Verschollen in den Smokies
Die Smoky Mountains, ein Reich ätherischer Schönheit und uralter Magie, erheben sich wie Hüter eines verborgenen Wissens. In deren Nebelschleiern verbergen sich nicht nur die Gipfel, sondern auch die Erzählungen längst vergangener Zeitalter. Wenn die Dämmerung hereinbricht und die Schatten sich ausdehnen, erwachen die Melodien des Waldes und das Flüstern der Vergangenheit scheint sanft durch die Baumkronen zu schweben.
Hier, wo die Cherokee ihren Ursprung haben, spinnen Geschichten von Geistern und übernatürlichen Wesen ein dichtes Netz aus Mysterien. Besonders die Legende der Nunnehi entfaltet sich wie ein Märchen aus einer anderen Welt: ein geheimnisvolles Volk, das als Geister oder unsichtbare Bewohner bekannt ist und den Cherokee in Zeiten der Dunkelheit beistand, indem es Krieger schützte oder geheime Pfade durch die Wälder offenbarte. Diese Wesen sollen in besonderen Felsen oder Hügeln wohnen, die als Tore zu ihrer verborgenen Sphäre dienen.
Der allgegenwärtige Nebel, der diesen Bergen ihren Namen verlieh, birgt mehr als nur kondensierte Feuchtigkeit. Er wird als Geflecht aus Träumen und Erinnerungen all jener gesehen, die einst über diese Wälder wanderten und dort ihre letzte Ruhe fanden. In der tiefen Stille könnte man schwören, schattenhafte Gestalten zu erspähen, die lautlos durch die alten Baumriesen gleiten und die vergessenen Pfade ihrer Ahnen neu beschreiten.
Es heißt, die Smoky Mountains seien ein Ort, an dem der Schleier zwischen den Welten dünn wie Seide ist. Wanderer berichten von unergründlichen Phänomenen: plötzlich sinkende Temperaturen, das Gefühl, beobachtet zu werden, oder der entfernte Klang von Trommeln und Gesängen, deren Quelle ein Rätsel bleibt. Solche Erlebnisse nähren den Glauben, dass diese Berge ein Knotenpunkt für Kräfte sind, die unser Verständnis übersteigen.
Die mystische Aura der Smoky Mountains spiegelt sich im ewigen Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt wider, der das Wesen der Natur durchzieht. Diese dichten Wälder, die sowohl Schutz als auch Herausforderung bieten, verkörpern die unendliche Verbindung allen Lebens. Alte Baumriesen wachen als stille Chronisten der Zeitgeschichte, während der mit Moos und Farn bedeckte Boden das Wiegenlied der Erde flüstert – eine leise Hymne auf das ewige Mysterium des Seins.
In diese unwirtliche Landschaft schickt Autor Patrick J. Grieser seinen Hauptprotagonisten Zack Tully, ein rastloser Gunslinger, auf die Suche nach lang ersehntem Frieden. Doch der Weg dahin ist gefahrvoll.
Das Buch
Patrick J. Grieser
Reihe Das Gesetz des Westens
Ein Mann wie Zack Tully Band 2
Verschollen in den Smokies
Western, Taschenbuch, Verlag EK-2 Publishing, Duisburg, Mai 2025, 180 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 9783964035592
Tief verborgen in den nebligen Tälern der Smoky Mountains liegt ein Ort, der längst vergessen schien – bis Zack Tully zurückkehrt. Der ruhelose Revolvermann will sich nur kurz erholen, doch das Tal ist nicht so verlassen, wie es scheint. Als dunkle Gestalten auftauchen und ein skrupelloser Colonel seine gierigen Finger nach dem Land ausstreckt, wird aus der Rast eine tödliche Konfrontation.
Während alte Wunden aufbrechen und neue Allianzen geschmiedet werden, muss Tully sich entscheiden: Will er endlich Frieden finden – oder ein letztes Mal das Gesetz des Westens walten lassen?
Leseprobe
Sie haben sich verlaufen. Das wird Irvine Drummond sofort klar, als sich die Bäume zu beiden Seiten des Weges lichten und den Blick auf die Berge und Wälder freigeben. Ein bläulicher Dunst liegt über den mächtigen Appalachen, die eine natürliche Grenze zwischen den Bundesstaaten North Carolina und Tennessee bilden.
