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Catherine Parr – Band 2 – Kapitel 1

Luise Mühlbach
Catherine Parr
Band 2
Drittes Buch
Die Schleife der Königin
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851

1. Die Ankläger

Nachdem der König das Arbeitszimmer betreten hatte, folgten ihm Graf Douglas, Gardiner und Wriothesly. Sie warfen einander noch einen Blick des Einverständnisses zu.

Graf Douglas sagte mit diesem Blick: »Die Stunde ist gekommen! Haltet euch bereit!«

Und die Blicke seiner Freunde antworteten ihm: »Wir sind bereit!«

John Heywood, der hinter der Portière verborgen alles sah und beobachtete, konnte sich beim Anblick dieser vier Männer, deren finstere und harte Züge jedem Lichtstrahl des Erbarmens und der Gnade unzugänglich zu sein schienen, eines leichten Schauers nicht erwehren.

Da war zuerst der König, dieser Mann mit dem Proteus-Angesicht, in welches Sturm und Sonnenschein, Gott und Teufel in jeder Minute neue Linien zogen. Er konnte ein gottbegeisterter Schwärmer sein, dann ein blutgieriger Tyrann, dann wieder ein empfindsamer Schöngeist und schließlich ein üppiger Schweiger. Auf dessen Treue konnte niemand bauen, nicht einmal er selbst. Er war immer bereit, seine treuesten Freunde zu verraten, wenn es seiner Laune oder seinem Vorteil entsprach, und diejenigen heute auf das Blutgerüst zu schicken, die er gestern noch geküsst und seiner unwandelbaren Liebe versichert hatte. Dieser König, der sich blähend in dem stolzen Gefühl seiner Herrlichkeit von Gottes Gnaden berechtigt hielt, seinen kleinlichen Gelüsten, seinen rachedurstigen Trieben und seinen blutgierigen Neigungen ungestraft zu folgen, und der aus Eitelkeit fromm war, weil ihm diese Frömmigkeit Gelegenheit gab, sein eigenes Ich mit Gott zu identifizieren und sich gewissermaßen als Schutzherr Gottes zu betrachten.

Da war Graf Douglas, der verschlagene Höfling mit dem stets lächelnden Gesicht. Er schien jedermann zu lieben, weil er alle hasste. Er gab sich den Anschein vollkommener Harmlosigkeit und schien für alle Dinge außer dem Vergnügen gleichgültig, während er doch ganz insgeheim alle Fäden dieses großen Netzes, mit welchem der Hof und der König selbst umgeben waren, in Händen hielt. Graf Douglas war es, den der König nur deshalb liebte, weil er ihn immer wieder den erhabenen und weisheitsvollen Oberpriester der Kirche nannte. Und dennoch war Douglas der Stellvertreter Loyolas und der treue und gläubige Anhänger dieses Papstes, der den König als einen entarteten Sohn verdammt und dem Zorn Gottes überliefert hatte!

Da waren schließlich diese beiden Männer mit den finsteren, tückischen Mienen und den unbeweglichen, marmornen Gesichtern, die niemals durch ein Lächeln oder einen Freudenglanz erhellt wurden. Sie straften und verurteilten immer und ihr Antlitz erhellte sich nur, wenn der Todesschrei eines Verurteilten oder das Angstgestöhne eines Gefolterten an ihr Ohr schlug. Sie waren die Peiniger der Menschheit, obwohl sie sich die Diener und Knechte Gottes nannten.

»Sire«, sagte Gardiner, als der König sich langsam auf die Ottomane niedergelassen hatte, »Sire, lasst uns zuerst den Segen Gottes, unseres Herrn, für diese Stunde der Beratung erflehen. Gott, der Liebe und Zorn in sich vereint, möge uns erleuchten und segnen!«

Der König faltete fromm seine Hände, doch in seiner Seele lebte nur ein Gebet des Zornes.

»Gib, o Gott, dass ich alle deine Feinde strafen und die Schuldigen überall zerschmettern kann!«, murmelte er.

»Amen!«, sagte Gardiner und wiederholte die Worte des Königs mit feierlichem Ernst.

