Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Hexe von Nassau

Als Karl V. im Jahre 1532 die Peinliche Halsgerichtsordnung, die Constitutio Criminalis Carolina erließ, wurden auf deren Grundlage nur diejenigen zum Tode verurteilt, welche der schädigenden Zauberei überführt wurden. Die kirchliche Auffassungen der Hexerei, die Ansichten über Bündnisse und Buhlschaften mit dem Teufel sowie die Vorstellungen vom Hexensabbat und dem Schänden der Sakramente blieben davon unberührt. Diese fanden seit 1572 in den damaligen Kriminalordnungen stärkere Beachtung. Es schien fast so, dass dem Hexenwahn der Pfaffen durch Reformation und den damit zusammenhängenden politischen und sozialen Veränderungen kaum noch Beachtung geschenkt wurde. Die neuen Ideen standen den geistigen Verfechtungen des Hexenglaubens kontrovers gegenüber, sodass der Hexenhammer zwischen 1520 und 1580 nicht neu erstellt wurde und der Hexenwahn fast in Vergessenheit geriet. Aber nur fast. Mitte des 16. Jahrhunderts lebte er wieder auf und nahm besonders um die Jahrhundertwende 1590/1600 an Schärfe zu. Dieser neuerliche Anstieg des Hexenwahns war begleitet von einer neuen Faszination und der Angst vor dem Teufel. Die Neufassung des Hexenhammers fand damals weite Verbreitung. Seine Hauptwirkung bestand darin, darauf hinzuweisen, dass der Teufel überall zu finden ist.

Graf Johann von Nassau-Idstein, ein wissbegieriger Herrscher, kannte sich auf dem Gebiet des Hexenwesens bestens aus und verfolgte in seiner Grafschaft unbeliebte Frauen. Autorin Nicole Steyer greift in ihrem Debütroman die Hexenverfolgung in Idstein in den Jahren 1676/1677 auf und erzählt die Geschichte um Katharina Heinemann, Tochter der Rothköpfin, wie ihre Mutter Eva auch genannt wurde. Während der Amtszeit des Grafen wurden zwischen dem 3. Februar 1676 und 31. März 1677 31 Frauen und 8 Männer hingerichtet.

Die Hexe von Nassau ist eine packende und einfühlsame Story mit historischen Hintergrund, der sich so oder so ähnlich in Idstein zugetragen hat.

Das Buch

Nicole Steyer
Die Hexe von Nassau
Historischer Roman
Knaur TB, München
November 2012
640 Seiten, 9,99 €
ISBN: 9783426511329

Kurzinhalt:
Das Herzogtum Nassau im Jahr 1676:
Hier lebt die junge Katharina mit ihrer Mutter in der Nähe der Stadt Idstein. Als Graf Johannes seine grausamen Hexen­verfolgungen beginnt, geraten die beiden Frauen in Gefahr. Katharinas Mutter wird hingerichtet. Und auch das Mädchen bleibt von Verdächtigungen nicht verschont, denn sie ist in das Visier des skrupellosen Henkers Leonhard Busch geraten. Dieser schreckt vor nichts zurück, um Katharina in seine Gewalt zu bringen.

Die Autorin

Das Licht der Welt erblickte Nicole Steyer 1978 in Bad Aibling und wuchs in Rosenheim auf. Nach der Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation arbeitete sie einige Jahre in der IT-Branche in München und zog 2001 nach Idstein im Taunus. Nicole Steyer ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern.

Geschichten begleiten die Autorin seit ihrer Kindheit. Bereits im Alter von acht Jahren verkaufte sie ihre ersten selbst gebastelten Bücher.
Sie begann Kindergeschichten zu schreiben, welche sie ihren Töchtern vorlas, und  veröffentlichte die Storys in einem kleinen Verlag. Seit 2008 ist Nicole Steyer als freie Autorin tätig.

Leseprobe

Ein empfindlich kalter Wind wehte über den Marktplatz in Idstein und brachte bereits die ersten Regentropfen. Fröstelnd rieb sich Katharina über die Arme und blickte zum Himmel. Die Sonne, die noch vor Kurzem von einem wolkenlosen Himmel geschienen hatte, war urplötzlich verschwunden. Der Marktplatz versank in der Dunkelheit des herannahenden Unwetters. Um sie herum war ein heilloses Durcheinander ausgebrochen. Die Händler packten eilig ihre Waren ein. Klirrend ging irgendwo ein Tontopf zu Bruch, und die Töpfe und Pfannen, die an einem der Nachbarstände verkauft wurden, schepperten im Wind.

