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Die Gespenster – Vierter Teil – 34. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Vierunddreißigste Erzählung

Der Schuster Zimmermann zu Truppach

Johann Zimmermann, ein Schuhmachermeister aus Truppach, einem Vittingshofischen Dorf unweit Bayreuth, hatte am 14. November 1798 das Unglück, von einem umstürzenden Fuder Laubstreu, das er transportierte, erschlagen zu werden. Herr Lor. Braunold, Pfarrer in Mengersdorf und Truppach, ein junger Mann voller Tätigkeit und Menschenliebe, versuchte, den Erschlagenen so schnell wie möglich von der Last zu befreien, die auf ihm lag. Dies gelang ihm auch, doch er bemerkte keine Lebenszeichen mehr. Der Verunglückte ließ wie gerädert die Glieder sinken, sein Gesicht war gänzlich entstellt, aus seinem Mund flossen Schleim und Blut und alle Hoffnung, ihn zu retten, war dahin. Indessen ließ der Pfarrer frisches Wasser bringen und bespritzte damit das Gesicht des Toten. Auch versuchte er, sofern noch Lebenskraft in ihm schlummern sollte, durch Lockerung des Hemdes, der Halsbinde und des Brusttuchs für Luftzufuhr zu sorgen.

Inzwischen hatten sich viele Menschen versammelt, von denen niemand an ein Wiedererwachen dieses Verunglückten glaubte. Einige machten dem Prediger wegen des ins Gesicht gespritzten kalten Wassers die bittersten Vorwürfe. Die Unvernunft und Unverschämtheit anderer ging sogar so weit, dass, als der Verunglückte von den engen Kleidungsstücken befreit und stark gerieben wurde, laut gesagt wurde: »Er geht mit der Leiche um wie ein Schinderknecht.«

Diese lästernden Reden konnten den Menschenfreund jedoch weder aus der Fassung bringen noch seinen Vorsatz ändern, an dem Verunglückten einen Versuch zu unternehmen. Er stellte vielmehr einigen Männern, welchen er Unbefangenheit und reines Pflichtgefühl zutraute, auf das Nachdrücklichste die ihnen obliegende Pflicht der Nächstenliebe vor. Er schloss seine Ansprache mit den Worten: »Wenn nun auch unsere Bemühungen – was leicht möglich ist – vergeblich sein sollten, so haben wir doch unsere Pflicht getan, unser Gewissen bewahrt und uns außer Verantwortung gesetzt.«

Hierdurch sowie durch sein eigenes Beispiel brachte er schließlich einige Umstehende dazu, sich zu entschließen, den Toten anzufassen, mit ins Dorf zu tragen und auf einen Tisch in der geräumigen Schulstube zu legen.

Nun holte man den allen preußischen Pfarrämtern zur Verfügung gestellten Unterricht zur Behandlung von Scheintoten herbei, um den verunglückten Schuhmacher danach zu behandeln. Gemäß dieser Anweisung bestrich er die Schläfen, die Nase und den Mund des Verunglückten mit Salmiakgeist, ließ den ganzen Kopf mit Essig waschen, verabreichte ihm den Hofmannschen Likör und rieb den ganzen Körper, besonders aber die Gegend der Herzgrube, mit erwärmten, mit Branntwein besprengten Flanelltüchern.

Nachdem diese Arbeit eine gute halbe Stunde gedauert hatte, glaubte man, eine Veränderung der Gesichtsfarbe zu bemerken. Nun hielt es der Prediger für nötig, den Mund von Schleim und anderem Unrat zu reinigen. Dabei hätte er beinahe die Finger eingebüßt, doch er vergaß dies gern und freute sich, jene Veränderung des Gesichts und dieses starke, krampfhafte Klemmen der Zähne für eine gute Vorbedeutung halten zu können. Bald darauf setzte er mit seinen Gehilfen den Körper in ein lauwarmes Bad, ließ immer mehr Wasser hinzugießen und die Beine mit warmen Tüchern reiben. Diese zweckmäßige Behandlung und das fortgesetzte Reiben mit Flanell auf der linken Seite der Brust, vor allem aber das abwechselnde Tropfbad auf die Herzgrube, wirkten schnell und kräftig, denn die Scheinleiche begann nun, nach Luft zu schnappen.

