Die Virginier – Erster Band – 12. Kapitel
William Makepeace Thackeray
Die Virginier
Erster Band
Wurzen, Verlags-Kontor, 1858
12. Kapitel
Nachrichten aus dem Felde
Wir müssen uns vorstellen, dass der Abschied zwischen den Brüdern vorüber ist, dass George seine Stellung in Mr. Braddocks Gefolge eingenommen hat und Harry nach Castlewood und zu seiner Pflicht heimgekehrt ist. Sein Herz weilt bei der Armee, und seine Beschäftigungen zu Hause bedeuten dem Jungen keine Freude. Er muss sich eingestehen, wie lief enttäuscht er sich fühlt bei der Verpflichtung, unter dem stillen, heimischen Dach auszuharren, wo es ihm trauriger denn je scheint, seit George fort ist. Harry geht an eines Bruders leerem Zimmer nur abgewandten Blickes vorbei; er sitzt auf Georges Platz oben am Tisch und seufzt, wenn er aus seinem silbernen Becher trinkt. Madame Warington bringt jeden Tag standhaft die Gesundheit des Königs aus; und am Sonntag, wenn Harry das Evangelium vorliest und für alle Reisenden zu Wasser und zu Lande betet, sagt sie mit besonderer Inbrunst: »Wir flehen dich an, erhöre uns!«
Dauernd spricht sie von George, jedoch heiter und mutig, als wäre seine Rückkehr gewiss. Sie geht erhobenen Hauptes in sein Zimmer, und ohne äußerliche Zeichen der Rührung. Sie sieht darauf, dass seine Wäsche, Bücher und Papiere sorgfältig geordnet sind, sie spricht mit ganz besonderer Achtung von ihm und befiehlt den alten Dienern bei den Mahlzeiten mit Vorliebe allerlei Dinge, die zu tun sind, »wenn Mr. George heimkommt.«
Mrs. Mountain wimmert beständig, sobald Georges Name erwähnt wird, und Harrys Gesicht trägt einen Ausdruck herzzerreißender Besorgnis; doch seiner Mutter Miene ist unveränderlich ernst und gefasst. Sie macht wohl mehr Fehler beim Puffspiel und Pikett, als man von ihr erwarten sollte, und die Diener finden sie immer schon wach und angekleidet vor, so früh sie auch aufstehen mögen. Sie hat Mr. Dempster gebeten, wieder in Castlewood zu wohnen. Sie ist gegen niemand heftig oder hochmütig (wie das sonst ihre Gewohnheit war), sondern ruhig im Gespräch und zahm in Rede und Gegenrede. Sie spricht andauernd von den Feldzügen ihres Vaters, und wie er sie alle ohne schwere Verwundungen überstanden habe; dasselbe glaubt und hofft sie für ihren ältesten Sohn.
George schreibt häufig Briefe nach Haus an seinen Bruder, und jetzt, da die Armee auf dem Marsch ist, führt er ein einfaches Tagebuch, das er absendet, sobald sich Gelegenheit dazu bietet. Dieses Dokument wird von dem Jüngling, dem er es zuschickt, gierig und begeistert verschlungen, und mehr als einmal auch im Familienrat vorgelesen an den langen Sommerabenden, wenn Madame Esmond aufrecht an ihrem Teetisch sitzt – sie lässt sich niemals dazu herab, die Lehne eines Sessels zu gebrauchen –, wenn die kleine Fanny emsig näht und Mr. Dempster und Mrs. Mountain Karten spielen, während die still gewordenen alten Diener des Hauses im Zwielicht schweigend den Worten ihres jungen Herrn lauschen. Hört zu, wie Harry Warrington aus seines Bruders Briefen vorliest! Wenn wir die feinen Schriftzüge auf dem vergilbten Papier betrachten, so liebevoll aufbewahrt, ist uns fast, als lebten die beiden – der sie schrieb und der sie las – und dennoch sind sie verschwunden, als wären sie nie gewesen; ihre Porträts sind blasse Abbilder in Rahmen, deren Gold erblindet ist. Waren sie jemals wirklich, oder sind sie bloße Phantome? Lebten und starben sie einst? Liebten sie einander wie wahre Brüder und getreue Männer von Ehre? Hören wir ihre Stimmen aus der Vergangenheit? Harrys erkenne ich gewiss, und dort sitzt er an dem warmen Sommerabend und liest seines jungen Bruders einfache Geschichte.
