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Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 3 – Der rote Messias – 8. Teil

Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 3
Der rote Messias
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901

Kapitel 8

»Kreuzige ihn!«

Wie ein wildes Tier, das gejagt wurde, irrte Todespfeil durch die verkohlten Wälder des Territoriums. Er konnte sich nur mühsam von den wenigen Tieren ernähren, die das Kampfgetöse nicht aus dieser Gegend vertrieben hatte.

Es war nicht Feigheit, die ihn vor seinen Verfolgern fliehen ließ. Er wollte seine Waffen, die er bisher zurückgehalten hatte, nicht mit dem Blut seiner roten Brüder besudeln und auch nicht als Opfer ihres ungerechten Zorns enden.

So irrte er rastlos umher, zu Tode betrübt, und dachte dabei beständig darüber nach, wie er das Geschehene noch zugunsten seines Volkes ändern könne. Doch er fand keinen Ausweg.

Schlich er sich an ein Lagerfeuer, so hörte er immer dieselben Drohungen und Vorwürfe, die man nach indianischer Art gegen ihn schleuderte, als ob der Übeltäter anwesend wäre. Es waren immer dieselben Ausflüsse parlamentarischer Beredsamkeit.

»Wir waren ein glückliches Volk, ehe du zu uns kamst«, hieß es in diesen Anklagen. »Unsere Büffel waren fett, und wenn wir von der Jagd heimkamen, liefen uns unsere Kinder entgegen. Unsere Frauen holten die Beute, um sie zu bereiten. Wenn wir verwundet aus dem Kampf kamen, aber mit Ehre bedeckt und die Skalpe unserer Feinde am Gürtel, pflegten sie uns. Und wenn die Büffelherden ausblieben, versorgte uns der gute alte Vater aus dem Weißen Haus mit Mehl, damit seine roten Kinder, die er liebte, nicht hungern mussten. Für unsere Felle gab er uns Feuerwasser, damit wir unser Herz erfreuen und wieder jung werden konnten. Da kamst du, du Lügner mit der doppelten Zunge …«

Und nun schmähten sie ihn auf dem Todespfeil, schoben ihm alle Schuld zu und taten, als sei alles Lug und Trug gewesen, was er verkündet hatte, als habe er sein Wort nie gehalten, als sei niemals ein Indianer unverwundbar gewesen.

Jetzt war es auch wirklich keinen mehr, sie waren alle schon längst in das alte Laster zurückgefallen. Keiner hatte auf Dauer der Versuchung widerstehen können, sich in dem Feuerwasser, das ihnen bei ihrem Siegeszug überall zur Beute geworden war, wieder einmal sinnlos zu betrinken.

Solche Worte zerrissen Todespfeil jedes Mal das Herz. Wie gern wäre er, den sie einen Feigling schalteten, in den Tod gegangen, hätte er dadurch sein Volk vor dem gänzlichen Untergang retten können!

Eines Tages, als er wieder auf der Flucht vor fanatischen Verfolgern war und sich in einer Höhle versteckt hielt, sah er unten im Tal zwischen den Felsen eine im Sonnenschein blitzende Schlange, deren Schwanz sich in der Ferne verlor – so sah es jedenfalls von hier oben aus. Aber Todespfeils scharfe Augen erkannten sofort, dass es bewaffnete Truppen waren, amerikanische Soldaten, die heranrückten, um den letzten Kampf mit den Rothäuten zu bestehen.

Plötzlich blitzte in dem Kopf des Verfolgten ein Gedanke auf. Er konnte sein Volk nicht mehr retten, wohl aber mit seinen Brüdern unter den Bajonetten der Feinde den Heldentod sterben.

Beseelt von diesem Gedanken wandte er sich den Verfolgern zurück, lief ihnen direkt in die Hände, ließ sich fesseln und triumphierend zu einem großen Lager von Indianern führen.