»Sende uns den Blitzstrahl deines Zornes«, betete Wriothesly, »damit wir die Welt deine Macht und Herrlichkeit erkennen lehren!«

Graf Douglas hütete sich, laut zu beten. Was er mit Gott zu besprechen hatte, durfte der König nicht hören.

»Gib, o Gott«, betete er in seinem Herzen, »dass mein Werk gelingt und diese gefährliche Königin das Blutgerüst besteigt, um meiner Tochter Platz zu machen, die bestimmt ist, diesen verbrecherischen und treulosen König wieder in die Arme der heiligen Mutterkirche zurückzuführen!«

»Und jetzt, Mylords, sagt mir, wie steht es in meinem Reich und an meinem Hof!«, rief der König aufatmend.

»Schlimm!«, sagte Gardiner. »Der Unglaube erhebt immer wieder sein Haupt. Es ist wie bei dem Drachen, dem, wenn man ein Haupt abgeschlagen hat, gleich wieder zwei an derselben Stelle wachsen. Diese fluchwürdige Sekte der Reformisten und Gottesleugner mehrt sich mit jedem Tag. Unsere Kerker genügen nicht mehr, um sie zu fassen. Und wenn wir sie auf die Scheiterhaufen schleppen, machen sie mit ihrem freudigen und wütigen Sterben immer neue Proselyten und neue Abtrünnige!«

»Ja, es steht schlimm«, sagte der Lordkanzler Wriothesly. »Vergebens haben wir allen, die reuig und zerknirscht zurückkehren, Gnade und Vergebung versprochen. Sie hohnlachen unserer Gnade und ziehen den martervollen Tod der königlichen Vergebung vor. Was nützt es, dass wir Miles Covordale, der sich erdreistet hatte, die Bibel zu übersetzen, verbrannt haben? Sein Tod scheint nur die Sturmglocke gewesen zu sein, die andere Fanatiker erweckt hat. Und ohne dass wir ahnen oder berechnen können, woher all diese Bücher kommen, überschwemmen und überfluten sie das ganze Land. Wir haben jetzt schon mehr als vier Bibelübersetzungen. Das Volk liest sie mit Begierde, und der verderbliche Samen der Aufklärung und der Freidenkerei wuchert täglich kräftiger und verderblicher um sich.«

»Nun, und Sie, Graf Douglas?«, fragte der König, als der Lordkanzler schwieg. »Diese edlen Herren haben mir gesagt, wie es in meinem Reich aussieht. Ihr werdet mir berichten, wie es an meinem Hof aussieht!«

»Sire«, sagte Graf Douglas langsam und feierlich, denn er wollte, dass jedes Wort sich wie ein vergifteter Pfeil in die Brust des Königs einsenke. »Sire, das Volk folgt nur dem Beispiel, das der Hof ihm gibt. Wie könnt Ihr fordern, dass das Volk glaubt, wenn es sieht, wie Euer Hof selber des Glaubens spottet und Ungläubige am Hofe Schutz und Hilfe finden?«

»Ihr klagt an, aber nennt keine Namen!«, erwiderte der König ungeduldig. »Wer wagt es, an meinem Hof der Schutzherr der Ketzer zu sein?«

»Cranmer, der Erzbischof von Canterbury!«, antworteten die drei Männer wie aus einem Mund.

Das Losungswort war gesprochen, die Standarte des blutigen Kampfes war aufgepflanzt!

»Cranmer«, wiederholte der König sinnend. »Er ist mir stets ein treuer Diener und sorgsamer Freund gewesen. Er war es, der mich einst von dieser unheiligen Ehe mit Katharina von Aragon befreite. Er war es auch, der mich vor Catharine Howard warnte und mir die Beweise ihrer Schuld brachte. Und welches Verbrechens klagt Ihr ihn an?«

»Er leugnet die sechs Artikel!«, sagte Gardiner, dessen tückisches Gesicht nun von finsterem Hass flammte. »Er verdammt die Ohrenbeichte und glaubt nicht, dass die freiwillig abgelegten Gelübde der Keuschheit bindend sind!«

»Wenn er das tut, so ist er ein Hochverräter!«, rief der König, der es liebte, die Ehrfurcht vor der Keuschheit und Züchtigkeit immer gewissermaßen als einen heiligenden Mantel über sein eigenes lastervolles und unkeusches Leben zu legen und den nichts mehr erbitterte, als anderen auf diesen Pfaden des Lasters zu begegnen, welche er selbst, kraft seiner Königsherrlichkeit und seiner Krone von Gottes Gnaden, ganz ungefährdet gehen konnte.