»Man muss zugeben, dass die Provinzen schändlich gegen Seine Majestät König Georg II. handeln; und sein Vertreter hier ist in flammender Wut. Virginia beträgt sich schlecht genug und das arme Maryland nicht viel besser, aber Pennsylvania am schlimmsten. Wir bitten, uns Truppen von Hause zu schicken, um die Franzosen zu bekämpfen, und wir versprechen, diese Truppen zu verpflegen. Aber nicht allein, dass wir unser Versprechen nicht halten und kaum irgendwelche Vorsorge für unsere Verteidiger treffen, sondern unsere Landsleute dringen auch auf die unerhörtesten Preise für Vieh und Lebensmittel und betrügen wahrhaftig die Soldaten, die doch gekommen sind, um sich für sie zu schlagen. Kein Wunder, dass der General flucht und die Truppen verdrossen sind. Es hat endlose Verzögerungen gegeben. Weil es die einzelnen Provinzen daran mangeln ließen, die zugesagten Waren und Transportmittel zu liefern, sind Wochen und Monate verstrichen, während welcher sich zweifellos die Franzosen an der Grenze und in den Forts, aus denen sie uns hinauswarfen, verstärkt haben. Obgleich zwischen mir und Oberst Washington niemals große Liebe herrschen wird, muss man gestehen, dass dein Liebling (ich bin nicht eifersüchtig, Hal) ein tapferer Mann und ein guter Offizier ist. Der Stab achtet ihn hoch, und der General befragt ihn stets über seine Meinung. Tatsächlich ist er fast der Einzige, der die Indianer in Kriegsbemalung gesehen hat, und ich muss sagen, ich glaube, dass er recht tat, als er im vorigen Jahr auf Monsieur Jumonville feuerte. Jener andere Streit in Bensons Gasthaus hat ebenso wenig Folgen gehabt, wie die geplante Schlacht zwischen Oberst W. und einem gewissen jungen Herrn, der nicht genannt sein soll. Hauptmann Waring wollte die Sache austragen, als er ins Lager kam, und überbrachte die Forderung von Hauptmann Grace, und dein Freund, der kühn wie Hektor ist, war dafür, sie anzunehmen und wählte Oberst Wingfield – auch ein Adjutant – als Sekundanten. Aber als Wingfield die näheren Umstände des Streites hörte, wie er aus der Trunkenheit von Grace entstanden und durch den beschwipsten Waring geschürt worden wäre und wie die beiden Gentlemen vom Vierundvierzigsten einen Milizoffizier beleidigt hätten, schwor er, dass Oberst Washington sich nicht mit den Vierundvierzigern schlagen sollte. Er wollte den Fall geradenwegs seiner Exzellenz unterbreiten, die die beiden Hauptleute vor ein Kriegsgericht bringen würde wegen Raufens mit der Miliz, Betrunkenheit und unziemlichen Betragens; und die beiden Hauptleute waren gezwungen, ihre Brotmesser einzustecken und ihre Wut hinunterzuschlucken. Sie waren in nüchternem Zustand sehr gutmütig und löffelten mit bestem Appetit die eingebrockte Suppe aus bei einem Versöhnungsmahl, das Oberst W. mit den Vierundvierzigern feierte und bei dem er sich so vollkommen stumpfsinnig und korrekt benahm, wie das der Prinz Pedant tun muss. Zum Henker mit ihm! Er hat keine Fehler, und gerade darum mag ich ihn nicht. Wenn er jene Witwe heiratet – meine Güte! Was für ein trauriges Leben erwartet sie!«
»Ich staune über den Geschmack mancher Männer und die Schamlosigkeit mancher Frauen«, bemerkte Madame Esmond und stellte ihre Teetasse hin. »Ich staune, wie irgendeine Frau, die einmal verheiratet war, sich so weit vergessen kann, wieder zu heiraten! Nicht wahr, Mountain?«
»Es ist widernatürlich«, bestätigt Mountain mit einem sonderbaren Blick.