Eilig rannte eine Gruppe Schausteller an Katharina vorbei. Gerade hatten sie noch getanzt und musiziert, jetzt flatterten ihre bunten Gewänder im auffrischenden Wind, der einer jungen Tänzerin sogar eines der bunten Bänder aus dem Haar riss.

Wo war nur der schöne Tag geblieben? Die Sonne hatte sich in den sauber polierten Fenstern der Häuser, die den Marktplatz säumten, gespiegelt. Der Duft von frisch gebratenem Fleisch und leckerem Brot hatte in der Luft gehangen, und die Gesichter der Menschen hatten Zuversicht und Freude ausgestrahlt. Eine Schar Gänse lief schnatternd an Katharina vorbei, gefolgt von einigen Hühnern. Sie zuckte erschrocken zusammen. Ein junges Mädchen, nicht älter als fünfzehn Jahre, rannte den Tieren verzweifelt hinterher.

Katharinas Mutter packte bereits hastig ihre Waren zusammen. Blusen, Kleider, Stoffe und Nähgarn wanderten unordentlich in ihren alten Karren. Katharina rollte die Spitzenbordüren ein, die sie und die Mutter zuvor liebevoll an den Rand des Brettes gehängt hatten, auf dem sie immer ihre Kleidungsstücke ausstellten. Es regnete immer stärker. Dicke Tropfen wurden vom Wind über den Platz getrieben, der sich in ein
Pfützenmeer verwandelte. Katharinas Haarknoten hatte sich gelöst, rote Locken klebten in ihrem Gesicht. Das dunkelblaue Leinenkleid, das sie heute Morgen extra für den Markttag angelegt hatte, war bereits vollständig mit Wasser vollgesogen und hing schwer und kalt an ihr herunter.

»So ein Unwetter aber auch. Es ist eine Katastrophe. Einige der Sachen können wir bestimmt nicht mehr verkaufen.« Ihre Mutter stöhnte. Eva Heinemann war etwas kleiner als ihre Tochter. Ihr Haar hatte aber dieselbe kupferrote Farbe, auch wenn es bereits von einigen grauen Strähnen durchzogen war.

Mit vereinten Kräften schoben sie das Brett auf den Karren und schützten damit wenigstens ein wenig die darunterliegenden Kleidungsstücke und Stoffe. Katharina atmete erleichtert auf, als sie es endlich geschafft hatten. »Gott sei Dank. Das schwere Ding. Es ist bei der
Nässe richtig rutschig.«

»So werde ich niemals fertig. Alles geht kaputt. Ich bin ruiniert.«

Als sie die Stimme hörten, drehten sich beide gleichzeitig um. Agnes stand verzweifelt zwischen ihren Stoffen. Die schöne Seide, der wunderbare Satin – alles war bereits völlig durchnässt. Wenn die wertvollen Stoffe nicht bald aus dem Regen kamen, konnte Agnes sie
nicht mehr verkaufen. Die kleine, leicht untersetzte Frau sah verzweifelt auf die Unmengen von Stoffballen, die um sie herumlagen.

Eigentlich war die schwere Arbeit für Agnes allein viel zu viel. Aber der Stand war die einzige Einnahmequelle der Familie, da ihr Mann so sehr von der Gicht geplagt war, dass er längere Zeit nicht arbeiten konnte.

»Wir helfen dir, Agnes.« Eva ging zu ihr hinüber. Katharina folgte ihr nicht sofort, sondern blieb noch einen Moment bei ihrem Esel Albert stehen und strich dem Tier beruhigend über seine zottelige Mähne. Der kleine Esel war sehr eigenwillig. Er war um einiges schmächtiger und kleiner als seine Artgenossen, hatte dafür aber einen ordentlichen Dickkopf. Katharina wusste, dass er es nicht mochte, im Regen zu stehen. Das Tier stampfte in den Pfützen herum. Beruhigend sprach Katharina auf den Esel ein, strich ihm liebevoll über den Hals, drückte ihren Kopf an seine warme Haut und spürte seinen Puls. Nach einer Weile wurde der Esel etwas ruhiger und hörte auf, unruhig umherzutänzeln.