»Wenn er das tut, so ist er ein Hochverräter. Mein Rächerarm wird ihn treffen!«, wiederholte der König. »Ich bin es, der die sechs Artikel als heiliges Glaubensbekenntnis meinem Volk gegeben hat, und ich werde nicht dulden, dass man diese einzig wahre und richtige Lehre angreift und verdunkelt! Aber Ihr irrt Euch, Mylords! Ich kenne Cranmer, und ich weiß, dass er treu und gläubig ist.«

»Und doch ist er es«, sagte Gardiner, »der diese Ketzer in ihrer Verstocktheit und Halsstarrigkeit bestärkt. Er ist es, der dafür sorgt, dass diese Verdammten nicht aus Furcht vor dem göttlichen Zorn wenigstens zu Euch, ihrem Oberherrn und Oberpriester, zurückkehren. Denn er predigt ihnen, dass Gott die Liebe und das Erbarmen sei. Er lehrt sie, dass Christus in die Welt gekommen sei, um der Welt die Liebe und die Vergebung der Sünden zu bringen. Und dass diejenigen allein Christi rechte Jünger und Diener seien, die ihm in Liebe nacheifern. Seht Ihr denn nicht, Sire, dass dies eine geheime und versteckte Anklage gegen Euch selbst ist? Indem er die verleihende Liebe preist, verdammt und verklagt er zugleich Euren gerechten und strafenden Zorn?«

Der König antwortete nicht sofort, sondern blickte ernst und nachdenklich vor sich hin. Der fanatische Priester war zu weit gegangen, und ohne es zu wissen, war er es selbst gewesen, der in diesem Augenblick den König anklagte.

Graf Douglas fühlte das. Er las auf dem Antlitz des Königs, dass er sich eben in einem jener Momente der Zerknirschung befand, die ihn zuweilen überfielen, wenn sein Geist eine unwillkürliche Einkehr in sich selbst hielt.

Man musste den schlummernden Tiger wecken und ihm eine Beute zeigen, um ihn wieder blutdürstig zu machen.

»Es wäre schön, wenn Cranmer nur die christliche Liebe predigte!«, sagte er. »Dann wäre er nur ein treuer Diener seines Herrn und ein Nachfolger seines Königs. Aber er gibt der Welt ein verabscheuungswürdiges Beispiel eines ungehorsamen und treulosen Dieners; er leugnet die Wahrheit der sechs Artikel nicht mit Worten, sondern mit Taten. Ihr habt befohlen, dass die Priester der Kirche unverheiratet sein sollen! Nun denn, der Erzbischof von Canterbury ist vermählt!«

»Vermählt?«, rief der König mit zornflammendem Antlitz. »Ach, ich werde ihn strafen, diesen Verbrecher an meinen heiligen Gesetzen! Ein Diener der Kirche, ein Priester, dessen ganzes Leben nichts als ein heiliges Schauen, ein nie endendes Gespräch mit Gott sein sollte, und dessen erhabener Beruf es ist, den fleischlichen Gelüsten und irdischen Wünschen zu entsagen! Und er ist vermählt! Ach, ich werde ihn die ganze Strenge meines königlichen Zornes fühlen lassen. Er soll es jetzt an sich selbst erfahren, dass die Gerechtigkeit Gottes unerbittlich ist und jedes Mal das Haupt des Schuldigen trifft, wer er auch sei!«

»Eure Majestät ist der Inbegriff der Gerechtigkeit und der Weisheit!«, sagte Douglas. »Und Eure treuen Diener wissen sehr wohl, dass, wenn die königliche Gerechtigkeit zuweilen zögert, die schuldigen Verbrecher zu treffen, dies nicht mit Eurem Willen geschieht, sondern durch Eure Diener, welche es wagen, den Arm der Gerechtigkeit aufzuhalten!«