Dempster betrachtet standhaft sein Punschglas. Harry sieht aus, als ob er vor Lachen oder einer anderen verborgenen Gemütsbewegung erstickt, aber seine Mutter sagt: »Nur weiter, Harry. Lies deines Bruders Tagebuch vor. Er schreibt gut, aber ach, wird er je so schreiben können wie mein Papa?«
Harry fährt fort: »Wir halten strengste Zucht hier im Lager, und die Maßregeln gegen Trunkenheit und Unsitte bei den Mannschaften sind sehr streng. Morgens, mittags und abends verliest man die Namen jeder Kompagnie und meldet die Abwesenden und Liederlichen dem kommandierenden Offizier des Regiments, der dafür zu sorgen hat, dass sie gehörig bestraft werden. Die Mannschaften straft man allerdings, und die Trommler sind immer am Werk. Ach, Harry, es machte mich krank, als ich das erste Mal aus einem großen und starken, weißen Rücken Blut fließen sah und das jammervolle Geschrei des armen Burschen hörte.«
»Ach, scheußlich!«, ruft Madame Esmond.
»Ich glaube, ich würde Ward ermordet haben, wenn er mich geschlagen hätte. Gott sei Dank kam er mit dem Lineal noch leidlich davon! Die Mannschaften, sage ich, beaufsichtigt man sorgfältig genug. Ich wünschte, man täte es auch mit den Offizieren. Die Indianer haben eben ihre Zelte abgebrochen und sich grollend zurückgezogen, weil die jungen Offiziere stets und ständig mit ihren Squaws getrunken … und … und … hm … ha.«
Hier bricht Mr. Harry ab, da er die Vorlesung wahrscheinlich nicht gern in Gegenwart der kleinen Fanny fortsetzen will, die sittsam neben der Mutter in ihrem Stuhl sitzt und an einem kleinen Tuch stickt.
»Geh über diese grässlichen, betrunkenen Geschöpfe hinweg«, sagt Madame. Und mit lauter Stimme beginnt Harry einen Bericht, der weit befriedigender klingt: »Jedes Regiment hat am Sonntag Gottesdienst unter den Fahnen. Der General tut alles, was in seiner Macht steht, um Plünderungen zu verhüten und ermutigt die Bevölkerung, Vorräte heranzuschaffen. Er hat erklärt, dass die Soldaten, die es wagen, die Marktleute zu stören und zu belästigen, erschossen werden sollen. Er hat befohlen, die Preise für Lebensmittel um einen Penny für das Pfund zu erhöhen und Geld aus seiner eigenen Tasche ausgelegt, um das Lager zu versorgen. Insgesamt ist er eine sonderbare Mischung, dieser General. Er lässt seine Leute ohne Gnade peitschen, aber er gibt, ohne zu kargen. Er braucht die fürchterlichsten Flüche in der Unterhaltung und erzählt Geschichten, die Mountain anstößig finden würde …«
»Warum denn ich?«, fragte Mountain, »was habe ich mit des Generals albernen Geschichten zu tun?«
»Lass diese Geschichten und lies weiter«, ruft die Herrin des Hauses.
»… anstößig finden würde, nach dem Dinner zu hören; aber er versäumt nie den Gottesdienst. Er verehrt seinen Großen Herzog und trägt seinen Namen ständig auf den Lippen. Unsere Regimenter haben beide in Schottland gedient, woher jedenfalls Mr. Dempster die Farbe ihrer Aufschläge kennt.«
»Wir haben ihre Rockschöße so oft gesehen wie ihre Aufschläge«, brummt der kleine jakobitische Lehrer.
»Oberst Washington hat sehr heftig am Fieber gelitten und kaum Kräfte genug gehabt, den Marsch durchzuhalten. Sollte er nicht lieber nach Hause gehen und sich von seiner Witwe pflegen lassen? Wenn einer von uns krank ist, sind wir fast wieder so gut Freund miteinander wie früher. Aber ich habe das Gefühl, als ob ich ihm nicht vergeben kann, dass ich ihm Unrecht tat. Lieber Himmel, wie ich ihn die letzten Monate gehasst habe! Ach, Harry! Ich war wütend neulich im Wirtshaus, weil Mountain so früh dazu kam und unserem Streit ein Ende machte. Wir hätten ein bisschen Schießpulver zwischen uns verbrennen sollen – das hätte die Luft gereinigt. Aber obgleich ich ihn nicht so liebe wie du, weiß ich, dass er ein guter Soldat, ein guter Offizier und ein tapferer, ehrlicher Mann ist; und jedenfalls schätze ich ihn nicht geringer, weil er nicht unser Stiefvater werden wollte.«
»Ein Stiefvater, wahrhaftig!«, ruft Harrys Mutter aus. »Ja, Eifersucht und Vorurteil haben das arme Kind wohl toll gemacht! Glaubst du, des Marquis von Esmond Tochter und Erbin hätte nicht andere Stiefväter für ihre Söhne finden können als einen kleinen Landvermesser aus der Provinz? Wenn in Georges Tagebuch noch mehr solcher Anspielungen sind, überspringe sie bitte, Harry, mein Lieber, über dieses Stück Narrheit und Irrtum ist schon völlig genug geschwatzt worden.
