Bräute für das Biest – Kapitel 4
Wayne Rogers
Bräute für das Biest
Ein Mystery-Thriller voll herzzerreißendem Grauen
Ein wahnsinniges Wesen durchstreift die Bergwildnis und versetzt die Bergbewohner in Angst und Schrecken. Gleichzeitig erfüllte es das Herz von Minna Talbot mit quälenden Zweifeln. Ein wahnsinniger Wissenschaftler flüsterte ihr Geheimnisse über die Geburt ihres Geliebten zu – Geheimnisse über ein grausames Experiment mit einem Menschenaffen.
Kapitel 4
Blutige Spur
Als Mina langsam wieder zu sich kam, lag sie immer noch in ihrem Bett. Das Zimmer war dunkel, das Fenster schimmerte schwach, genau wie zuvor. Kein kauernder Affe, kein knurrendes Gesicht, das sich über sie beugte. Vielleicht war dieser Schrecken doch nur ein weiterer Albtraum, heraufbeschworen von ihrem gequälten Geist.
Ihre Hand streckte sich langsam aus, um Alice zu berühren, doch sie zog sie sofort wieder zurück, als hätte sie glühend heißes Metall berührt! Das Bett war leer!
Minna richtete sich auf und starrte in die Dunkelheit. Jetzt konnte sie das Zimmer klarer erkennen. Es war leer. Außer ihren Kleidern, die ordentlich auf einem Stuhl lagen, war keine Spur von Alice zu sehen. Sie war fort – und Minna wusste, dass dieser schreckliche Affe kein Produkt ihrer überreizten Fantasie gewesen war!
Zitternd stieg Minna aus dem Bett, schlüpfte in ihr Negligé und ihre Pantoffeln. Vielleicht war Alice hinuntergegangen, aber ihre Pantoffeln standen unter dem Bett und ihr Negligé lag mit ihren Kleidern auf dem Stuhl. Alice war fort und vielleicht kehrte das Monster nun zurück, um Minna mit sich zu reißen.
Zitternd schlich Minna zur Tür und sah in den Flur hinaus. Es war dunkel und leer. Angst trieb sie an, als sie durch die Dunkelheit zu Hartleys Zimmer rannte und an seine Tür klopfte. Keine Antwort. Sie klopfte erneut, dieses Mal lauter. Er musste es hören, aber hinter der Tür herrschte nur Stille.
Lautlos öffnete sie die Tür und sah hinein. Das Zimmer war leer, das Bett unberührt.
Don Porters Zimmer war daneben.
»Einen Moment«, antwortete er schläfrig, als sie an seine Tür hämmerte. »Verdammt ungünstige Zeit, einen Kerl zu wecken, aber ich komme gleich raus.«
Doch als er in diesem Moment ihr verängstigtes Gesicht im Licht der angezündeten Lampe sah, wusste er, dass dies kein Scherz war.
»Alice – sie ist fort!« Minna schluchzte als Antwort auf seine schnelle Nachfrage, was passiert sei. »Dieser schreckliche Affe hat sie mitgenommen!«
Don übernahm danach effizient die Initiative. Sobald er ihre Geschichte gehört hatte, begann er, die anderen Zimmer im Schlaftrakt zu durchsuchen. Professor Kincaids Zimmer war leer und das Bett unberührt, doch August Gebhardt schlief. Er zog sich sofort an und schloss sich ihnen an.
Im Hauptgebäude gab es keine Spur von Alice oder jemand anderem, aber im Labor brannte ein Licht. Als die Suchenden dort ankamen, fanden sie den Professor an seinem Schreibtisch sitzend, umgeben von Bergen von Büchern, wie er schrieb.
»Alice ist weg!«, rief er, als sie ihm erzählten, was passiert war. »Aber wie? Was könnte sie mitgenommen haben? Und wie konnte es in das Haus hinein- und wieder hinausgelangen? Ich muss euch nicht sagen, dass Obo und Dora die ganze Nacht hier in ihrem Käfig waren, genau wie ihr sie jetzt seht. Aber was für ein schreckliches Wesen kann das sein?«
Die Gorillas schliefen in ihrem Käfig und Minna zweifelte nicht daran, dass sie die ganze Nacht dort gewesen waren, wie er behauptete. Und doch war da etwas Heimliches an der Art des Professors. Als ihre Blicke sich trafen, war sie sich sicher, dass sie darin ein schuldiges Wissen erkannte. Vielleicht nicht so sehr Schuld als vielmehr Angst. Das war es – Angst. Er hatte schreckliche Angst vor etwas, das er nicht einmal erwähnen wollte.
