Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 3 – Der rote Messias – 7. Teil
Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 3
Der rote Messias
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901
Kapitel 7
Dem Untergang geweiht
In ganz Amerika war eine Panik ausgebrochen.
Was waren die früheren Indianerkriege – mögen sie auch oft genug Jahrzehnte gedauert haben – im Vergleich zu diesem? Und das auch noch in einer Zeit, in der man den Indianern keinerlei Bedeutung mehr beimaß und sie bereits für ausgestorben hielt!
Der Witz, dass eine Indianerdeputation vom alten Vater die Räumung Amerikas verlangt hatte, war bekannt geworden. Man hatte viel darüber gelacht und auch über den neuen Indianerheiland gespottet. Nun aber war aus dem Witz furchtbarer Ernst geworden.
An einem Tag waren sämtliche zweiundzwanzig Forts an der Indianergrenze in die Hände der Rothäute gefallen! Das war eine entsetzliche Nachricht. Was aber selbst die stolzesten Yankees erschreckte, war die Einigkeit der Indianer, wie sie bis dahin noch nie dagewesen war.
Sollte der rote Messias sie wirklich unverletzlich gemacht haben? Viele Augenzeugen beschworen, dass sie gesehen hatten, wie die Feuerwaffen keine Wirkung auf die die Forts stürmenden Indianer hervorbrachten. Leichtgläubige erzählten dies natürlich sofort weiter. Hier war eben ein Wunder geschehen. Die Nüchternen spotteten darüber und schoben die Schuld dem schlechten Schießen der wenig geschulten Truppen zu.
Ihre Ansicht bestätigte sich auch. Denn wie schon beim Erstürmen des Forts viele Indianer getötet worden waren, so gab es auch bei jedem weiteren Kampf viele Leichen auf ihrer Seite.
Aber die erschreckende Tatsache blieb bestehen, dass sich die Indianer in ihren Siegeszügen nicht aufhalten ließen.
Besonders energisch ging derjenige vor, der sich für den Sohn des großen Geistes ausgab und die Unverwundbarkeit der Rothäute geweissagt hatte, wenn sie dem Genuss von Branntwein entsagten. Das war eine sehr schlaue Anordnung gewesen und daher hatte er mit den tausend Kriegern, die ihm folgten, auch den größten Erfolg.
Wie durch Zauberhand erschienen sie auf ihren schnellen, ausdauernden Mustangs vor Little Rock, der Hauptstadt von Arkansas. Es konnte ihnen nur eine schnell einberufene Militärmacht von zweitausend Mann entgegengestellt werden. Ehe die grenzenlos bestürzten Bürger ihre Waffen hervorholen konnten, um ihre Frauen und Kinder zu schützen – falls die Schlacht noch unglücklich auslaufen sollte –, hatten die tausend Indianer das doppelt so große Heer an gut bewaffneten Soldaten schon auseinandergesprengt. Wie ein Würgeengel hatte besonders der auf einem weißen Pferd sitzende rote Messias unter ihnen gehaust. Nun flohen die Einwohner von Little Rock Hals über Kopf und ließen alles im Stich, als wenn die Furien hinter ihnen her wären. Und die roten Teufel folgten ihnen wirklich, denn sie hielten sich nicht einmal mit Skalpieren, Beute machen und Zechgelagen auf, wie sie es sonst taten.
Die Staaten Kansas, Arkansas, Missouri und Texas befanden sich bereits in den Händen der Indianer. Die ganze Gegend glich einem Leichenfeld mit brennenden Städten, Dörfern und Ansiedlungen.
Da schien es, als würde sich die Prophezeiung erfüllen, dass die Indianer nicht eher ruhen würden, bis ganz Amerika von einem Ozean bis zum anderen wieder in ihrer Macht sei.
