.

Das Wesen jedoch war noch nicht ans Ende seiner flammenden Rede gekommen.

»Jimmmmyyyy, wach auf, wach auuuuf!«

Ich stutzte. »Hey, Moment, das reimt sich doch gar nicht. Das ist …«

Plötzlich war die Schwärze wieder da, und eine Sekunde später saß ich wieder in meinem Wagen und blickte in das sorgenvolle Gesicht von Tanja Berner.

»Träumst du immer so komisch, Jimmy?«

Ich konnte nicht antworten, denn ich musste mich erst wieder zurechtfinden. Ich war also nicht in einem verwunschenen Wald, sondern nur in meinem Geländewagen. Und das alles … war nur ein Traum gewesen? Ich konnte es kaum glauben.

Tanja legte mir ihre Hand auf die Schulter und danach an die Wange. »Fieber hast du jedenfalls nicht.«

Mittlerweile konnte ich wieder einigermaßen klar denken. »Nein, nein, ich habe nur etwas Seltsames geträumt.«

Meine Schweizer Partnerin schaute mich nur fragend an, deswegen berichtete ich ihr von der grünen Gestalt, dem Wald und dem Topf voller Gold.

Gold

Tanja nickte mir zu, als wüsste sie mehr als ich. »Komisch, dass du als Insulaner nicht weißt, von was du da geträumt hast.«

»Klär mich doch bitte auf.«

»Die Gestalt, von der du geträumt hast, war ein Kobold – oder auch Leprechaun, ganz wie du willst. Es ist doch eine altbekannte Legende, dass am Ende eines Regenbogens ein Topf voller Gold zu finden ist, der von einem Kobold bewacht wird. Hast du davon tatsächlich noch nie etwas gehört?«

Gold …

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Irgendwie ist mir das entgangen.«

Erst jetzt merkte ich, dass der Regen aufgehört hatte. Nicht nur das, es herrschte wieder strahlender Sonnenschein. Und als ich den Himmel intensiver betrachtete, erkannte ich auch einen Regenbogen, dessen Ende nur wenige Kilometer von uns entfernt zu liegen schien. Natürlich war das nur eine optische Täuschung, denn das Ende eines Regenbogens konnte niemand erreichen. Oder doch? Nach diesem Traum war ich mir nicht mehr so sicher.

Auf jeden Fall hatte ich wieder einen Weg gefunden, meinen ersten freien Tag zu verbringen.

Ich blickte zu meiner Partnerin herüber. »Was hältst du davon, auf Koboldjagd zu gehen?«

Tanja schien wieder bessere Laune zu haben. »Hätte nichts dagegen.«

Sie lächelte kurz und schnallte sich wieder an.

Ich startete währenddessen den Motor und fuhr den Wagen wieder auf die Straße zurück.

Der Teer der Straße glänze noch vor Feuchtigkeit, aber die Reifen fanden dennoch einen Halt.

Als wir die Straße weiterfuhren, mitten durch einen dichten Wald, fragte ich mich, ob das, was ich erlebt hatte, wirklich ein Traum gewesen war, und wenn, ob er nicht von jemandem ferngelenkt wurde.

Normalerweise hätte ich bei so etwas nur den Kopf geschüttelt, aber nach meinem Erlebnis vor Kurzem auf der Cursed Virgin sah ich die Sache doch mit anderen Augen.

Minuten vergingen, in denen wir schweigend an den dicken Stämmen der alten Eichen, Buchen (und vielem anderen, mir nicht namentlich bekanntem Gestrüpp) vorbeifuhren. Doch als sich vor uns der Wald öffnete und wir wieder im freien Gelände waren, trauten wir unseren Augen nicht.

»Spinne ich, Jimmy?« Meine Partnerin starrte ungläubig geradeaus.

»Wenn, dann nicht nur du.« Bei mir hatte das aber schon einen familiären Hintergrund.

Was ich zuvor nur geträumt und vermutet hatte, bewahrheitete sich jetzt: Vor uns, auf einem weiteren Hügel, auf dem ein weiterer Wald lag, sahen wir den Regenbogen. Anstatt langsam zu verblassen, war er noch intensiver geworden und schien regelrecht in den Wald hinein zu laufen.

