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Der Hasenwirt

Der Hasenhirt
Aus: Von Hollas Rocken, Eberhard König, 1925

Der König von Portugal war der Meinung, dass seine schöne Tochter sauer und holzig werden würde, wenn sie nicht bald unter die Haube käme, und dass sie dann keiner mehr möchte. »Desto besser!«, rief das hübsche Kind stolz. »Kann denn unsereins, wenn es nur leidlich gerade gewachsen ist und kein garstiges Gesicht hat, nie leben, wie es ihm gefällt? Was frage ich nach den Mannsleuten! Ich will mein eigen sein und bleiben! Wenn sie doch wüssten, wie dumm ich all ihr Getue finde. Hat das unnütze Volk auf Gottes Welt denn nichts Besseres zu tun, als vor uns ein Männchen zu machen? Ich kann bald keine Person mit Hosen und Haaren im Gesicht mehr sehen.«

Das war sehr kräftig gesprochen und der gute König hätte es endlich einsehen müssen: Bei der ist nichts zu hoffen! Aber er konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass er nie und nimmer ein Strampelchen von Enkelkind auf seinen Knien reiten lassen würde. Ach, und wer sollte dereinst sein Reich erben?

»Das ist meine geringste Sorge«, sprach die Prinzessin und rauschte hinaus. Der König seufzte und ließ den Kopf auf die Brust hängen, sodass ihm beinahe die Krone heruntergerutscht wäre. Da kam seine stolze Tochter, die ihrer Amme gerade einen Rat gegeben hatte, wieder herein und sprach lachend: »Ich will dir was sagen, Väterchen! Wer mir einen goldenen Apfel bringt, den nehme ich, sonst keinen. Er darf nur nicht beim Goldschmied gewachsen sein, vom Baum muss ihn der Glückliche brechen!«

Da seufzte der König noch tiefer auf, weil sie aus einer ernsten Sache einen so schnöden Spatz machte. Der alte Kanzler aber wiegte das Haupt und meinte, bei Gott sei kein Ding unmöglich und noch sei nicht aller Tage Abend.

Das mutwillige Wort der Prinzessin war im ganzen Land bekannt geworden und alle lüsternen Freier sowie der König ließen ihre Köpfe hängen. Du lieber Gott, wo in aller Welt sollte ein Baum mit goldenen Äpfeln wachsen? Nur ein General war da, ein schnurriger Kauz, von dem hieß es, er sei fest und gefeit und könne mehr als nur Brot essen. Er hatte neuerdings ein verdächtiges Verhältnis mit einem Mann, den sie einen Magister der vermaledeiten Künste schalt. Er trug täglich ein immer fröhlicheres Gesicht zur Schau, sah täglich jünger aus und wirkte wie jemand, der einen Schatz verborgen hat. Wenn er allein war, rieb er sich die Hände, tanzte auf einem Bein, warf sich im Spiegel Kusshändchen zu und färbte sich das schon grauende Haupt- und Barthaar pechrabenschwarz. Eines schönen Tages war er verschwunden und niemand wusste, wohin.

Wie er es angestellt hat, weiß ich auch nicht zu sagen; jener schlimme Magister wird es besser wissen, der die Nächte lang mit ihm bei verschlossenen Türen saß und in alten Büchern las. Genug, er kam nach kaum drei Tagereisen durch Berge und Wälder auf eine weite, weltvergessene Heide, in deren Mitte richtig hoch und herrlich der Wunderbaum stand, mit hundert goldenen Äpfeln im Sonnenlicht funkelnd.

Er trat freudig hinzu, da fiel eine der schweren Früchte ins Gras, just vor seine Füße.

»Das fängt gut an«, schmunzelte der alte Geck, während er die Goldfrucht einsackte. Er nutzte die Gelegenheit und begann, den Baum zu schütteln und zu rütteln, sodass alle Äste rauschten und klirrten. Der Baum gab jedoch nichts mehr her und die Äste saßen zu hoch. Am glatten Stamm hinaufzuklettern, dazu waren des Generals Beine schon zu steif. Er warf seinen Stock mit dem Elfenbeingriff wuchtig ins Geäst. Der Baum behielt den Stock, aber auch seine Äpfel. Da half kein Mittel, er musste sich mit dem einen Goldapfel, den der eigensinnige Baum gutwillig hergegeben hatte, begnügen und seinen Weg nach Hause fortsetzen.