»Bis nach New York ist es noch ein weiter Weg«, sagte der Kriegsminister im sicheren Regierungsgebäude zu Washington. »Bevor sie die Hälfte zurückgelegt haben, werden sie erschöpft sein. Bis dahin können wir unsere Maßnahmen treffen, und dann soll der letzte Indianer für diesen Frevel büßen. Einen indianischen Freistaat wird es dann nicht mehr geben, dieses fette Land wird uns dann auch zufallen.«
Er sollte recht behalten.
Schon begannen die Sieger, die mit keinem Proviant versehen waren, Hunger zu leiden. Denn vor ihnen lag ein verwüstetes Land, auf dem kein Halm mehr gedieh. Alles Vieh wurde von den Fliehenden getötet und der Verwesung überlassen, wenn sie es nicht rechtzeitig in Sicherheit treiben konnten. So waren die Indianer fast nur noch auf die Pferde der bei den Scharmützeln gefallenen Krieger angewiesen. Wenn der Zusammenstoß mit den versammelten regulären Truppen stattfand, die ihnen entgegengestellt wurden, mussten sie sich in einem völlig erschöpften Zustand befinden.
Aber so weit kam es gar nicht.
Die erste Armee, die zusammengezogen wurde, war auf einem noch unbesetzten Weg in das Indianerterritorium eingedrungen. Sie rächte den entstandenen Schaden zunächst durch das Niedermetzeln der allein in den Wigwams zurückgebliebenen Frauen und Kinder. Selbst die ältesten Greise hatten sich dem allgemeinen Rachezug angeschlossen.
Es dauerte lange, ehe die vorgedrungenen Rothäute davon erfuhren. Als sie es aber wussten, da siegte doch die Familienliebe über das Rachegefühl und die Kampfeslust, die sich beide ohnehin schon ausgetobt hatten. Hinzu kamen die ständigen Strapazen des Marsches, die selbst einer ausdauernden Rothaut zu viel werden mussten.
Wer die Kunde vernahm, drehte um und eilte zurück in die heimatlichen Dörfer, um noch zu retten, was zu retten war. Und wenn man nur noch die Leichen der Frauen und Kinder fand, musste zuerst Rache an den Mördern genommen werden – das war die nächste Pflicht.
So ging es hunderte von Meilen weit durch völlig verödete Gegenden zurück, und auch Todespfeil hatte seine Schar von diesem Rückzug nicht abhalten können.
Was sie fanden, übertraf alle Befürchtungen. Die eingedrungenen Yankee-Soldaten hatten ihren Auftrag gut ausgeführt. Innerhalb der Indianergrenze war kein Mensch mehr am Leben, der eine rote Haut gehabt hatte. Alle Dörfer und Wigwams waren niedergebrannt worden, das ganze Land war ein schwarzer, qualmender Boden. Vor dem allgemeinen Savannenbrand waren die Wildherden in alle Richtungen geflohen und würden nicht so bald wieder zurückkehren.
Bei dem Wiedererscheinen der Indianer hatten sich die Soldaten schleunigst zurückgezogen. Nur mit den Nachzüglern kam es zu einigen untergeordneten Gefechten, dann fiel den Indianern die gesamte Nachhut in die Hände, darunter ein großer Vorrat an Branntwein. Es war, als wären die Soldaten beauftragt gewesen, gerade dies den Siegern zu überlassen.
Nun waren die Indianer wieder da, wo sie von Anfang an gewesen waren – nur dass ihre Heimat sie auf Jahre hinaus nicht ernähren konnte. Sie standen vor einer furchtbaren Hungersnot. Außerdem lebte keine einzige Indianerin mehr – sie waren die Letzten ihrer Art und es würde kein Indianer mehr geboren werden.
Im Augenblick vergaßen sie ihre Verzweiflung angesichts des vorgefundenen Feuerwassers, um das fortwährend blutige Kämpfe entbrannt waren. Dann wollten sie ihren Unmut an dem auslassen, der sie in all dieses Unglück gestürzt hatte: an ihrem ehemals göttlich verehrten Messias. Doch dieser war verschwunden.
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