Nun verdoppelte jeder seinen Eifer, um durch anhaltenden Fleiß noch stärkere Bewegungen des Körpers hervorzubringen. Diese erfolgten auch bald. Inzwischen war auch der herbeigerufene Wundarzt aus Obernsee angekommen. Da alle bisher angewandten Rettungsmittel Erfolg gehabt hatten, wurde nun auch Blut gelassen. Das Blut floss wie bei einem gesunden Menschen. Danach folgten krampfartige Bewegungen; bald schlug er mit Händen und Füßen um sich, wand und krümmte sich dabei wie ein Wurm. Die Bewegungen seines Herzens waren eher ein Zucken als ein Schlagen, Schaum stand auf seinem Mund und er brüllte wie ein Tier.

Die Neugierigen liefen bei diesem schaudererregenden Anblick davon und selbst diejenigen, die bisher hilfreiche Hände geleistet hatten, ermüdeten nun bei dem menschenfreundlichen Geschäft der Lebensrettung. Der Prediger, der sie nur mit Mühe zur Ausdauer in dem angefangenen guten Werk beredete, machte nun einen zweiten Versuch mit einem Brechmittel, welches aber wiederum nicht wirkte. Über zwei Stunden blieb der Kranke in den schrecklichsten Verzückungen und ohne Besinnung.

Bei diesem traurigen Anblick ließen die fleißigen Arbeiter wieder in ihrem Diensteifer nach und äußerten laut, dass es besser gewesen wäre, den Unglücklichen im Scheintod zu lassen, anstatt ihn für diese Qualen zu erwecken, da er doch schließlich seinen Geist aufgeben müsse.

Dem Prediger war es zwar sehr schmerzhaft, so beurteilt zu werden, aber er ließ sich auch dadurch in seinen Rettungsversuchen nicht beirren. Er beobachtete jede Bewegung des Körpers genau. Da die krampfhaften Zuckungen schwächer wurden und ein wenig aufhörten, nahm er nochmals Zuflucht zu einem Brechmittel, woraufhin bald ein heftiges Erbrechen einsetzte.

Von diesem Zeitpunkt an verloren die Konvulsionen zunehmend an Stärke und es stellte sich abwechselnd ein matter Schlummer ein. Diese ziemlich zuverlässigen Vorboten eines guten Ausgangs beobachtete man aber erst am Abend, nachdem man sich von zehn Uhr vormittags an fast ununterbrochen mit dem Scheintoten beschäftigt hatte. Froh hüllten die Menschenretter den leidenden Mann in Betttücher und brachten ihn zu seinem Wohnhaus. Dort blieb er bis zum Morgen des folgenden Tages ohne Besinnungskraft liegen. Am Nachmittag schlug der Verunglückte zum ersten Mal wieder mit Selbstbewusstsein die Augen auf.

Der Entkräftete gab durch Zeichen sein Verlangen nach einem Trunk zu erkennen und der Prediger reichte ihm ein Glas Wein. Begierig schlürfte er es hinunter und fühlte sich dadurch so gestärkt, dass er auch zu reden begann. Dank der guten Pflege und Diät, die sein Retter angeordnet hatte, konnte er am dritten Tag nach dem Unglück das Bett verlassen und am vierten Tag war er wieder völlig gesund und konnte seine Arbeit aufnehmen.

Während die Leute zuvor haufenweise herbeigeströmt waren, um einen Verunglückten tot zu sehen, waren sie nun noch viel neugieriger, sich von der Wirklichkeit seiner Auferstehung zu überzeugen.

Ohne Zweifel wäre der Gerettete an einem anderen Ort, wo man die Mittel zur Rettung von Scheintoten entweder nicht gekannt oder deren Anwendung nicht so musterhaft und entschlossen versucht hätte, lebendig begraben worden. Unstreitig verdient der feste und menschenfreundliche Prediger eine Bürgerkrone. Er ließ sich durch kein Geschwätz alter Weiber und durch keine Neugierde anderer Menschen in seiner Tätigkeit irre machen, so laut man ihm auch zurief: »Reicht ihm lieber das heilige Abendmahl, anstatt ihn so zu plagen.«

Ehrenvoller Erwähnung bei dieser schönen Tat verdient durch seine kräftige Mitwirkung: Herr von Vittingshofen, der Gutsbesitzer zu Truppach. Dessen wahrer Adel wurde auch bei dieser Gelegenheit sichtbar, als er überall selbst Hand anlegte, um seinen Untertanen und anderen Personen mit einem nachahmungswürdigen Beispiel voranzugehen.

Auch verdienen vor der Mitwelt dankbar öffentlich genannt zu werden: der Schneidermeister Joh. Wolfs,

der Arbeitsmann Andr. Igel und der königlich preußische Soldat und Viehschneider Adam Pfeifenberger, sämtlich aus Mengersdorf. Sie waren vernünftig und standhaft tätig, befolgten die Anordnungen des Pfarrers pünktlich und getreu.

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