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Wölfe – Staffel 1, Episode 1 von 6

Wölfe
Staffel 1, Episode 1 von 6

Historische Fernsehserien üben seit jeher eine besondere Faszination auf mich aus. Wenn ich eine Serie wie Wölfe sehe, habe ich das Gefühl, durch ein Tor in eine andere Epoche zu treten. Geschichte, die in Büchern und Chroniken oft abstrakt und distanziert wirkt, erhält hier eine neue Lebendigkeit.

Mich beeindruckt vor allem, wie diese Serien historische Ereignisse und Figuren nicht nur nacherzählen, sondern ihnen eine menschliche Dimension verleihen. Namen wie Thomas Cromwell, Heinrich VIII. oder Anne Boleyn sind in der Geschichtsschreibung allgegenwärtig, doch durch die filmische Darstellung werden sie zu Menschen aus Fleisch und Blut mit Zweifeln, Hoffnungen und Widersprüchen. Plötzlich erscheinen ihre Entscheidungen nachvollziehbar, ihre Fehler tragisch und ihre Ambitionen zeitlos.

Wölfe ist ein Paradebeispiel dafür: Die Serie zeigt nicht nur die Machtspiele am Hof der Tudors, sondern auch die subtilen Mechanismen von Loyalität, Intrige und persönlichem Aufstieg. Sie lädt dazu ein, nicht nur die großen politischen Entscheidungen, sondern auch die Zwischentöne zu betrachten: die Blicke, Gesten und unausgesprochenen Spannungen, die die Geschichte ebenso sehr formen wie Kriege und Verträge.

Besonders fesselnd finde ich die Spannung zwischen historischer Faktentreue und künstlerischer Interpretation. Natürlich bleibt vieles eine Rekonstruktion, ein »So hätte es gewesen sein können«. Doch gerade diese Mischung aus Dokumentation und Fiktion macht die Vergangenheit greifbar. Wenn ich die Kostüme, die Architektur und das Licht sehe, beginne ich mir vorzustellen, wie es gewesen sein mag, in einer Welt zu leben, in der Machtfragen über Leben und Tod entschieden.

Darüber hinaus werfen historische Serien oft Fragen auf, die weit über ihre Epoche hinausreichen. Wenn ich sehe, wie Figuren um Macht, Loyalität oder Wahrheit ringen, erkenne ich Strukturen wieder, die auch in unserer Gegenwart existieren. Die Geschichte wird damit nicht nur zur Kulisse, sondern zum Spiegel: Sie zeigt, wie zeitlos menschliche Konflikte sind und dass sich vieles wiederholt, wenn auch in neuen Formen.

Vielleicht ist es genau das, was mich an Serien wie Wölfe so fasziniert: Sie sind nicht nur Unterhaltung, sondern auch eine Einladung zum Nachdenken über Vergangenheit, Gegenwart und die Verbindungen zwischen ihnen.

Beginnen möchte ich mit der ersten Episode Der Kartentrick (Originaltitel: Three-Card-Trick).

Kardinal Wolsey, Thomas Cromwells Patron und Lordkanzler, wird seines Amtes enthoben und muss seinen Palast in York Place verlassen. Die alten Adelsfamilien Englands, die eifersüchtig auf ihr Recht sind, den König zu beraten, haben diesen Moment lange herbeigewünscht. Im Hintergrund brodelt die Spannung, während die Machtspiele am Hof weitergehen. Cromwells Hoffnung, die Gunst des Königs zurückzugewinnen, ruht auf seiner unerschütterlichen Loyalität und seinem strategischen Geschick.

Schon vor acht Jahren, als Cromwell seine Dienste für Wolsey aufnahm, entfesselte der Kardinal durch die Zurechtweisung von Thomas Boleyn eine Kette von Ereignissen. Die Boleyns sind mächtige Gegner und Anne wird heute als einflussreiche Frau angesehen. Sobald Gerüchte über eine heimliche Verlobung mit Harry Percy aufkamen, nahm der Kardinal eine unnachgiebige Haltung ein und verbot die Verbindung. Doch der Hof ist ein Ort des Geflüsters und der Intrigen.

Heinrich, der keinen männlichen Erben hat, sucht verzweifelt nach einer Lösung. Die Annullierung seiner Ehe mit Katharina von Aragon wird immer dringlicher, da er behauptet, sie sei bei der Hochzeit nicht mehr jungfräulich gewesen. Trotz Wolseys Bemühungen, den Papst zur Zustimmung zu bewegen, bleibt der Erfolg aus. Die Allianz zwischen dem Papst und Katharinas mächtigem Neffen, dem Heiligen Römischen Kaiser, verschärft die Lage weiter.

