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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Waschanlage

Die Waschanlage

Es war ein Abend, wie er nicht mieser sein konnte. Der alltägliche Ärger im Büro war heute besonders ausgeprägt gewesen, der Feierabendverkehr auf den Straßen schien in eine neue Dimension von Chaos und Aggression aufsteigen zu wollen und zu allem Überfluss zog nun auch noch feuchter Nebel vom Fluss in die Straßenschluchten und vermischte sich mit den Abgasen der endlosen Fahrzeugkolonnen zu einem stinkenden Dunst, der das Atmen schlimm erschwerte. Ich hasste Tage wie diesen, wenn sich diese riesige Stadt wie ein Moloch auf die Brust zu legen schien und man ein einziges Ziel hatte – nur raus aus diesem Zentrum ewiger Hektik und Betriebsamkeit!

Dieser letzte Tag im Oktober regte mich ohnehin seit Jahren immer mehr auf, da ich mit einiger Verärgerung feststellte, dass aus unseren unschuldigen Späßen der Kinderzeit, Süßigkeiten an diesem Tage zu erbetteln, inzwischen ein kommerzialisierter Festtag entstanden war, der bereits Wochen vor dem eigentlichen Datum mit aller List der Werbe- und Marketingexperten den Konsum ordentlich ankurbeln sollte. Ich war überzeugt, hier den Grund zu erkennen, wieso die Stadt heute besonders brodelte und kochte!

Meine Laune besserte sich auch dadurch nicht, dass ich nun bald den Vorort erreichen würde, in welchem ich seit Kurzem mit meiner Familie lebte. Meine Frau Alice und die Kinder Jim und Carrie hatten das Haus seit Tagen in ein Objekt obskurer Gruseligkeit verwandelt und führten sich auf, als müssten wir die Weltmeisterschaft im Übersinnlichsein für uns entscheiden. Ich hatte nur schwach dagegen protestiert, denn zu sehr beschäftigte mich der Streit mit meinem Chef um die gefährdete Zukunft der Firma, als dass ich diesen Hokuspokus auch noch zum Gegenstand ernsthafter häuslicher Dispute machen wollte.

Nur einmal hatte ich halbherzig Einspruch erhoben, als meine Frau eine Nachbarin zum Tee geladen hatte und diese besonders heftig die Vorbereitungen für diese Nacht des Spukes und der Geister beschrieb und dies so schaurig und mysteriös, dass meine 6-jährige Tochter sich ängstlich ihre Mutter drückte.

»Hören Sie auf, mit Ihren unsinnigen Geschichten meinen Kindern Angst zu machen! Glauben Sie im Ernst, dass Sie im Zeitalter von Weltraumfahrt und Computern mit Ihren Schauergeschichten irgendetwas Rationales erreichen, außer dass der Umsatz von Gruselmasken, Kostümen oder sonstigem Firlefanz steigt?« So meine Reaktion auf die Ausführungen der Besucherin. Die alte Dame hatte daraufhin wortlos unser Haus verlassen, nicht ohne mir beim Abschied einen bitterbösen Blick zu schenken. Ich wurde von meiner Frau ob meines Verhaltens mit einigen Vorwürfen bedacht, sodass ich in der Folgezeit wohlweislich darauf verzichtete, mich weiterhin zu diesem Thema zu äußern. Der Nebel hatte inzwischen einem ekelhaften Nieselregen Platz gemacht, und als ich in unseren Wohnort einfuhr, kam mir ein riesiger Transporter aus der nahe gelegenen Tongrube entgegen, der mich im Vorbeifahren in ein Gischtgemisch aus Wasser, Straßendreck und Tonpartikeln einhüllte.Schmierige, klebrige Masse bedeckte meinen Wagen von oben bis unten und die Scheibenwischer schafften es kaum, wenigstens einen kleinen Ausguck durch die Windschutzscheibe zu schaffen.

»Verdammter Idiot, wie kann man bei diesem Mistwetter nur so rasen«, schickte ich meine Flüche dem unbekannten Fahrer hinterher, nur änderte dies an meiner Misere, fast blinde Autoscheiben zu haben, gar nichts. So blieb mir nichts anderes übrig, als die Waschanlage anzufahren, die ich links entdeckte.

Obwohl wir erst einige Zeit hier wohnten, war ich irgendwie überrascht, dass diese Anlage mir bisher nicht aufgefallen war, obwohl mein täglicher Fahrweg hier entlang führte.