Dort irgendwo musste er stehen, der Topf voller Gold.

Wunderbares, glänzendes Gold

Ich verscheuchte diesen merkwürdigen Gedanken, drückte aber unbewusst aufs Gas, sodass wir uns dem Ende des Regenbogens noch schneller näherten.

»Jimmy, was machst du?« Tanja Berner schien gemerkt zu haben, dass mit mir irgendetwas nicht stimmte. Es schien, als würde mich das Gold (Gold!) magisch anziehen.

Immer stärker drückte ich auf das Gaspedal, sodass wir in einem irrwitzigen Tempo den Hügel hinauf rasten. Der Wald, in den der Regenbogen schien, rückte näher und näher. Nur noch wenige Meter und dann …

»JIMMY!« Tanja schrie erschrocken auf und reagierte reflexartig.

Bevor der Geländewagen einem der Bäume einen saftigen Schmatzer auf die Rinde geben konnte, riss sie das Lenkrad vor meinen Augen herum, sodass der Wagen in Pirouetten über die Straße schlingerte.

Schließlich konnte ich mich wieder beherrschen und trat auf die Bremse. Durch den Schwung wurden wir förmlich in den Wald hinein geschleudert, ohne aber einen Baum zu berühren.

Mitten im Grünen blieben wir stehen.

Neben mir atmete Tanja tief durch. »Was war das denn? Wolltest du uns umbringen, Jimmy?«

»Tut mir leid … ich, weiß auch nicht, was mit mir los ist. Irgendwie zieht mich dieser Ort an. Es war jedenfalls keine Absicht, dass ich uns beinahe zu Waldsalat verarbeitet hätte.«

Tanja Berner blickte mich sorgenvoll an. »Ich glaube es dir ja, aber …«

»Aber was?«

Sie antwortete mir nicht direkt. »Willst du jetzt wirklich in den Wald?«

Ich sah mich um. »Na ja, wir sind schon drin. Also ziehen wir es auch durch.«

Meine Partnerin nickte mir zu, aber überzeugt schien sie nicht zu sein. Kein Wunder, mir ging es nicht anders. Alles schien irgendwie mit dem Traum und dem Kobold zusammenzuhängen. Und dem Topf voll Goooooold.

Ging das schon wieder los? Ich verdrängte den Gedanken an das schillernde Edelmetall so gut es ging.

Gemeinsam stiegen Tanja und ich aus dem Wagen aus und sahen uns um.

Das TCA-Fahrzeug hatte tatsächlich eine kleine Schneise in die Büsche gerissen, doch der Wald blieb weiterhin dicht. Hier war wirklich ein uriges Stück Natur erhalten geblieben. Die Sonne, die durch das Blätterdach schien, gab der Umgebung etwas Unwirtliches, beinahe Märchenhaftes.

Doch da war noch ein anderes Licht, das durch das Grün der Umgebung drang. Das des Regenbogens.

Ich wies geradeaus in den Wald hinein, dort, wo sich das Licht zu bündeln schien. »Immer der Nase nach.«

Tanja warf mir noch einen kurzen Blick zu, dann marschierten wir los.

Nach wenigen Minuten, in denen wir uns wortwörtlich durch einen Urwald gewühlt hatten, konnte ich mit Fug und Recht behaupten, dass wir es geschafft hatten – uns zu verlaufen.

Und dennoch … irgendwie hatte ich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

Immer weiter kämpfte ich mich durch die Büsche, Farne und meterhohe Blumen und Gräser, vorbei an mächtigen Stämmen uralter Bäume.

Vor mir schien sich das Licht noch weiter zu intensivieren, Blau, rot, gelb, alle Farben des Regenbogens schienen sich vor mir zu vereinigen.

Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, waren wir am Ziel. Und dieses Ziel war etwas, was ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte.

Ein farbenprächtiger Vorhang, der direkt aus dem Weltall gefallen zu sein schien, verhüllte das Blickfeld vor uns.

Ich streckte meine rechte Hand aus. Als ich das Farbenmeer berührte, spürte ich ein wohliges Kribbeln auf meiner Haut, mehr nicht. Ich war mir nun sicher, auch diese Grenze überschreiten zu können.

