Das unheimliche Buch – Sebaldus-Nacht
Das unheimliche Buch
Herausgegeben von Felix Schloemp
Sebaldus-Nacht
Eine Schauergeschichte von Paul Busson
Der Eisenschild der Herberge drehte sich unaufhörlich auf seinen rostigen Angeln und erzeugte dabei ein ächzendes Geräusch. Die schweren Fensterläden der Gaststube wurden vom Wind gerüttelt und die Flamme der Zinnlampe, die rot schwelte, zuckte hin und her. Missmutig lümmelte Klaus Nunnenfeind am breiten Gesellentisch und sah auf den schlafenden Wirt. Auch der saure Krätzer im gebuckelten Glas war nicht nach dem Sinn des Wegmüden. Er fraß sich schier ein Loch in den Magen und juckte beißend in der Kehle.
Der Dritte im Raum hatte bisher kein Glied gerührt. Erst als der Nachtwächter vor dem Haus die Hellebarde klingend aufs Pflaster stieß und die elfte Stunde verkündete, erhob er sich schattengleich vom Stuhl.
»Pest, Tod und Verdammnis!«, grölte er. »Ich verrecke hier vor Langeweile. Verleihet mir Freundschaft, dass ich mich zu Euch setze.«
Das fehlte noch. Mit solchen Landstürmern trank ein ehrsamer Handwerker nicht. Nein und nochmals nein, auch wenn er etliche Ansprache nötig hatte.
»Bleibt immerzu, wo Ihr seid«, erwiderte Klaus grob. »Mich lüftet’s nicht, mit Euch zu schwatzen.«
Der andere lachte, sodass ihn der Bock stieß. Er trat aus der dunklen Ofenecke ins gelbe Licht.
»Ei, Ihr seid gar von französischer Sitte, Nunnenfeind!«, höhnte er. »Seht doch an!«
Der Goldschmied fuhr herum.
»Wie denn, kennt Ihr mich? Ich sah Euch mein Lebtag nicht …« Er blickte scharf hin. Das hagere Gesicht war braun und von Falten durchzogen, als wäre es im Sämond von einem Pflug zerpflügt worden. Tief und ungut zogen sich die dunklen Brauen nach außen und oben, und um den schmalen, verwickelten Mund witterte es boshaft. Bei jedem Wort tanzte der Adamsapfel auf und nieder. Der Mann trug ein Wams aus Tuch, papageiengrün, mit roten Nesteln. Eine schwere Weidtasche hing ihm über der Achsel und am Schwertgurt baumelte eine breite Ochsenzunge. Ruhig schob er mit dem Fuß einen Stuhl zurecht und setzte sich ohne viel Federlesens dem jungen Menschen gegenüber, der ärgerlich und verlegen die Nase ins trübe Glas steckte. Als er absetzte, sah er in die abscheulich gelben Augen des Zudringlichen, deren Pupillen oval waren wie die von Ziegen. So etwas hatte er noch an keinem Menschen gesehen. Stechend und frech ruhte der Blick auf ihm. Wie hässlich der fremde Kerl war!
»Schadet nichts«, sagte der Hager, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Schätzt mich nicht nach dem Balg. Lass den Darmputzer stehen, bis er das Glas zersprengt, und trink lieber eins aus diesem runden Pfaffenbauch.«
Er bot ihm eine dicke Flasche über den Tisch hinweg an. Den Trunk zurückzuweisen, war keine Option. Der Bursche trank – ei, das war köstlich! Süß und duftend rann der Wein in ihn – wie lindes Feuer. Er schloss die Augen und nahm noch einen langen Schluck.
»Der mundet nach dem Sematspreitzer!«, gab der Fremde von sich und nahm die Korbflasche wieder an sich. »Der Schelm, der da in der Ecke schnarcht, verdient es, gesäckt zu werden, damit er Wasser genug habe, der Weinfälscher!« Nun aber, Klaus Nunnenfeind, da uns die Wanderschaft schon so wunderlich zusammenführt: Hättet Ihr Lust und Mut, ein schönes Stück Geld zu erwerben?«
Klaus ertrug den flackernden Blick der gelben Augen nicht.
