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Felsenherz der Trapper – Teil 01.3

Felsenherz, der Trapper
Selbst Erlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Überarbeiteter Text
Band 1
Die Felsenfarm

Drittes Kapitel
Die Mescalero-Apachen

Birth kam zu sich. Inzwischen hatte Helene den alten Felsen und ihren Bruder Arnold herbeigerufen. Sie hatten nach Norden zu am Flussufer eine Tonschicht ausgebeutet, um daraus Ziegel zu brennen.

Birth war nun vollkommen nüchtern. Harry, der befürchtet hatte, der Alte würde erneut Streit anfangen, war freudig überrascht, als Birth ihm versöhnlich die Hand hinstreckte und beschämt sagte: »Ich gebe zu, ich habe mich wie ein trunkener Narr benommen. Den Hieb vergesse ich dir nicht, mein Junge, zumal ich ihn dir selbst gelehrt habe. Erzähle jetzt. Wer war der Rote eigentlich? Nannte er seinen Namen?«

Harry berichtete alles ganz genau.

»Wie, Chokariga, der berühmte Schwarze Panther der Comanchen, war es?!«, rief Birth erstaunt. »Oh, ein Glück, Junge, dass du mir deine Faust gezeigt hast! Mit den Comanchen dürfen wir es auf keinen Fall verderben! Der Schwarze Panther soll erst zwanzig Jahre alt sein. Und doch ist er bereits der de facto Oberhäuptling aller Comanchenstämme, da sein Vater, der Weiße Adler, diese Stellung nur noch dem Namen nach bekleidet, weil er durch eine Kugel erblindet ist.

Merkwürdig bleibt nur, warum der Schwarze Panther die beiden Mörder ausgerechnet hier bei uns gesucht hat. Es gibt nur eine Erklärung dafür. Diese beiden Kerle müssen sich an diese Stelle gewandt haben, das heißt, die Comanchen sind ihnen bis hierher gefolgt und haben ihre Spur erst dicht bei der Farm verloren.«

»Was nun, Birth?«, fragte der alte Felsen bekümmert. »Sollen wir wirklich die Farm räumen und anderswohin ziehen? Der Platz gefällt mir gut. Ich war so froh, dass wir uns gerade hier niedergelassen hatten. Und jetzt soll unsere ganze bisherige Arbeit umsonst gewesen sein?«

Birth schaute ernst vor sich hin. Nach einer Weile sagte er bedächtig: »Man könnte mit dem Schwarzen Panther unterhandeln. Wir haben fünf überflüssige Gewehre dabei, auch ein Fass Pulver und Blei könnten wir abgeben. Wenn die Roten nach drei Tagen erscheinen – und das werden sie –, werden wir sehen, ob sich durch Geschenke nicht etwas ausrichten lässt.«

Harry nickte. »Der Schwarze Panther ist kein blutgieriger Wilder«, meinte er. »Er hat auf mich einen vortrefflichen Eindruck gemacht. Ich denke, wir nehmen Births Vorschlag an. Zur Sicherheit können wir an dem kritischen Tag ja die Farm in einen Verteidigungszustand versetzen, damit die Roten nicht etwa sofort über uns herfallen.«

Vater Felsen war einverstanden. Allen war nun wieder leichter ums Herz, zumal auch Helene betonte, dass sie ebenfalls fest an den Edelmut des jungen Comanchenhäuptlings glaube.

So waren vorerst die Sorgen beseitigt und die Ansiedler wandten sich wieder ihren Arbeiten zu. Für alle Fälle wollte Harry aber feststellen, wo die Comanchen geblieben waren. Er bestieg sein Pferd, einen hochbeinigen Braunen, und ritt nach Nordwesten in die Prärie hinaus, die sich hier meilenweit bis zu einem hohen Bergrücken hinzog.

Von einem Hügel aus gewahrte er in weiter Ferne eine endlos lange Schlange von hintereinander reitenden Indianern. Er wartete, bis diese verschwunden waren, und wollte gerade kehrtmachen, als er von Norden her einen anderen Reitertrupp nahen sah.

Da er selbst durch Gebüsch gedeckt war, blieb er in seinem Versteck und beobachtete den Trupp, der aus einundzwanzig Indianern bestand. Diese führten jedoch zumeist nur Bogen und Pfeile bei sich. Nur drei von ihnen besaßen Flinten.

