Des Teufels Reise durch einen Teil des Protestantismus 07
Des Teufels Reise durch einen Teil des Protestantismus
Aufzeichnungen einer hochgestellten Person
Verlag von Wilhelm Jurany. Leipzig. 1847
Unterredung mit seinem Sohn
H. betrat den Raum, verbeugte sich demütig, war blass im Gesicht, hatte abgezehrte Züge und seine sonst schönen Augen waren trübe.
Satanas erhob sich ehrwürdig von seinem Sofa, ging H. einige Schritte entgegen, reichte ihm freundschaftlich die Hand, welche jener in kindlicher Dankbarkeit küsste. »Mein Sohn, wie siehst du aus? Ich erkenne dich kaum wieder. Dein Aussehen macht mir Sorgen und verdoppelt meine Liebe zu dir. Sind es deine Studien, die dich so mitgenommen haben? Lass das Hebräische und widme dich nur deiner Zeitschrift. Oder hast du familiäre Probleme mit Frau und Kindern? Ich erschrecke bei deinem Anblick! Was fehlt dir? In finanzieller Hinsicht kannst du ja nicht klagen. Sprich, mein Sohn, und mache ein Ende meinen großen Befürchtungen um dich und dein liebes und teures Leben!«
»Ew. Eminenz, es ist Kummer, der mich verzehrt. Der Feind, den ich für tot hielt, der alte Nationalismus, ist wie Lazarus aus seinem Grab auferstanden und entwickelt eine Macht, die uns mit Besorgnis erfüllen muss. Ach, die Schmähreden, mit welchen ich oft überhäuft werde, rühren mich nicht, die Torheiten, welche mir von dem alten Lügengeist untergeschoben werden, entmannen mich nicht. Es ist allein der Schrecken, den der aufgestandene Nationalismus verbreitet. Manche stolze Hoffnung ist gefallen und mancher aufsteigende Bau ist wieder zertrümmert.«
»Ja, ich finde es bei euch nicht so, wie ich es hoffte«, erwiderte Satanas. »Als ich dich das letzte Mal verließ, lächelten uns alle Hoffnungen auf einen günstigen Erfolg zu. Nun scheinen sich auf einmal alle Dinge so verändert und eine andere Gestalt angenommen zu haben. Ich weiß gar nicht, wohin das Ganze führen soll und welcher Geist auf einmal über die Leute gekommen ist. Als ich dich das letzte Mal sprach und wir unsere Angelegenheiten miteinander überschauten, stand alles zu unseren Gunsten. Viele unserer Feinde waren nicht mehr zu fürchten. Schleiermacher in Berlin, der alte Spitzkopf, war gestorben. Seine Schule hatte das Haupt verloren. Seine Jünger waren entweder nicht zu fürchten oder leicht zu umgarnen. Auch Hegel war gestorben und seine Partei war ihres Hauptmanns beraubt. Dass viele von ihnen bald zu uns desertieren und in unserem Lager nach Brot für ihren Hunger suchen würden, war vorauszusehen. Einige gehörten schon zu Lebzeiten Hegels zu uns. Gesenius in Halle, der bittere Spötter und Witzemacher, war ebenfalls vom Tod abgeholt worden. Köhler in Königsberg, der überall mit seinem Wort zu unserem Verderben mitreden musste, war mit gutem Wind abgezogen. Den Strauß hatte ich fortgejagt und ihm eine Frau gegeben, damit er nur noch lieben und nicht mehr denken und schreiben sollte. Und das ist auch geschehen. Für Ruges Übersiedlung nach Paris war ebenfalls gesorgt und Deutschland verpönte ihn an allen Toren. Auch die losen Dichter wurden mundtot gemacht, sodass sie mit geschwollenen Backen nicht mehr singen konnten. Was blieb, war nicht mehr besonders zu fürchten. Die Leipziger verhielten sich ziemlich ruhig, behielten ihr Rosental und ihre schönen Promenaden und ließen sich damit genügen. Aus Greifswald gab es schon seit Jahren nichts zu hören. In Bonn war alles in bester Ordnung. Sack und Nitsch schleiermacherten zwar noch etwas, aber es war nichts Übles zu befürchten. David Schulz in Breslau hatte seinen Adjutanten aus Köln längst verloren und sich mit ihm zerstritten. De Wette in Basel saß zu weit entfernt, um uns das Wasser trüben zu können. Was gab es zu befürchten? Die Jenaer? Hase haben frühere Erfahrungen klug gemacht. Er schweigt still. Bretschneider konnte hin und wieder grollen und seinen Groll in einen geistlichen Roman ausschütten. Mehr konnte er nicht. Er altert und ist am Ende. Von Röhr ging auch keine Gefahr mehr aus. Für seine Predigten, wenn sie einmal Weimar verließen, war noch genug Wasser in allen Bächen. So schön standen die Dinge, als ich das letzte Mal bei euch war. Nicht wahr?«
»Es hat sich alles sehr schnell verändert, und ich weiß selbst nicht, welchen Ausgang unsere Sache nehmen wird«, entgegnete Herr H.