Aber wovor? Wenn er wusste, dass er unschuldig war, wovor hatte er dann Angst? Minna versuchte, schwer von Begriff zu sein, und ignorierte die Antwort, die nach Anerkennung verlangte, aber sie ließ sich nicht leugnen.
Kincaid hatte Angst, weil er dachte, dass sein Sohn Hartley der schuldige Mörder sein könnte! Da hatte sie es sich eingestanden. Und mit dem Eingeständnis kamen verdammende Fragen. Wo war Hartley jetzt? Warum war sein Bett unberührt? Warum war er nirgends im Haus oder hier im Labor? Wo konnte er zu dieser Nachtzeit sein – wenn er unschuldig war?
Bevor sie eine dieser Fragen in Worte fassen konnte, kam die Antwort in Gestalt von Hartley selbst durch die Labortür. Doch sein Anblick ließ eisige Finger des Schreckens Minas Herz ergreifen. Seine Kleidung war schmutzig und zerrissen, sein Gesicht war zerkratzt und eine Hand war blutbedeckt!
»Hallo! Was ist los?«, fragte er und grinste, während er mit einem blutgetränkten Taschentuch an seiner blutenden Handfläche tupfte.
»Wo … warst … du?« Tonlos und wie erstarrt drängten sich die Worte über Minas Lippen.
»Sieht aus, als wäre ich im Krieg gewesen, oder?«, frotzelte er. »Nun, sei nicht so alarmiert, es ist nichts Ernstes. Ich bin auf den Gipfel des Hügels hinter dem Haus geklettert. Die Aussicht von dort oben ist im Mondlicht großartig. Auf dem Weg nach unten bin ich gestürzt. Beinahe hätte ich mir das Genick gebrochen, aber tatsächlich habe ich nur ein paar Kratzer davongetragen.«
Minna beobachtete sein Gesicht, und die Hoffnung erstarb in ihr. Seine Geschichte klang nicht wahr. Sie konnte ihm nicht glauben, obwohl sie mehr als je zuvor in ihrem Leben an jedes seiner Worte glauben wollte.
Sie durchsuchten das Haus nach Alice, aber Minna wusste mit hoffnungsloser Gewissheit, dass es eine sinnlose Formalität war. Alice würde nicht im Gebäude gefunden werden. Nein, sie würde erst gefunden werden, wenn das Monster mit ihr fertig war und ihren armen, verstümmelten Körper wegwerfen wollte.
Hinten am Gebäude weckten sie Mandy Goss, um sich der Suche anzuschließen. Trotz ihrer herben Kommentare, man sollte einer Person doch etwas Schlaf gönnen, wenn so viel zusätzliche Arbeit auf sie zukommt, schloss sie sich ihnen an. Corby zog sich ebenfalls an und folgte ihnen wie ein großer, schwerfälliger Hund – oder wie ein dummes Kalb, wie Gebhardt ihn nannte, als er das glotzäugige Landei kaltschnäuzig aus dem Weg schlug.
Die Suche blieb erfolglos, wie Minna wusste, und es blieb nichts anderes übrig, als sie für die Nacht aufzugeben. Schlaf schien in dieser Nacht unmöglich für sie, aber als er kam, beanspruchte er sie vollständig. Als sie ihre Augen öffnete, war es heller Tag.
Die mit pathetischer Ordnung auf dem Stuhl neben dem Bett arrangierten Kleider von Alice stachen ihr ins Herz, und der ganze Schrecken der vergangenen Nacht blitzte in ihr auf, als sie sie sah. Damit kamen auch die Fragen zurück, die sie Hartley stellen wollte.
Als sie aus ihrem Zimmer trat, waren die anderen Türen im oberen Flur offen; offenbar waren die anderen bereits wach und nach unten gegangen. Aber aus Hartleys Zimmer kam ein Geräusch, und sie ging zur offenen Tür.
