Gespenster-Krimi Erstauflage Nr. 3

Mit dem Gespenster-Krimi Nr. 1 Die Nacht des Hexers erschien am 13.07.1973 der erste Roman der Serie, geschrieben von Jason Dark. Zuerst nur alle vierzehn Tage, doch bereits vier Monate später wöchentlich lieferten verschieden Autoren ihre Storys als 60seitige Romane ab. Im Laufe der Veröffentlichungen wurden durch die entsprechenden Autoren Serienhelden wie John Sinclair, Tony Ballard oder der Hexer herausgearbeitet, welche auf Grund ihres Erfolges in der Gespenster-Krimi-Reihe eine eigene Serienauskopplung bekamen. 1985 wurde die Serie des Bastei Verlages mit der Nummer 597 eingestellt.
Gespenster-Krimi Nr. 3
Titel: Turm des Grauens
Autor: Frank deLorca / Gerhart Hartsch
Verlag: Bastei Bergisch-Gladbach
Titelbild: Enric (Enric Torres-Prat)
Erschienen am 17.08.1973
66 Seiten, 1,00 DM
Synopsis:
Ein gurgelnder Schrei zerfetzte die Stille der Nacht, so markerschütternd und unmenschlich, dass dem Buckligen das Blut in den Adern gefror. Das kalkige Gesicht – wie vom Galgen geschnitten – verzerrte sich zu einer angstgepeitschten Fratze. Trotzdem schlich sich der Bucklige näher. Er schob sich keuchend durch taunasse Büsche.
Der alte Leuchtturm stand auf der Klippe hoch über dem gischtsprühenden Atlantik. Zögernd setzte der Missgestaltete einen Fuß vor den anderen.
Knarrend schwang die eisenbeschlagene Tür zurück.
Sie führte in das Innere des Turmes. Ein Geruch von Moder und Schimmel schlug dem Eindringling entgegen, legte sich beklemmend auf die Atemwege, raubte ihm für Sekunden die Luft. Der Bucklige knipste das Licht der Taschenlampe an. Sein bizarres Schattenbild fiel riesengroß auf die Wände des Gewölbes.
Leseprobe
Der dünne Strahl zitterte über feuchte Steinquader und Spinnweben in den Ecken des schmalen Verlieses, wanderte über Abfälle und Rattenkot, verharrte auf dem staubigen Boden. Entriss ein Gitterrost der unheilschwangeren Finsternis.
Der Bucklige sog pfeifend die Luft ein.
Etwas Grauenvolleres hatte er in seinem bewegten Leben noch nicht erblickt. Sein Verstand sträubte sich, den Augen zu trauen.
Behaarte Pranken krallten sich um rostige Eisenstäbe. Ein Gesicht presste sich gegen ein Fallgitter; eine Maske, die mehr einer höllischen Ausgeburt gehörte als einem lebenden Wesen.
Unter einem einzigen wimpernlosen Glotzauge in der Mitte der narbenzerfurchten Stirn saß anstelle der Nase ein winziges Loch, aus dem bei jedem Atemzug Geifer in einem dünnen Strahl hervorschoss. Nadelspitze Raubtierzähne schnappten nach einem imaginären Opfer. Ein seelenloses Grinsen verzerrte die fischmäulige Larve des Ungeheuers, das an seiner Kerkertür rüttelte, in unartikulierten Lauten um Befreiung bettelte, um seinen mörderischen Instinkten folgen zu können.
Der Bucklige kicherte lautlos.
Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Der Missgestaltete zog ein Schlüsselbund aus der Tasche seines tropfnassen Parkas, öffnete mit einem Dietrich das mächtige Vorhängeschloss und zog mit aller Kraft den zolldicken Riegel zurück.
Augenblicklich wurde das Eisengitter mit fast übermenschlicher Kraft nach oben gestemmt und schlug scheppernd auf den Steinboden.
Langsam schob sich Nefastus über den Rand seiner Gruft und richtete sich zu voller Größe auf.
Spinnen – Gefährten seiner Einsamkeit – purzelten von seinen breiten Schultern, wimmelten in den Haaren, verließen den sackleinenen Kittel und tippelten auf haarigen Beinen in das nächste Versteck.