»Wann und wo wäre das geschehen?«, fragte Heinrich, und sein Antlitz glühte vor Zorn und Aufregung. »Wer ist der Verbrecher, den ich nicht gestraft habe? Wo lebt in meinem Reich ein Wesen, das gegen Gott oder seinen König gesündigt hat und das ich nicht zerschmettert hätte?«

»Sire«, sagte Gardiner feierlich, »Marie Askew lebt noch!«

»Sie lebt, um Eurer Weisheit Hohn zu sprechen und Eurer heiligen Glaubenslehre zu spotten!«, rief Sir Thomas More.

»Sie lebt, weil Erzbischof Cranmer nicht will, dass sie stirbt!«, gab Douglas achselzuckend von sich.

Der König brach in ein kurzes, hartes Gelächter aus. »Ach, Cranmer will nicht, dass Marie Askew stirbt!«, sprach er höhnisch. »Er will nicht, dass dieses Mädchen, das gegen seinen König und gegen Gott so furchtbar gefrevelt hat, gestraft wird!«

»Ja, sie hat furchtbar gefrevelt, und dennoch sind zwei Jahre vergangen, seit sie ihre Freveltat begangen hat!«, rief Gardiner. »Zwei Jahre, in denen sie Gott verhöhnt und den König verspottet hat!«

»Ach«, erwiderte der König, »wir hofften immer noch, dieses junge, verführte Geschöpf von den Wegen des Irrtums und der Sünde auf den Pfad der Erkenntnis und der Reue zurückzuführen. Wir wollten unserem Volk ein glänzendes Beispiel geben, wie wir denen, die bereuen und ihre Ketzerei abschwören, gern verzeihen und sie wieder unserer königlichen Gnade teilhaftig werden lassen. Deshalb gaben wir Euch, Mylord Erzbischof, den Auftrag, durch die Kraft Eures Gebetes und Eurer eindringlichen, überzeugenden Worte dieses arme Kind den Krallen des Teufels, der ihr Ohr bestrickt, zu entreißen!«

»Aber sie ist unbeugsam!«, sagte Gardiner zähneknirschend. »Vergebens habe ich ihr die Höllenqualen geschildert, die sie erwarten, wenn sie nicht zum Glauben zurückkehrt. Vergebens habe ich sie allerlei Martern und Pönitenzen unterzogen. Vergebens habe ich einige sichere Bekehrte zu ihr ins Gefängnis gesandt und sie Tag und Nacht unaufhörlich bei ihr beten lassen. Sie bleibt unbeugsam, hart wie Stein. Weder Furcht vor Strafe noch Aussicht auf Freiheit und Glück vermögen dieses Marmorherz zu erweichen!«

»Ein Mittel gibt es, das man noch nicht versucht hat!«, sagte Wriothesly. »Ein Mittel, das wirksamere Bußprediger sind als die begeistertsten Redner und die glühendsten Gebete, und dem ich es verdanke, dass ich viele der verstocktesten Ketzer zu Gott und dem Glauben zurückführen konnte!«

»Und dieses Mittel ist?«

»Die Tortur, Majestät!«

»Ach, die Tortur!«, wiederholte der König mit einem unwillkürlichen Schauder. »Es ist allerdings ein trauriges Mittel, die verirrten Seelen zu Gott zurückzuführen, indem man ihnen die Glieder verrenkt und ihren Leib mit glühenden Zangen zwickt!«

»Alle Mittel sind gut, die zu dem heiligen Ziel führen!«, sagte Gardiner mit andächtig gefalteten Händen.

»Man muss die Seele heilen, indem man dem Körper Wunden schlägt!«, konstatierte Wriothesly.

»Man muss dem Volk beweisen«, meinte Douglas, »dass der erhabene Sinn des Königs selbst diejenigen nicht schont, die von einflussreichen und mächtigen Personen beschützt werden. Das Volk murrt, dass man dieses Mal die Gerechtigkeit nicht walten lässt, weil der Erzbischof Cranmer Marie Askew beschützt und weil die Königin ihre Freundin ist!«

»Die Königin ist niemals die Freundin einer Verbrecherin!«, sagte Heinrich heftig.