Er verwandelte seinen Ärger in erbauliche Träume, hüpfte ab und zu, blieb stehen, legte die Hand aufs Herz und machte vor einem Wacholderstrauch, der die Prinzessin darstellen sollte, die zierlichsten und possierlichsten Kratzfüße. Er erklärte dem Strauch in wohlgesetzten, blumigen Worten seine Liebe, sodass sich die Hasen kugelten und die Häher lachend durch die Wipfel krächzten: »Der Geck! Der Geck!« Da begegnete ihm ein kleines, graues Männlein, das ihm mit der Nase gerade ans Knie reichte. Es schaute ihn pfiffig an und pochte ihm mit dem gekrümmten Finger an eine harte, gebauschte Stelle in seinem Rockbürzel und fragte: »Was habt Ihr da drin, Freund?«

»Einen Dreck habe ich«, sprach der General unwirsch, ohne das Wichtlein eines Blickes zu würdigen, und schritt weiter.

»Ist’s ein Dreck, soll’s auch ein Dreck bleiben«, hörte er den Kleinen lachen, und weg war er. Die Häher krächzten heiser: »Der Geck! Der Geck!«

In der Hauptstadt gab es bald ein großes Geschrei. »Wisst ihr schon? Der General! Er hat einen, er hat einen!«

Der König gab ein Bankett und der General musste neben seiner Angebeteten sitzen. Sie schenkte ihm keinen Blick und kein Wort, schaute nur ab und an verzweifelt gen Himmel, so sehr langweilte und quälte sie sein eitles Geschwätz.

Du wirst mir noch kirre machen!, dachte der Freier schmunzelnd, ließ sich eine goldene Schüssel reichen, schlug an sein Glas, erhob sich und sprach ein Langes und ein Breites von der Liebe, für die kein Preis zu hoch und kein Weg zu steil sei. Damit griff er, indem er den Trompetern und Zinkenisten oben auf der Galerie zunickte, um einen Tusch zu blasen, stolz und strahlend in seine Rocktasche. Indes reckte alles gespannt die Hälse, und ein Page kniete neben ihm und reichte ihm die goldene Schale.

Da ertönte ein Schrei des Entsetzens. Die Prinzessin und alle Damen an ihrem Hof fuhren schnell mit den Spitzentüchlein zur Nase. Einige fielen in Ohnmacht, alle Stühle flogen polternd zurück. Es gab einen gewaltigen Lärm und Aufstand, Schimpfen und schadenfrohes Gelächter. Die Prinzessin verließ mit ihrem Hofstaat den Bankettsaal. Damit war das Zeichen gegeben, dass alles auseinanderfiel. Nun stand unser General mutterseelenallein im weiten Saal, knickbeinig, mit schlotternden Knien und bleich wie der Tod. Er wusste immer noch nicht, wohin mit seiner rechten Hand. Da traten Trabanten ein und nahmen ihn gefangen. Nun saß er bei Wasser und Brot und durfte überlegen, wie es dazu gekommen war. Den gütigen König hatte noch niemand so zornig gesehen. Das ging ihm denn doch zu weit!

Nun begab es sich, dass ein einfacher Soldat, dem das Kauen des Kommissbrotes und das Exerzieren für einen fremden Landesherrn zu dumm geworden waren, desertierte. Im Wald setzte er sich behaglich ins Gras, freute sich, ein freier Mann zu sein, zog Wurst und Brot hervor und ließ es sich schmecken.

Da trat unser Grauwichtel zu ihm und fragte: »Darf ich mithalten?«

»Nur zugelangt, es reicht für zwei!«, erwiderte der Soldat und teilte gerecht. Als das Männlein sich mit Dankesworten verabschiedete, erwiderte er: »Du bist ein närrischer Kerl, so viele Worte um ein Stückchen Wurst!«

»Noch mehr denn Worte, guter Gesell«, sprach der Kleine. »Hier hast du einen goldenen Apfel. Dafür kannst du dir eine lebendige Prinzessin kaufen. Und hier, diese Pfeife ist auch zu was gut. Verwahr beides wohl, und Glückauf, lustiger Gesell!«

Verschwunden war das Männlein.