Irvine ist von gedrungener Gestalt, ein fast schon schmächtiges Kerlchen, doch dieser Eindruck täuscht, denn er hat seinen Militärdienst bei den Texas Rangers verrichtet, deren Aufgabe darin besteht, die Grenzgebiete vor den gefürchteten Comanchen und Kiowas zu schützen. Irvine ist ein Mensch, der schnell die Fassung verliert. Er selbst würde sich als leidenschaftlichen und besonders temperamentvollen Menschen beschreiben, doch bei den Texas Rangers galt er seinerzeit als heißblütig, cholerisch und regelrecht unbeherrscht. Irvine besitzt das Temperament eines angriffslustigen Terriers, und das ist es auch, das ihn so gefährlich macht, denn sobald man ihn reizt, geht er ohne Vorwarnung direkt zum Angriff über. Außerdem ist er zäh, gehört er doch zu jener Sorte Mensch, die so gut wie kein Schmerzempfinden haben. Als Boxer wäre er sicherlich einer der ganz Großen gewesen. Seine Gegner hätten sich die Zähne an ihm ausgebissen. Der Captain in Austin nannte ihn damals oft einen gottverdammten Hitzkopf.
Irvine ist wütend, und das ist kein gutes Zeichen. Er tritt vor einen entwurzelten Baum, den die unerbittlichen Elemente des Landes zu Fall gebracht haben. Ein Großteil des Stammes ist mit gemeinem Efeu bedeckt, der hier draußen in der Wildnis der Smoky Mountains fast überall anzutreffen ist. Drummond tritt mit der Stiefelspitze hart gegen den verrotteten Stamm.
»Dadgum! Wir haben uns verlaufen!«, spricht er das Offensichtliche aus. Er wendet sich den beiden Männern im Hintergrund zu. Seine Nasenflügel zittern, die Augen sind weit aufgerissen. Ja, Irvine Drummond ist gerade richtig wütend. Und das ist etwas, was die zwei Kerle, die hinter Drummond stehen, augenblicklich überhaupt nicht gebrauchen können. Sie halten Abstand zu ihm, denn sie wissen um seine Wutausbrüche, die mitunter recht gefährlich sein können.
Drummond macht ein paar Schritte auf seine beiden Partner zu. Er hat ein Allerweltsgesicht, das in einer großen Menschenmenge nahezu verschwindet. Es ist schmal und kantig, mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Drummond zählt fünfzig Sommer, sein dunkelbraunes Haar weist am Hinterkopf eine faustgroße lichte Stelle auf, die er nur allzu gerne unter seinem Texashut zu verbergen versucht. Irvine gilt nicht nur als besonders jähzornig, sondern auch als ausgesprochen eitel.
Die beiden Männer hinter ihm tragen beide einen schlichten, tiefkronigen Plainsman. Ebenso wie Inane Drummond sind sie in schwere Jacken aus einem segeltuchähnlichen Stoff gekleidet. Man muss nicht zweimal hinschauen, um zu sehen, dass die beiden Burschen Brüder sind. Die Gesichtszüge sind auffallend ähnlich. Ins Auge sticht sofort die schmale Nase, die den Männern etwas Raubvogelhaftes verleiht. Das schwarze Haar ist mit silbernen Strähnen durchzogen. Chad und Morgan MacPhee sind Zwillinge, wobei Chad sehr großen Wert darauf legt, dass er fast zehn Minuten früher auf die Welt gekommen ist als sein kleinerer Bruder.
Morgan will gerade etwas erwidern, doch sein Bruder legt ihm die Hand auf den Arm und schüttelt den Kopf. Es ist unklug, etwas zu sagen, wenn die Gefühle bei Drummond gerade hochkochen. Sie hätten in der Kutsche bleiben sollen, doch Drummond wollte Zeit sparen und eine Abkürzung über die Berge suchen. Den beiden Brüdern hat er weismachen wollen, dass er bei den Texas Rangers ein namhafter Scout gewesen sei, der früher bis in die große Hochebene der Staked Plains vorgestoßen ist.
Was für ein Großmaul dieser Kerl doch ist!