Der Trupp hielt sich stets in den Tälern auf und kam etwa fünfhundert Meter westlich an Harry vorbei. An der Kriegsbemalung erkannte er, dass es keine Comanchen waren. Diese Roten dort drüben trugen die Köpfe mit Ausnahme der Skalplocke kurz rasiert.

Als sie die Fährte der Comanchen erreicht hatten, machten sie halt. Offenbar waren sie sehr überrascht über diese noch so frischen Spuren. Nach kurzer Zeit folgten drei von ihnen im Galopp den gerade erst verschwundenen Comanchen. Die Übrigen näherten sich im Trab dem Mazapil River und schickten ebenfalls zwei Späher voraus.

Harry überlegte, was er unter diesen Umständen tun sollte. Die Halbinsel und die Farm lagen gut zwei Kilometer weiter nördlich, sodass es kaum zu befürchten war, dass der Trupp auf die Farm aufmerksam werden würde. Harry beschloss, den Indianern nach einer Viertelstunde nachzureiten. Vielleicht wollten sie nur den Fluss überqueren.

Mit größter Vorsicht ritt er dem Waldstreifen am Ufer des Mazapil zu, band dort seinen Braunen in einem Busch fest und schlich zu Fuß dorthin, wo der Trupp in den Wald eingebogen war. Die Fährte lief zum Fluss hinab. Harry entdeckte jedoch keine Spuren der Indianer mehr. Die Spuren verrieten ihm, dass der Trupp den Fluss tatsächlich an dieser Stelle passiert hatte. Seit Tagen war kein Regen gefallen, weshalb der Mazapil nur wenig Wasser führte.

Harry war beruhigt. Trotzdem ließ er es nicht an der nötigen Vorsicht fehlen. Er hatte bei dem alten Birth eine gute Schule in allen Dingen durchgemacht, die ein tüchtiger Farmer und Jäger im Wilden Westen unbedingt wissen muss. Er sagte sich, dass die drei Kundschafter, die den Comanchen gefolgt waren, schon bald zurückkehren könnten. Er wollte sie beobachten. Aus ihrem Verhalten hoffte er, erfahren zu können, ob die Comanchen ihren Marsch wirklich fortsetzen oder etwa Arges gegen die Farm im Schilde führen würden.

Er hatte sich hinter eine Eiche gestellt, zwischen deren dichtem Behang von Schlingengewächsen er über den Fluss gespäht hatte.

Glücklicherweise erschien ihm dieser Platz für seine weiteren Absichten nicht mehr sicher genug. Er wandte sich ab und wollte flussaufwärts ein besseres Versteck wählen.

Die Eiche stand am Rande einer kleinen Lichtung. Kaum hatte Harry einen Schritt getan, sah er auch schon die drei Kundschafter, die durch das hier besonders hohe und saftige Gras auf ihn zu schlichen. Sie waren kaum noch vier Meter entfernt.

Nun schwirrte auch schon ein Pfeil durch die Luft, der Harrys linke Halsseite ritzte und hinter ihm in den Stamm fuhr.

Mit einem schnellen Satz entging er zwei weiteren Pfeilen. Fast gleichzeitig schleuderte einer der Roten seinen Tomahawk. Harry bückte sich. Doch das Wurfbeil traf den Lauf seiner Büchse und riss sie ihm aus der Hand.

Die drei Indianer drangen nun auf Harry ein, der kaum Zeit fand, sein Jagdmesser zu ziehen.

Es war sein erster Kampf mit Rothäuten! Dass es hier um Leben und Tod ging, erkannte er nur zu gut.

Der vorderste Indianer, ein baumlanger, bärenstarker Kerl, rief den beiden anderen einen kurzen Befehl zu. Er trug mehrere Adlerfedern in die Skalplocke eingeflochten und seine schwarze und rote Kriegsbemalung ließ sein Gesicht noch furchtbarer erscheinen.

In der Linken hielt er einen Tomahawk, in der Rechten ein langes Messer. So stand er nun dicht vor dem jungen Deutschen, zischte ihn in schlechtem Englisch an: »Hund von einem Bleichgesicht, dein Skalp wird Wikunas Gürtel zieren!«

Der Tomahawk zuckte höher.

