Mörder und Gespenster – Band 1 – 13. Teil
August Lewald
Mörder und Gespenster
Band 1
Der Erbe des Teufels
Kapitel 3
Es muss uns nun vor allem daran gelegen sein, die Neffen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Der Älteste war sicherlich der böseste Junge, der je in den Straßen von Białystok herumgelaufen ist. Von Pflastertretern kann in diesem Fall allerdings nicht die Rede sein, denn selbst die Hauptstraßen waren zu jener Zeit noch nicht gepflastert.
Man erzählte sich, dass er mit Haaren und Zähnen auf die Welt gekommen sein soll. Wenn man es als Vorbestimmung ansehen will, so darf man sagen, dass er wirklich seine Gegenwart und Zukunft verfraß. Er war über alle Grenzen hinaus verschwenderisch und sündigte an der Erbschaft seines Oheims, die ihm angesichts dessen enormer Lebenskraft vielleicht nie zuteilwerden konnte. Allein diese Lebenskraft schien er von dem guten Oheim geerbt zu haben. Da die Krone Polen mit ihren Nachbarn im Frieden lebte, musste er sich, obwohl er Hauptmann eines Trupps Lanzenreiter war, auf friedliche Scharmützel und süße Siege beschränken, wie sie einem jungen, schönen und lebensfrohen Offizier in einer üppigen Garnison eben zuteilwerden. Eine andere Bravour konnte er nicht an den Tag legen. Doch er zog sich stets mit Ehren aus allen Fällen, die sich ihm darboten, und dies erwarb ihm die hohe Gunst des Grafen Poninski, der in Białystok kommandierte und von seinen Offizieren verlangte, dass sie ein freies, ritterliches Leben führten, das von zahlreichen Abenteuern geprägt war. Vorzüge, wie sie dieser Neffe des Kanonikus besaß, erschienen dem Grafen Poninski wie Tugenden und er setzte sie den besten militärischen Eigenschaften gleich. Ob das recht war, wollen wir hier nicht untersuchen.
Dieser Neffe des Teufels, wie man ihn in der Stadt gewöhnlich nannte, wenn er es nicht hörte, hieß eigentlich Hauptmann Sembrowski. Seine zahlreichen Gläubiger, lauter plumpe Bürger und Handwerker, denen er die Taschen leerte und die für einen Edelmann zu nichts taugten, hatten ihm den Beinamen Krummbuckel gegeben. In der Tat war eine Schulter etwas höher als die andere und bildete einen kleinen Höcker, was dem sonst schön gebildeten Mann allerdings zu einigem Nachteil gereichte. Es war jedoch ungerecht, dies anzuführen und ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Außerdem war es unklug von den Leuten, da sie wussten, wie stark und boshaft er war. Es wäre niemandem zu raten gewesen, wenn er es gewagt hätte, diesen Höcker zu erklimmen, um eine weitere Aussicht zu genießen. Mit einem Wort, Hauptmann Sembrowski war nicht der Mann, der sich für irgendetwas hergab, wenn er keinen bedeutenden Vorteil darin sah.
Der zweite Neffe hatte Jura studiert und war durch den mächtigen Einfluss seines guten Oheims ein viel beschäftigter Anwalt geworden. Er führte die Prozesse der meisten Damen, die vormals dem Kanonikus gebeichtet hatten. Obwohl er, wie sein Bruder, der Hauptmann, Sembrowski hieß, nannte ihn das Volk, wie jenen Krummbuckel, Storchbein, wegen seines Aussehens, da seine Beine wirklich mager waren und die Waden völlig fehlten.
Überhaupt hatte der Advokat einen jämmerlichen Körperbau; er war bleich im Gesicht und seine Physiognomie erinnerte an einen Kreuzschnabel. Dennoch mochte er wohl um einen ganzen Heller besser sein als der Hauptmann. Auch enthielt sein Herz wohl ein Quäntchen wahre Zuneigung für den guten Onkel, bis es dem bösen Zureden Krummbuckels gelungen war, diese Zuneigung aus dem Sinn des Bruders zu reden. Demnach verschwand das Gefühl der Dankbarkeit allmählich, sodass der Advokat sich bei schlechtem Wetter besonders gern an den Kamin setzte, wenn der Oheim in der Kirche war. Er steckte seine Füße in dessen Fußsack, lehnte sich im weichen Lehnstuhl zurück und genoss die ganze Erbschaft im Voraus, während er mit geschlossenen Augen die damit verbundenen Freuden durchlebte. Solche Gedanken, so angenehm sie an sich auch sein mögen, führten aber dennoch zu der traurigen Wahrheit, dass sie nach Recht und Billigkeit, nach den Gesetzen sowie den Anforderungen des Blutes die Erbschaft mit einem Dritten teilen mussten, wodurch sie sehr geschmälert worden wäre. Diesen dritten Teil nahm nämlich ein armer Bursche in Anspruch, der Sohn einer Schwester des Kanonikus. Er hütete auf dem Land, einige Stunden von Białystok entfernt, die Schafe und kannte seinen Oheim nicht, wurde auch von ihm nicht gekannt. Man kann sich leicht vorstellen, dass der vornehme Geistliche von dieser Verwandtschaft nicht sehr angetan war und seinen dritten Neffen dementsprechend nicht besonders lieb hatte.
Auf diesen Umstand bauten Hauptmann Krummbuckel und Advokat Storchbein nun ihren Plan. Unter dem Vorwand, für die alten Tage und den gebrechlichen Zustand ihres geliebten Oheims besser Sorge zu tragen, schrieben sie an den Schafhirten und beriefen ihn in die Stadt, damit er im Haus des Kanonikus als dessen Wärter und Diener tätig wird. Sie hofften, dass der einfache Bauernknecht durch seine dummen Streiche und Plumpheit sowie durch seine schlechten Gewohnheiten gewiss nichts richtig machen würde und den Zorn und Unwillen des Onkels dadurch in einem solchen Grad erregen müsse, dass dieser ihn aus dem Testament entfernte. Dieser Weg schien ihnen der beste, um sich des dritten Teils der Erbschaft zu versichern. Wir wollen sehen, ob ihnen dies gelungen ist.
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