Es war nicht Hartley, sondern Mandy, die das Zimmer aufräumte. Enttäuscht wandte Minna sich ab – und dann hielt sie inne und schaute zurück. Mandy stand vor einer Schranktür, rüttelte daran und zog am Knauf, während ihr hässliches Gesicht zu einer Grimasse verzogen war.
»… haben plötzlich mächtig wichtige Geheimnisse, die sie vor einem Körper bewahren wollen«, hörte Minna sie murmeln. Dann gab sie der Tür einen letzten Ruck und wandte sich verächtlich ab.
Geheimnisse in Hartleys Schrank? Demnach war es nicht üblich, dass er ihn verschlossen ließ. Warum also – jetzt?
Ohne zu wissen, warum, schlich Minna zurück in ihr Zimmer und wartete, bis Mandy mit ihrer Arbeit fertig war und den Flur hinunterging. Als der Weg frei war, ging Minna leise zu Hartleys Tür und trat ein.
Die Schranktür war immer noch verschlossen, aber vielleicht war der Schlüssel auf den Boden gefallen. Er war nicht dort, aber in der Tasche von Hartleys Bademantel fand sie ihn.
Das Metall schien ihre Finger zu verbrennen, als sie ihn herauszog. Sie nannte sich selbst eine verachtenswerte Schnüfflerin, aber sie musste wissen, warum diese Schranktür verschlossen war.
»Es ist das Mindeste, was ich für Alice tun kann«, sagte sie zu sich selbst, während sie den Schlüssel im Schloss drehte.
Was hinter dieser Tür auf sie wartete, wusste sie nicht – doch was sie dort sah, ließ sie entsetzt durch das Zimmer taumeln, den Mund aufgerissen und die Augen vor Schrecken weit!
In der Ecke des Schranks war ein dunkler Haufen zusammengeknüllt, den sie sofort erkannte. Eine Affenhaut, komplett mit einem hässlichen, knurrenden Kopf. Eine Affenhaut, die immer noch mit klebrigem Blut verklebt war – Alice’ Blut!
»Oh Gott! O Gott!«, flüsterte sie immer wieder, während sie auf das schreckliche Fell starrte. Ihr betäubter Verstand versuchte zu begreifen, was seine Anwesenheit dort bedeutete.
Hartley, der Maskierte, hatte diese Haut benutzt, um unvorstellbare Verbrechen zu begehen. Hartley, der teils Affe, teils Mensch war und periodisch ins Tierreich zurückglitt, nutzte diese schreckliche Verkleidung, um seine tierischen Gelüste zu befriedigen.
Irgendwie schloss sie die Tür wieder und legte den Schlüssel zurück in seine Tasche. Benommen und ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollte, ging sie hinunter zum Frühstück. Der bloße Gedanke an Essen war ihr zuwider, aber Gebhardt saß bereits am Tisch und erkannte schnell ihren Zustand.
»Was Sie brauchen, ist eine starke Tasse Kaffee«, sagte er. »Das wird Ihnen helfen, sich zu fassen.« Und dann, als sie die Tasse geleert hatte, die Mandy ihr gebracht hatte, lehnte er sich vor und fragte: »Gibt es etwas, das ich für Sie tun kann? Etwas, das Sie mir sagen oder mich fragen möchten?«
Es gab viele Dinge – nicht, dass sie ihn fragen wollte, aber dass sie ihn fragen musste.
»Ja«, sagte sie stumpf. »Sagen Sie mir – ist es möglich, dass es ein solches Wesen geben könnte, wie Sie angedeutet haben, und dass Hartley es sein könnte?«
»Vollkommen möglich.« Seine Stimme klang sanft und mitfühlend. »Wenn Sie mit mir kommen, werde ich es Ihnen beweisen.«
Widerstandslos ließ sie sich von ihm in die Bibliothek führen und setzte sich in einen bequemen Sessel. Dann nahm er zwei dicke Bände aus den überfüllten Regalen. Es waren wissenschaftliche Bände, aus denen er ihr Passagen laut vorlas. In diesen Bänden wurde über höllische Dinge berichtet, beispielsweise über wilde Frauen, die sich mit Affen gepaart hatten, und über die hybriden Nachkommen, die daraus entstanden waren. Einige dieser missratenen Kreaturen hatten jahrelang gelebt und in einem Band stand, dass es möglich sei, dass andere, die im Dschungel verloren gegangen waren, sich vollständig zum Tier gewandelt hatten.
