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Der Welt-Detektiv – Band 12 – 7. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 12
Das Grab im Moor
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

7. Kapitel

Ein schwerer Kampf

Als sie den Flugplatz erreichten, startete gerade ein Flugzeug. Sie schenkten diesem Vorgang jedoch wenig Beachtung, sondern ließen sich sofort in das Büro der Flugplatzdirektion führen. Dort hatte man Harry auf eine Chaiselongue gebettet. Ein Arzt bemühte sich um ihn. Tatsächlich schlug er bald die Augen auf, sah aber mit wirren Blicken zuerst um sich. Dann erkannte er Sherlock Holmes und Jonny. Das gab ihm augenblicklich seine Geisteskräfte zurück.

»Ich bin vom Auto gestürzt«, murmelte er. »Der Wagen beschrieb eine wüste Kurve. Da flog ich herunter!« Und er berichtete stockend, was er erlebt hatte. Die beiden Männer lauschten fieberhaft. »Anfangs wusste ich nicht«, schloss Harry seinen Bericht. »Ich wusste nicht, wohin die Fahrt gehen sollte. Dann aber merkte ich, dass es der Flugplatz war, dem man zustrebte. Kurz zuvor war ich jedoch aus dem Auto gestürzt.«

Da fiel Holmes plötzlich das Flugzeug ein, dessen Start er soeben noch mitangesehen hatte. Er wandte sich an den diensthabenden Beamten und fragte: »Wem gehörte die Maschine, die vor zehn Minuten aufgestiegen ist?«

»Mr. Jonathan Swifter.«

»Der Bankier fliegt heute nach Manchester.«

»Harry«, wandte sich Sherlock Holmes erregt an den Verletzten, »hieltest du es für möglich, dass man die geraubten Leichen an Bord des Flugzeugs gebracht hat?«

»Ich halte das nicht nur für möglich, sondern sogar für die einzig zutreffende Lösung«, gab Harry leise zurück. »Ich hörte die beiden Männer auch Ähnliches miteinander sprechen.«

Kurz entschlossen erhob sich der Weltdetektiv. Er wusste, was zu tun war.

»Noch eine Frage«, richtete er das Wort an den Beamten. »Wer macht den Flug mit?«

»Außer Mr. Swifter und dem Piloten noch der Bordmonteur und Cred, der Kammerdiener Mr. Swifters.«

»Danke«, sagte Sherlock Holmes, ließ Jonny bei dem Verletzten zurück und jagte nach Scotland Yard. Von dort aus telegrafierte er nach Manchester und gab die Weisung, das Flugzeug sofort bei seiner Landung zu beschlagnahmen. In der folgenden halben Stunde informierte er sich über die Person des Swifterschen Chauffeurs. Es handelte sich um einen Mann namens Craig. Da seine Mitwirkung am Leichenraub erwiesen war, ließ Sherlock Holmes einen Haftbefehl gegen ihn ausstellen.

Den zweiten Haftbefehl, den er verlangte, war der gegen Jack Petray. Tyst war fassungslos. Erst als der Weltdetektiv ihn aufklärte, begriff er. Nur eines fasste er nicht: dass Swifter mit der Geschichte zu tun habe.

Sherlock Holmes zuckte die Achseln.

»Darüber bin ich mir selbst noch nicht im Klaren«, sagte er. »Aber jedenfalls besteht die Tatsache, dass man die Toten zuerst in seinem Rolls-Royce und jetzt sogar in seinem Flugzeug befördert hat. Vielleicht weiß er nicht, dass dies geschehen ist. Die Maschine ist jedenfalls groß genug, um drei Säcke aufzunehmen, ohne dass er etwas davon merkt. Dass man die Toten an Bord der Maschine gebracht hat, steht fest. Alles andere wird sich finden.«

Ohne vorerst die beiden Verhaftungen vorzunehmen, wartete Sherlock Holmes die Nachricht aus Manchester ab. Sie blieb aus! Dafür lief aus Morrfield, einem kleinen Ort am Rande des sich über viele Kilometer erstreckenden Teufelsmoors, ein alarmierender Funkspruch ein: Flugzeug F 24418 sei soeben total verbrannt aufgefunden worden. Absturz mit nachfolgender Explosion wahrscheinlich. Die drei Insassen konnten nur als völlig verkohlte Leichen unter den Trümmern hervorgezogen werden.

Sherlock Holmes rief den Flugplatz an und erfuhr eine Minute später, dass es sich bei dem verunglückten Flugzeug F 24418 um die Maschine von Mr. Swifters handelte.

Einen Augenblick erschütterte ihn die Nachricht. Dann aber fuhr er auf. Drei Insassen hatte man verkohlt aufgefunden? Wie war das möglich, wenn sich sieben Menschen, darunter drei Tote, darin befunden hatten? Handelte es sich bei den verbrannten Körpern um die drei Toten? Wo waren dann die Lebenden? War das Ganze nur ein Trick? Hatte es mit dem verbrannten Flugzeug vielleicht eine ganz andere Bewandtnis? Was, wenn das Flugzeug gar nicht abgestürzt war? Wenn es irgendwo gelandet war und die Maschine in Brand gesteckt wurde? Aber warum? »Geben Sie mir vier Beamte mit«, rief er Tyst zu. »Der Chauffeur muss sofort verhaftet werden.«

Im Auto ging es zu Swifters Villa. Einer der Diener öffnete erstaunt das Parktor.

