Das Astoria-Abenteuer – Teil 2
Max Felde
Das Astoria-Abenteuer
Nach den zeitgenössischen Aufzeichnungen von Washington Irving erzählt
Illustriert von L. Berwald
Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig. Stuttgart, Berlin, Leipzig. 1912
Aufbruch. Eine Unterhaltung am Lagerfeuer
Bevor die Jäger an diesem Abend in ihre Schlafsäcke krochen, trat Mr. Hunt noch einmal vor die Blockhütte. Gewohnheitsmäßig schaute er nach dem Wetter und überzeugte sich, dass die Wachen auf ihren Posten waren.
Nur wenige Schritte vor der Hütte traf er auf John Day, der die Büchse unter dem Arm vom Flussufer heraufgestapft kam. Er erklärte, er habe angenommen, Hunt würde sich heute wahrscheinlich dem Fremden noch widmen wollen und daher verhindert sein, den gewohnten abendlichen Rundgang zu machen. Er habe sich aus diesem Grund stillschweigend entfernt, das Lager abgegangen und alles in bester Ordnung vorgefunden.
»Das war sehr wacker von euch«, entgegnete Mr. Hunt, »wiewohl ihr seht, dass mich einige Gläschen Genever, womit ich den Handel mit Jonathan Waterson noch besiegeln musste, niemals von meiner Gewohnheit und der Pflichterfüllung abhalten können. Was haltet Ihr vom Wetter?«, fragte er noch und erhob den Blick zum Firmament, das grau und schwer über der Landschaft lag.
»Es will mir nicht recht gefallen. Es ist zwar noch recht hübsch kalt, aber ich weiß nicht, mir ist, als fühlte ich doch so etwas wie Regen in der Nase.«
»Das will mir auch so vorkommen. Indessen, ich denke, wir könnten einen entscheidenden Witterungsumschwung nur willkommen heißen.«
»Ja, ihr habt recht! Wir haben nun gerade genug auf der faulen Haut gelegen.«
Die beiden Männer wünschten sich dann guten Schlaf und suchten ebenfalls ihre Lagerstätten auf.
In der Nacht begann tatsächlich ein Südwind zu wehen, der gegen Morgen an Kraft zunahm. Als die Insassen der Hütten mit dem ersten Morgengrauen ihre Nasen durch die Türspalten streckten, hatte der Wind zwar bereits etwas nachgelassen, doch der Himmel hing voller Wolken und es begann zu tröpfeln.
Und aus dem Tröpfeln wurde binnen kurzer Zeit ein starker Regen, der mit Macht auf die Erde niederprasselte und die Schneedecke binnen kurzer Zeit gewaltig durchlöcherte.
»Die Sache kann ernst werden«, sagte Donald MacKenzie zu Jonathan Waterson, der vor der Blockhütte stand und sich das Gesicht mit dem wässerigen Schnee abwusch. »Wenn der warme Regen nur einen Tag lang anhält, dann wird das Eis und der Schnee wie Butter in der Sonne schmelzen.«
»So wird es kommen. Dann wird uns ein ausgiebiges Hochwasser aber nicht erspart bleiben«, entgegnete Waterson. »Es liegen gewaltige Schneemassen weiter oben am Fluss.«
Und was er in Aussicht stellte, traf sogar am selben Abend noch ein. Als John Day und Joseph Miller, die sich trotz des Regens auf einen Jagdausflug begeben hatten, bei Einbruch der Dunkelheit ins Lager zurückkehrten, meldeten sie, dass der Nodaway River, der etwa eine Meile weiter oben in den Missouri mündete, bereits gewaltige, lehmgelbe Fluten talabwärts führte. Das veranlasste Mr. Hunt am anderen Morgen, alle Mitglieder der Gesellschaft und insbesondere die Bootleute in Bewegung zu setzen, um die Fahrzeuge unten in der Bucht gegen Wasserschäden so gut wie möglich zu schützen. Auch die reichhaltigen Warenlager in den Blockhütten mussten allenthalben noch gesichert werden.
In allen Dingen wohlüberlegt und tatkräftig ging man an die Arbeit. So konnte man schon nach wenigen Stunden allem, was kommen mochte, ruhig entgegensehen. Die Warenballen und Pulvertönnchen waren gut verstaut in den Hütten, die Boote lagen an den sichersten Plätzen und waren wohlverankert.