»Alles«, fuhr Satanas fort, »stand damals so vorteilhaft und günstig. Ihr habt den Tiefdenker S. bekommen. Ein Mann, wie wenige! Welcher Fürst ihn hat, der sollte ihn wie den ersten Stein in seiner Königskrone schätzen. Sein Name gilt für Tausende. Ich gab ihn euch als den gewaltigen Kinnbacken, um damit die Tausende von Philistern unter den Philosophen und Theologen auf einmal zu erschlagen. Welche herrlichen Erfolge für alles Positive in Staat, Kirche, Schule und Haus hätte man sich von dieser seltenen Akquisition versprechen können! Und doch ist es, als ob durch ihn bei euch bisher nichts geleistet wurde. Bienen umsummen sein Haupt, Bremsen stechen ihn zwischen die Schulterblätter und Rosskäfer schwirren ihm gegen die Stirn. Es ist, als könnte er keinen Spaziergang unter euch machen, ohne dass ihm auf dem Weg ein Unglück widerfährt. Oder hat er seine Ansichten etwa wieder geändert? Er ist ein undurchdringliches Geheimnis. Ist er wieder auf neue oder gar auf seine alten Philosophien und jugendlichen Träumereien zurückgekommen? … Ihr hattet damals auch den wackeren H. S. Was für eine hinreißende Persönlichkeit! Wie fest war sein Glaube! Welche Tiefe des Gemüts! Welche hohe Anschauung der Dinge! Er war ein Denker sondergleichen, geehrt von Freund und Feind. In ihm vereinigte sich vieles von Schelling, von Ludwig Tieck, von Schlegel und sogar von meinem unvergesslichen Märtyrer Scheibel. Und doch, was haben wir bisher gewonnen? So viel wie gar nichts. Es ist schade um das liebe Geld, das man dabei hat fortgeben müssen. Solche königlichen Tiere fressen mehr und Besseres als elendes Stroh und gewöhnliches Heu …
Ihr habt durch eine wunderbare Gunst der Umstände damals auch meinen lieben F. S. erhalten.
Wo ist ein Kenner des Rechtes, der ihm die Stirn bieten könnte? Wo ist ein Mann, der mehr kirchlichen Sinn hätte als er? Wo ein Gelehrter, der die Quellen des positiven Gesetzes vollständiger geöffnet und durchforscht hätte? Höchstens P.! Und der wurde ja auch zu eurem Besitz geschlagen und euch zur Hilfe geschickt. Was Besehenswertes könnt ihr mir nun alle vorlegen? Ach, mein einziger G. und P. in M. leisten an einem Tag mehr als all diese hier in langen Jahren. Wer steht denn hier schon im Weg? Der alte M.? Ich denke, die konträren Winde haben sein Schifflein längst zertrümmert, und er sitzt nun am Ufer und trocknet mit verdrießlichem Gesicht seine nassen Fetzen. Oder etwa B.? Der redet ja höchstens einmal im Jahr, das kann nicht viel wirken. Deutsch kann er nicht gut und auf Latein hört man bei euch nicht viel. Oder macht Euch etwa N. zu schaffen? Ich habe ihm zwar stets gezürnt und seine unbestimmten und ungesalzenen Redensarten verwünscht, aber gefährlich ist er nicht. Mag er doch reden. Effekt wird er mit seinen langweiligen Darstellungen nie machen. Ist es vielleicht R.? Ich habe schon von seinem jüngsten Geschwätz gehört. Er hat sich sehr zu seinem Nachteil verändert. Früher hoffte ich noch, dass einmal etwas aus ihm werden könnte. Nach solchen Erfahrungen mit seiner wahren Meinung ist jeder Lichtstrahl der Hoffnung freilich erloschen. Lässt er sich nicht leicht unschädlich machen? Dazu muss es ja noch mehr als tausend sehr leichte und einfache Wege geben. Du wirst mir doch nicht etwa den V. einreden, mein Sohn. Ich dächte, dessen Stellung wäre noch zu untergeordnet. Und habt Ihr unter den Geistlichen am Ort nicht außerdem ganz wackere und auserwählte Männer? Wenn ihr hier nichts leisten könnt, kann nirgends etwas geschehen. Wie viele Städte können sich denn eines G. erfreuen? Er ist gleichsam die personifizierte Rechtgläubigkeit! Er ist ein Glied der Aristokratie! Mit mächtiger Verwandtschaft. Eine wahre Perle! Er ist der erste Aspirant für eine Bischofsstelle! Gibt es viele B., wie Ihr hier einen habt? Welche hinströmende Beredsamkeit! Klarheit des Kopfes und Fantasie des Herzens vereinen sich in ihm zum schönsten Bund. Und das in den besten Jahren! Habt