Im selben Moment hatte Harry aber auch seine volle Kaltblütigkeit wiedererlangt. Er sah, dass die beiden anderen sich abwartend verhielten.

Er sprang zu.

Ein Tritt vor den Leib schleuderte den Gegner nach hinten – zwei Schritte – zwei Fausthiebe, wie Birth es ihm beigebracht hatte.

Auch diese beiden Indianer flogen zu Boden und rührten sich nicht mehr. Für den Moment war Harry seine drei Feinde los. Blitzartig schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, sie für alle Zeit stummzumachen und ihre Leichen in den Fluss zu werfen.

Doch diese Mordarbeit widerstrebte ihm. Ihm war etwas Besseres eingefallen. Er hob seine Büchse auf, rannte davon, fand die Mustangs der drei Kundschafter, schwang sich auf einen der Gäule und kehrte zu seinem Braunen zurück. Nun jagte er mit den vier Tieren im Galopp am Waldsaum entlang nach Süden, um die Indianer durch diese deutliche Fährte aus der Nähe der Farm wegzulocken.

Erst nach einem halbstündigen Ritt trieb er die drei Indianerpferde in die Prärie hinaus. Er selbst nahm seinen Braunen am Zügel und ritt eine Stunde lang im Bett eines steinigen Baches nordwärts, bis er in einen Felsencanyon gelangte, in dem der harte Boden keine Spuren annahm.

Nach all diesen Vorsichtsmaßnahmen näherte Harry sich schließlich in einem großen Bogen von Osten her der Halbinsel. Als er – inzwischen waren drei Stunden vergangen – vor der Terrasse erschien, rief ihn Helene von oben zu.

»Harry, wir waren deinetwegen schon in großer Sorge. Birth ist vor anderthalb Stunden aufgebrochen, um nach dir zu suchen.«

Harry wurde nun von seinen Lieben umringt. Er konnte kaum die vielen Fragen beantworten, die an ihn gerichtet wurden.

Vater Felsen seufzte: »Mit der Ruhe und dem Frieden ist es nun vorbei! Seit heute früh lastet eine bange Ahnung auf mir, als ob wir hier doch das Feld räumen müssten.«

Gleich darauf erschien der alte Birth. Als Harry ihm das Aussehen der Indianer schilderte, mit denen er den unblutigen Strauß ausgefochten hatte, wurde auch sein Gesicht noch düsterer.

»Das waren also Apachen vom Unterstamm der Mescalero«, erklärte er. »Das sind einige der gefährlichsten Rothäute. Ich habe die Spuren des Kampfes auf der Lichtung gefunden und bin auch über den Fluss geritten. Der Trupp scheint seinen Marsch nach Süden fortgesetzt zu haben, was mir, offen gestanden, etwas merkwürdig vorkommt. Dass die drei Kundschafter nicht einmal ihre Pferde zurückgeholt haben, sondern zu Fuß den Mazapil passierten, ist recht auffallend. Jedenfalls dürfte es notwendig sein, heute Abend nach dieser Teufelsbrut nochmals Ausschau zu halten. Ich werde vor Sonnenuntergang das andere Flussufer absuchen. Ihr anderen tut aber gut daran, die Terrasse nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu verlassen.«

Abends gegen elf Uhr kehrte Birth von seinem Kundschafterritt zur Farm zurück und brachte die beruhigende Nachricht mit, dass die einundzwanzig Mescalero tatsächlich ohne Aufenthalt weitergeritten seien.

»Ich glaube, sie wollten schleunigst aus der Nähe ihrer Todfeinde, der Comanchen, weg«, fügte er hinzu. »Wir können uns getrost schlafen legen.«

Die Nacht verging auch für die Ansiedler ohne jede Störung. Hätte der alte Birth am vergangenen Abend jedoch die Fährte der Mescalero nur eine halbe Meile weiter verfolgt, wäre er wohl vorsichtiger gewesen.

Denn in einem steinigen Tal, das bereits zur berüchtigten Llano Estacado, der riesigen Sand- und Felswüste östlich des Rio Pecos, gehörte, hatten die Mescalero ihr Lager aufgeschlagen.