»Närrisch!«, meinte der Soldat, als er die beiden Gegenstände in seine Tasche steckte. Er dachte, dass er für den Apfel zumindest manche Wurst kaufen könnte und das Pfeifchen für Regentage eine willkommene Kurzweil sein könnte. Doch wie spitzte er die Ohren, als er in der Hauptstadt hörte, dass die Spatzen die Geschichte vom General und seinem Goldapfel von den Dächern pfiffen!

»Jetzt schlägt’s dreizehn, also ist an der Sache doch was dran. Hätte ich also den Goldapfel? Oh, wenn das meine Mutter erlebt hätte! Hurra, jetzt befreie ich die Prinzessin! Was kann da sein!«

Er ging frisch und frei ins Schloss, trat vor den König und sagte: »Herr König, mit Verlaub, ich habe den goldenen Apfel, wofür Ihre Tochter zu haben sein soll.«

»So«, sprach der König, »das hat schon mal einer gesagt! Zeig erst mal her, mein Sohn. Wir haben da unsere Erfahrungen. Hm …« Und er trat ängstlich einen Schritt zurück.

»Ich weiß schon, Majestät! Und hier ist er.«

Der König wollte ihn in seinem freudigen Staunen mit den Händen fassen, aber …

»Hände weg, Majestät!«, sprach der Soldat und schob ihn in die Tasche zu Wurst und Brot. »Den fasst mir keiner an, außer meine Braut!«

»Du hast es eilig, guter Freund«, sagte der König, der noch ganz benommen von dem Wunder und dem Glanz war. Zugleich besah er sich den abgerissenen Burschen mit seinem schmierigen Brotsack, stellte fest, dass er arg nach Tabak roch, und dachte: Wie wird das werden?

»Freilich hab’ ich’s eilig, Herr König! Jung gefreit hat nie gereut, und bei Eurer Jungfer Tochter soll’s auch an der Zeit sein. Also lasst ein Mahl richten, ich bin zur Stelle, und das schwöre ich Euch, es soll kein stinkendes Ende nehmen wie bei Eurem sauberen General.«

Damit empfahl er sich und ließ den König in arger Verwirrung zurück. Doch was sollte er tun? Ein Wort ist ein Wort, da half kein Mundspitzen, es musste gepfiffen sein. Das Bankett wurde gerichtet, der Soldat saß neben der Prinzessin und alle rümpften die Nase über den schäbigen Freier. Der aber merkte nichts davon und sah nur seine Nachbarin an. Er dachte, wie schön sie sei. Er hatte gar nicht gewusst, dass es dergleichen auf Gottes Erden gab, und sein Herz wurde demütig und ernst. Dabei griff er immer wieder nach seinem Brotsack, den er sorgfältig umbehalten hatte, um zu prüfen, ob das güldene Unterpfand seines Glückes noch vorhanden war. Dann trank er einen Becher nach dem anderen aus, denn erstens hatte er einen solchen guten Tropfen noch nie geschmeckt und zweitens fühlte er, dass ihm das Herz in die Hose sank. Eine Prinzessin und ein armer Haderlump wie er! Da sollte ihm der Mut wohl klein werden! Sie saß bleich wie ein Steinbild neben ihm. Um ihre feinen Brauen zuckte es wie Qual, wenn er zu ihr sprach. Deuchte sie sein schlichtes Wort gleich wahrer und menschlicher, als sie jemals bei Hofe reden gehört hatte, so roch er doch zu pöbelhaft nach Tabak! Aus einer Tasche schaute sein Stummelpfeifchen hervor, aus dem Brotsack ein Wurstzipfel. Sie musste sich immer wieder ihr Riechfläschchen unter die Nase halten.

Gegen Ende des Mahles brachte man die goldene Schüssel herbei. Der Soldat sprang auf, hielt keine lange Rede, sondern rief nur: »Da habt Ihr ihn!« Und ließ den blinkenden Apfel klingend in die goldene Schüssel fallen.

Da rief alles, des Bringers und seiner Vagabundenhaftigkeit ganz vergessend: »Wie herrlich, wie köstlich!« Selbst die Prinzessin klatschte in die Hände. Es war, als ginge ein Licht, ein überirdisches Leuchten, von dem goldenen Wunder aus, das alle Herzen erhellte und höher stimmte.