Und dann kam das Wasser in gewaltigen Mengen – nicht nur aus den Schleusen des Himmels, sondern auch aus dem breiten Bett des Flusses. Wild tobend und schmutzig gelb rollte der Missouri zu Tal, mit einer Wucht, als wolle er alles mit sich fortreißen. Das Wasser überstieg die Ufer und drang nach und nach bis an die Blockhütten, sodass die Männer doch noch manche Sorgenstunde überstehen und immer wieder neue Vorsichtsmaßnahmen treffen mussten.
Endlich, nach langen, bangen vier Tagen, ließ das Toben der Elemente nach und nach einer weiteren halben Woche hatte der Fluss wieder seinen gewöhnlichen Wasserstand erreicht. Der Himmel zeigte nun wieder andauernd ein heiteres Gesicht. Alles sprach dafür, dass der langersehnte Frühling endlich Einzug halten würde.
»Ich bin der Meinung, dass wir keine Stunde länger säumen, sondern aufbrechen sollten«, sagte Wilson Hunt am frühen Morgen des 24. April 1811, und alle waren einverstanden.
Sofort ging man daran, das Winterlager abzubrechen, alle Vorräte in den Booten zu verstauen und die gesamte Flottille abfahrbereit zu machen. Noch am selben Abend war die Arbeit getan und zur Abfahrt alles klar.
Am anderen Morgen wurde die Reise guten Mutes angetreten. Auch John Colter wollte mindestens noch einen Tag bei der Gesellschaft bleiben, dann aber umkehren. Er gedachte, sich dabei des Bootes zu bedienen, das ihm Jonathan Waterson gerne zur Verfügung stellte.
Der Fluss ging heute wieder recht hoch, denn über Nacht war ein starker Regen gefallen, wodurch das Wasser wieder etwas gestiegen war. Aber das junge Grün des Frühlings, das stellenweise schon merklich hervorbrach, bewog die Männer, sich durch nichts mehr abhalten zu lassen. Mochten die nächsten Wochen auch noch einige kleinere Witterungsrückschläge bringen, man musste sie eben in Kauf nehmen.
Da sich Mr. Hunt im Interesse des Unternehmens genötigt gesehen hatte, den Erfahrensten und Tüchtigsten unter den Jägern, die mittlerweile zu ihm gestoßen waren, zum Teil sehr erhebliche Zugeständnisse zu machen, bestand die Reisegesellschaft jetzt aus fünf Teilhabern. Man verfügte über vierzig kanadische Reisende und außerdem noch über ein Dutzend kriegstüchtiger und erfahrener Pelzjäger.
In dieser Stärke konnte man die Reise mit einiger Zuversicht antreten. Also war und blieb man guter Dinge und ging mannhaft daran, all die Schwierigkeiten zu überwinden, die der stellenweise sehr reißende Strom bot. Dabei zeichneten sich die kanadischen Reisenden besonders durch ihre Unermüdlichkeit, ihr fachmännisches Geschick und ihre praktische Erfahrung aus. Wo der gewöhnliche Ruderschlag nicht ausreichte, um die reißenden Stellen des Flusses zu bezwingen, wurden die Bootshaken zu Hilfe genommen oder die Fahrzeuge an überhängenden Bäumen und mithilfe von Tauen vom Ufer aus stromauf gezogen. Übrigens war jedes Boot mit einer Segelvorrichtung versehen, die man sich nach Möglichkeit zunutze machen würde.
So legte man an diesem ersten Tag eine große Strecke zurück und ging mit Eintritt der Abenddämmerung vor Anker. Am Ufer wurden alsbald mehrere Zelte aufgeschlagen und einige Feuer entzündet, an denen die kanadischen Reisenden das Abendessen bereiteten. Man lagerte um die wärmende Glut, aß und vertrieb sich nach dem Essen noch ein Stündchen mit Geschichtenerzählen. Mr. Hunt hatte es sich mit einigen Teilhabern ebenfalls an einem Feuer bequem gemacht.