Wikuna, der riesige Häuptling, saß an einem durch trockene Distelstauden genährten Feuer und besprach sich flüsternd mit Hobler, dem Rotbärtigen, der seit Langem mit dem Apachenhäuptling eng befreundet war.

»Mein Bruder Hobler ist sehr großmütig«, sagte der schlaue Apache nun mit deutlichem Spott. »Er will uns die ganze Beute der Farm überlassen. Weshalb will er die Farm denn überhaupt zerstören, wenn er keinen Vorteil davon hat?«

»Einer der Farmer hat mich beleidigt, Wikuna«, erwiderte Hobler kurz.

»Meines Bruders Zunge ist gespalten wie die der Schlangen, die in den Büschen herumkriechen«, meinte der Mescalero daraufhin mit Geringschätzung. »Die Farm kann kaum erst seit zehn Tagen bewohnt sein. Und mein Bruder war über einen Mond auf der Fährte der räudigen Hunde mit dem Weiberhaar, wie er mir vorhin erzählte. Mein Bruder belügt dich, Wikuna. Und Wikuna, der Springende Hirsch, wird seine zwanzig Krieger nicht von den Kugeln der Bleichgesichter am Mazapil treffen lassen.« Die Comanchen lagern im Nordwesten am Canadian, keinen Tagesritt entfernt. Der Schwarze Panther scheint mit den Farmern Freundschaft geschlossen zu haben. Er war bei ihnen, und die Comanchen zählen über zehn mal zehn Krieger.

Hobler hatte die Lippen fest aufeinandergepresst. Er fühlte sich durchschaut. Schweigend rauchte er seine Pfeife weiter und tat so, als hätten ihn die Worte des Apachen schwer verletzt.

Wikuna beobachtete ihn mit halb zugekniffenen Augen. Er wusste seit Monaten, dass der weiße Trapper hier im Norden der Llano Estacado irgendwo ein Versteck hatte, in dem er seine Jagdbeute, Tierfelle aller Art, aufbewahrte.

Plötzlich näherte sich dem Feuer ein einzelner Reiter, sprang ab und berichtete dem Häuptling, dass ein graubärtiges Bleichgesicht dem Trupp bis fast an das Lager gefolgt war, dann aber umgekehrt war.

Somit war der alte Birth von den Spähern der Mescalero bemerkt worden.

Wikuna stellte dem Apache noch einige Fragen und schickte ihn dann wieder weg.

Inzwischen hatte Hobler sich genau überlegt, wie er den Häuptling doch vielleicht noch zu einem Angriff auf die Farm bewegen könnte.

»Mein Bruder Wikuna wird alt«, meinte er mit aufreizendem Lachen. »Er fürchtet die Nähe des Schwarzen Panthers. Und heute am Ufer des Mazapil warf ihm ein Fußtritt des jungen Weißen zu Boden.«

Des Mescaleros Augen weiteten sich für einen Moment.

»Wikuna vergisst nichts!«, sagte er kalt. »Der Skalp des Bleichgesichts mit der Felsenfaust wird seinen Gürtel zieren. Alles hat seine Zeit. Ich habe gesprochen.«

»Du wirst also zurückkehren, Wikuna?«

»Fast zweihundert meiner Krieger lagern drei Tagereisen von hier am Rio Pecos. Das Kriegsbeil wird die Hunde der Comanchen und die Farmer auslöschen.«

»Gut, ich werde dich begleiten, Wikuna. Ich werde dir gegen die Comanchen helfen.«

Der Apache starrte in die knisternde Glut. Nach einer Weile fragte er: »Was ist mit den drei Gefährten meines Bruders Hobler geschehen? Mein Bruder spricht nicht alles aus, was er denkt.«

»Ich sagte dir schon: Zwei wurden von den Comanchen erschossen. Der Dritte ist verwundet.«

»Und wo befindet er sich?«

»In einer bewaldeten Schlucht weit nördlich der Farm.«

Wikunas Augen bedeckten sich fast ganz mit den Lidern.

Ein jüngerer Roter brachte den beiden große Stücke am Spieß gebratenes Hirschfleisch. Sie begannen zu essen. Dann hüllte sich der Häuptling in seine Decke und streckte sich neben dem Feuer zum Schlafen aus.

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