Da brach der Soldat den Bann des Entzückens, indem er mit dem Mut, den ihm der feurige Wein gegeben hatte, laut in den Saal rief: »Wohlan, Herr König, ich tat das Meine! Nun marsch zur Hochzeit, Jungfer Prinzessin!«

Da schlug das Prinzesslein die Hände vor sein blasses Antlitz und begann zu schluchzen, als sollte es ihm die zarte Brust zerbrechen. Alle waren betroffen und erschüttert, denn das stolze Geschöpf hatte noch nie geweint. Dann schauten alle unter gerunzelten Zornesbrauen auf den Soldaten, der in den Stuhl gesunken war. Er saß da, als sei er der ausbündigste Malefikant und die schwärzeste Seele, die je zur Hölle reif war. Er war blass, seine Lippen zitterten und er lallte: »Nu — nu …« Seine harten Hände zuckten, als wollten sie der Weinenden über das goldene Seidenhaar streichen, ganz weich und lind, wie man es einem Kind tut. Aber er traute sich nicht.

Der König fand als Erster wieder das Wort und sprach von der magdlichen Scheu seines edlen Kindes, die man ehren müsse, und von Zeit, sich daran zu gewöhnen, und einigen Tagen Aufschub.

»In Gottes Namen«, stotterte der Soldat, »in Gottes Namen, Herr König! Wenn es nicht anders geht, kann ich mir inzwischen einen neuen Kittel schneidern lassen.«

Da lachten einige Höflinge in ihr Mundtuch.

»Gott sei gedankt!«, seufzte der König für sich. »Kommt Zeit, kommt Rat. Oh, dieses Kind, dieses seltsame Kind, was schafft es mir doch für Sorgen!« Er fuhr sich wehmütig mit der Hand über den Bauch und befand, er sei vom Fleisch gefallen.

Das war dem guten König eine ausgemachte Sache.

Er musste dieses Eidams loswerden, es ginge, wie es wolle. Aber wie? Da erinnerte er sich an den General, der noch bei Brot und Wasser saß und sich grämte, dass er so stinkend geworden war. Der war in tausend Listen und Ränken gewandt und wusste Rat. Den befahl er aus der Haft zu entlassen und fragte ihn, wie er den tabakduftenden Tochtermann mit gutem Anstand loswerde.

»Das lasse mich nur machen«, sprach der General, der einen schweren Zorn auf seinen Nachfolger hatte, und eröffnete dem Soldaten feierlich im Auftrag des Königs und der Prinzessin, dass die erste Bedingung nun erfüllt und er somit berechtigt sei, die zweite Aufgabe zu versuchen. Denn das lasse er sich als junger Mann, der vernünftig denkt, doch nicht in den Sinn kommen, dass man so leicht die Hand einer Königstochter gewinne. Er habe ja selbst gesehen, wie schön sie sei.

»Oder nicht?«, fuhr er den verdutzten Soldaten an.

»Freilich ja, das muss ihr der Neid lassen. Nur will mich bedünken, das sei wider die Abrede mit der zweiten Aufgabe. Jedennoch – erwogen, dass die Prinzessin ebenso ausbündig liebreizend und fein ist …«

»Genug«, fiel ihm der General ins Wort. »Ihre Hoheit wünscht, dass du hundert Hasen aus dem Tiergarten zusammentreibst und sie drei Tage lang hüten musst. Wenn dir auch nur einer entwischt, kostet es dich den Kopf. Verstanden?«

»Mit Verlaub, gestrenger Herr!«, wollte der Soldat einwenden.

Da drehte sich der General auf dem Absatz um und ließ ihn stehen. Der unglückliche Freier spürte nun, von wo der Wind wehte. »Das hat man davon, wenn man zu hoch hinaus will! Aber dass die Welt so schlecht sei und Treu und Glauben so rar, hätte ich doch nie geglaubt!«

Traurig ging er in den Wald, setzte sich auf den Boden, stemmte das Kinn auf beide Fäuste und dachte: »Mit dir ist’s aus, alter Freund! Schnür dein Ränzel für die bessere Welt! Das Lied ist zu Ende, da ich’s kaum zu blasen begonnen habe!«

Beim Blasen fiel ihm seine Pfeife ein. Trübsal ist schließlich wie Regenwetter und er dachte: »Du kommst mir gelegen, was hilft das Kopfhängen!« Er pfiff sich ein Stück und wunderte sich selbst, wie trefflich es ihm vom Schnabel ging.

Aber was war das? Ringsum stieg der Staub auf, es trappelte, rappelte und rauschte, braune Rücken, lange Ohren – Himmel, sind das Hasen!