»Es ist ein hübscher Anblick«, fuhr Harry fort zu lesen, »wie eine lange Linie Rotröcke durch die Wälder zieht oder nach dem Marsch ihr Lager aufschlägt. Die Besorgnis vor einer Überraschung ist so groß und beständig, dass wir uns gegen Überfälle streifender Indianer nicht nur sichern, sondern dass unsere eigenen Wilden und Vorposten auf den Feind stießen und ihm ein oder zwei Skalpe genommen haben. Diese Franzosen und ihre bemalten Verbündeten sind solche grausamen Schurken, dass wir nicht daran denken, ihnen Pardon zu geben. Stelle dir nur vor, erst gestern haben wir einen kleinen Jungen skalpiert, aber noch lebend, in einem verlassenen Haus, wo seine Eltern von dem barbarischen Feind überfallen und ermordet worden waren. Unser General ist über diese Grausamkeit so empört, dass er eine Belohnung von fünf Pfund für jeden erbeuteten Indianerskalp ausgesetzt hat.
Du müsstest unser Lager sehen, wenn der Tagesmarsch zu Ende ist, und all die Sorgfalt, die darauf verwandt wird. Unsere Bagage und des Generals Zelte und seine Wache werden ganz in der Mitte des Lagers aufgestellt. Wir haben vorgeschobene Posten, aus zwei Leuten bestehend, aus dreien, zehn, aus ganzen Kompanien. Sie sind angewiesen, beim geringsten Überfall zur Haupttruppe zurückzukehren und sich um die Zelte und den Tross zu sammeln, die so angeordnet sind, dass sie eine starke Befestigung darstellen. Du musst wissen, dass Sady und ich jetzt zu Fuß marschieren und meine Pferde Gepäck tragen. Die Pennsylvanier schicken uns solch elende Kreaturen ins Lager, dass sie sofort eingehen. Es war unsere Pflicht, die übrigen guten Pferde abzugeben, und Roxana trägt zwei Ballen auf dem Rücken statt ihres jungen Herrn. Sie kennt mich sehr gut und wiehert, sobald sie mich sieht; ich gehe dann neben ihr, und wir schwatzen viel zusammen auf dem Marsch.