»Vielleicht hält sie Marie Askew nicht für eine Verbrecherin!«, erwiderte Graf Douglas mit einem leisen Lächeln. »Vielleicht gibt sie ihr heimlich in ihrem Herzen Recht und billigt ihre Verstörtheit und ihre Standhaftigkeit im Unglauben. Denn man weiß, dass Königin Catharine eine große Freundin der Reformation ist, und das Volk, das sich nicht traut, sie eine Ketzerin zu nennen, nennt sie die Protestantin

»Und man meint, dass Catharine es sei, die Marie Askew beschützt und sie vor dem Scheiterhaufen behütet?«, fragte der König sinnend.

»Man meint das, Majestät!«

»Aber man soll sehen, dass man sich geirrt hat und dass Heinrich der Achte es wohl verdient, der Hüter des Glaubens und der Oberherr seiner Kirche genannt zu werden, dass nichts ihn hindern kann, Gerechtigkeit zu üben! Wir haben das schon oftmals unserem Volk bewiesen, und die zitternde Welt hat sich vor uns geneigt und ist unserem Zorn ausgewichen, denn sie hat gesehen, dass der Zorn König Heinrichs des Achten furchtbarer ist als der Zorn Gottes, weil er keine Langmut kennt und kein Erbarmen. Wir haben zwei unserer Königinnen und Männer wie Cromwell und Thomas More das Schafott besteigen lassen! Wie, und nach solchen glänzenden Beispielen unserer zerschmetternden Gerechtigkeit wagt man es, uns der Langmut zu beschuldigen?«

»Damals, Sire«, sagte Douglas mit seiner sanften, einschmeichelnden Stimme, »stand noch keine Königin an Eurer Seite, die Ketzer als rechtgläubige Leute bezeichnet und Hochverrätern ihre Freundschaft schenkt.«

Der König runzelte die Stirn und sein zorniger Blick traf das freundliche und ergebene Antlitz des Grafen.

»Ich hasse diese versteckten Angriffe!«, sagte er. Wenn ihr die Königin eines Verbrechens bezichtigen könnt, dann tut es! Wenn ihr es nicht könnt, so schweigt!«

»Die Königin ist eine edle und tugendhafte Dame«, sprach der Graf, »nur dass sie sich zuweilen von ihrem hochherzigen Sinn verleiten lässt. Oder, Majestät, wie wäre es geschehen, wenn Ihr eingewilligt hättet, dass Mylady einen Briefwechsel mit Marie Askew unterhält?«

»Was sagt Ihr da? Die Königin in einem Briefwechsel mit Marie Askew?«, rief der König mit donnernder Stimme. »Dies ist eine Lüge, eine schamlose Lüge, die man ersonnen hat, um die Königin zu stürzen. Denn man weiß sehr wohl, dass der arme König, der so oft getäuscht und hintergangen wurde, endlich glaubt, in dieser Frau ein Wesen gefunden zu haben, dem er vertrauen und an das er glauben kann! Und man gönnt es ihm nicht. Man will ihm auch diese letzte Hoffnung entreißen, damit sein Herz ganz zu Stein erstarrt und keine Regung des Erbarmens mehr Eingang zu ihm findet! Ach, Douglas, Douglas, hüte dich vor meinem Zorn, wenn du nicht beweisen kannst, was du da sagst!«

»Sire, ich kann es beweisen! Lady Jane hat gestern selbst ein Briefchen von Marie Askew an die Königin übergeben müssen!«

Der König schwieg eine Weile und blickte finster vor sich hin. Seine drei Vertrauten betrachteten ihn mit atemloser, herzklopfender Spannung.

Endlich hob der König sein Haupt wieder empor und richtete seinen nun ernst und fest wirkenden Blick auf den Lordkanzler.