»O du herziges Graumännlein im Wald, so war das mit deinem Pfeiflein gemeint? Hallo! Nun kommandiere ich ein Hasenregiment! Lasst uns zeigen, was wir bei den Soldaten gelernt haben! In Kompaniekolonne antreten! Marsch, marsch!«

Heidi wuselte und sprang es durcheinander, dass die Ohren flogen, und im Handumdrehen stand alles in drei Zügen in Reih und Glied. Der Soldat schritt die Züge ab und teilte sie in Sektionen ein. Was aber über hundert zählte, stellte er zehn Schritt rechts davon auf und kommandierte die Überzähligen: »Wegtreten!«

Husch! stob die Gruppe wie eine braune Wolke davon. Mit den übrigen hundert exerzierte er so brav, dass ihm vor Lachen die Tränen über die Wangen liefen. Dann ließ er die Sektionen vom rechten Flügel abmarschieren, setzte sich mit seinem Pfeiflein an die Spitze und blies: Wer will unter die Soldaten und Ach, du lieber Augustin und führte seine Kompanie in die Stadt.

Der König und die Prinzessin, die den Aufzug staunend sahen, standen auf dem Balkon. Da kommandierte er: »Augen rechts!«

Der König und die Prinzessin mussten sich gegenseitig festhalten vor Lachen, so pudelnärrisch war die Parade. Doch als der Hasenkommandant vorbeigezogen war und das Pfeifen verklungen war, trat an die Stelle des Gelächters bitterer Ärger.

»Was nun, General, was nun? Dieser Teufelskerl ist imstande, uns drei Tage lang sein Hasenvolk wohlgezählt beieinander zuhalten! Wer das eine kann, dem ist auch das andere ein Kinderspiel!«

»Wir sind auch noch da, Majestät«, beruhigte ihn der General. »Wir müssen ihm mit List einzelne Tiere abspenstig machen. Erwischt man nur eines der hundert Häschen, schlägt man ihm den Kopf ab und lässt es seines Weges gehen, wohin es mag.«

Er verkleidete sich als Jäger, fand sich beim Hafenmeister ein und fragte höflich, ob er eines seiner Tiere kaufen könne, denn die Art gefalle ihm sehr. Er habe den Aufzug in der Stadt gesehen.

»Warum nicht?«, sprach der Soldat, der den Schelm von General wohl erkannt hatte. »Nur fürchte ich, der Preis wird Euch kaum genehm sein.«

»Oho«, sagte der General und klimperte mit den Dukaten in seinem Hosensack.

»Um Geld ist mir’s nicht zu tun, Herr Jäger, aber um fünfzig Prügel könnt ihr eins meiner Tierchen haben.«

»Verflucht!«, knurrte der General, doch er hatte es dem König und der Prinzessin, die er sich noch immer zu gewinnen hoffte, versprochen. »In drei Teufels Namen, so sei’s!«, sagte er und entblößte den Rücken.

Der Soldat spuckte in die Hand, fasste seinen Stock und zeigte, dass er ein handfester Bursche war. Der verprügelte General hinkte fluchend ab, wenigstens froh über das sauer verdiente Häschen, das in einem Korb, den er mitgenommen hatte, krabbelte. Kaum aber war er hundert Schritte von der Stätte seines Kaufs und seiner Schande entfernt, ertönte hinter ihm das Pfeiflein, der Deckel des Korbes sprang auf und der Hase war auf und davon. Der Soldat hatte seine hundert Taler wieder beisammen und der General – ach, wer kann sagen, wie dem zumute war! Er kroch sofort ins Bett und wollte aber nichts vom Arzt wissen, weil er sich für seinen verprügelten Buckel schämte.

Darüber war ein ganzer Tag verloren und die Prinzessin sandte in ihrer Angst ihre Kammerjungfer aus, um dem Soldaten einen Hasen abzuschwatzen. Ei, was konnte die schön tun und schmeicheln! Doch der Soldat ließ sich auf keine Zärtlichkeiten ein und verlangte denselben Preis wie zuvor beim Jäger. Er hat wohl nicht so fest zugeschlagen, aber Schimpf und Schande war’s doch für das hübsche Kammerkätzchen. Doch dafür hatte sie ja einen Hasen – jawohl! Da pfiff es, und sie lag auf dem Rücken. Der sauer verdiente Hase fegte davon, dass ihm die Löffel flogen. Sie hüte sich wohl, zu Hause etwas darüber zu erzählen, wie es ihr ergangen war, genauso wie der General.