»Also sehen Sie, es ist durchaus möglich«, beendete Gebhardt seine Lesung. »Es gibt keinen Grund, warum eine starke, überlegene Art von Frau, die sich mit einem Affen paart, keine Nachkommen hervorbringen sollte, bei denen die Affenmerkmale des Vaters vollständig verloren wären – zumindest äußerlich. Aber natürlich gibt es keine Garantie dafür, wann sich eine solche Kreatur zurückentwickeln und für eine gewisse Zeit ganz zum Affen werden würde. Und es gibt keine Garantie dafür, dass eine Frau, die eine solche Kreatur heiratet, nicht vollwertige Affen zur Welt bringt – Rückfälle zum väterlichen Großelternteil.«
Minas Gesicht war weiß und leer, aber ihr gequälter Verstand wand sich in Qualen. Das war es, was das sterbende Mädchen in der Hütte gemeint hatte! Der Vater ihres Kindes war für ihre Augen kein Affe gewesen. Er hatte wie ein Mensch ausgesehen, doch das Ergebnis ihrer Vereinigung war die schreckliche Monstrosität gewesen, die Minna geboren hatte sehen müssen!
Und der Vater dieses Kindes war …
Aus einer Schublade seines Schreibtisches zog Gebhardt ein verblasstes Tagebuch, das er ihr vorhielt.
»Erkennen Sie diese Handschrift?«, fragte er. »Es ist Professor Kincaids. Die Einträge beginnen, wie Sie sehen, im Jahr 1910, dem Jahr, in dem Hartley geboren wurde.«
Dann begann er zu lesen – einen Bericht, der sich in Minas Gehirn einbrannte, als wären die Buchstaben jedes Wortes dort mit Vitriol gedruckt. Der Bericht dokumentierte die Geburt eines Jungen, dessen Mutter eine weiße Frau war und dessen Vater ein Gorilla war! Drei Jahre lang verfolgte dieses schockierende Protokoll die Entwicklung des Säuglings, Tag für Tag, bis Mina ihre zitternden Hände hob, als wollte sie die Erinnerung daran aus ihrem Verstand verbannen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob es sich bei diesem Bericht um die Geburt und Kindheit Hartleys handelt«, schloss Gebhardt, “aber es ist sicherlich ratsam, dass Sie mehr über ihn erfahren, bevor Sie ihn heiraten. Wenn ich Sie wäre …«
Da unterbrach Hartley ihn, als er das Arbeitszimmer betrat. Er sah ernst und besorgt aus, als er sich an Minna wandte.
»Was mit Alice passiert sein könnte, ist ein vollständiges Rätsel«, sagte er. »Wir haben das Gelände und die gesamte Nachbarschaft durchsucht, aber es gibt nicht die geringste Spur von ihr. Es scheint seltsam, die Suche aufzugeben, aber es gibt nichts mehr, was wir tun können. Nichts, außer abzuwarten, was passiert. Dad möchte das Experiment, an dem er arbeitet, abschließen, also nehme ich an, ich sollte es hinter mich bringen.«
»Ich möchte ein paar Minuten mit dir sprechen, bevor du gehst, Hartley«, brachte Minna den Mut auf zu sagen. Sie war dankbar, dass Gebhardt taktvoll den Raum verließ. »Es erscheint mir seltsam, hier in deinem Zuhause, dass es keine Bilder oder Erinnerungen an deine Mutter gibt. Du hast mir nie etwas über sie erzählt, Hartley!«
Er runzelte die Stirn und sie sah, dass er sich unwohl fühlte.
»Tatsächlich«, gestand er, »weiß ich sehr wenig über sie. Meine Mutter ist ein Thema, über das mein Vater nie bereit war zu sprechen. Soweit ich weiß, war sie eine sehr schöne Frau. Sie starb, als ich noch sehr jung war. Dad war untröstlich und zog sich sehr zurück. Er zog hierher in die Wildnis, um sich in seiner Arbeit zu verlieren und den Schmerz in seinem Herzen zu vergessen.