»Sagt mal, Jonathan Waterson, wie ist das eigentlich?«, redete MacKenzie den ihm gegenübersitzenden Jäger in dieser Gruppe an, nachdem auch hier schon manches interessante Erlebnis erzählt worden war. »Eines hat mich heute und all die Tage zuvor sehr an euch gewundert.«
»Was wäre das?«
»Je nun, wir haben heute und die ganze letzte Woche, solange es so viel Wasser gab, alle unser Möglichstes getan. Es hat manchen Tropfen Schweiß gekostet. Da und dort sah man einen seine Stirn wischen. Ihr aber habt, soweit ich euch beobachten konnte, bei alledem nicht einmal den Hut gelüftet.«
Jonathan Waterson hatte aufmerksam zugehört, verzog aber sein Gesicht, als MacKenzie sein Verlangen also gekennzeichnet hatte, auf eine Weise, als ob ihm das, woran ihn der andere erinnerte, sehr wenig behagte. Alle anderen aber, die sich über die eigentümliche, ohne Zweifel selbst gefertigte Kopfbedeckung des Waldläufers längst gewundert und sich hinter seinem Rücken auch schon darüber lustig gemacht hatten, schmunzelten.
»Der Zufall wollte es«, fuhr Donald MacKenzie lächelnd fort, »dass ich euch auch heute bei der Morgentoilette beobachtete. Ihr seid dabei ebenfalls einigermaßen auffallend zu Werke gegangen.«
»Aber warum denn?«
»Ihr scheint es mit den Katzen zu halten.«
»Wieso das?«
»Nun, ihr habt euch zwar ganz ordnungsgemäß und sorgsam das Gesicht gewaschen, dabei aber angestellt, als sei euch darum zu tun, den Pelz nur ja nicht nass zu machen. Ihr habt dabei sonderbarerweise sogar den Hut auf dem Kopf behalten.«
»Kann schon sein«, entgegnete Jonathan Waterson zögernd, »und wenn es so war, dann hat das eben seine eigene Bewandtnis. Ich denke, Sie berühren da Dinge, über die ich nicht allzu gerne spreche.«
»Aber warum denn, so muss ich entgegnen? Warum nicht über etwas reden, das unseren Augen doch niemals verborgen bleiben kann? Das schwarze Tuch, das unter eurem verwitterten Filz hervorlugt, muss uns doch interessieren. Es dient doch sicherlich einem ganz bestimmten Zweck?«
Jonathan Waterson fuhr sich unwillkürlich mit der Hand über den Nacken, wo das besagte Tuch tatsächlich mehrere Finger breit unter dem Hut hervorstand. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass in dieser Gegend alles in Ordnung war, sagte er einigermaßen ärgerlich und verdrießlich: »Ich merke längst, worauf Ihr hinauswollt!«
»Merken Sie es? Nun ja, Sie können sich doch unschwer vorstellen, dass es in unserem Interesse liegt, zu erfahren, wie es kam, dass eine Rothaut einem so streitbaren und tapferen Mann wie Ihnen die Kopfhaut von der Schädeldecke nehmen konnte.«
»Verdammt, Sie werden zugeben, es ist nicht jedermanns Sache, von der schlimmsten Stunde seines Lebens zu reden«, entgegnete Waterson mürrisch. Er nahm für einen Augenblick die Hornspitze seiner Pfeife aus dem Mund und spuckte kräftig ins Feuer. »Zum anderen bin ich, ich muss es sagen, nicht ohne einige Eitelkeit, also ein Mann, der sein edles Haupt lieber mit natürlichen Haarlocken als mit einer Tuchbinde geschmückt sähe und daher nicht allzu gerne von seines Daseins schlimmstem Übel spricht. Ihr werdet zugeben, dass es für einen jungen Menschen, der auf sein Äußeres achtet, eine missliche Sache ist, von einer zu früh erworbenen Glatze zu reden.«
Alles lachte.
»Ich für meine Person kann Euch sagen«, versetzte Wilson Hunt, »dass ich in Eurem Fall anders dächte und keineswegs Verstecken spielte. Ihre Glatze ist unbestritten eine kriegerische Auszeichnung, auf die Sie sich im Gegenteil sogar etwas einbilden können. Ihr werdet weit und breit suchen müssen, ehe Ihr einen Mann findet, der es Euch darin gleichtut. Und warum wollt Ihr uns nicht wissen lassen, wie Ihr zu dieser Ehre gekommen seid?«
Jonathan Waterson schien diese Auffassung sehr zuzusagen. Er spuckte noch einmal ins Feuer, drückte mit dem Daumen der linken Hand die Asche in seinem Pfeifenkopf nieder und entgegnete, noch immer etwas süßsauer: »Na gut, wenn es denn sein muss, dann will ich die Geschichte erzählen, aber unter der Bedingung, dass auch John Colter eines seiner Abenteuer loslässt. Er hat seine Skalplocke ja noch glücklich auf dem rechten Platz, aber man sagt, dass auch er manchmal nahe daran war, sie zu verlieren.«
John Colter nickte und sagte zur Freude der Jäger zu.