»Der niederträchtige Kerl wollte einfach nicht, ich konnte ihm die besten Worte geben!«

»Ihr seid alle zu nichts zu gebrauchen!«, schalt die Prinzessin, der es nun anfing, himmelangst zu werden, und zerrupfte vor Aufregung ihr Spitzentuch. »Ich muss mir selbst helfen!«, rief sie entschlossen und folgte dem Rat ihrer schlauen Amme, die ihr mit ihrem Goldapfeleinfall schon einmal die Suppe eingebrockt hatte. Sie zog sich als Wildbrethändlerin an und ging zu dem Soldaten. Sie bot ihm zehn Hirsche und zwanzig Rehe für eines seiner seltenen Häschen.

»Ach nein, gute Frau«, sprach der Soldat, »Tauschgeschäfte mache ich nicht, aber Ihr könntet Euch eines verdienen.«

»Wie denn?«, fragte die Prinzessin arglos.

»Wenn Ihr mir ein Viertelstündchen gut sein wollt und mir mindestens sieben Küsse gebt.«

Oh je, dachte die Prinzessin, das ist ein schlechtes Geschäft. Aber er kennt mich nicht, kein Mensch erfährt es und so bin ich seiner auf einmal los. Übrigens ist er bei Tage gar kein übler Gesell. Und sie verdiente sich ihr Häschen und zog, nachdem sie sich siebenmal das Mäulchen gewischt hatte, ihres Kaufes froh mit ihrem Henkelkörbchen davon: Gottlob! Einmal – oder vielmehr siebenmal – und nie wieder – düdelüt tat’s da hinter ihr und hupp neben ihr. Sie kam weinend vor Scham und Verzweiflung nach Hause zu ihrem Vater und sagte: »Der schlechte Mensch wollte sich auf nichts einlassen.«

Da tat der gute Vater einen starken Schwur: Nun wollte er doch wahrlich selber mal nach dem Rechten sehen! Das musste ja mit dem Teufel zugehen. . . Verkleidet kam er auf einem Maulesel beim Soldaten angerückt: »Was kostet ein Hase?«

»Nicht viel mehr denn nichts, alter Freund«, scherzte der Soldat, der seinen Kunden wohl erkannte, »du wolltest dich nur bequemen, deinen Maulesel dreimal unterm Schwanz zu küssen.«

Potztausend, das war ein Ansinnen an einen König! Er wurde blass vor Wut, schimpfte und wetterte. Der Soldat zuckte die Achseln: »Ihr braucht ja nicht. Was tobt Ihr? Doch ich kann für meine Hasen fordern, was ich will.«

Der König zog sanfte Saiten auf und versprach goldene Berge. Der Soldat lachte. »Schon meine Mutter sagte immer, ich sei ein schrecklicher Dickkopf, und sie hatte immer recht.«

Da sprang der König mit einem Satz vom Tier: Kreuzmillionendonnerwetter! Eins, zwei, drei! Da war das Unglaubliche geschehen. Gottlob, der schräge Kerl kannte ihn nicht, und so wusste außer Gott und dem König selbst niemand, was der König getan hatte. Aber nun den Hasen her! Da hatte er schon einen feisten Burschen an den Löffeln, stopfte den Zappelnden in den Sack, der am Sattel seines Reittieres hing, und trabte wütend und fluchend ohne Gruß und Valet davon. Wie fluchte er aber erst, als der Sack plötzlich rebellisch wurde, Meister Lampe mit Gewalt durchbrach und davonstob, dorthin, woher die lockenden Pfeifentöne drangen!

Nun war alles aus. Abends rückte der Soldat mit seinem vollzähligen Hundert prahlend vor das Schloss, exerzierte und paradierte, schrie »Augen rechts!«, dass die Scheiben klirrten, und warf dabei so übermütig die Beine, als wollte er seine Kommissstiefel zu dem König und seiner Tochter auf den Balkon hinaufschleudern. Es war ein rechter Staat. Nun war guter Rat teuer und wieder musste der pfiffige General herbei. Und der wusste wiederum einen Ausweg.