Drohungen und Schmähungen empfingen ihn dort. Er wurde misshandelt, musste sich noch einmal all seiner Schandtaten verantworten und wurde dann vor den Rat der Häuptlinge geführt. Es war, als hätte Christus vor dem Rat der Hohenpriester gestanden, nur dass man ihm statt »Kreuzige ihn!« zurief: »An den Marterpfahl mit ihm!«

Vergeblich versuchte er, sich Gehör zu verschaffen, um seinen Vorschlag zu unterbreiten, im Kampf gegen die Feinde vollständig und schnell zu untergehen. Die Wut bei seinem Anblick ließ sogar die heranrückende Gefahr vergessen und man schleppte den »roten Christus« an den Marterpfahl.

Noch einmal zögerte die tobende Menge und schien an den Sohn des Großen Geistes glauben zu wollen, denn kein Pfeil traf ihn, kein Feuer versengte ihn und der Tomahawk zersplitterte eher auf seinem Kopf, als dass er ihn verwundete.

Doch das war noch kein Beweis seiner göttlichen Sendung, sondern Zauberei – und umso mehr musste der so ganz anders Geartete gerichtet werden!

»Du hast auch uns einst bezaubert«, herrschte ihn der Graue Bär drohend an, »aber wir haben uns von deinem Zauber befreit, damit wir wieder zu Männern wurden. Wärest du ein Mann und ein tapferer Krieger, so würdest du dich auch von diesem Zauber losmachen, um zu zeigen, wie ein Mann stirbt. Aber Todespfeil ist ein Weib, das sich mit bösen Geistern verbunden hat, die es schützen, weil es keinen Schmerz vertragen kann.«

»Gebt mir einen Becher Feuerwasser, und ich werde euch zeigen, wie ein Mann stirbt«, sagte Todespfeil.

Die Häuptlinge besaßen noch ein Fässchen des köstlichen Trankes. Es wurde ihm der Becher gereicht und er leerte ihn.

Da richtete er sich hoch auf. Man erwartete seinen Todesgesang und machte sich bereit, diesen in ein Schmerzensgestöhne zu verwandeln.

»Hört ihr die Trommelwirbel?«, rief Todespfeil aber mit schallender Stimme. »Es ist eure Todesmusik – die Bleichgesichter rücken heran, um den letzten Indianer zu vernichten.«

Und plötzlich hatte er seine Fesseln gesprengt. Dann riss er dem Nächsten den Tomahawk aus der Hand, schwang die Waffe und sprang den Soldaten entgegen. Diese waren gerade unbemerkt herangeschlichen und brachen unter einem Hurra mit gefälltem Bajonett aus dem Wald hervor.

Ohne zu wissen, was die Indianer hinter seinem Rücken tun würden, stürzte sich Todespfeil unter die Soldaten, spaltete einigen von ihnen den Kopf und sank dann, von mehreren Bajonetten durchbohrt, zu Boden.

 

Mit einem Schmerzensschrei erwachte Richard und hielt sich den Leib mit beiden Händen. Dann lachte er auf.

»Das war wieder ein sehr langer Traum«, sagte er. »Mein Los war das aller Heilande, und ich habe wie ein echter Indianer gehandelt. Anstatt meine roten Brüder zu unterweisen, wie man das Land bestellt und aus Flachs Leinwand bereitet, und sie zu nützlichen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zu machen, habe ich sie als wilde Hunnen zu einem Vernichtungskrieg gegen alle Bleichgesichter angestachelt. Wenn die Indianer aber so sind, wie ich sie im Traum gesehen habe – und ich zweifle nicht, dass meine Fantasie mir ein treues Bild geliefert hat –, dann möchte ich nicht unter ihnen leben. Hübsch war nur, wie ich die zehn Sioux auf Wache und dann den Mestizen überrumpelte und fesselte und wie ich schließlich die beiden Offiziere auf die anstürmenden Soldaten schleuderte und über die Mauer voltigierte.«

Heft 4 enthält die Erzählung

Die Weltallschiffer

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