Es war eines dieser altmodischen Objekte, die man heute kaum noch findet. Im Vorfeld erfolgt ein manuelles Behandeln der gröbsten Verunreinigungen, dann wird ein Programm gewählt und das Fahrzeug durch ein endlos im Boden verlaufendes Kettenband von Station zu Station transportiert und dort durch eine mehr oder weniger effektive Technologie von Wasserstrahldüsen, rotierenden Bürsten, schwingenden Textilstreifen und Heißluftstrahlern in ein Hochglanzobjekt verwandelt.

»Wir haben geschlossen, wollen schließlich auch mal Feierabend haben«, knurrte mich ein unfreundlich wirkender Mensch an, der offensichtlich gerade dabei war, das vordere Rolltor der Anlage zu verschließen.

»Guter Mann, ich bin eben von einem riesigen LKW völlig zugedreckt worden, ich kann kaum noch durch die Scheiben sehen und komme so nicht mehr nach Hause ohne Angst haben zu müssen, irgendwo im Straßengraben zu landen. Vielleicht erleichtert Ihnen dieses Stück Papier die Entscheidung, ihre Anlage noch mal anzuwerfen«, so meine fast unterwürfig bittende Frage, bei der ich einen 50-Dollarschein im Scheinwerferlicht wedeln ließ. Immerhin war diese Summe ein Mehrfaches des eigentlichen Preises einer Reinigung und sie tat offensichtlich ihre Wirkung, denn der knurrige Alte schob, wenn auch widerwillig, das Tor noch einmal auf, nicht ohne den angebotenen Schein blitzschnell in seinem Overall verschwinden zu lassen.

»Na Gott sei Dank, das war ja eine schwere Geburt, nur gut, dass es doch noch geklappt hat«, waren meine Gedanken und erleichtert lehnte ich mich in meinem Sitz zurück. Zum ersten Mal an diesem Tag hatte ich ein zufriedenes Gefühl und nicht mal der stechende, fast bösartig wirkende Blick des Anlagenbesitzers, der damit begonnen hatte, irgendwelche Reinigungsmittel über die Motorhaube zu kippen und diese dann mit einer langen Bürste zu verteilen, konnte mir diese wohlige Stimmung verderben.

Die Laune des Alten würde sich wohl auch wieder aufhellen, denn für 5 Minuten Überziehung des Feierabends satte 50 Dollar zu verdienen, war ja nun auch nicht gerade schlecht, dachte ich, als mir ein sanftes Rütteln anzeigte, dass die Klauen der Transportkette das linke Vorderrad erfasst hatte und nunmehr das Fahrzeug langsam ins Innere der Anlage gezogen wurde.

Ich war ein Typ, der bei allem Stress und Hektik des Alltags in der Lage war, kurze Momente der Erholung dazu zu nutzen, die abhandengekommene Leistungsfähigkeit schnell wieder in den »grünen« Bereich zu bringen. So auch jetzt, als der Ärger des Tages wie welkes Laub von mir abfiel, und wo weder Büroärger noch das miese Wetter oder gar der Ärger mit dem Drecklaster die Vorfreude auf mein Zuhause und meine Familie irgendwie mindern konnte. Und so lümmelte ich regelrecht entspannt in meinem Sitz, als ein gewaltiger Schlag an die Unterseite des Fahrzeuges dieses Wohlgefühl jäh abbrach und ein unbändiger Schreck durch meinen Körper fuhr.

»Heiliger Gott, was war das denn um Himmels willen?«, entfuhr es mir und ich merkte, dass meine Stimme in der Einsamkeit der technischen Anlage eigentümlich hohl und blechern klang. Ich wollte die Ursache von diesem Schlag ergründen und öffnete die Fahrertür, doch leider befand sie sich direkt neben der Säule eines Portals, aus dem Düsen Reinigungsmittel über das Fahrzeug spritzten. Die Tür öffnete sich keine 10 Zentimeter, bis die Säule ein deutliches Stoppzeichen setzte und die Heftigkeit, mit der ich sie aufgeschlagen hatte, führte dazu, dass ich wohl eine prächtige Beule hineinfabriziert hatte. Auch der Versuch, auf der Beifahrerseite dem Fahrzeug zu entfliehen, endete mit dem gleichen erfolglosen Bemühen. Inzwischen hatte ich zumindest meine Überlegungen wieder soweit normalisiert, dass ich eine rationale Erklärung für das Geschehen entwickeln konnte. Die Bürsten, mit denen die Räder und Felgen gereinigt werden, hatten das Fahrzeug erfasst und im Moment meiner kurzzeitigen Entspannung bewerteten meine Sinne diesen Zugriff in seiner Heftigkeit etwas über.