»Mylord, Kanzler Wriothesly«, sagte er, »ich bevollmächtige Euch, Marie Askew in die Folterkammer zu führen und zu versuchen, ob die Qualen, welche man dem Körper bereitet, vielleicht diese verirrte Seele wieder zur Erkenntnis zurückführen können. Erzbischof Gardiner, ich gebe Euch mein Wort, dass ich Eure Anklage gegen den Erzbischof von Canterbury wohl beachten werde und dass, wenn ich sie für gerechtfertigt befinde, er seiner Strafe nicht entgehen soll. Mylord Graf Douglas, ich werde meinem Volk und der ganzen Welt den Beweis liefern, dass ich immer noch der gerechte und strafende Stellvertreter Gottes auf Erden bin. Kein Bedenken wird meinen Arm aufhalten, wenn er einmal herniederfallen will, um das Haupt eines Schuldigen zu treffen! Und jetzt, meine Herren, lassen wir diese Sitzung für beendet erklären! Erholen wir uns ein wenig von den Anstrengungen und versuchen wir, uns eine Stunde lang zu erheitern! Ihr seid entlassen, My Lords Gardiner und Wriothesly. Du, Douglas, wirst mich in den kleinen Empfangssaal begleiten. Ich will lachende und heitere Gesichter um mich sehen! Rufe mir John Heywood. Wenn du einigen Damen im Palast begegnest, bitte sie, uns ein wenig mit diesem Sonnenglanz zu erhellen, von dem du sagtest, dass er den Frauen eigen ist.«

Er lehnte sich lachend auf des Grafen Arm und verließ das Kabinett wieder.

Gardiner und Wriothesly standen schweigend da und schauten dem König nach. Dieser schritt langsam und schwerfällig den angrenzenden Saal durch und seine heitere und lachende Stimme drang bis zu ihnen.

»Er ist wie eine Wetterfahne, die sich im Wind dreht!«, meinte Gardiner mit einem verächtlichen Achselzucken.

»Er nennt sich das rächende Schwert Gottes und ist doch weiter nichts als ein schwaches Werkzeug, das wir nach unserem Willen lenken und gebrauchen!«, murmelte Wriothesly mit heiserem Gelächter. »Armer, elender Tor, der sich für so mächtig und stark hält, der meint, ein freier, selbstregierender König zu sein, und doch nur unser Diener und Knecht ist! Das große Werk nähert sich seinem Ziel, und eines Tages werden wir triumphieren. Mit Marie Askews Tod ist das Zeichen eines neuen Bundes gegeben, der England retten und die Ketzer wie Staub unter unseren Füßen zerstampfen wird! Und wenn wir endlich Cranmer gestürzt und Catharine Parr auf das Schafott geführt haben, werden wir König Heinrich eine Königin geben, die ihn mit Gott und der alleinseligmachenden Kirche versöhnen soll!«

»Amen, so sei es!«, sagte Gardiner, und Arm in Arm verließen die beiden das Kabinett.

Eine tiefe Stille herrschte nun in diesem kleinen Raum und niemand sah, wie John Heywood hinter der Portière hervortrat und sich erschöpft in einen Sessel fallen ließ.

»Ich kenne jetzt also mindestens den Plan dieser blutdürstigen Tigerkatzen!«, murmelte er. »Sie wollen Heinrich eine katholische Königin geben und deshalb muss Cranmer gestürzt werden. Wenn sie ihn dieser mächtigen Stütze beraubt haben, können sie auch die Königin vernichten und in den Staub treten. Aber so wahr Gott lebt, dies soll ihnen nicht gelingen! Gott ist gerecht, und er wird diese Übeltäter endlich strafen! Und wenn es keinen Gott gibt, werden wir es ein wenig mit dem Teufel versuchen! Nein, sie sollen den edlen Cranmer und diese schöne, hochherzige Königin nicht verderben! Ich will es nicht zulassen, ich, John Heywood, der Narr des Königs! Ich werde alles sehen, alles beobachten, alles hören! Sie sollen mich überall auf ihrem Weg finden. Wenn sie das Ohr des Königs mit ihren dämonischen Zuflüsterungen vergiften, werde ich es mit meinen lustigen Teufeleien wieder heilen! Der Narr des Königs wird der Schutzengel der Königin sein!«

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