»Wie meinen Sie das?«, sagte er und sah weg. »Ich kenne Euch nicht.«
»Was frommt’s Euch, Namen und Handwerk zu erfragen? Ein entlaufener Jäger bin ich, Räsperlein Rodderbusch genannt.«
»Mit Jägervolk, gar mit landflüchtigem, hat unsereins nichts zu schaffen«, erwiderte der Geselle kurz. »Man hat wohl manches vernommen.«
»Nun, ein Löwentaler ist ein Löwentaler«, sagte der Jäger, »Eure Schuhe sind übel zerrissen und Euer Habit löchrig genug. Ich will Euch den Filz mit Talern füllen, sodass Ihr ihn nicht mehr lüpfen könnt.«
Nunnenfeind wurde rot und steckte die Füße unter den Tisch. Ja, er bedurfte dringend des Geldes, denn heute war der letzte Zehrpfennig draufgegangen. Der Grüne war nicht übel, wenn er hielt, was er versprach. Auch der Südwein aus der runden Flasche, die willig in seine Hand kam, kreiste im Blut. Schließlich warf der Fremde eine Handvoll Silbertaler auf den Tisch, sodass sie wie schimmernde Fische sprangen. Sie rollten und klirrten eine Weile im Licht, bis die strickadrige Hand sie gleichmütig raffte und im Ranzen barg, in dem ein ganzer Schatz gleißte.
»Was wäre das!«, forschte Klaus.
Der Dürre zeigte die Pferdezähne und neigte sich zu ihm.
»Und wie ist’s mit dem Bruder? Habt Ihr ihn schon gefunden!«, raunte er. »Ich verhelfe Euch zu ihm.«
Ein sonderbarer Schreck rann dem Handwerker über den Rücken. Wer konnte wissen, dass er nach seinem Bruder suchte, den seit zwei Jahren niemand mehr gesehen hatte? Die Eltern waren tot und das Erbe wartete. In der Erde. Der Alte hatte mit Hinz, dem Ältesten, Gold und Silber vergraben. Der Türke, dessen Vortrab sich in lodernden Flammen ankündigte, fand nichts. Wenige Tage nach dem Graben verschwand Hinz. Nichts hielt ihn – weder die zitternden Flüche des Vaters noch die Tränen der Mutter. Da ließ er sich beim Lothringer anwerben – alles wegen der Pogner Marie.
– der Hexentochter, die ihn im Wahn hielt und sich an seiner wilden Glut erfreute. Als sie dem reichen Lamplwirt etliches Hausgerät mit in die Ehe brachte und keck auf rotleuchtendem Haar die Myrtenkrone trug, war es mit ihm aus. Mit dem Kränzel hatte er auch das Weib zu besitzen gedacht und ahnte in seiner Einfalt nicht, dass er nur ein Spielzeug ihrer Lust war und sich mit anderen teilte in die heißen Nächte, nach denen ihr kitzelndes Blut schrie. Ganz ruhig blieb ihr kühles Herz. Sie besaß die Männer und blieb frei und unberührt in der Seele, hoch über ihnen wie der jagende Falke, dessen gellender Stoßruf ihrem Lachen glich, wenn sich einer ihrer Sklaven bettelnd und winselnd zu ihren Füßen wand. War sie denn nicht am selben Tag zum Tanz gegangen, als man den blassen Knaben vom Schloss, dem die braunen Seidenlocken ins Kindergesicht hingen, vor ihrer Tür auflas? Man musste seine erstarrten Finger mühsam vom Dolchgriff lösen, ehe man das Eisen aus seinem stillen Herzen zog. Tanzte eine wohl an jenem Abend bei Flöten und Geigenstrich stattlicher und feiner die sieben Sprüng’ auf rauchendem Boden? Unter den ehrsamen Weibern und den Neidhammeln, die sich mit jenen begnügen mussten, erhob sich Murren, als die schlanke Marie mit roten Wangen und lachend dahinschliff. Aber hundert Fäuste verliebter Burschen waren bereit, die Sünderin gegen die tugendhafte Wut zu schützen.
Hinz hatte das feine Gift im schweren Blut nicht ertragen, er lief hinter dem Kalbfell her, um sein Leid zu vergessen, und stach nach blankgeschorenen Janitscharenköpfen. Nach dem Sieg bekam er den Abschied wie viele andere auch. Sicherlich zog er geldlos und unstet umher und hoffte auf eine neue Kriegsfuria, wäre da nicht das Pergament gewesen, das sich im Besitz seines Bruders befand und auf dem Plan und Ort verzeichnet waren, wo die irdenen Töpfe mit dem Hort vergraben lagen. Der Jüngere wäre wohl nicht aus der sicheren Stube der ungewissen Fährte des Soldaten nachgezogen. In diese Gegend wies die letzte Spur – nach der Heimat.