Katharina hob langsam den Kopf, löste sich vorsichtig von dem Tier und ging nun ebenfalls zu Agnes hinüber. Vor Agnes’ Planwagen war ein großes kräftiges Maultier gespannt. Es war fast doppelt so groß wie Albert. Das Tier stand ganz still, blickte sich gutmütig um und schien sich für all die Aufregung und Panik um sich herum nicht zu interessieren. Sie tätschelte ihm liebevoll den Hals, bewunderte mal wieder die starken Flanken und die großen Hufe des Tieres.

»Na, du Dicker? Dir macht der Regen nichts aus, oder? Wir helfen jetzt deiner Herrin. Dann kommst du bald in deinen warmen Stall.«

Katharina wandte sich seufzend von dem Tier ab. Eine Ewigkeit hätte sie noch bei ihm stehen können. Sie liebte Pferde, Esel und Maultiere und konnte Stunden damit zubringen, Albert zu striegeln und zu bürsten. Ab und an half sie im Gassenbacher Hof im Stall aus. Das waren für sie immer perfekte Tage. Dann versank sie in der Welt der Tiere und vergaß alles andere um sich herum.

Agnes’ Tisch war immer noch voller Stoffe. Eine große grüne Bahn Brokatstoff lag direkt vor Katharina. Ein Teil des dicken Stoffes hing vom Tisch herab und schwamm in einer Pfütze. Der wertvolle Stoff schien völlig ruiniert zu sein. Seufzend rollte ihn Katharina zusammen und versuchte, die Stoffbahn zum Karren zu bringen. Der Stoff war so schwer, dass sie ihn kaum tragen konnte. Triefend nass hing er in ihren Armen, die schrecklich wehtaten. Katharina schwankte, und Agnes, die gerade eine Bahn gelbe Seide im Wagen verstaut hatte, bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Katharina Probleme hatte, und eilte ihr sofort zu Hilfe. Mit vereinten Kräften schafften sie es, den schweren Stoff auf den Wagen zu heben. Katharina blieb, die Hand auf dem Wagen aufgestützt und schwer atmend, stehen.

»Ach du meine Güte. Wie machst du das nur immer allein, Agnes?« Die alte Frau zuckte mit den Schultern, während sie sich bereits dem nächsten Stoffballen zuwandte.

»Es muss eben gehen. Wenn ich nicht mit dem Wagen auf die Märkte fahre, dann verhungern wir. Die Stoffe sind doch alles, was wir haben.«

Katharina richtete sich auf. Besorgt sah sie noch einmal zu Albert hinüber. Der Esel schnaubte unruhig. Hoffentlich würde er nicht einfach davonlaufen, denn er hatte sie bereits einige Male sprichwörtlich im Regen stehen lassen.

Plötzlich sah sie ein kleines Mädchen vor dem Karren. Die Kleine schien nicht viel älter als ein Jahr zu sein. Sie trug ein hellbeiges Leinenkleidchen mit einem braunen Wolljäckchen darüber. Kleine blonde Locken klebten an ihrem Gesicht. Sie stolperte neben dem Karren
und fiel in eine der großen Pfützen. Ihr Mund begann zu zucken. Trotz des Regens konnte Katharina erkennen, dass die Kleine weinte. Ihre Wangen waren rot vor Kälte. Verzweifelt patschte sie mit ihren kleinen Fingerchen in der Pfütze herum.

Katharina sah sich um, aber niemand schien sich für das Kind zu
interessieren.

»Was ist denn nun, Katharina?«

Katharina zuckte zusammen und drehte sich zu ihrer Mutter um.
»Sieh nur, Mutter, das Kind hier scheint ganz allein zu sein.«
Evas Blick wanderte zum Karren hinüber.