»Nun denn, hört«, begann Jonathan Waterson zögernd, kam aber mit seiner Erzählung allmählich ganz gut in Fahrt. »Es ist schon so manches Jahr her. Damals war ich ganz oben am Missouri, an einem abgelegenen Ort. In meinem Leichtsinn dachte ich nie daran, dass mir die Blackfeet jemals gefährlich werden könnten. Zudem hatte ich mich mit allen Stämmen, die unmittelbar an mein Jagdgebiet grenzten, angefreundet. Und ich muss sagen, einige Zeit ging auch alles gut. Der Jagdgrund war vortrefflich und die Otter, auf die ich es hauptsächlich abgesehen hatte, drängten sich nur so in die Fallen. Aber«, fuhr Jonathan Waterson nach einer kleinen Pause fort, »in die Freude über das reiche Jagdergebnis teilte sich, wie ich bald merkte, auch noch eine andere Person. Wer mochte es sein, fragte ich mich, denn mir war nicht bekannt, dass sich ein zweiter Weißer in der Gegend niedergelassen hätte. Also kalkulierte ich, dass wohl eine Rothaut an den Ottern, die ich fing, Gefallen finden mochte. Die Fälle, dass man mir das Wild aus den Fallen nahm, mehrten sich, und zuletzt war ich voller Ärger. Der Nichtsnutz war wohl bemüht, jegliche Spur, die die heimliche Entführung der Beutestücke verraten konnte, zu tilgen, aber Jonathan Waterson hat sehr helle Augen, denen auch die unbedeutendsten Merkmale nicht zu entgehen pflegen. Als mir die Sache endlich zu bunt wurde, legte ich mich auf die Lauer und es dauerte auch nicht lange, da hatte ich die diebische Rothaut beim Schopf. Dass ich ihr das Interesse, das sie an meinen Otterfellen bekundete, recht derb versalzte, brauche ich euch nicht erst zu versichern.«
»Habt Ihr ihm einen gehörigen Denkzettel gegeben?«
»Das habe ich, und ich glaube, nach besten Kräften. Aber so viel ist ebenfalls sicher: Der Mann nahm mir das gewaltig übel. Er hetzte seinen ganzen Stamm gegen mich auf und eines Tages ging die geschworene Freundschaft glücklich in die Brüche. Was tun? Ich versuchte zunächst, mich auf dem Wege der Verhandlungen aus der Klemme zu ziehen, musste aber einsehen, dass das nur schwer gelingen würde. Also drohte ich, jeden, der mir zu nahe kam, niederzuschießen. Mir war natürlich klar, dass das wenig geeignet war, den Streit zu schlichten. Ich wollte damit vielmehr wenigstens so viel Zeit gewinnen, um mich in Sicherheit zu bringen.
Doch auch diese Rechnung machten mir die erbosten roten Menschen zunichte, denn sie belagerten schon in der folgenden Nacht meine Hütte und trieben mich, den einzelnen Mann, sehr in die Enge. Ich wehrte mich natürlich mit allen Mitteln, und mancher meiner Widersacher musste seine Dreistigkeit schwer büßen. Doch, ihr wisst es wohl, viele Hunde sind des Hasen Tod, und so brachten sie es schließlich fertig, mir mein Häuschen über dem Kopf anzuzünden.