Nachdem sich Tanja Berner neben mich gestellt hatte, machte ich den ersten Schritt.

Mein ganzer Körper war mit einem Mal mit diesem Kribbeln übersät, doch als ich einen zweiten Schritt nach vorne gegangen war, verschwand das Farbenmeer, und der Wald lag wieder vor mir.

Auch meine Partnerin hatte die Grenze überschritten.

Ich blickte nach vorne und zuckte zusammen, als ich sah, was nur wenige Meter vor mir stand: der Topf voller Gold. Gold, Gold, Gold, Goooold

Immer wieder hallte das Wort in meinem Kopf herum. Ich konnte nicht mehr an mich halten und stürzte auf den Schatz zu. Mit beiden Händen zugleich griff ich in den Topf, schnappte mir einige Münzen wiegte sie ehrfurchtsvoll in meinen Händen.

Wie selbstverständlich sah ich zu dem Kobold hinüber, der wie aus dem Nichts neben mir erschienen war.

Er nickte mir faunisch grinsend zu.

 

»Hast du gefunden den Ort deiner Träume,

sieh nur das Gold, lass es über dich schäume’.«

 

Normalerweise hätte ich über diesen schaurig schlechten Reim nur gelacht, doch in dieser Situation hatte er eine besondere Wirkung auf mich. Ich fühlte mich so sicher und glücklich wie noch nie zuvor, und das Gold in meinen Händen schien für mich zu den wertvollsten Dingen auf Erden zu werden. Wertvoller als mein Job, Tanja Berner, ja gar mein Leben. Denn was war schon ein Leben ohne dieses Gold? GOOOLD!GOOOLD!

Dieses Wort … »Gold!« Ich ließ es auf meiner Zunge zergehen. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesagt.

Während ich mich an meinem Schatz ergötzte, sah ich teilnahmslos zu, wie sich der Kobold meiner Partnerin näherte.

Sie blickte erschrocken zu mir herüber. »Jimmy, was ist mit dir los? Komm wieder zu dir!«

Gleichzeitig zog Tanja ihre Glock und zielte auf den Kobold.

Doch das sagenhafte Wesen reagierte ebenso schnell und sprang meine Partnerin an. Dabei prellte der Kobold ihr die Waffe aus der Hand.

Während die grüne Gestalt, die genauso aussah wie in meinem Traum, Tanja Berner mit schier übermenschlichen Kräften zu Boden drückte, zog der Kobold mit seiner linken Hand einen Dolch aus seinem Gürtel.

»Nun, da du das holde Weib zu mir gelockt hast, ist das Gold dein. Doch freue dich nicht zu früh. Denn erst hole ich mir ihre Seele, und dann werde ich mir auch deine zuführen.«

Bei seiner Rede lächelte er mir kurz teuflisch zu, was an mir komplett vorbeiging. Ich hatte schließlich mein Gold.

Nur nebenbei bemerkte ich, dass der Kobold mit Reimen aufgehört hatte. Geschwollen wie ein Schwamm in der Sauna hatte er trotzdem gesprochen. Offenbar war er so kurz davor sich mal wieder die unschuldige Seele eines Menschen zu holen, um sein eigenes Leben zu verlängern (komisch, woher wusste ich das auf einmal?), dass er auf solche Kleinigkeiten nicht mehr achtete. Sollte er doch, ich hatte schließlich mein Gold.

»Jimmmmy, Hiilfe! Hilf mir doch! BITTE!« Wie aus weiter Ferne schallte Tanja Berners Stimme zu mir herüber. Die schöne Schweizerin wehrte sich verzweifelt, versuchte, den Messerarm von ihrem Körper wegzudrücken.

Ich dagegen wandte meinen Blick den Goldmünzen zu. Eine fiel mir dabei besonders ins Auge. Auf der glatten goldenen Oberfläche schien sich etwas zu bewegen. Und nicht nur das, ich hatte den Eindruck, als würde sich aus dem Gold ein Gesicht formen.

Ich hielt die Münze ins Sonnenlicht, wurde von der Reflexion geblendet, und plötzlich wurde alles anders.

Der Wald verschwand, der Topf voll Gold, Tanja Berner und der Kobold ebenfalls. Nur die Münze blieb in meiner Hand.