»Aber das ist ja die Kleine von Schobers aus der Obergasse. Wie kommt die denn hierher?«

»Du kennst das Mädchen?«

»Aber natürlich. Sie heißt Luise. Eleonore Schober ist ihre Mutter. Du kennst sie doch.«

Eleonore war fünf Jahre älter als Katharina und kam aus Dasbach. Katharina konnte sich noch gut an die Hochzeit mit Josef Schober erinnern. Die ganze Gasse war mit Blumengirlanden geschmückt gewesen. Es hatte einen großen Schweinebraten und die besten Würste gegeben, und bis tief in die Nacht hinein hatten Musikanten fröhliche
Lieder gespielt.

Eva ging zu ihrem Karren hinüber und hob die kleine Luise hoch. Liebevoll tröstete sie das Mädchen.

»Jetzt ist ja alles gut, mein Kind. Du wirst doch der Mama nicht
weggelaufen sein?«

Suchend wanderte ihr Blick über den Marktplatz. Katharina und Agnes sahen sich ebenfalls um. Doch zwischen den packenden Händlern, Ziegen, Kühen, Maultieren, Hühnern, Gänsen und halb abgebauten Ständen war keine Eleonore zu sehen.

»Anscheinend ist sie wirklich von zu Hause fortgelaufen«, mutmaßte Eva. »Bestimmt hat Eleonore ihr Fehlen noch gar nicht bemerkt.«

Agnes’ Blick wanderte wieder über ihre Stoffballen, von denen immer noch viele im Regen lagen. Katharina sah die tiefen Sorgenfalten auf ihrer Stirn.

»Wisst ihr, was«, schlug sie vor, »ich bringe die Kleine schnell zu Schobers, und ihr räumt unterdessen den Wagen fertig ein.«

Eva nickte und reichte ihrer Tochter vorsichtig das Kind.

»Aber pass auf, dass du in der Gasse nicht ausrutschst. Es ist sicher sehr glitschig dort.«

Katharina lächelte nachsichtig. Ihre Mutter behandelte sie manchmal immer noch wie ein kleines Kind und vergaß, dass sie es mit einer erwachsenen jungen Frau zu tun hatte. »Wir werden das schon schaffen«, antwortete sie, ein Lächeln auf den Lippen.

Mit dem Kind auf dem Arm lief sie über den Marktplatz, vorbei an Ziegenpferchen und Hühnern, die in kleinen Holzkästen dem Regen trotzten. Viehhändler, Handwerker und Gerber rannten durcheinander. Fuhrwerke fuhren an, Pferde und Maultiere wieherten und stampften mit den Hufen.

Eigentlich war Idsteins Marktplatz ein ruhiger und friedlicher Platz, über den der große Bergfried wie ein Beschützer wachte. Seine Spitze war heute im Regen und im Nebel der Wolken kaum auszumachen, ebenso wenig wie das Schloss des Grafen, das darunterlag.

Katharina war noch nie dort oben gewesen. Immer nur aus der Ferne hatte sie das beeindruckende Gebäude bewundert.

Unterhalb des Bergfrieds stand grau und düster das alte Torbogengebäude, neben dem das Büro des ehrwürdigen Herrn Amtsrats untergebracht war.

Wenn kein Markt war, herrschte hier eine friedliche und ruhige Atmosphäre. Kleine Holzbänke standen unter den Bäumen, auf denen man an warmen Frühlingstagen ausruhen konnte. Kein hektisches Treiben übertönte dann die ruhige Beständigkeit, die die Fachwerkhäuser ausstrahlten. In den kleinen Läden, Geschäften und Werkstätten ging jeder seiner Arbeit nach. Ab und an fuhr ein Fuhrwerk vorbei, kleine Kinder liefen lachend durch die Gassen. Am oberen Ende des Platzes holten die Frauen aus dem Brunnen ihr Wasser und erfuhren die Neuigkeiten und den Tratsch aus den Dörfern und der Schlossküche. Doch heute konnte Katharina den Brunnen nicht sehen, denn die Filzerei hatte davor ihren Stand aufgebaut. Zwei junge Frauen waren damit beschäftigt, Taschen, Schuhe, Hüte und sonstige Utensilien zusammenzuraffen. Katharina kannte die beiden vom Sehen und nickte ihnen kurz zu, während sie schwungvoll in die Obergasse einbog.

Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages und der Autorin

Text- und Bildquellen:

Copyright  2013 by Wolfgang Brandt