»O weh!«
»So kam es, und das war eine gar böse Sache. Mein Leben lang werde ich daran denken, wie die roten Unholde zuletzt mit wildem Geschrei meine brennende Hütte stürmten, um dem Menschen, der sich einfach nur gewehrt hatte, das Lebenslicht auszublasen. Dass es ihnen nicht vollständig gelang, verdanke ich Umständen, die mir nicht bekannt sind. Es ging nämlich zuletzt wirklich heiß her! Ich weiß davon nur noch, dass mich die roten Teufel niederschlugen, als mir die Arme zu erlahmen begannen, und mich dann wahrscheinlich für tot liegen ließen. Aber Jonathan Waterson ist aus einem zähen Teig gebacken. Ich erwachte am anderen Tag aus meiner Betäubung und bekam bald so viele Kräfte, um mich davon zu schleppen – freilich nicht, ohne meine Haarlocke zurückzulassen, die mich, wie ich glaube, ausnehmend schön zierte. Die Raubeine hatten sie mir in der Nacht zuvor schon genommen.«
»Das war eine bittere Pille«, meinte John Colter, »die allerdings schwer zu schlucken sein mag.«
»Verdammt, das war es«, erwiderte Jonathan Waterson grimmig, »es war damals schwer hinunterzuwürgen, und auch heute noch drücke ich daran herum. Warum? Weil die Schädeldecke, obwohl die Wunde sehr schön vernarbte, doch noch immer so empfindlich ist, dass sie den Druck eines Hutes, wie ihn andere Menschen aufzustülpen pflegen, gar nicht vertragen kann. Ich lege, wie ihr bereits bemerkt habt, ein weiches Tuch darüber, das ich schlauerweise obendrein mit einem weichen Pelz fütterte. So ist das Gewicht des Hutes, der einem anständigen Menschen doch nicht fehlen darf, zu ertragen. Übrigens«, fuhr Waterson fort, nachdem ihm alle anderen Jäger ein warmes Wort des Beileids gesagt hatten und er sich an John Colter wandte, »soll nicht viel gefehlt haben, dass auch Euch die Blackfeet eines Tages um eure schöne Kopfzierde brachten. Ich hörte wenigstens davon, dass es Euch ganz oben am Missouri auch nicht zum Allerbesten erging.«
»Stimmt allerdings«, entgegnete John Colter, während er sich das Haar hinter dem Ohr kraulte und tiefsinnig in die glimmenden Reste des Feuers schaute. »Ich geriet eines Tages in jenen gesegneten Jagdgründen ebenfalls gar böse in die Klemme. Es gelang mir aber noch im letzten Augenblick, mich mit knapper Not in Sicherheit zu bringen. Sonst, wahrlich, konnte es mir wie euch passieren, dass ich mindestens meinen ehrenwerten Skalp dahinten ließ.«
»Erzählen, erzählen!«, riefen die Jäger. Und obwohl John Colter, wie zuvor Jonathan Waterson, geltend zu machen suchte, dass ihm jenes Geschehnis keineswegs eine angenehme Erinnerung sei und er noch nie gerne davon gesprochen habe, musste er seine zuvor gegebene Zusage schließlich einlösen.
»Nun denn, hört«, begann er etwas widerwillig, wurde aber im Verlauf seiner Schilderungen ganz von selbst etwas freier und wärmer. »Ich vermute, dass der eine oder andere von euch vielleicht schon davon hörte, dass ich seinerzeit die berühmte Reise der Herren Meriwether Lewis und William Clark über die Rocky Mountains mitmachte. Die beiden Kapitäne erhielten, wie allgemein bekannt, von der Bundesregierung den gefahrvollen Auftrag, als Erste in jene Wildnis vorzudringen.«
Mehrere Jäger bestätigten das.
»Nun, ich selbst gelangte aber nur bis zum oberen Missouri, weil mir manches, das auf jener Reise geschah, nicht recht gefiel. Ich trennte mich von den beiden und gedachte, mich, ganz wie Ihr, Jonathan Waterson, auf eigene Faust auf den Biberfang zu begeben. Zufällig traf ich auf meinem ausgewählten Jagdgrund noch einen anderen Jäger, eine gute, ehrliche Haut, einen Mann, mit dem ich die beste Kameradschaft pflegte.«
John Colter machte eine kleine Pause. Man ließ ihn ruhig gewähren.
