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Deadwood Dick – Der schwarze Reiter der Black Hills – Kapitel 1

Deadwood Dick – Der Prinz der Straße
Oder: Der schwarze Reiter der Black Hills
Von Edward L. Wheeler
Kapitel 1
Der furchtlose Frank kommt zur Rettung

Auf den Plains, etwa auf halber Strecke zwischen Cheyenne und den Black Hills, hatte ein Zug für die Mittagspause angehalten. Es handelte sich dabei allerdings nicht um einen Eisenbahnzug, sondern um eine Reihe weißer, von kräftigen Maultieren gezogener Wagen, die man am treffendsten als Prairie Schooners bezeichnet.

Es waren vier dieser Wagen, die im Kreis um ein Lagerfeuer herum aufgestellt waren. Über dem Feuer wurde ein leckeres Stück Wildbret gebraten. Um das Lagerfeuer herum standen etwa ein Dutzend Männer, alle rau, bärtig und grauhaarig – mit einer Ausnahme. Dieser war ein junger Mann, dessen Alter man getrost auf zwanzig schätzen konnte, so perfekt entwickelt war sein Körperbau und so intelligent sein Gesichtsausdruck. Es gab etwas an ihm, das nicht schön war, und doch hätte man sich schwergetan zu sagen, was es war, denn sein Gesicht war auffallend schön und sicherlich war keine Gestalt in der Menge auffälliger wegen ihrer Anmut, Symmetrie und proportionalen Entwicklung. Es hätte einen Gelehrten gebraucht, um dieses Geheimnis zu ergründen.

Er war von mittlerer Statur, hatte einen athletischen Körperbau, einen geraden Rücken und breite Schultern. Seine Haut war von der Sonne gebräunt, sein Haar war rabenschwarz und fiel in langen, glatten Strähnen über seinen Rücken. Seine Augen waren schwarz und durchdringend wie die eines Adlers, seine Gesichtszüge waren wohlgeformt mit einem festen, entschlossenen Mund und einem markanten Kinn. Er war ein interessantes Exemplar junger, gesunder Männlichkeit. Obwohl er noch ein Jugendlicher war, flößte er überall, wo er sich aufhielt, Respekt, wenn nicht sogar Bewunderung ein.

Ein bemerkenswertes Detail seines Aussehens, das den Betrachtern äußerst seltsam und exzentrisch erschien, war seine Kleidung: Sie war komplett aus Hirschleder und in leuchtendem Scharlachrot gefärbt.

Als er sich wenige Meilen außerhalb von Cheyenne dem Tross anschloss und nach dem Grund für seine seltsame Kleidung gefragt wurde, antwortete der junge Mann lachend: »Nun, damit will ich Büffel anlocken, falls wir auf der Ebene zwischen hier und den Hügeln welche treffen sollten.«

Er nannte sich Fearless Frank, sagte, er sei auf dem Weg zu den Bergen und bot an, der Gruppe als Jäger, Führer oder in anderer Funktion zur Seite zu stehen, bis sie ihr Ziel erreicht hätten.

Da er gut bewaffnet war und nach seinem Äußeren zu urteilen ein wertvoller Begleiter sein würde, nahmen die Goldgräber seine Dienste gerne an.

Unter den anderen, die sich um das Lagerfeuer versammelt hatten, fiel eine Person besonders auf, denn, wie Mark Twain bemerkt, »die meisten Goldgräber sehen gleich aus«. Es war ein kleiner, entstellter alter Mann: bucklig, o-beinig und weißhaarig, mit schielenden Augen, einem großen Mund, einem großen Kopf, der auf einem schlanken, kranichartigen Hals saß, sowie blauen Augen und einem riesigen braunen Bart, der bis zur Hälfte seines Gürtels um die Taille reichte. An diesem waren ein kleines Arsenal an Messern und Revolvern befestigt. Er humpelte mit einer schweren Krücke unter dem linken Arm herum und bot einen erbärmlichen Anblick.

Auch er hatte sich der Wagenkolonne angeschlossen, nachdem sie Cheyenne verlassen hatte, etwa eine Stunde nach Fearless Frank. Er behauptete, sein Name sei Nix – Geoffrey Walsingham Nix –, doch woher er kam und was er in den Black Hills suchte, war unter den Miners nur Gegenstand von Spekulationen, da er sich weigerte, über seine Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft zu sprechen.