Ihr nicht auch einen Aspiranten in eurer Mitte! Wer ist kühner im mutigen Angriff als er? Wie ein Löwe hetzt er die Philosophen in seinen Predigten in einem Augenblick zu Tode. Die wütendsten Tiere bändigt er mit seinem Kanzelblick! Und dabei ist er so frei. Wenn es einmal um die nackte Wahrheit geht, dann ist er mit seinen Ausdrücken und seiner Darstellung so verständlich und so populär wie keiner hier am Ore. C. hilft doch auch, wenn auch nicht viel. Er war schon immer etwas schläfrig. Man muss ihm etwas versprechen, dann wird er lebendig. Es ist eine alte Regel: Hunde und Wölfe werden munter, wenn sie einen guten Fraß wittern. Und wie viele mutige Seelen gibt es denn außer meinem K., der sich kürzlich zur Freude meines Herzens so vorteilhaft und rühmlich unter euch ausgezeichnet hat! Er weiß es und zeigt es mit der Tat, dass man Gott mehr gehorchen muss als den elenden und gebrechlichen Menschen. Das sind alles Vorteile, die euch zugutekommen. Und die Geistlichen des Gegenparts können euch gar nichts anhaben. Das sind doch unbedeutende Geister! Was kann der unbedeutende S. schon? Lasst ihn doch greinen. Was vermag P.? Der ist ja so gut wie aus der Schlachtreihe getreten! Und was kann euch der alte N. schon schaden? Die gemachten Erfahrungen werden ihn wohl ruhiger gemacht haben. Er ist zu klug. Höchstens käme B. ins Spiel. Der hat Gaben und Fähigkeiten, das lässt sich nicht leugnen. Aber er kann uns nichts anhaben, dafür ist hinlänglich gesorgt. … Und wie weit seid ihr bis jetzt gekommen! Die Sache steht eher zurück als vorwärts in diesem Augenblick. Woran liegt das, mein lieber Sohn?«
»Eminenz, es liegt alles an einem einzigen fatalen Umstand«, antwortete Herr H.
»Nur ein einziger Umstand soll der Grund dieser ungünstigen Verhältnisse sein?«, fragte Satanas schnell und ungläubig.
»So ist es, Eminenz«, erwiderte Herr H.
»Unmöglich«, rief Satanas. »Woran soll es liegen? Ich kann es nicht so leicht übersehen und begreifen.«
»Ich sagte, es liegt an einem einzigen Umstand«, antwortete Herr H. »Und dieser eine Umstand heißt: Es wird zu viel geredet.«
»Es wird zu viel geredet?«, fragte Satanas staunend.
»Entweder zu viel oder zu unbestimmt«, verbesserte Herr H. seine frühere Behauptung.
»Zu viel oder zu unbestimmt wird geredet, meinst du, mein lieber Sohn?«, fragte Satanas.
»Bisweilen zu viel, bisweilen zu unbestimmt, aber immer zu unüberlegt und zu voreilig«, führte Herr H. aus.
»Das verfluchte Reden verdirbt überall«, rief Satanas. »Würden die Menschen nicht so gern reden, stünde es wahrlich besser in der Welt, und alle Menschen wären glücklicher, wenn sie nur diese schreckliche Unsitte ablegen könnten. Aber sie hören sich so gern zu. Das schmeichelt der Eitelkeit! Da wollen sie überall das große Wort führen. Das scheint so schön! Sie wollen um jeden Preis als große Redner gelten. Dabei kommt oft Unsinn heraus! Sie gefallen sich in ihrem faden und seichten Geschwätz und wollen damit anderen gefallen. Bei den Toren wird es ihnen gelingen, aber nicht bei den Vernünftigen. Diese fordern mehr als nur schöne Worte und Redensarten. Da fallen Äußerungen, die wie Kugeln von Land zu Land rollen, ohne irgendwo Halt zu finden, als wäre in ihnen der ewige Jude. Es werden unbedachte Konzessionen gemacht, an denen sich die Leute klammern, als wären es die Bretter, die Schiffbrüchige wieder an Land schleppen sollen. Es werden sogar liebevolle Redensarten ausgestreut, und ehe man sich versieht, sind diese wie der fliegende Sommer über das ganze Land ausgebreitet, fliegen in den Lüften und werden von den Jungen auf den Märkten, von den Frauen an den Fenstern und von den Krämern an ihren Buden aufgefangen und um den Finger gewickelt. Es werden sogar Witze gemacht, die alle Vernünftigen verwirren müssen und die Unvernünftigen bis auf die letzten Tropfen wie Ölkuchen auspressen. Daraus entstehen alle Torheiten der Welt, daraus entsteht alles Leiden unter den Menschen, daraus