Es war Chad und Morgan MacPhee von Anfang an klar, dass Irvine Drummond kein solcher Bigfoot gewesen ist. Vermutlich hat ihn sein ungezügeltes Temperament den Job bei den Texas Rangers gekostet.
Die beiden Brüder werfen sich vielsagende Blicke zu. Wir hätten in der Kutsche bleiben sollen!
Noch einmal tritt Drummond wütend gegen den morschen Stamm, sodass es im Gehölz knirscht. Chad verzieht das Gesicht, denn der Tritt muss höllisch weh tun, so hart wie Irvine mit der Stiefelspitze gegen den Stamm getreten hat.
Drummond dreht sich wieder zu den Zwillingen um, wirft ihnen einen herausfordernden Blick zu. Die beiden Männer schweigen, schauen ihn mit ausdruckslosen Mienen an.
»Dadgum!« Mit einem Ächzen lässt sich Drummond auf dem umgestürzten Baum nieder. Er nimmt den Texashut vom Kopf und beginnt, sich für einen kurzen Moment damit Luft ins Gesicht zu wirbeln. Dann wird ihm bewusst, dass seine kahle Stelle auf dem Hinterkopf zu sehen ist, und er zieht den Hut schnell wieder auf.
»Irgendeine Idee, wo wir sind, Gentlemen?«, will Irvine Drummond von den beiden Männern wissen.
Morgan räuspert sich. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir befinden uns am Arsch der Welt, Drummond.«
Ein unheilvolles Knurren entweicht Irvines Kehle. Chad macht einen Schritt nach vorne und stellt sich schützend vor seinen Bruder. So wie es von einem älteren Bruder erwartet wird.
»Vielleicht ist es an der Zeit, umzukehren und die nächste Pferdewechselstation aufzusuchen«, meint Chad MacPhee. Er hebt die Hand und macht eine ausschweifende Geste, die die nähere Umgebung einschließt. »Das hier ist Niemandsland, Irvine. Wir haben unser Glück versucht und waren nicht erfolgreich.«
Drummond schweigt einen Moment. Er schließt die Augen und beginnt seine Schläfen mit den Fingern zu massieren. Das macht er immer, wenn er frustriert ist. Er sitzt eine Zeit lang stillschweigend da, die Hände wild knetend auf den Schläfen.
Morgan will etwas sagen, doch sein Bruder schüttelt erneut den Kopf. Er kann Drummonds Verhalten besser lesen als jeder andere Mensch. Vor zwei Jahren haben sie sich in Boston getroffen. Die Erinnerung daran kommt Chad wie eine halbe Ewigkeit vor. Die Zeit, die seitdem vergangen war, hat ihn wie einen rohen Diamanten geschliffen. Mittlerweile verfügt er über eine hervorragende Menschenkenntnis. Das kommt davon, wenn man zu viel Zeit mit Leuten wie Irvine Drummond verbringt.
»Wir gehen weiter«, zischt Irvine schließlich und erhebt sich mit einem Ächzen von dem Baumstamm. Er klopft mit beiden Händen den Dreck vom Hosenboden ab. Sein Blick wandert zu dem wolkenverhangenen Himmel empor. Es sieht nach Regen aus, doch bislang haben sie Glück gehabt, denn es ist noch kein einziger Tropfen gefallen. Doch das Ganze ist vielleicht nicht mehr als die Ruhe vor dem Sturm. Die Wetterlage kann sich binnen weniger Augenblicke ändern und einen wahren Orkan samt sintflutartigen Regenfällen entfachen.
»In einer Stunde geht die Sonne unter«, meint Irvine. Er deutet auf einen bewaldeten Hügel in der Feme, von dem rauchiger Nebel aufsteigt. »Bis zur Dunkelheit können wir noch eine gute Strecke zurücklegen. Wir sollten unser Camp dort auf dem Hügel aufschlagen. Es ist ein gutes Stück Weg, aber wenn wir die Zähne zusammenbeißen, schaffen wir das sicherlich.«
Chad weiß, dass sie es nie und nimmer bis zu diesem Bergkamm schaffen werden. Dazu ist das Terrain zu uneben und viel zu beschwerlich. Doch er sagt nichts, denn er will keinen Streit mit Irvine entfachen. Chad ist froh, dass sein Bruder nichts sagt. Morgan kann in solchen Situationen nämlich sehr ungehalten sein. Er hat zudem Probleme damit, dass sich Irvine ungefragt zum Anführer ihrer kleinen Gruppe gekrönt hat. Nur zu gerne würde er ihm seine Fehler unter die Nase reiben und ihm seine Grenzen aufzeigen. Chad muss den kleinen Bruder zügeln, will er nicht riskieren, dass Irvine ihm sein Bowiemesser zwischen die Rippen rammt.