4. Juli – Zum Schutz vor Überfällen sind wir alle ermahnt, dem Trommelschlag besondere Aufmerksamkeit zu schenken; immer anzuhalten, wenn wir den langen Wirbel schlagen hören, und bei dem Marschsignal weiterzuziehen. Wir sind jetzt gegen den Feind noch mehr auf der Hut. Wir haben unsere vorgeschobenen Späher verdoppelt und zwei Wachen bei jedem Posten. Die Männer auf Feldwache sind ständig unter Waffen, mit aufgepflanztem Bajonett, die ganze Nacht hindurch, und sie werden alle zwei Stunden abgelöst. Die Abgelösten legen sich neben ihren Waffen nieder, dürfen aber die Feldwache nicht verlassen. Es ist offensichtlich, dass wir uns jetzt stark dem Feind nähern. Dies Paket geht mit der Post des Generals zusammen nach Oberst Dunbars Lager, der dreißig Meilen hinter uns liegt, und wird von dort nach Frederick und dann nach Castlewood geschickt, zu meiner verehrten Mutter Haus, die ich ehrerbietig und herzlich grüße, wie alle Freunde dort, und mit wie viel Liebe für ihn, das braucht meinem liebsten Bruder nicht zu versichern sein ergebener
George E. Warrington.«
Das ganze Land schmachtete in der sengenden Julihitze. Zehn Tage waren keine Nachrichten von der Kolonne gekommen, die auf den Ohio vorrückte. Ihr Marsch, obgleich er sich nur langsam durch schwieriges Waldgelände mühte, musste sie binnen kurzem an den Feind bringen; die Truppen, von hervorragenden Offizieren geführt, waren jetzt an die Wildnis gewöhnt und fürchteten keinen Überfall. Jede Vorsichtsmaßregel gegen einen Hinterhalt war getroffen. Der vorfühlende Feind wurde durch die nächtlichen Späher und Schützen der britischen Streitkräfte entdeckt, verfolgt und vernichtet. Als letzte Nachricht hatte man gehört, dass die Armee um ein Beträchtliches die Stelle von Mr. Washingtons Niederlage im Vorjahr überschritten und sich zwei Tage später bis auf einen Tagesmarsch dem französischen Fort genähert hatte. Dass man es nehmen würde, daran zweifelte niemand; die Anzahl der französischen Verstärkungen aus Montreal war bekannt. Mr. Braddock mit seinen beiden kriegserprobten britischen Regimentern und ihren Verbündeten aus Virginia und Pennsylvania war jeder Truppe, die unter der weißen Flagge gesammelt werden konnte, mehr als gewachsen.
So ging auch weiterhin die Rede in den spärlichen Städten unserer Provinz Virginia, in den Häusern der Landjunker und den einfachen Schenken am Wege, wo sich die Leute trafen und über den Krieg sprachen. Die wenigen Boten, die der General nach rückwärts sandte, berichteten Gutes von der Haupttruppe. Man glaubte, dass der Feind sich überhaupt nicht stellen oder verteidigen würde. Wenn er anzugreifen beabsichtigte, hätte er ein Dutzend Gelegenheiten gehabt, unsere Truppen an Engpässen zu bestürmen, durch die man sie doch völlig ungehindert marschieren ließ.
George hatte also auf sein Lieblingspferd verzichtet, Held, der er war, und ging zu Fuß mit den Linientruppen. Madame Esmond gelobte, dass er das beste Ross aus ganz Virginia und Carolina an Stelle Roxanas haben sollte. Es gab Pferde genug zu kaufen in den Provinzen, nur für den Dienst des Königs kamen sie nicht zum Vorschein.
Obgleich die Bewohner von Castlewood bei ihren häuslichen Zusammenkünften und den Mahlzeiten immer zuversichtlich sprachen, nie einen anderen als den triumphierenden Ausgang des Feldzuges erwogen oder irgendein Gefühl der Beunruhigung zugaben, muss man doch gestehen: Sie fühlten sich im Haus mächtig unbehaglich, verließen es immer wieder und befanden sich dauernd in Trab von einem Nachbarn zum anderen, um Neuigkeiten zu erfahren. Es war erstaunlich, wie geschwind Berichte umliefen und sich verbreiteten. Als zum Beispiel ein berüchtigter Grenzkrieger, Oberst Jack genannt, sich und seine Jäger dem General zur Verfügung stellte, der aber die Bedingungen des Raufbolds und seine angebotenen Dienste zurückwies, war der Abfall Jacks und seiner Leute sofort das Gespräch von tausend Zungen. Die Hausneger, die mitternächtlich durch das Land galoppierten, um ihre Liebchen zu besuchen oder Picknicks zu veranstalten, streuten Neuigkeiten über erstaunlich weite Bezirke aus. Die ersten vierzehn Tage nach dem Beginn des Marsches zum Geringsten hatten sie eine sonderbare Kenntnis aller Zwischenfälle. Sie wussten um die Betrügereien, die mit Pferden, Vorräten und ähnlichem an der Armee geübt wurden und lachten darüber, denn einen Fremden übers Ohr zu hauen, war keine seltene oder unbeliebte Praxis bei den New Yorkern, Pennsylvaniern oder Maryländern, obgleich bekannt ist, dass die Amerikaner später vollkommen harmlos und einfältig geworden sind, dass sie jetzt nie zupacken und Übervorteilen oder eigennützig sind. Drei Wochen lang nach dem Aufbruch der Armee lauteten die tausend Berichte über sie sehr ermutigend; und wenn unsere Freunde in Castlewood sich beim Abendessen trafen, klang ihr Ton zuversichtlich, und sie sprachen von erfreulichen Neuigkeiten.