ergeben sich alle Übel im Staatsleben. Wahrlich, es stünde anders um die Welt und das Glück auf derselben, wenn die Menschen gar nicht reden würden wie die glücklichen Fische im Wasser oder wenn sie nur an gewissen Tagen im Jahr reden dürften, wie es auch die Heiden ihren Sklaven erlaubten, an einem Festtag im Jahr den Herrn zu spielen. Ja, es wäre schon viel geholfen, wenn der Menge und dem Pöbel die Redefreiheit genommen würde und nur einigen das Recht eingeräumt würde, sodass die Übrigen zu Zuhörern würden. Dass die Menschen diesen Vorteil nicht einsehen und noch immer nicht merken, dass Zuhören doch viel bequemer und leichter ist als das Reden mit seiner Anstrengung für Brust und Lungen, ist fast unbegreiflich. Dies halte ich für den glücklichsten Zustand im Leben der Völker, und ich zweifle, ob die Menschen im Paradies gesprochen haben, ehe die Schlange sich ihnen nahte. Solange wir das nicht erreichen, sind wir noch fern von unserem Ziel. Du scheinst dich, mein geliebter Sohn, zu dieser Höhe der Gedanken noch nicht erheben zu können. Glaube mir aber, es gibt konsequenterweise kein anderes Mittel, als diesen Weg beharrlich zu verfolgen, um unser Ziel zu erreichen und ein glückliches Reich auf Erden zu gründen. Mir scheint es widernatürlich, dass die Menschen reden. Denn blicken wir in die Schöpfung, so finden wir kein anderes Geschöpf, das redet. Nur der Mensch, das in Sünden empfangene und geborene Wesen, tut es. Die Sprache kann nach meinem Dafürhalten nur eine Frucht der ersten Sünde sein. Wenn wir in dieser Beziehung noch weiter forschen, können wir noch andere tiefe Erkenntnisse gewinnen. Es gibt Tiere in der Natur, in denen sich ein ernster und ein leichter Charakter ausdrückt. In diese zwei Klassen könnten alle Geschöpfe eingeordnet werden. Ein Beispiel möchte ich der Kürze halber anführen. Bei den Singvögeln spricht sich dieser leichte Charakter aus. In anderen, wie dem Uhu, dem Ochsen oder dem Pferd, spricht sich der ernste, der würdige Charakter aus. Und was bemerken wir da? Bei den Tieren leichtsinniger Art wie dem unnützen Sperling oder der munteren Grasmücke finden wir einen vielfachen Gebrauch ihrer Stimme. Alle Augenblicke hören wir sie schreien, zwitschern und singen. Wie still ist dagegen das bedächtige Rindvieh, wie selten lässt sich das nützliche Kamel hören, wie wenig lässt das fette Schwein von sich verlauten, wie selten wiehert der Wallach. Je vollkommener, nützlicher und verständiger ein Tier ist, desto weniger ist es zu hören, und desto mehr scheint ihm die Stimme und die volle Herrschaft über dieselbe versagt zu sein. Bestätigt dies nicht meine philosophischen Grundsätze? Und wer könnte noch zweifeln, dass das Reden überflüssig ist? Kann man nicht essen, ohne zu reden? Das Reden hindert einen doch regelmäßig daran, widersteht also einem natürlichen Bedürfnis des Menschen. Kann man nicht schlafen, ohne zu reden? Es hindert uns am Schlafen und steht somit wieder einem unzerstörbaren Bedürfnis unserer Natur entgegen. Kann man nicht auch arbeiten, ohne zu reden? Reden mindert die Arbeit und stört sie, wie alle Menschen wissen. Mir scheint es sogar, dass die Menschen richtiger denken würden, wenn sie gar nicht reden würden. Denn wo denken Menschen vernünftiger und richtiger als im Kerker und Gefängnis, in dem sie mit keinem Menschen ein Wort wechseln können? Der unschuldige Mensch, wie wir ihn in den Kinderjahren erblicken, redet gar nicht. Erst mit der Sünde des Menschen stellt sich auch das Reden ein. Insofern hast du recht, dass das Reden mancher Menschen der Grund ist, warum wir uns in unseren Plänen nur langsam bewegen können und noch nicht weitergekommen sind. Auch in den Zeiten, in denen die meisten Menschen reden, werden wir regelmäßig einige Stadien zurückgeworfen. Könnte dem Reden daher nicht Einhalt geboten werden? Was meinst du dazu, getreuer Sohn?«
Fortsetzung folgt …
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