Doch nein, etwas war nicht in Ordnung. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. Beide Seitenholme des Fahrzeugs bogen sich unter dem Ansturm dieser äußeren Kraft deutlich erkennbar nach innen!

Während ich noch ungläubig auf diese Deformation starrte, hörte ich, wie sich mit klatschenden Geräuschen langsam mehrere große Bürsten näherten, die sowohl seitlich als auch frontal ihren Angriff auf den Schmutz eröffnen sollten. Sehen konnte ich fast nichts von dieser Annäherung, da alle Scheiben mit Schaum eingesprüht waren, der in Verbindung mit den anhaftenden Dreckpartikeln langsam in fetten Schlieren zusammenlief.

Wie groß war mein Erschrecken, als ich merkte, dass offensichtlich die Sensoren, die die Bürsten in ausreichendem Abstand an den Konturen des Fahrzeuges entlang führten, defekt waren, denn mit Erreichen der Motorhaube durch die Frontalbürste wurde das Auto so massiv nach unten gedrückt, dass die vorderen Federn sofort brachen und das Heck regelrecht nach oben gewuchtet wurde.

Mein Erschrecken war nun blankem Entsetzen gewichen, denn auch die seitlichen Bürsten drückten das Auto massiv in seiner Breite zusammen und ich flüchtete mich zwischen die beiden Sitze, um nicht im Aktionsradius dieser außer Kontrolle geratenen Nylonborsten zu enden. Doch kaum hockte ich dort, stellte ich fest, dass sich die vordere Bürste unverändert auf die Windschutzscheibe zu bewegte. Die Motorhaube war bereits vollkommen zerbeult, da der metallene Kern dieser rotierenden Walze sich direkt auf dieser in meine Richtung bewegte und das metallene Knirschen, verbunden mit dem klatschenden Geräusch der Borsten anzeigte, dass nunmehr bald das Glas der Scheibe splittern würde, hinter der ich mich noch in Sicherheit geglaubt hatte!

Was sollte ich bloß machen? Mein Puls schlug an seiner letztmöglichen Grenze, mein Verstand war nicht in der Lage, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Ich hatte nur noch panische Angst. Instinktiv warf ich mich in Richtung des Fußraumes. Keinen Augenblick zu früh, wie mir das Geräusch der splitternden Scheibe verriet.

Ekelhafter Schaum vermischte sich mit Blut, welches aus einer Verletzung an meiner Wange trat, die mir einige Glassplitter verursacht hatten. Bürstenhaare klatschten mir in die inzwischen schlammverschmierten Haare. Der Endloskette, die das Fahrzeug unbeirrt nach vorne zog, hatte ich es zu verdanken, dass das Inferno über mir langsam hinter mir verschwand, nicht ohne eine Spur elender Zerstörung zu hinterlassen.

Ich richtete mich langsam auf und suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Fiasko. Merkte denn der Mensch da draußen nicht, dass seine Anlage offensichtlich total defekt war? Aber von ihm war weit und breit nichts zu sehen, und da die Rolltore sowohl an der Ein- wie an der Ausfahrt geschlossen waren, war ich trotz der Tatsache, dass uns nur wenige Meter voneinander trennten, offensichtlich weiter von ihm entfernt wie unsere Erde vom Mond! Mein lautes Rufen und Schreien war jedenfalls ungehört verhallt. Auch meine Augen hatten mir bisher keine Möglichkeit aufgezeigt, einen Notfallschalter oder Ähnliches zu entdecken. Da sie durch die verspritzten Reinigungsmittel ohnehin wie Feuer brannten, hatte ich wenig Hoffnung, hier überhaupt noch etwas zu sehen.