Aber am zehnten Juli senkte sich plötzlich ein ungeheures Düster über die Provinz. Auf jedes Antlitz schien sich ein Ausdruck von Entsetzen und Sorge zu legen. Erschreckte Neger betrachteten nachdenklich ihre Herren und flüsterten und wisperten miteinander. Die Fiedeln in ihren Hütten schwiegen. Lieder und Lachen des munteren schwarzen Volkes waren verstummt. Rechts und links, überall galoppierten Diener nach Nachrichten umher. Die ländlichen Gasthäuser waren überfüllt mit Reitknechten, die an den Schenktischen tranken und fluchten und stritten, und jeder hatte seine trostlose Geschichte zu erzählen. Die Armee war überfallen worden. Die Truppen waren in einen Hinterhalt geraten und fast bis auf den letzten Mann zersprengt. Alle Offiziere waren von den französischen Scharfschützen und den Wilden niedergemacht. Der General war verwundet und in seiner Schärpe vom Schlachtfeld getragen worden. Vier Tage später hieß es, der General wäre tot und von einem französischen Indianer skalpiert.
Ach, welchen Angstschrei stieß die arme Mrs. Mountain aus, als Gumbo diese Nachrichten von jenseits des James River brachte, und die kleine Fanny warf sich weinend ihrer Mutter in die Arme.
»Herr Gott, Allmächtiger! Behüte uns und schütze meinen Jungen!«, rief Mrs. Esmond, sank auf die Knie und erhob ihre strengen Hände zum Himmel. Die Herren waren nicht zu Hause, als dies Gerücht Castlewood erreichte, aber sie kamen ein, zwei Stunden später von ihrer Jagd nach Neuigkeiten zurück. Der schottische Hofmeister wagte nicht aufzusehen und den schmerzlichen Blicken der Witwe zu begegnen. Harry Warrington war so bleich wie seine Mutter. Es mochte nicht stimmen, auf welche Art der General umgekommen sein sollte, aber tot war er. Indianer hatten die Armee überfallen, und sie floh oder wurde niedergemetzelt, ohne den Feind zu sehen. Flüchtlinge strömten nun in Dunbars Lager, von wo ein Eilkurier eingetroffen war. Sollte Harry dort suchen? Ja, er müsste suchen gehen. Er und der stämmige kleine Dempster bewaffneten sich und stiegen zu Pferde; zwei berittene Diener nahmen sie mit.
Sie folgten dem Pfad nach Norden, den die Expeditionsarmee sich durch den Wald gehauen hatte, und bei jedem Schritt, der sie dem Schauplatz der Handlung näher brachte, schien sich die Katastrophe des furchtbaren Tages zu vergrößern. Vierundzwanzig Stunden nach der Niederlage hatte eine Anzahl elender Flüchtlinge aus der verhängnisvollen Schlacht vom Neunten Juli Dunbars Lager erreicht, fünfzig Meilen vom Schlachtfeld entfernt. Dorthin wandten sich der arme Harry und seine Gefährten, hielten unterwegs Versprengte an, fragten nach Nachrichten, gaben Geld und hörten von jedem dieselbe düstere Geschichte – tausend Mann erschlagen – zwei Drittel der Offiziere tot – alle Adjutanten des Generals getroffen. Getroffen – aber waren sie umgebracht? Die gefallen waren, standen nie wieder auf. Der Tomahawk tat sein Werk an ihnen. Ach Bruder, Bruder! All die innigen Gefühle ihrer Jugend, all die trauten Erinnerungen ihrer Kindheit, die Liebe und das Lachen, die zärtlich romantischen Schwüre, die sie als junge Burschen einander gelobt, rief sich Harry mit unsagbar schneidendem Schmerz ins Gedächtnis zurück. Verwundete Männer blickten auf, und sein Jammer rührte sie; harte Frauen wurden weich, wenn sie das Leid in seinem hübschen jungen Gesicht lasen; der herbe alte Lehrer konnte ihn vor Tränen kaum ansehen und grämte sich um ihn fast mehr als um seinen lieben Schüler, der tot unter dem barbarischen Indianermesser lag.
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