Slatermans Westernkurier – Ausgabe 10/2025
Auf ein Wort, Stranger, kennst du noch Entique Henry Garfias, die Legende von Phoenix?
Die Zeitung THE REPUBLICAN schrieb über ihn, dass es in Arizona viele tapfere Männer gab, aber keinen mit einem solchen bescheidenen, unaufdringlichen Auftreten und Nerven wie Stahlseile. Der PHÖNIX HERALD lobte seinen Ruf, dass es keinen Mann gab, den er verfolgte und der nicht mit ihm zurückkehrte – ob tot oder lebendig. Andere Blätter behaupteten, dass er nie Furcht kannte, sondern stets seine Pflicht tat – egal, wie groß die Gefahr war, die ihm drohte.
Er wurde mit Wyatt Earp und Wild Bill Hickok verglichen, und seine Taten wurden zum Stoff, aus dem Legenden gemacht werden. Doch aus irgendeinem Grund wird er auch heute noch weitgehend von der Geschichte ignoriert.
Doch dazu später mehr.
Enrique Garfias wurde 1851 als Sohn von Manuel Garfias und Maria Luisa Avila im Orange County in Kalifornien geboren. Er lebte mit seinen Eltern in der Stadt Anaheim. Seine Jugend war hart, denn sein Vater, ein ehemaliger General der mexikanischen Armee, war in Bezug auf die Erziehung mehr als streng. Wahrscheinlich war dies mit ein Grund, warum Enrique sich, anders als die meisten anderen jungen Männer seines Landes, erst im Alter von zwanzig Jahren von seinem Elternhaus abnabelte.
Wie so viele andere folgte er damals dem Lockruf des Goldes und zog auf der Suche nach dem gelben Metall Richtung Wickenburg in Arizona, in die Minen der nordöstlich gelegenen Vulture Mountains. Später legte er auch seinen eigentlichen Vornamen Enrique ab und nannte sich fortan Henry. Diese sogenannte Amerikanisierung des Namens wurde sowohl von den meisten Kaliforniern spanischer Abstammung als auch von vielen europäischen Einwanderern praktiziert, da ein englisch klingender Name tatsächlich gewisse Vorteile im beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld mit sich brachte.
Im Jahr 1874 verschlug es ihn schließlich nach Phoenix. Was 1865 am Ufer des Salt Rivers als kleine Siedlung begonnen hatte, war inzwischen zu einer riesigen, pulsierenden Stadt herangewachsen. Bei Garfias’ Ankunft zählte Phoenix bereits über 1500 Einwohner und erhielt in diesem Jahr auch eine Telegrafenleitung.
Henry Garfias nahm dort schon bald eine Stelle als Deputy Marshal an. Angetrieben von seinem ausgeprägten Rechtsempfinden, machte er es sich schnell zur Aufgabe, dem gesetzlosen Treiben in Phoenix ein Ende zu bereiten. Dabei kam ihm der erlernte Umgang mit Waffen zugute, den er nach und nach durch Eigeninitiative vervollkommnete – dank seines Vaters, dem ehemaligen General. Ein weiterer Vorteil war, dass er mit seiner Größe von knapp 6 Fuß und seiner schlanken Statur von seinen Gegnern meist unterschätzt wurde.
Für viele der Gesetzlosen, die sich mit ihm anlegten, war dies ein tödlicher Irrtum, wie sie meist sehr schnell feststellen mussten.
Phoenix war in den Gründerjahren die wahrscheinlich wildeste Stadt im ganzen Südwesten. Sie wurde von Huren, Spielern, Betrügern, Räubern und Mördern beherrscht, die es allesamt auf das Geld der nahen Bergarbeiter und Cowboys abgesehen hatten. Diese suchten nach Feierabend, speziell am Wochenende, Zerstreuung bei Liebe, Schnaps und Kartenspiel, um ihrem harten Alltag wenigstens für ein paar Stunden zu entfliehen. Die Stadt war praktisch gesetzlos.
Es gab keinen Abend, an dem sich die anständigen Bürger der Stadt nicht unter den nächsten Tisch oder hinter den Wohnzimmerschrank in Sicherheit bringen mussten, um nicht von den Kugeln getroffen zu werden, die der betrunkene Pöbel in den Straßen wahllos in alle Richtungen abfeuerte.
Allein in der sogenannten Whiskey Row, einem nördlich der Washington Street gelegenen Straßenabschnitt, gab es nicht weniger als 16 Saloons, vier Tanzsäle und unzählige Hinterzimmer, in denen ein Mann an einem Abend alle zehn Gebote brechen konnte, um anschließend mit durchschnittener Kehle oder einer Kugel im Kopf in einer dunklen Seitengasse zu sterben.
In Phoenix galt das Gesetz des Colts, während das eigentliche Gesetz erst 30 Meilen entfernt in Fort Dowell zu finden war. Doch bis die Soldaten nach einem Mord, einer Schießerei oder einem Raub die Stadt erreichten, waren der oder die Täter längst über alle Berge.
Bis zu dem Tag, an dem Henry Garfias damit begann, unter den Verbrechern aufzuräumen.