Der Tross stand unter dem Kommando eines jähzornigen alten Plainsman namens Charity Joe, der seine Lehrjahre im Grenzkrieg von Kansas absolviert hatte. Angesichts seiner habgierigen Veranlagung war dies der falsche Name für den falschen Mann. Nächstenliebe war die geringste aller positiven Eigenschaften des alten Joe. Nächstenliebe war genau das, was er nicht kannte. Doch irgendein Witzbold hatte ihn scherzhaft Charity Joe getauft und dieser Name war ihm seitdem geblieben. Er war schon recht betagt, aber dennoch ein guter Fuhrmann und ein erfahrener Führer, was der Erfolg seiner vielen letzten Expeditionen in die Black Hills bewiesen hatte.

Diejenigen, die von Joes Fähigkeiten als Führer gehört hatten, vertrauten sich seiner Obhut an. Denn während die Postkutschen auf jeder Reise mehr oder weniger oft angehalten wurden, kam Charity Joes Tross stets sicher und unversehrt ans Ziel. Dies war zum Teil seiner Bekanntschaft mit verschiedenen Indianerstämmen zu verdanken, die die Hauptursache für Unannehmlichkeiten auf der Reise waren.

Bislang war der Zug auf dem Weg ins Land des Goldes unterwegs, ohne dass die Reisenden feindliche Rothäute gesehen oder gehört hatten. Charity schmunzelte nur über sein übliches Glück.

»Ich sage euch was, Leute, wir hatten bisher ziemlich viel Glück, daran besteht kein Zweifel. Wenn dort drüben in den Bergen kein Sitting Bull auf uns lauert, bin ich der ehrlichen Meinung, dass wir ohne einen Kratzer durchkommen werden.«

»Das hoffe ich«, erwiderte Fearless Frank, rollte sich auf dem Gras herum und blickte den Führer nachdenklich an. »Aber ich bezweifle es. Mir scheint, dass man in letzter Zeit von mehr Metzeleien hört als noch vor einem Monat – alles wegen des Zustroms von rüpelhaften Gestalten in die Black Hills!«

»Das ist nicht alles darauf zurückzuführen, Chippy«, warf General Nix ein, wie er von den Miners getauft worden war. »Da sind diese verdammten kupferfarbenen Gäste der Regierung. Sie machen eher weniger als mehr Krach – drei Mal so viel wie wir. Nimm eine Handvoll dieser Barbaren und sperr sie für drei oder dreizehn Jahre ins Gefängnis, dann wirst du sehen, welchen Eindruck das macht. Es gäbe mehrere Massaker weniger pro Woche und du würdest nicht einmal im Monat einen Schläger sehen. Nun, meine Herren, es hätte nie einen Schurken gegeben, wenn es diese verdammten Indianerstämme nicht gegeben hätte – keinen einzigen! Diese höllischen Kreaturen sind die Anstifter von mehr Teufelei als eine Katze mit neun Schwänzen.«

»Ja, wir geben zu, dass die Roten nicht gerade heiligen Ursprungs sind«, sagte Fearless Frank mit einem leisen Lächeln. »Tatsächlich kenne ich selbst einige, die weit davon entfernt sind, Engel zu sein. Da ist zum Beispiel der alte Sitting Bull, Lone Lion, Rain-in-the-Face, Horse-with-the-Red-Eye und so weiter und so fort!«

»Genau. Jeder einzelne von ihnen ist ein verdammter Nachkomme des alten Satan persönlich.«

»Lassen wir das Thema Indianer beiseite«, forderte Charity Joe, während er sich das gebratene Wildfleisch mit der Gabel zerteilte. »Ich schlage vor, wir führen eine stille Debatte über die Besonderheiten der Hinterbeine eines Hirsches. Also, los geht’s!«

Er schnitt mit seinem Bowiemesser ein riesiges Stück heraus, bestreute es mit Salz und begann, es in sehr großen Bissen zu verschlingen. Alle anderen folgten seinem Beispiel und das Mittagessen wurde schweigend verzehrt. Nachdem jeder seinen Appetit gestillt hatte und die Maultiere sowie Fearless Franks Pferd satt waren, wurde der Befehl zum Anspannen gegeben. Dies war schnell erledigt und schon bald setzte sich die Karawane in Bewegung. Sie schlängelte sich wie ein Lindwurm über die Ebene.

Der Nachmittag war mild und sonnig, wie es für den Frühherbst typisch ist, und eine erfrischende Brise wehte aus den kühlen Regionen des Nordwestens herab, wo das neue El Dorado lag – das Land des Goldes –, und trug den zarten Duft der Blumen nach der Ernte mit sich.