»Wie Sie ganz richtig bemerkt haben, Jonathan Waterson, befanden wir uns im Bereich der Blackfeet und wussten beide, dass wir so gut wie verloren waren, wenn wir in ihre Hände fielen. Aber ich gestehe es gleich, eben diese Unsicherheit, das Bewusstsein, täglich und stündlich der größten Gefahr ausgesetzt zu sein, war für uns junge Leute, wie wir beide es ja waren, der Reiz an der Sache. Heute, als gereifter Mann, würde ich mich niemals dazu verstehen, mich allein oder zu zweit in solche Gefahren zu begeben. Ich bin vielmehr geneigt, unsere damals bewiesene Tollkühnheit als eine richtige Jugendsünde zu bezeichnen. Um euch eine Vorstellung davon zu geben, wie weit unser Wagemut ging, will ich nur darauf verweisen, dass wir uns den ganzen Tag an den waldigen Ufern der Flüsse und Bäche verborgen halten mussten, also unsere Fallen nur nach Einbruch der Nacht stellen konnten und sie noch vor dem Morgengrauen holen mussten. Wir ließen es also, um unser bisschen Leben zu sichern, an der nötigen Vorsicht nicht fehlen, aber eines Tages sollte es doch schiefgehen.«
»Wie immer … Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er endlich bricht.«
»So ist es, Jonathan Waterson, und vielleicht mag es sein, dass wir, von unserem Glück bis dahin verwöhnt, auch einmal etwas zu wagemutig geworden waren. Kurzum, wir befanden uns eines Tages an einem Seitenfluss des Missouri. Wir fuhren früh am Morgen, als es noch nicht taghell war, in unserem Kanu stromaufwärts, um nach den Fallen zu sehen. Die Ufer, das muss ich vorher noch sagen, sind dort sehr hoch, fast senkrecht, sodass wir uns im dunklen Schatten auf dem Wasser ziemlich sicher fühlten. Mit einem Mal sollte es damit jedoch vorbei sein, denn plötzlich glaubte ich, am Ufer menschliche Schritte zu hören. Ich argwöhnte natürlich sogleich, dass uns Gefahr drohe … Ich erinnere mich sehr gut daran, denn aus der Art des Geräusches schloss ich, dass diese nicht gering sein konnte. Denn hätten wir es nur mit einzelnen Rothäuten zu tun gehabt, dann wären sie wohl wie Schlangen vorsichtig durchs Ufergebüsch gekrochen. Ich war natürlich sofort für den Rückzug und suchte Pott, so hieß mein Genosse, ebenfalls dafür zu gewinnen. Der aber höhnte mich nur aus, ich würde den Tritt eines Indianers nicht von dem eines Büffels unterscheiden können. Kaum hatte er das gesagt, tauchten auf beiden Seiten des Ufers einige hundert Rothäute auf und erhoben ein furchtbares Geschrei, das nichts anderes bedeutete, als dass wir ans Ufer kommen sollten.
»Und das habt Ihr getan?«
»Was blieb uns anderes übrig? Vor uns, hinter uns und zu beiden Seiten wimmelte es nur so von dunklen Gestalten. Unter den gegebenen Umständen blieb also kein anderer Ausweg, als den Bug des Kanus dem Ufer zuzuwenden. Bevor wir aber noch aussteigen konnten, fielen die Wilden bereits über uns her und nahmen meinem Gefährten die Flinte weg. Im nächsten Augenblick entwand ich sie dem Roten und gab sie dem Gefährten zurück. Ich sprang nun vollends ans Ufer, während Pott das Boot wendete, um wieder die Mitte des Flusses zu erreichen. Aber ehe ihm das noch völlig gelang, schrie er mir zu, dass er wahrscheinlich von einem Pfeil getroffen worden sei. Pott wusste nur zu gut, dass Gnade nicht zu erhoffen war, und so schoss er daraufhin mit seiner Flinte auf die Wilden. Die Folge war, dass schon im nächsten Augenblick unzählige Pfeile die Luft durchschwirrten. Von dem Boot draußen auf dem Fluss war nur noch ein kurzer, schwerer Ächzer zu hören, dann wurde es ganz still. Mein Genosse hatte sein Leben lassen müssen. Nachdem sich die Blackfeet davon überzeugt hatten, dass Pott tot war, ließen sie von dem Boot ab, kehrten ihren ganzen Zorn aber gegen mich. Sie fielen zu Dutzenden über mich her, bis sie mich endlich gefesselt hatten. Dabei rissen sie mir buchstäblich die Kleider vom Leib. Dann banden sie mich an einen Baum, lagerten sich um mich herum und berieten, auf welche Weise ich sterben sollte.«
»Das war eine nette Unterhaltung, die Ihr mitanzuhören hattet!«
»Das war es, und ich verstand auch so ziemlich alles, was sie redeten. Ich hörte, wie der eine vorschlug, mich mit Pfeilen zu spicken. Andere wollten mit dem Tomahawk nach mir werfen. Wieder andere wollten, dass ich den Feuertod erleide. Aber der älteste Häuptling war für eine edlere Kurzweil. Er fragte mich, ob ich ein guter Läufer sei. Nun wusste ich, woran ich war: Es würde einen Wettlauf um mein Leben geben, und ich wäre das Wild, das die Unholde erjagen wollten.«
»Das konnte gut werden!«
»Das wurde es auch, und dass es so wurde, das suchte ich selbst herbeizuführen. Obwohl ich mir sicher war, dass ich im Schnelllauf nicht leicht zu überholen war, sagte ich dem Häuptling, ich könne mir schon denken, was er mit mir vorhabe. Er solle sich aber nicht mit derlei unnützen Gedanken beschäftigen, da es für alle Welt feststehe, dass ein roter Mann in der Schnelligkeit des Laufs nicht zu übertreffen sei.