»Gut, dann lasst uns keine Zeit vergeuden und weitergehen«, sagt Chad. Irvine nickt zufrieden.
Ich sollte Unterhändler werden, denkt Chad, während sie dem vorausgehenden Mann ins Dickicht folgen. Meine diplomatischen Fähigkeiten sind wahres Gold wert!
Als es schließlich dunkel wird, haben sie gerade mal die Ausläufer des Hügels erreicht. Irvine hat mit seiner Einschätzung der Situation wieder einmal danebengelegen.
***
Das Tal wird von gewaltigen Bergflanken eingeschlossen. Es ist ein Kessel, der wie eine runde, vom harten Gestein umschlossene Vertiefung wirkt. Hier wächst das Blaugras besonders gut, denn es ist immer kühl und feucht. Das Tal befindet sich in den höheren Lagen des Berges, eingeschlossen in einen ewigen Nebel, der von den Bäumen aufsteigt, die sich Richtung Berg ausbreiten. Es gibt nur einen Zugang zu diesem Talkessel, und der liegt im Osten. Eine Schlucht führt hinaus, an der Seite des Berges entlang. Der Weg ist nicht besonders breit, und die Felsen ziehen sich an manchen Stellen so eng zusammen, dass man das Tageslicht kaum noch sehen kann. Das Ganze erinnert dadurch mehr an den Stollen eines Fuchsbaus.
In den Abendstunden, wenn die Schatten länger werden, zeigen sich die ersten Hirsche, Rehe und Kaninchen auf den Blaugraswiesen.
Am anderen Ende des Talkessels befindet sich eine Holzhütte. Eine Rauchsäule bahnt sich ihren Weg aus dem Schornstein, der als einziges Element aus Stein erbaut ist. Die Veranda ist überdacht und durch mehrere sogenannte Columns gesichert. Dabei handelt es sich um grob behauene Holzstücke, die das Dach stabilisieren.
Es gibt neben der Hütte einen Corral, auf dem ein Appaloosa-Hengst mit geflecktem Fell steht und aus dem Wassertrog säuft.
Ein Creek führt in unmittelbarer Nähe an einer kleinen Weidewiese vorbei, die von einem halben Dutzend friedfertiger Saanenziegen und ebenso vielen Hühnern bevölkert wird. Ein Wagenbett ohne Räder, in dessen Mitte man ein Loch eingelassen hat, dient den Tieren als Unterkunft für die Nacht und Schutz vor den Gezeiten. Daneben stehen mehrere Holzfässer und -kisten.
Tom Graham sitzt auf der Veranda in seinem Schaukelstuhl und blickt hinaus auf das Blaugrastal. Die Sonne geht gerade unter, sodass die Landschaft in ein unwirkliches Licht getaucht wird. Man bekommt den Eindruck, als sei ein Teil der äußeren Welt entrückt, sodass Formen und Konturen in einem Meer aus flüssigem Rubin verschwimmen. Bald schon wird sich die Dunkelheit über das Land legen, und dann muss Tom Graham die Tür verriegeln und die Fenster absichern.
Der alte Mann hat schon viele Sommer kommen und gehen sehen. Er ist dem Tod näher als dem Leben. Sein Gesicht ist faltig, die Haut wirkt im Licht der untergehenden Sonne wie gegerbtes Leder. Das Haar ist schlohweiß und wird von einem einfachen Lederband zusammengehalten, wie es die Cherokee tragen. Der Vollbart – ebenfalls so weiß wie der Schnee an einem klirrend kalten Wintertag – ist lang und üppig. Er unterstreicht das Alter des Mannes und verleiht ihm ein gewisses Maß an Weisheit, die ein langes und entbehrungsreiches Leben mit sich bringt.
Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Autors
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