Der furchtlose Frank saß auf einem edlen braunen Pferd voller Feuer und Kraft, während der alte General Nix ein zusätzliches Maultier ritt, das er von Charity Joe gekauft hatte. Der Rest der Gruppe fuhr in den Wagen mit oder ging zu Fuß, je nachdem, wie ihnen gerade danach war – manchmal war das Gehen dem Rumpeln und Schaukeln der schweren Fahrzeuge vorzuziehen.

Stetig bahnte sich der Wagenzug seinen Weg durch das Nachmittagslicht, während die Fuhrleute abwechselnd sangen und ihre Maultiere beschimpften, die vor sich hin trotteten. Fearless Frank und der General ritten mehrere hundert Yards voraus. Beide schienen in tiefste Gedanken versunken zu sein, denn keiner von beiden sprach, bis Charity Joe gegen Ende des Nachmittags ihre Aufmerksamkeit auf eine Reihe leiser, schwacher Schreie lenkte, die der steife Nordwind zu ihnen herüberwehte.

»Mir kommt es so vor, als klängen sie menschlich«, sagte der alte Führer, der neben dem Pferd des jungen Mannes herlief, als er seine Entdeckung bekannt gab. »Hör mal hin und sag mir, ob du nicht auch so denkst!«

Der junge Mann lauschte und suchte gleichzeitig mit seinen Adleraugen die Ebene ab, um die Quelle der Schreie auszumachen. Aber in keiner Richtung außerhalb des Trosses war etwas Lebendiges zu sehen. Das machte das Rätsel noch größer, denn die Schreie schienen aus geringer Entfernung zu kommen.

»Das sind menschliche Schreie!«, rief Fearless Frank aufgeregt. »Und sie kommen von jemandem, der in Not ist. Jungs, wir müssen der Sache nachgehen.«

»Du kannst nachforschen, so viel du willst«, brummte Charity Joe, »aber ich werde den Tross nicht vor Einbruch der Dunkelheit anhalten, egal, ob jemand schreit oder nicht. Ich fürchte, wir werden so schnell nicht in die Berge kommen.«

»Du bist ein alter Narr!”, erwiderte Frank verächtlich. »Ich wäre nicht so gemein wie du, selbst wenn ich dafür all das Gold der Black Hills bekäme, ganz zu schweigen von dem in Kalifornien und Colorado.«

Er wandte sein Pferd nach Norden und ritt davon, gefolgt – zum Erstaunen aller – vom General.

»Ha! Ha!«, gab Charity Joe grimmig lachend von sich. »Ich wünsche dir viel Erfolg.«

»Das brauchst du nicht, ich will deine Wünsche nicht. Ich werde nach der Person suchen, die sie zum Weinen bringt. Wenn du nicht warten willst, dann fahr doch mit deinem alten Zug zur Hölle!«

»Da irrst du dich«, rief der Führer. »Ich fahre nach Deadwood statt zur Hölle.«

»Vielleicht fährst du nach Deadwood, und vielleicht auch nicht«, antwortete Fearless Frank.

»Mehr oder weniger!«, warf der General ein, »eher mehr als weniger. Pass auf, dass dir die Verbündeten von Sitting Bull nicht ihr totes Holz auf den Kopf werfen.«

Der Wagenzug setzte seine Fahrt über die ebene, sandige Ebene fort. Fearless Frank und sein seltsamer Begleiter richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Schreie, die sie vom Wagenzug getrennt hatten. Diese waren nun ganz verstummt und die beiden Männer waren ratlos, was sie tun sollten.

»Wir schreien wie Regierungsindianer«, schlug General Nix vor, »dann weiß das Tier, dass wir Freunde sind. Vielleicht gibt sie ganz auf, weil sie denkt, dass niemand zu ihrer Rettung kommt!«

»Sie, sagst du?«

»Ja, sie, denn ich glaube nicht, dass es ein er war, der diese Schreie ausgestoßen hat. Brülle jetzt wie ein Stier, und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sie antworten wird!«

Der furchtlose Frank lachte, formte seine Hände zu einem Trichter und stieß ein lautes, ohrenbetäubendes Hallo! aus, das über die Prärie hallte.

»Großer Gott!«, keuchte der General und hielt sich die Ohren zu. »Heilige Mutter Gottes! Tu das bitte nicht noch einmal – du hast mein Trommelfell in Stücke gerissen! Du hast eine Stimme, die schlimmer ist als jede Dampfpfeife von hier bis nach Lowell.«

»Höre!«, sagte der junge Mann und beugte sich vor, um zu lauschen.