Blieb eigentlich nur die Hoffnung, die letzten Stationen irgendwie heil zu überstehen. Mir selbst Mut machend, sah ich mich allerdings schon einer neuen Herausforderung gegenüber. Warme Luftwirbel zeigten an, dass die Reste des Fahrzeugs nun in ein Portal gezogen wurden, wo ein gewaltiger Metallkasten, in dem nicht weniger gewaltige Gebläseblöcke angeordnet waren, für Trocknung sorgen sollte. Große, rote Schrift leuchtete mir entgegen: BITTE NICHT BREMSEN!

Ein leichtes Zittern des Kastens zeigte an, dass die Sensorsteuerung wohl schon das Signal dafür gegeben hatte, dass sich die Heißluftspender nach oben heben sollten. Doch nichts geschah. Das metallene Ungetüm blieb in seiner Ausgangsstellung und die Kette zog mich immer näher heran. Nur noch wenige Zentimeter verblieben und der Zusammenstoß würde unweigerlich dazu führen, dass der Motorblock langsam in das Innere des Fahrzeugraumes gedrückt werden würde. Für mich gab es kein Entrinnen.

BITTE NICHT BREMSEN!

Verdammt noch mal, das ist doch Wahnsinn, schoss es mir durch den Kopf. Das geht doch nicht!

Ich trat mit aller Kraft auf die Bremse und zog auch noch die Handbremse an. Ich spürte, wie das Fahrzeug aus der Klaue des Transportbandes rutschte und gegen den Gebläsekasten drückte, aber es ruckte nicht weiter.

Gewonnen! So meine fast euphorische Reaktion.

Ein Ruckeln zeigte an, dass die nachfolgende Klaue das Rad erneut erfasste und wieder drückte ich mit aller Kraft das Bremspedal nieder, bis es aus der Klaue sprang. Vielleicht gelang es mir so Zeit zu gewinnen.

Wenn ich nicht bald an der Ausfahrt auftauche, wird vielleicht auch der Alte endlich aufmerksam, wo er doch ohnehin schon um seinen Feierabend gefürchtet hat.

Bei meinem nächsten Versuch, den Weitertransport zu stoppen, brachen nicht nur die Längsholme der Karosserie, sondern auch der Bremszylinder zerbrach unter der enormen mechanischen Belastung. Nun war der Weg frei, das Fahrzeug unter den Gebläsekasten zu ziehen und damit die Anlagen des Motorraumes in den Fahrgastraum zu verschieben.

Da dies gleichbedeutend mit meinem Ende war, blieb mir als letzte Rettung nur die Flucht aus diesem Chaos. Bei all den inzwischen erfolgten Zerstörungen blieb mir nur ein einziger Ausweg: Ich musste eines der Textilbänder greifen, die wie ein Vorhang hinter dem Gebläsekasten tanzten, mich daran aus der zerborstenen Windschutzscheibe ziehen und dann seitlich abspringen. Ich war nicht ganz unsportlich, trotzdem zweifelte ich doch etwas, ob mir diese fast akrobatisch anmutende Flucht gelingen würde. Mir blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn unter lautem Knall durchbrach der Motorblock die Fahrgastzelle und nur Sekunden später gab es diese nicht mehr. Zu diesem Zeitpunkt hangelte ich bereits an den blauen Textilbändern über dem krachenden und splitternden Chaos und hatte fast den rettenden Ausgang erreicht, als die Halterung brach und die Bänder sich langsam aus der Führungsschiene lösten …

 

»Alles in Ordnung Sir?« Der Officer blickte mich besorgt an, stand ich doch mit meinem Wagen bei voller Beleuchtung, heruntergelassenen Scheiben und laufendem Motor am Straßenrand und hatte offensichtlich geschlafen. Er kannte mich von unserem Einzug her und war sicher, dass ich nicht getrunken hatte.

»Ja, danke, es geht schon wieder, nur war ich wohl nach dem Besuch in der Waschanlage, nachdem mich der Laster aus der Tongrube so eingesaut hat, etwas schläfrig.«

»Wie bitte? Sir, die Tongrube ist seit Jahren geschlossen, da fahren keinerlei Wagen mehr und die Waschanlage vom alten Wallice – übrigens dem verstorbenen Mann Ihrer Nachbarin – wurde vor 3 Jahren abgerissen, um für den Supermarkt Platz zu machen. Sind Sie wirklich sicher, dass es Ihnen gut geht?«

Nein, das war ich nicht mehr, zumal ich verständnislos auf ein abgerissenes Stück blaues Textilband blickte, welches sich in meiner linken Hand befand.

(bk)