Die Kette um den wundgescheuerten Hals des Nefastus klirrte leise. Die Querstange am unteren Ende – ein bequemer Griff, um den Unhold zu bändigen – baumelte in Kniehöhe.
Das verwüstete Gesicht reckte sich dem Mond entgegen, dessen fahles Licht sich gerade in diesem Augenblick in die Steinkammer stahl, durch eine faustgroße Bresche in der Mauer des alten Wehrturms.
Das scheußliche Gebiss des Nefastus klaffte. Mächtige Kiefer mahlten in der Vorfreude auf kannibalische Genüsse. Stinkiger Atem stand wie ein weißer Federbusch in der Kühle der Nacht.
Irgendwo schrie der Totenvogel.
Nefastus lauschte mit vorgerecktem Kinn.
Der klagende Laut des Käuzchens weckte vertraute Erinnerungen an ein grausiges Totenmahl.
Die wulstigen Lippen des Monstrums stammelten unverständliche Laute des Entzückens. Der blutgierige Rachen erzeugte schmatzende Töne, die dem Buckligen einen Schauer über den Rücken jagten.
Ständig wanderte das Zyklopenauge des zottigen Nefastus in seiner rötlichen Höhle, zeigte von Zeit zu Zeit rollend das Weiße, übermittelte einem stumpfen Gehirn Bilder, die es niemals verarbeiten konnte, sondern zusammenhanglos und ungeordnet aufnahm.
Dann sprengte ein triumphierender höllischer Schrei dem Buckligen fast die Trommelfelle, warnte die einsame Insel vor Nefastus.
Gewaltige Mauern brachen den Schall, vervielfältigten das schauerliche Echo.
»Geh nur«, drängte der Bucklige mit heiserer Stimme. Seine Augen glänzten fiebrig. Das strähnige Haar hing ihm klatschnass ins Gesicht. »Geh nur! Du kennst den Ort, an dem du dein Opfer findest! Wiederhole die Tat!«
Nefastus grunzte wohlig, erschauernd unter der einzigen Erfahrung, die er in seinem verderbten Leben gemacht hatte: Lust am Töten!
Schwerfällig setzte sich das Monster barfüßig in Bewegung, strebte der schweren Tür zu, die es mit der muskelbepackten Schulter aufstieß.
Nefastus pumpte die frische Nachtluft in die Lungen.
Sein einziges Auge spielte sich auf das ferne Licht der Petroleumlampen ein, die in strohgedeckten Fischerhütten blakten.
Dort war Leben! Zitterndes, warmes Leben, das man packen konnte und drücken, fester, immer fester!
Die Klauen des Ungeheuers öffneten und schlossen sich wie stählerne Greifer. Ein wollüstiges Stöhnen drang aus tiefer Brust.
Ein bestialisches Grinsen verzog die entsetzliche Visage des Nefastus. Er lachte glucksend.
Der Wind zerrte an den verfilzten weißen Haaren des einäugigen Albinos, der im Heidekraut stand und zum Dorf hinüberglotzte, ein klobiger Schattenriss gegen den Silbermond.
Nefastus setzte sich urplötzlich in Bewegung, lief quer über das Inselland, verzichtete auf Weg und Steg, getrieben von einem wahnsinnigen Verlangen.
Er ruderte durch Nebelschwaden wie ein Ertrinkender, überwand sturmgepeitschte Hügel mit krüppeligen Eichen und verfiel in einen ausdauernden Wolfstrab, um sich das Mädchen zu holen, das er bereits einmal viehisch ermordet hatte – vor einhundertfünfzig Jahren.
***
»Was hast du getan, Nat?«, fragte Professor Marek Stalicki.
Langsam kam er die ausgetretenen Stufen des alten Wehrturms herunter, ein Windlicht in der Hand.
Der spindeldürre Körper steckte in einem schmuddeligen Hausmantel, der von einer schwarzen Kordel zusammengehalten wurde.
Die Füße bewegten schlurfend zerschlissene Pantoffeln über den Steinfußboden.
Über dem spitzen Kinn des asketischen Gesichtes saß ein verkniffener Mund mit heruntergezogenen Winkeln. Der stechende Blick jettschwarzer Augen unter buschigen eisgrauen Brauen fixierte den Buckligen, der herumwirbelte wie ein ertappter Einbrecher.