Am dritten Tag ließ der König den Hasenkommandeur zu sich kommen, wies ihm einen Sack, der hundert Ellen lang und breit war, und sagte: »Jetzt, mein Sohn, kommt deine dritte und letzte Aufgabe. Gib acht, kannst du auch diese lösen, hast du die Braut gewonnen. Wo nicht, ist dein Kopf verwirkt.«

»Herr König, mit Verlaub!«, wollte der Soldat sich gegen dieses offensichtliche Unrecht verwahren.

»Ruhe!«, herrschte ihn der König an, »es bleibt dabei! Diesen Sack hier sollst du mir mit Wahrheiten füllen, das ist deine dritte Aufgabe.«

Hoho, dachte der Soldat, kommt Ihr mir so, komme ich Euch so. Jetzt wollen wir sehen, wer zuletzt lacht!«

»Mit Vergnügen, Herr König! Gebt acht! Ich sollte Euch hundert Hasen hüten, dass mir nicht einer entläuft. Ist das wahr?«

»Das ist wahr«, sprach der König und der ganze Hof.

»Marsch in den Sack, ihr Hasen!«, rief der Soldat. Hupp, hupp, sprang die ganze Gesellschaft in den Sack hinein, sodass alle lachten.

»Hundert Wahrheiten wären drin! Nun hört weiter, die hunderterste: Da ich mit meinen Häslein auf der Weide war, kam ein Jägersmann und wollte mir eines abkaufen. Mit fünfzig Wohlgezählten auf dem Buckel hat er es sich verdient. Ist das wahr, Herr General?«

»Gelogen ist’s!«, schrie der General.

»Knöpft ihm nur das Wams auf! Ihr könnt sie noch alle fünfzig nachzählen, sie hatten alle ihr volles Gewicht.«

»Man tue, wie er gesagt hat«, sprach der König. Da musste der General seinen Rücken zeigen, der in allen Farben des Regenbogens schimmerte. Und er musste zu den Hasen in den Sack hinein.

»Das wäre Nummer hunderteins!«, rief der Soldat, dessen Mut immer kecker wurde. Die Prinzessin heftete erstaunt und nicht ohne Wohlgefallen ihre schönen, ernsten Augen auf ihn, denn er stand unter all den Höflingen wie ein rechter Mann unter lauter Puppen und Laffen.

»Nummer hundertzwei!«, schrie er. »Halt, Jungfer, wo willst du hin?« Damit erwischte er die Kammerzofe der Prinzessin, die über und über rot wurde und gerade aus der Tür schlüpfen wollte. »Alsbald kam nämlich ein Jüngferlein auf die Hasenweide zu mir und wollte mich mit Schmeicheleien und zärtlichem Getue kirren, damit ich ihr eines meiner Tierchen verehrte. Sie aber zahlte mir den gleichen Preis wie der Herr General. Wenn mich nicht alles täuscht, so glich sie hier der Kammerjungfer der Prinzessin aufs Haar. Ist das wahr?«

»Ja, es ist wahr«, schluchzte es aus dem Sack heraus.

»Hundertdrei!« schrie der Soldat. »Eine Wildbrethändlerin kam dann des Weges.«

Die Prinzessin war dunkel erglühend aufgestanden. Da hielt der Soldat ihr mit höflich einladender Gebärde den Sack hin: »Ist’s gefällig?« Und sie schlüpfte schleunigst hinein. »Ist’s wahr?«, fragte er, indem er das Ohr tief zum Sack herniederneigte. Leise, ganz leise antwortete es aus dem Sack: »Ja, es ist wahr.«

»Hundertvier!«, rief der Unerbittliche und hustete hinterdrein. Der König aber rückte auf seinem Thron hin und her, als säße er auf Nadeln.

»Zuletzt kam einer«, fuhr der Soldat fort, »saß auf einem Maulesel, der hat sich ein Häschen ganz kurios verdienen müssen. Dem gab ich auf …«

»Es ist gut, mein Sohn«, rief der König, »der Sack ist ganz voll! Mehr als hundertdrei Wahrheiten gehen nicht hinein. Morgen hältst du Hochzeit, das soll die hundertfünfte sein.«

Da öffnete der Soldat den Sack und ließ alle Wahrheiten heraus. Am folgenden Tag fand die Hochzeit statt. Die Prinzessin hat es nie bereut, das könnt ihr mir glauben, und auch der König und sein Land nicht. Der arme Teufel war doch ein ganzer Kerl, und das ist das Beste, was man sein kann.

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