Mit weichen Schritten hinkte Klaus am späten Abend in die Herberge. Ach, wenn er doch nur den Bruder erreichen könnte!
»Was begehrt Ihr von mir für solchen Lohn?«, fragte er eindringlich und bog den Leib über den Tisch.
Käsperlein schielte, verschob den Unterkiefer und hob die faltigen Lider von den Geißenaugen.
»Heute ist Sankt Sebaldis Nacht«, wisperte er. »Großer Zauber ist zu finden bei armen Sündern, dessen ich bedarf. Wagst du den Gang und ein Mehreres, ist alles dein, was ich verhieß.«
»Also treibt Ihr’s?«, rief der Goldschmied erschreckt. »Seht Euch vor! In Linz brennen sie, sodass der Gestank den Fluss hinauf bis Passau zieht.«
Der Tischgenosse ließ ein Lachen hören, das wie Feilenstrich auf Eisen klang.
»Ich fürchte den Eisenhammer nicht, Knäblein. Wenn du den Weg scheust, tut ihn ein anderer. Sei unbesorgt.«
Er ließ die Taler im Ranzen klirren. Sicher würde sich ein nötiger Bursche finden, der ohne zu zögern den Gang tat, um weniger als ihm geboten wurde. Der lahme Kerl da konnte mehr als nur Brot essen, und die Taler waren vorhanden. Oft war Klaus nachts an solchen Stätten vorbeigekommen, allerdings ohne viel auf den Rabenstein oder das, was sich unter dem Galgenholz rührte und im Nachtwind schwang, zu achten.
Nach dem Zeche zahlen heute blieben ihm zwei Kupferpfennige. Wolken standen am Himmel und die Bettler waren schnell zur Hand, wenn ein Armer um ein Nachtlager bat.
»Ich tu’s«, stieß er heraus. »Aber seht Euch bei Lug und Trug vor, Grüner, ich bin kein Spittelweib, wenn’s zum Raufen kommt. Gott verzeih mir’s!«
Der andere spie aus – mit fahl grimmigem Gesicht.
»Unterlasse dein unnützes Schwören, Hansnarr«, murmelte er unwirsch. »Mach aus, mit wem du willst. Ich geh’s jetzt an!«
Hinkend schritt er zur Tür. Klaus griff nach dem kurzen Eisen und schloss den Gurtriemen. Gegen Tücke war das Messer gut. Pah – morgen war ein heller Tag und er hatte Geld in allen Taschen. Er folgte dem Jäger hinaus vor die Tür.
Ein Windstoß packte ihn bei den Schultern und warf ihn gegen die Wand, sodass die Kippen knackten. Der Genosse lachte hohl und fasste mit eiskalten, harten Fingern nach seiner Hand. Schweigend gingen sie durch die schwarze Nacht, tastend mit den Füßen nach dem Weg. Äste schlugen nach ihnen und Erdspalten taten sich auf. Mitunter schwirrte es wie Flügelschlag, und verworrenes Pfeifen zog durch die Lüfte. Wütend umkreiste der Sturm das letzte Haus, das des Henkers. Dann jagte er wild davon in die baumlose Ebene und kam keuchend wieder zurück, mit Flugsand und welken Halmen beladen.
»Ist denn überhaupt einer dort?«, fragte Klaus nach langem Schweigen.
»Ein ganz frischer«, raunte es ihm ins Ohr, »oben auf dem Rad liegt er, geflochten wie eine Brezel. Ich habe mit angesehen, wie ihm das Radeisen die Knochen zerkrachte. Das Knechtlein, das zustieß, war schwach, und bis zum Gnadenschlag auf die Brust gab es ein arges Brüllen, und es gab genug Frauen, die in Ohnmacht sanken.«
»Was hat der arme Sünder verbrochen?«
»Kriegsvolk ohne Sold und Futter. Das liegt an den Straßen und wirft die Fuhrleute darnieder. Wer sich von den Strickreitern erwischen lässt, büßt es hart genug. Zwei hat derselbige auf den Tod durchstochen und davor steht er jetzt, wie ein Storch im Brutnest. Scharf sind sie schon, die Städtischen.«
»Als ob ihr Freude daran hättet, redet ihr«, flüsterte der Goldschmied in einem Schauer.