Die Taschenlampe des Eindringlings richtete sich auf den alten Wissenschaftler, der sein Leben einem einzigen Problem gewidmet hatte. Gewissenlos war er mit seinen Experimenten in die Grenzbereiche der Forschung vorgestoßen, hatte verantwortungslos alle Bedenken beiseitegeschoben.
Er hatte der Arbeit an seinen abscheulichen Projekten die Seele geopfert, sich auf diese einsame Atlantikinsel nördlich der Hebriden zurückgezogen, hauste fernab von Zivilisation und Komfort, nur in Gesellschaft der Produkte seiner wahnwitzigen Versuche.
Nat Butcher, der Bucklige, lachte hämisch.
Er beobachtete mit Vergnügen die Ratlosigkeit des alten Professors, der selber nicht mehr wusste, wie er Nefastus stoppen sollte.
»Die Welt soll erfahren, was du hier treibst«, krächzte der Zwerg.
»Sie soll wissen, wer Professor Stalicki in Wirklichkeit ist: ein Verbrecher mit akademischem Titel!«
»Gelten für mich eure läppischen Maßstäbe und Wertvorstellungen?«, fragte Marek Stalicki tonlos. »Kostet nicht jeder Fortschritt Opfer?«
»Was nennst du Fortschritt?«, giftete der Bucklige. »Ich verfluche jede Stunde, die ich für dich geschuftet habe!«
»Aber mein Geld hast du immer genommen! Was wärest du ohne mich? Du bist ein ehemaliger Sträfling, ein Einbrecher. Ich habe dich aus der Gosse aufgelesen. Aber ich habe dich nie wie mein Faktotum behandelt, sondern immer wie meinen Mitarbeiter, obwohl du die Größe meiner Unternehmungen nie verstanden hast.«
»Du Lump!«, schnappte Nat Butcher. »Ich soll dir wohl noch dankbar sein, wie? Die Dorfbewohner meiden das Gasthaus, das du mir gekauft hast. Sie flüstern sich unter vorgehaltener Hand zu, dass ich dir geholfen habe bei den merkwürdigen Dingen, die sich in diesem verfluchten Turm abspielen. Sie munkeln sogar, die sechs Männer, die verschwunden sind, seit wir auf der Insel hausen, gingen auf unsere Rechnung. Das bin ich leid!«
»Vergiss nicht, dass wir beide bis über beide Ohren drinstecken«, warnte Stalicki, und sein spitzer, vom Nikotin verfärbter Finger deutete auf Nat Butchers Brust.
»Ich nicht«, brauste Butcher auf. »Du wirst bald Gelegenheit bekommen, dich für deine unseligen Taten zu rechtfertigen. Nefastus wird deine Forschungen auf eine Weise publik machen, dass der Welt der Atem stockt. Er ist auf dem Weg ins Dorf. Er wird sie töten!«
»Wen?« erkundigte sich Professor Stalicki verständnislos.
»Sheila Martin«, triumphierte der Missgestaltete. »Sie ist vor drei Tagen auf die Insel gekommen, auf der ihre Ururgroßmutter so bestialisch ermordet wurde. Sie wohnt im gleichen Zimmer, aus dem vor einhundertfünfzig Jahren die Unglückliche verschleppt und ins Moor gezerrt wurde. Ich habe ihr den Raum zugewiesen. Nefastus wird sich erinnern. Er wird abermals zuschlagen!«
»Du Scheusal!«, schrillte der Professor. »Ich hätte dir nicht den Gasthof kaufen dürfen, als du gehen wolltest, sondern dich an meine Ratten verfüttern sollen!«
»Zu spät«, höhnte der Bucklige und rieb sich die Hände, dass die Fingergelenke knackten. Ein hämisches Grinsen huschte über sein spitznasiges Gesicht.
Er schien sogar den Professor zu vergessen in der Vorfreude auf kommendes Unheil.
»Sie ist so schön«, murmelte der Bucklige. »Und sie heißt Sheila, wie ihre Urahne. Ich habe das Mädchen von vorn und hinten bedient. Sie hatte keinen Blick für mich übrig. Sie hat mich nicht mehr beachtet als die Möbel in meinem Gasthaus.«
Professor Marek Stalicki setzte sich erschöpft auf die unterste Stufe der Treppe, die in sein Labor hinaufführte.
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