Stattdessen baute sich vor mir eine Szenerie auf, die ich schon einmal gesehen hatte.

Das fliegende Schiff …

Ich erlebte noch einmal, wie es sich langsam gen Meeresoberfläche neigte, dem sicheren Ende entgegen.

Vor mir erschien wieder Geoffrey McShady. Ich blickte in sein weises, aber schon von Schmerzen gezeichnetes Gesicht. Wieder streckte er mir seine rechte Hand entgegen, nur ergriff er diesmal nicht die Leine meines Fallschirms, sondern die Hand, in der die Goldmünze lag. »Manchmal fehlt dir etwas der Blick fürs Wesentliche.«

Noch einmal blickte ich in sein Gesicht, noch einmal schickte er mir ein warmes Lächeln entgegen, dann verschwand die Szenerie wieder, und ich fand mich in dem Wald wieder, vor dem Topf voller Gold und ein paar Meter neben Tanja Berner, die verzweifelt um ihr Leben kämpfte.

Aber was war hier das Wesentliche? Das Gold? Aber das lag doch schon in meinen Händen.

»Jimmy!«

Die bestimmende Stimme ließ mich zusammenzucken. Doch es war nicht Tanja Berner, sondern die Goldmünze – oder besser, das Gesicht, das sich darauf gebildet hatte. Das Gesicht von Geoffrey McShady.

»Noch offensichtlicher geht es doch wohl nicht. Selbst unter Vollhypnose müsstest du das erkennen!«

»Was erkennen? Was soll ich tun?«

Obwohl mein Vorfahre nur als Gesicht auf der Münze erschienen war, verdrehte er gut sichtbar die Augen.

»Den Kobold abknallen, verdammt noch mal! Jag dieses Drecksbiest zur Hölle und rette deine Freundin! Zeig ihr, wie viel sie dir bedeutet!«

Ich nickte der Münze zu. Noch einmal warf ich einen Blick auf das Gold. Irgendwie war es mir jetzt vollkommen egal.

Wie aus einer Trance erwacht, zog ich meine Desert Eagle, entsicherte sie und drehte mich herum.

Der Kobold, der nur noch Zentimeter davon entfernt war, Tanja Berner die Kehle aufzuschlitzen, schien zu ahnen, dass sich etwas verändert hatte.

Sein Blick, auf die Mündung meiner Desert Eagle gerichtet, glitzerte im schieren Wahnsinn.

 

»Du wirst mich nicht töten, du einfältiger Tor,

eher friert die Hölle zu und die Teufel singen im Chor.«

 

»Dann zieh dich warm an, Goldjunge!« Mit diesen Worten drückte ich ab.

Drei Kugeln schoss ich nacheinander in das monströs verzerrte Gesicht des Kobolds.

Die Spezialgeschosse brachten den Kopf augenblicklich zum Platzen. Der führerlose Körper sackte zusammen und fiel von meiner Kollegin herunter.

Ich trat zu Tanja und half ihr hoch. Sie umarmte mich, und das wohl nicht nur, weil sie so wackelig auf den Beinen war. Ich drückte sie ebenfalls an mich.

Dabei warf ich noch einen Blick auf den Kobold-Torso. Der kopflose Körper löste sich in Sekundenschnelle auf und verwandelte sich in eine braungrüne Lache, die entfernt an das erinnerte, was ich von mir gegeben hatte, nachdem ich einmal zehn verdorbene Eier an einem Morgen gegessen hatte.

Auch der Topf voller Gold verschwand langsam aber sicher. Seine Umrisse verblassten, und schließlich war keine Spur mehr von ihm zu finden. Selbst der Regenbogen hatte sich wie auf ein Stichwort zurückgezogen.

Was blieb, war eine Kobold-Lache und eine schöne Frau in meinem Armen, aus denen sie sich aber nur Momente später löste.

Sie lächelte mich an, flüsterte »Danke« und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen, bevor sie sich umdrehte und wortlos den Rückweg antrat.

Ich lächelte ihr sanft hinterher.

Nun, bei so einem Ende konnte ich selbst auf meine Siegeszigarre gut und gerne verzichten.

Copyright © 2008 by Raphael Marques