Wieder das scheußliche Lachen. Die Stimmen hoch oben wurden deutlicher – es waren aufgescheuchte Krähen, die die Musik machten. Der Weg stieg an. Aus den schwarzen Wolkenrändern kam blaues Mondlicht, kam und schwand und kam wieder. Vor den beiden stieg ein riesiges Gerüst auf: schwere Balken, der vierfache Galgen. Daneben stand eine hohe Stange, ganz oben schwankte eine unförmige Masse, die sich schwerfällig bewegte, wenn das Holz sich seufzend bog. Vom Galgen hing ein Klumpen, auf dem Vögel saßen.
Nach wenigen Schritten standen sie auf der Kuppe des Hügels. Fern grüßte ein Lichtpunkt vom Stadtturm, aus des Türmers Stube. Wüst und verlassen lag die dunkle Heide um diesen Ort der Pein und Angst.
Den Nunnenfeind beutelte das Grauen, als sein Begleiter ihn zum Radbaum zog.
»Den da oben schneid ab und wirf ihn herunter, Kläuschen«, sagte er heiser. »Der hat den Zauber im Sack, nach dem ich fahnde.«
»Warum steigt Ihr nicht selbst?«, stammelte der Bursche.
»Mit dem Hinkebein! Wenn ich mich selbst hinaufzuziehen kaum vermag, wer hilft mir dann über das Kreuzholz in der Mitte des Baums? Du Tölpel!«
Wieder spuckte er zornig auf die Erde. »Mach jetzt oder schleich dich von hinnen, Kumpan!«
Da warf Klaus mit schnellem Entschluss den Rock von sich. Er gedachte, es nunmehr um des Lohnes willen abzutun.
»Wo sind die Taler!«, rief er und hielt inne.
Sofort fielen sie in seinen Hut. Er rutschte mühselig die wiegende Stange hinauf, überwand das Kreuzholz, den Schutz des armen Sünders vor bösen Mächten, und ließ nicht nach, bis er über das Rad greifen konnte. Nass, kalt und weich fühlte es sich an – ein Splitter, der aus dem groben Wollstrumpf des Toten stach, verletzte seine Hand. Fast hätte er es ausgelassen. Würgender Ekel trieb ihn zur Eile. Das Messer war scharf und glitt leicht durch die Lederseile. Es fuhr auch wohl nebenbei in Tuch und Fleisch. Dann folgte ein Ziehen, Zerren und ein tüchtiger Stoß. Einen Augenblick lang saß der Gerichtete mit hängendem Kopf auf dem Rad, als sähe er vor dem Sturz in die Tiefe. Dann fiel er vornüber und der Körper schlug dumpf auf.
Der Jäger unten lachte schrill.
»Hoho! Hoho!«, rief es neben Klaus, der sich mit bebenden Händen am klitschigen Holz festhielt. Vor Schreck toll und schweißnass kam er unten an.
Der Grüne schlug Feuer. Blau und gelb flammte der Schwefelfaden, und gierig wühlte die dürre Hand in den Taschen des verdrehten Körpers am Boden. Sie zog ein Pergament heraus. Es wurde knitternd entfaltet: Linien, Worte, die plumpe Zeichnung eines Baumes.
Klaus ließ halb verrückt die Taler aus dem Hut in die Hände gleiten und sah stumpfsinnig zu, wie der Leichenschänder vor Freude wieherte und das Geschriebene sorgsam barg.
»Wo ist der Bruder?«, fragte Klaus dann.
Mit einem Sprung war der Lahme im tiefen Dunkel verschwunden. Eine schmetternde Lache.
»Der Bruder! Bück dich, Knäblein – hast ihn dir ja selbst vom Rad geholt!«
Ein Schrei scholl in das böse Gelächter. Wie tausend Teufel heulend kam der Sturm und riss Schrei und Lachen mit sich.
Dem armen Sünder stand das Gesicht im Nacken und der Bruder saß kichernd im taunassen Gras, spielte mit großen Rechenpfennigen und sang ein Lied.
So meldete der Henker, der Nachschau gehalten hatte und nun mit dem gebundenen Narren ins Rathaus kam.
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