Das war eine Schmeichelei und verfehlte nicht ihren Zweck.
Ganz richtig. Die List gelang, denn es dauerte nicht lange, da war die Bande einig. Alsbald erhob sich die ganze Sippschaft und führte mich auf die Prärie hinaus. Dort ordneten sich die jungen Krieger zu einer langen Reihe, doch ich wurde noch weitere vierhundert Schritte weggeführt. Dort ließ man mich frei und sagte mir, ich solle laufen, so gut ich könne, denn nur so könne ich mein Leben retten. Nicht lange dauerte es, da entstand ein furchtbares Geheul – das sichere Zeichen, dass die ganze Meute von Bluthunden bereits hinter mir her stürmte. Von diesem kritischen Augenblick an … Ihr werdet es mir wohl glauben, weiß ich nicht mehr viel. Ich erinnere mich nur daran, dass ich mehr flog als lief und mich über die Schnelligkeit meiner Füße wunderte. Aber konnte ich das Rennen über unzählige Meilen aushalten, hundert gegen einen? Zudem war die Prärie mit stacheligen Pflanzen bedeckt, die meine nackten Füße verletzten. Aber ich lief und lief, jeden Augenblick gewärtig, einen Pfeil daher schwirren zu hören, der meinem Herzen galt. Ich wagte es in meiner Flucht nicht, mich umzublicken, aus Angst, ich könnte auch nur eine Handbreit Raum einbüßen.«
John Colter verstummte und starrte in der Erinnerung an das fürchterliche Ereignis wieder eine kurze Weile düster vor sich hin.
Auch alle seine Zuhörer schwiegen. Wie mag es dem Mann damals in der Stunde seiner Todesnot ergangen sein!
»Schon hatte ich«, so hub John Colter nach einer Weile mit etwas belegter Stimme wieder an, »etwa die Hälfte der Strecke, die es zu durchlaufen galt, hinter mir. Und jetzt trat ein, was mich aufs Neue belebte, und mich anfeuerte, in meinen Anstrengungen trotz meiner schmerzenden Füße nicht nachzulassen. Das Geschrei hinter mir war nämlich erheblich schwächer geworden. Nun fasste ich auch den Mut, mich schnell einmal umzusehen. Und tatsächlich, der Großteil meiner Verfolger befand sich bereits in einiger Entfernung hinter mir. Einige der besten Läufer waren jedoch den Übrigen vorausgeeilt und eine schnellfüßige junge Rothaut war nur noch etwa hundert Schritte von mir entfernt. Nun verdoppelte ich meine Anstrengungen in solchem Maße, dass ich das warme Blut aus Nase und Mund rinnen fühlte. Aber ich wundere mich heute noch, meine Geistesgegenwart kam mir dabei keinen Augenblick abhanden. Ich wusste, dass ich bis zu dem Fluss, den ich erreichen musste, noch etwa eine Meile hinter mich zu bringen hatte. Also warf ich meine Beine wieder nach Kräften vor und lief und lief. Da endlich trat ein, was ich befürchtet hatte: Ich hörte zu meinem Schrecken die Schritte meines Verfolgers dicht hinter mir. Während ich lief, warf ich einen verstohlenen Blick über die Schulter und sah, dass die Rothaut sich anschickte, den, wie ich wusste, so gut wie unfehlbaren Wurfspieß nach mir zu schleudern. Was sollte ich tun? Ich hielt plötzlich an, wandte mich dem Wilden zu und breitete, ich weiß nicht warum, die Arme gegen ihn aus. Der Unhold nahm den Speer hoch erhoben in diesem Augenblick einen gewaltigen Anlauf, um die Waffe zu entsenden. Er war aber über meine unerwartete Wendung offenbar so erstaunt, dass er im letzten Augenblick stolperte und auf die Erde fiel. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, stürzte ich mit Blitzesschnelle über ihn her, ergriff den Schaft des Speeres und stieß ihn ihm in die Brust. Dann eilte ich weiter. Es dauerte nicht lange, dann hörte ich hinter mir die Totenklage anstimmen. Das war das sichere Zeichen, dass meine übrigen Verfolger ihren niedergestreckten Kameraden erreicht hatten und nun um ihn trauerten. Ich nutzte die kurze Zeit, die sie sich dadurch nahmen, so gut es ging, und gelangte an den Saum eines Waldes aus Baumwollstauden, der sich am Ufer des Flusses entlang zog. Flink arbeitete ich mich durch diese Wildnis und stürzte mich, sobald ich das Wasser sah, in den Fluss. Schwimmend erreichte ich eine kleine Insel, an deren oberem Ende sich eine Menge Treibholz angesammelt hatte. Unter diesem schwamm ich weiter und tauchte erst wieder auf, als ich an eine offene Stelle kam, an der das verschlungene Geäst der angeschwemmten Baumstämme eine Art Bedachung bildete, die sich einige Hände hoch über den Wasserspiegel erhob. Kaum hatte ich dieses Versteck erreicht und endlich, dem Ersticken nahe, etwas Atem geschöpft, erschienen auch schon die Wilden am Ufer, erhoben ein wütendes Geschrei, sprangen ins Wasser und schwammen auf das Holz zu, unter dem ich versteckt lag. Ihr könnt euch unschwer vorstellen, wie mir zumute war, als die Sippschaft immer näher an mich herankam und bald die eine, bald die andere schwimmende Rothaut meinen Leib beinahe berührte. Ich muss sagen, dass das, was ich während dieser schrecklichen Stunde empfand, um vieles schlimmer war als alles, was ihr vorausging. Endlich aber nahmen auch diese Qualen ein Ende! Die Wilden hatten das Nutzlose ihrer Suche offenbar eingesehen. Ich begann schon zu frohlocken, dass ich mich als gerettet betrachten könne, als mir der Gedanke kam, dass die unheimlichen Gesellen, ehe sie sich zufrieden gaben, das Holz in Brand stecken würden. Von dieser Furcht gepeinigt, hielt ich mich den ganzen Rest des Tages in meinem Versteck auf. Erst nach Einbruch der Nacht tauchte ich wieder auf, schwamm unter dem Holz weg und eine bedeutende Strecke flussabwärts. Aber damit nicht genug. Als ich an Land stieg, ging ich noch die ganze Nacht querfeldein, um eine möglichst große Strecke zwischen mich und meine blutgierigen Verfolger zu bringen.
Erst bei Tagesanbruch atmete ich freier auf. Endlich hatte ich die Gewissheit, einen so großen Vorsprung gewonnen zu haben, dass ich vor jenen Blackfeet sicher sein konnte. Doch nun quälte mich der Gedanke, wie es mir weiter ergehen würde. Ich war splitternackt in einer grenzenlosen Wildnis. Mir blieb nur die Hoffnung, einen Handelsposten der Missouri-Company an einem Arm des Yellowstone River zu erreichen. Sollte ich aber dorthin gelangen, hatte ich noch einige Tagesmärsche vor mir, was für meine von Dornen zerrissenen Füße wahrlich keine leichte Aufgabe war.
Ihr könnt euch also unschwer vorstellen, dass ich auch jetzt noch manche Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Tagsüber brannten die sengenden Strahlen der Sonne auf meinem Körper, nachts machten mich Tau und kalte Winde erzittern. Rings um mich sah ich eine Menge Wild auftauchen, aber ich war nicht imstande, etwas davon zu erlegen und meinen quälenden Hunger zu stillen. So ernährte ich mich notgedrungen von Wurzeln, die ich mühsam aus der Erde grub.
Trotzdem wanderte ich unverdrossen meinem Ziel entgegen, nur von einzelnen, fast unscheinbaren Merkzeichen geleitet. Und endlich, nach zehntägigen Qualen, erreichte ich jenen einsam gelegenen Posten, wo man sich meiner, ich muss sagen, sehr liebevoll annahm.
John Colter schwieg und sah gedankenvoll zum klaren Sternenhimmel auf. Auch die anderen Jäger blieben für eine lange Weile stumm. Diese Männer hatten neben den Freuden des edlen Weidwerks und des Umherstreifens in der unberührten Wildnis schon viele bittere Leiden erfahren und wussten daher das, was Colter ihnen soeben schilderte, wie niemand sonst zu würdigen.
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