»Wo finde ich den Chauffeur Craig?«, fragte Sherlock Holmes kurz.

Der Mann wies, sichtlich überrascht, auf das Seitengebäude. Dorthin lenkte der Weltdetektiv, von den Beamten auf dem Fuße gefolgt, seine Schritte.

Kaum hatten sie das Haus jedoch betreten, stand der Gesuchte wie aus dem Boden gewachsen vor ihnen. Craig stand sekundenlang wie erstarrt. Sein Blick haftete an den Uniformen der Beamten und wanderte dann zu Sherlock Holmes zurück.

Blitzschnell zog der Weltdetektiv den Browning hervor.

»Im Namen des Gesetzes erkläre ich Sie für verhaftet!«, sagte er scharf. »Folgen Sie uns augenblicklich.«

Ein Schrei war die Antwort. Bevor Sherlock Holmes reagieren konnte, hatte sich der Mann umgedreht und war wie besessen die Treppe emporgestürmt. Wie der Blitz war der Weltdetektiv hinter ihm her.

Doch zu spät! Craig erreichte als Erster eine Tür, die im ersten Stock vom Treppenhaus abführte, und warf sie hinter sich zu. An dem Poltern, das gleich darauf erklang, erkannte Sherlock Holmes, was drinnen geschah.

Der Mann verbarrikadierte sich.

»Ein Beil!«, befahl er kurz. »Wir werden die Tür einschlagen!«

Sherlock Holmes’ Befehl wurde sofort befolgt. Das Haus hallte von den mit voller Kraft geführten Schlägen wider. Splitternd barst die Tür. Doch im selben Moment schlug den Männern ein wahrer Kugelregen entgegen. Dann jedoch ließ die Heftigkeit des Feuers nach. Entweder hatte Craig seine Munition verschossen oder er wollte sie für später aufsparen.

Da stürmte Sherlock Holmes als Erster gegen die Tür. Durch die Wucht seines Anpralls geriet das Gebilde aus Stühlen und Tischen im Inneren ins Wanken. Craig begann wieder zu schießen. Die Kugeln pfiffen haarscharf an Sherlock Holmes vorbei. Dann aber packte er den Burschen und rang ihn nach langem, heftigem Kampf zu Boden.

Als dieser gefesselt am Boden lag, sah Holmes finster auf ihn herab.

»Ihre Komplizen befinden sich bereits hinter Schloss und Riegel!«, bluffte er den Entsetzten. »Das Spiel ist aus. Wenn Sie Ihre Lage verbessern wollen, wird das nur ein offenes Geständnis ermöglichen!«

Da gab Craig auch den Rest seines Widerstandes auf und berichtete rückhaltlos. Dabei war er eifrig bemüht, seinen Helfern die geringste Schuld zuzuschreiben. Und plötzlich sah Sherlock Holmes klar. Seit acht Tagen war es Cred, dem Kammerdiener Mr. Swifters, bekannt, dass der Bankier heute mit einer riesigen Summe Bargeld nach Manchester fliegen würde. Er beratschlagte sich mit Craig, mit dem er seit Langem befreundet war, wie man sich in den Besitz des Geldes setzen könnte. Auch Jack Petray, ein Bekannter Creds, wurde ins Vertrauen gezogen.

Dieser verfiel auf folgenden Plan: Durch ein Verbrechen allein konnte man die Beute erringen, nur musste dieses Verbrechen als Unglücksfall frisiert werden. Man wollte den Bankier während des Fluges niederschießen und ihn dann über dem Moor aus dem Flugzeug werfen. Anschließend sollte das Flugzeug irgendwo landen und in Brand gesteckt werden, sodass es wie ein Absturz aussah. Hierzu benötigte man nicht nur die Mitwirkung des Piloten und des mitfliegenden Mordmonteurs, sondern auch einige Leichen, die man zusammen mit der Maschine verbrennen konnte, sodass alles echt aussah.

Die beiden Flieger waren bald bestochen. Die Höhe der Beute war zu verlockend. Die Toten stahl man unter Petrays Führung aus der Leichenhalle und transportierte sie heimlich mit Swifters Rolls-Royce fort. Nach der Tat sollten die beiden Flieger und Cred maskiert nach London zurückkehren. Mithilfe gefälschter Pässe konnten sie dort ein neues Leben beginnen, da sie – als mit dem Flugzeug verbrannt – für tot galten.

Sherlock Holmes sah nun restlos klar. Noch in derselben Stunde wurde Jack Petray verhaftet und am gleichen Abend auch die drei heimlich nach London zurückgekehrten Flugzeuginsassen. Unter der Wucht der Beweise bequemten sie sich schließlich zu dem Geständnis, dass man den unglücklichen Swifter unterwegs wirklich erschossen, beraubt und dann über Bord geworfen hatte; ihm hatte man im Moor für alle Ewigkeit ein Grab bereitet.

Schwere Zuchthausstrafen – für Cred sogar die Todesstrafe, da er den tödlichen Schuss auf Swifter abgegeben hatte – waren der Lohn dieser Schandtaten. Sherlock Holmes und Harry Taxons Namen machten aber wieder einmal die Runde um den Erdball.

Ende

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