Stellvertretend sei eine Episode erwähnt, bei der er eines Abends in die Whiskey Row gerufen wurde, um im Capital Saloon eine Schlägerei zu beenden.
Kaum hatte er den Schankraum betreten, ging der Störenfried, ein deutlich größerer Mann, sofort auf ihn los und forderte ihn auf, zu verschwinden oder zu den Kugeln seines Colts zu tanzen.
»Tu das nicht«, warnte ihn Garfias, doch sein Gegenüber, der sich offensichtlich dessen Schießkünste nicht bewusst war und ihn völlig unterschätzte, griff dennoch zur Waffe. Daraufhin zog Garfias seinerseits den Colt und erschoss ihn.
Sein rigoroses Vorgehen gegen kriminelle Elemente sprach sich rasch herum, weshalb es niemanden verwunderte, dass man ihn zum Town Marshal ernannte, nachdem Phoenix 1881 offiziell zur Stadt erklärt worden war.
Während seiner Dienstzeit zeigte er, dass er sich nicht nur gegen einzelne Rowdys, sondern auch gegen ganze Gruppen durchsetzen konnte. Bekannt ist beispielsweise ein Fall, in dem eine Horde texanischer Viehtreiber den Pfeffersäcken von Phoenix zeigen wollten, wie richtige Cowboys eine Stadt auf die Hörner nehmen, um Spaß zu haben. Ein derbes Ritual, das in den Treiberstädten von Kansas wie Abilene, Dodge City, Wichita oder Ellsworth damals gang und gäbe war.
Dabei wurde nicht nur wild um sich geschossen, sondern es kam auch vor, dass die Reiter mit ihren Pferden in den nächsten Saloon oder Laden ritten und sich im Sattel bedienen ließen oder sich von einem Barbier rasieren ließen. Jedenfalls kamen die Cowboys die Washington Street entlang, schossen dabei grölend immer wieder auf Türen, Schilder und Hängelampen. Als Garfias die Schüsse hörte, lief er ihnen entgegen, forderte sie auf, ihre Waffen sofort fallen zu lassen, und erklärte sie für verhaftet.
Die Cowboys ignorierten ihn und richteten stattdessen die Waffen auf ihn. Ein Fehler, denn als sich der Pulverdampf verzogen hatte, war einer der Cowboys tot, ein anderer verletzt und die übrigen wurden von Garfias, der kaum einen Kratzer davongetragen hatte, mit vorgehaltener Waffe ins Stadtgefängnis begleitet.
Ein weiterer Versuch von vier gewalttätigen Cowboys, den Marshal aus dem Weg zu räumen, endete noch blutiger. Als der Marshal zu Fuß einen Rundgang machte, griffen sie ihn zu Pferde an. Garfias setzte sich erneut durch, und als alles vorbei war, lagen die vier tot im Staub der Straße, während er nur verwundet war. Solche Taten, wie auch die Verhaftung berüchtigter Verbrecher wie Oviedo, auch bekannt als Saber Slasher, ließen ihn schon bald zur Legende werden.
Am 13. April 1883 heiratete er Elena Redondo, die ihm 1892 einen Sohn namens Louis Garfias schenkte. Anfang 1896 zog sich Henry Garfias dann auf seine Ranch nahe Castle Springs zurück. 22 Jahre als Steuereintreiber, Straßensuperintendent, Deputy und Marshal hatten ihre Spuren hinterlassen. Nicht alle Revolverkämpfe waren glimpflich verlaufen, und die vernarbten Wunden schmerzten immer mehr, zumal er inzwischen auch an Tuberkulose erkrankt war. Ironischerweise starb er nicht bei einer Schießerei oder durch einen hinterhältigen Mord, sondern völlig unspektakulär bei einem harmlosen Ausritt. Es war der 2. Mai 1896, als er auf einem seiner Lieblingspferde über die Ländereien seiner Ranch ritt. Aus irgendeinem Grund scheute das Tier, warf ihn ab und stürzte auf ihn. Garfias überlebte den Sturz zunächst, doch sein Körper war zu schwach, um sich von den Folgen zu erholen. Er starb am 8. Mai und wurde aufgrund seiner Verdienste für die Stadt nicht auf dem Boothill, sondern auf dem City Loosley Cemetery begraben, der sich im heutigen Pioneer and Military Park von Phoenix befindet.
Es sollte fast ein Jahrhundert dauern, bis am 25. Februar 1980 mit Ruben Ortega erneut ein Latino die Polizeibehörde von Phoenix leitete.
Genau das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Henry Garfias heute nur noch in Phoenix und den umliegenden Countys als Held verehrt wird. In den ehemaligen Südstaaten und im Osten, in einer Gesellschaft, die nicht nur damals schon vom Puritanismus geprägt war, in der ein christlich erzogener, verheirateter weißer Mann das Idealbild des vollkommenen Amerikaners war, gab es keinen Platz für einen Mexikaner, Mischling oder Halbblut. Hier wurden Männer wie Wild Bill Hickok, Jesse James oder John Wesley Hardin, die nichts anderes als kaltblütige Killer oder Räuber waren, zu Legenden.
Das ist irgendwie nicht zu verstehen, aber es ist so, selbst heute noch.
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