Ich glaube, es gab eine Frau, die sich eine Weile um mich kümmerte, aber das hat offenbar nicht funktioniert, denn meine frühesten Erinnerungen sind daran, dass ich in einer Privatschule aufgewachsen bin. Ich muss damals drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Nachdem meine frühe Schulzeit vorbei war, kam ich hierher, um mit meinem Vater – und den Affen – zu leben. Seitdem verbringe ich so viel Zeit mit ihnen, dass ich sie viel besser kenne als jede andere Frau außer dir.«
Im Alter von drei Jahren endete das Tagebuch des Affenkindes. Minna schauderte innerlich und versuchte, ihm den Schrecken, der sie ergriff, nicht zu zeigen, bis ihre Hände vor Schweiß nass waren. Sie nahm eine Zigarette vom Schreibtisch und hielt sie erwartungsvoll an die Lippen. Aber Hartley schien es nicht zu bemerken.
»Die Dame möchte Feuer«, witzelte sie. »Wo ist dein Feuerzeug?«
Wieder war er unbehaglich. Sie bemerkte, dass er zögerte und verlegen stammelte.
»Ich scheine es verlegt zu haben«, gestand er schließlich. »Ich hatte es vor ein paar Tagen, aber jetzt ist es nicht hier. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, wo ich es gelassen habe.«
Minna wollte es ihm sagen, wollte ihm sagen, dass sie genau wusste, wo er es gelassen hatte. Sie wollte ihm sagen, dass sie alles über diese blutige Verkleidung wusste, die oben in seinem Schrank eingeschlossen war. Aber sie konnte nicht. Sie musste aus diesem Raum, aus dem Haus hinaus, an die frische Luft.
Unbewusst führten ihre Schritte sie zum hinteren Teil des Gebäudes, am Labor vorbei und den Hügel hinauf. Erst als sie halb den Hang hinauf war, gab sie sich selbst zu, warum sie dort war. Sie wollte bis zum Gipfel gehen, zu dem Ort, an dem Hartley behauptete, er sei gewesen, als Alice letzte Nacht verschwand.
Sie wollte selbst sehen, ob es Anzeichen dafür gab, dass er gefallen war. Wenn er wirklich dort oben gewesen war, wenn es eine Stelle gab, an der er ausgerutscht und gefallen war, dann könnte es immer noch eine Erklärung für die belastenden Umstände geben, die sich immer enger um ihn schlossen.
Diese schwache Hoffnung lockte sie und zog sie an, sodass sie keuchend vor Eifer war. Der Gipfel war gleich da vorne, ein offener Raum unter einer majestätischen Kiefer, nur noch ein paar Schritte.
Doch plötzlich wurden ihre Beine zu bleiernen Gewichten, die am Boden zu kleben schienen, während ihre hervorquellenden Augen auf diese Kiefer starrten – auf den kahlen Boden darunter. Da lag etwas Weißes, unheimlich weiß, mit bräunlichem Rot verschmiert, am Fuß des Baumes im Sonnenschein.
Sie wusste, was diese weiße Sache war.
Es dauerte eine Ewigkeit, diese letzten paar Meter zu erklimmen, und mit jedem Schritt wurde der Anblick, der sich ihr bot, immer erschreckender. Alice lag ausgestreckt auf dem Boden, starr und kalt, ihr nackter Körper mit ihrem eigenen Blut befleckt und verschmiert. Ihr Gesicht war so stark geschlagen worden, dass es kaum noch erkennbar war, und ihre Kehle war von wilden Krallen zerfetzt worden.
Und neben ihr lagen die zerrissenen Überreste des spitzenbesetzten Nachthemds, das das Biest in seiner fiebrigen Lust von ihrem Körper gerissen hatte.
Tränen wollten nicht kommen, als Minna dort stand und auf diesen entsetzlichen Anblick hinabsah. Es schien, als wären sie in ihr ausgetrocknet – verloren in den Trümmern ihrer Hoffnungen, Pläne und der ganzen Welt, die um sie herum in Chaos zerfiel.
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