Im nächsten Augenblick herrschte Stille und die beiden lauschten gespannt. Über die Ebene hinweg drang in schwachen, kläglichen Tönen die Wiederholung des Rufs, den sie zuerst gehört hatten – nur war er jetzt viel leiser. Offensichtlich wurde derjenige, der in Not war, immer schwächer. Bald würden die Rufe nicht mehr zu hören sein.

»Es kommt von vorn!«, rief Fearless Frank schließlich. »Komm mit, dann sehen wir bald, was los ist!«

Er spornte sein temperamentvolles Tier an und galoppierte im nächsten Augenblick über die sonnenbeschienene Ebene. Der General wollte ihm nacheifern, spornte sein Tier ebenfalls mit beträchtlicher Kraft an – aber leider kann man sich auf ein Maultier nicht verlassen. Das Tier bäumte sich auf, biss dem unglücklichen Reiter heftig in die Beine und weigerte sich, auch nur einen Inch von der Stelle zu gehen.

Der furchtlose Jüngling ritt auf seinem edlen Ross weiter, den Blick nach vorne gerichtet, um die Ebene vor sich genau zu erkunden. Er wunderte sich, dass die Schreie nun deutlicher zu hören waren, er aber immer noch keinen Blick auf ihre Quelle werfen konnte.

Weiter, weiter, weiter, dann zügelte er plötzlich sein Pferd – gerade noch rechtzeitig, um einen schrecklichen Sturz in einen dieser bemerkenswerten Launen der Natur zu vermeiden: einen verdeckten Graben, oder mit anderen Worten, ein durch heftige Regenfälle ausgewaschenes Rinnsal. Solche Gräben begegnen Touristen häufig in den Regionen, die an die Black Hills angrenzen.

Unter ihm gähnte ein steiler Abgrund, mehr als zwanzig Fuß tief, an dessen Grund sich ein dichtes Buschwerk befand. Das kleine Tal, das sich so in die Erde schmiegte, war etwa vierzig Fuß breit und man hätte nie gedacht, dass es existierte, wenn man nicht zufällig an seinen Rand geritten wäre.

Der furchtlose Frank erfasste die Situation auf einen Blick. Da er keine Schreie hörte, vermutete er zu Recht, dass der Verunglückte wieder erschöpft war. Es schien mehr als wahrscheinlich, dass sich diese Person im Gestrüpp unten befand. Er beschloss sofort hinabzusteigen, um nach ihr zu suchen. Er glitt aus dem Sattel, trat bis zum Rand des Abgrunds vor und schaute hinunter. Im nächsten Augenblick gab der Boden unter seinen Füßen nach, und er stürzte kopfüber ins Tal. Glücklicherweise zog er sich keine schweren Verletzungen zu, stand im nächsten Moment wieder auf und war völlig unversehrt.

»Ein Fehlschlag ist so gut wie ein Treffer«, murmelte er, während er sich den Schmutz von der Kleidung wischte. »Nun werden wir das Geheimnis des Geschreis in diesem Dickicht lüften.«

Er blickte nach oben, um sich zu vergewissern, dass sein Pferd ruhig stand. Dann teilte er die Büsche und betrat das Dickicht.

Es erforderte einiges an Kraftaufwand, um durch das dichte Unterholz zu gelangen, aber schließlich wurden seine Bemühungen belohnt und er erreichte eine kleine Lichtung.

Dort sah er einen Anblick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Fest an einen Pfahl gebunden, mit dem Gesicht nach vorne, stand ein junges Mädchen von vielleicht siebzehn Jahren, die auf den ersten Blick als bemerkenswert hübsch zu bezeichnen war.

Sie war bis zur Taille entblößt und auf ihrem schneeweißen Rücken waren zahlreiche Striemen zu sehen, aus denen winzige rote Rinnsale tropften. Ihr Kopf war gegen den Pfahl gesunken, an den sie gefesselt war, und sie war offensichtlich bewusstlos.

Mit einem Schrei der Verwunderung und Empörung sprang Fearless Frank vor, um ihre Fesseln zu durchtrennen. Plötzlich kamen wie aus dem Nichts ein Dutzend hässlich bemalter Wilden aus dem Buschwerk und umzingelten ihn. Ein Blick auf den korpulenten Anführer genügte Frank, um dessen Identität zu erkennen. Es war der leibhaftige Teufel – Sitting Bull!

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