Unter zunehmendem Druck wird Wolsey selbst zum Ziel, während die Ungeduld des Königs wächst. Gerüchte, dass Anne Boleyn nun die Favoritin des Königs sei und auf Rache sinne, schweben bedrohlich in der Luft. In dieser kritischen Phase besucht Cromwell Anne und versucht, sie davon zu überzeugen, dass nur der Kardinal ihren Weg ebnen kann. Doch Anne bleibt standhaft und unverändert in ihrer Haltung.

Der Herzog von Norfolk, der die Nähe Wolseys zum König mit Sorge betrachtet, drängt darauf, dass Cromwell dem Kardinal rät, sich in sein Erzbistum nach York zurückzuziehen. Ein verzweifelter Cromwell sucht schließlich das direkte Gespräch mit Heinrich. Doch der König bleibt kryptisch in seinen Absichten. Wird er den Kardinal zurückrufen oder einen neuen Weg einschlagen? Die Antwort bleibt offen, während das Drama seinen Lauf nimmt.

Mit der Episode Der Kartentrick markiert die Serie Wölfe einen bemerkenswerten Auftakt, der weniger auf spektakuläre Effekte als vielmehr auf intime Erzählkunst setzt. Unter der Regie von Peter Kosminsky entfaltet sich die Erzählung mit einer leisen, aber eindrucksvollen Präsenz und entführt die Zuschauer in eine Welt voller unterschwelliger Spannungen.

Im Zentrum dieses leisen Dramas steht der herausragende Mark Rylance in der Rolle des Thomas Cromwell. Er verkörpert Cromwell nicht als den typischen ehrgeizigen Aufsteiger, sondern als stillen Beobachter, der durch sein Schweigen und seine Präzision an strategischer Bedeutung gewinnt. Bereits in der ersten Episode wird deutlich, dass Cromwells inneres Leben der Antriebsmotor der Serie ist – seine Gedanken und stillen Kalkulationen formen das narrative Gefüge.

Der Hof von Heinrich VIII. dient als historischer Schauplatz, an dem sich die politischen Machtspiele entfalten. Während Kardinal Wolsey an Einfluss verliert und Anne Boleyn ihren Aufstieg beginnt, gleicht das Geschehen einem komplexen Schachspiel, bei dem jedes Manöver durchdacht ist und jede Bewegung von einer unsichtbaren Bedrohung begleitet wird.

Visuell überzeugt die Episode durch ihre stimmungsvolle Inszenierung. Dunkle Räume, spärliches Kerzenlicht und nahezu malerische Bildkompositionen verleihen der Serie nicht nur historische Authentizität, sondern auch eine beklemmende Atmosphäre. Man hat das unablässige Gefühl, dass niemand den wachsamen Augen von Gott, dem Hof oder den Hofintrigen entkommt.

Zwar ist das Erzähltempo gemächlich und diejenigen, die auf schnelle Spannung hoffen, könnten enttäuscht werden. Doch gerade diese bedächtige Erzählweise gestattet eine Tiefe, die in flüchtigen Blicken und subtilen Andeutungen mehr Bedeutung findet als in lauten Konfrontationen.

Zusammenfassend ist Der Kartentrick ein leiser, aber intensiver Start in die Serie Wölfe. Diese erste Folge erfordert Geduld, doch der Lohn ist eine narrative Dichte und ästhetische Kraft, die Maßstäbe setzen. Ein Serienauftakt, der nicht nur unterhält, sondern auch inspiriert und zum Nachdenken anregt.

Angaben zur Episode

Darsteller

Thomas Cromwell: Mark Rylance, König Heinrich VIII.: Damian Lewis, Anne Boleyn: Claire Foy, Kardinal Wolsey: Jonathan Pryce, Herzog von Norfolk: Bernard Hill, Thomas More: Anton Lesser, Stephen Gardiner: Mark Gatiss, Eustache Chapuys: Mathieu Amalric, Katharina von Aragonien: Joanne Whalley, Rafe Sadler: Thomas Brodie-Sangster, Harry Percy: Harry Lloyd, Jane Rochford: Jessica Raine, Johane Williamson: Saskia Reeves, Mary Boleyn: Wohltätigkeit Wakefield, Liz Cromwell: Natasha Klein, Richard Cromwell: Joss Porter, Jane Seymour: Kate Phillips, George Cavendish: Robert Wilfort, Herzog von Suffolk: Richard Dillane, Henry Norris: Luke Roberts, Mark Smeaton: Max Fowler, Sir Thomas Boleyn: David Robb, Anne Cromwell: Emilia Jones, Grace Cromwell: Athena Droutis, Mercy Pryor: Mary Jo Randle

Stab
Regie: Peter Kosminsky, Drehbuch: Peter Straughan, Autorin: Hilary Mantel, Produktion: Company Pictures, Playground Production: BBC Masterpiece, Produzent: Mark Pybus, Kamera: Gavin Finney, Schnitt: David Blackmore, Musik: Debbie Wiseman, Kostüme: Joanna EatwellSzenenbild/Bauten: Pat Campbell, Redaktion: Alexandre Piel

Quelle:

(wb)

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