Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 3 – Der rote Messias – 6. Teil
Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 3
Der rote Messias
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901
Kapitel 6
Der erste Streit
Nicht viel anders als hier war es fast zur selben Zeit in allen anderen Forts zugegangen. Sie alle waren von den Indianerstämmen, die dem jeweiligen Fort am nächsten wohnten und sich gleichzeitig erhoben hatten, im Sturm eingenommen worden. Nur der Schluss des Kampfes war oft ein anderer.
Die von dem roten Messias persönlich angeführten Sioux warfen sich nun auf ihre Mustangs und jagten auf das zehn Meilen entfernte Fort Pontival zu. Dort wollten sie sich mit den kämpfenden Indianern, ebenfalls einem Stamm der Sioux unter der Führung des Grauen Bären, vereinen, um dann geschlossen in Arkansas einzubrechen.
Vier Stunden brauchten sie für den Ritt. Am Nachmittag erreichten sie die hügelige Gegend, in der Fort Pontival lag. Zunächst nahmen sie einen Brandgeruch wahr, dann hörten sie das Kriegsgeheul der Sioux. Der Angriff auf das Fort musste also später stattgefunden haben. Als sie um einen Hügel bogen, lag das brennende Fort vor ihnen, in dem noch der Kampf Mann gegen Mann tobte.
Dieses Fort bot einen ganz anderen Anblick als Laramie gleich nach Beendigung der Erstürmung, nachdem die Indianer das Tor mit dem Baumwidder, dessen Handhabung Todespfeil allen Stämmen gelehrt hatte, erbrochen hatten.
Vor der Umfassungsmauer des sehr hoch gelegenen Forts lagen trotz ihrer prophezeiten Unverwundbarkeit zahlreiche Leichen von Indianern. Fast alle waren von Baumstämmen oder Felsstücken zerschmettert worden. Sie hatten das Tor wahrscheinlich nicht gleich beim ersten Anlauf mit der Ramme aufbrechen können und mussten länger davor arbeiten. Die Soldaten hatten von oben schwere Lasten auf sie gestürzt. Gegen den Tod durch Zermalmung waren die Indianer jedoch nicht gefeit gewesen; massenhaft bedeckten ihre Leichen den Eingang zum Fort.
Jetzt war die gesamte Besatzung niedergemacht worden. Die Rothäute waren durch den Verlust ebenso erbittert wie durch den Sieg berauscht. Da sie unter keiner energischen Führung standen, die sie zurückhielt, hausten sie im Fort wie die Bestien – oder eben wie Indianer.
Todespfeil hatte seinen Leuten keine Zeit gelassen, Skalpe und Beute zu sammeln. Er wollte weiter, weiter – fort von diesem Schauplatz, an dem das Skalpiermesser an Toten und noch Lebenden arbeitete, an dem die gefundenen weißen Frauen misshandelt und dann ermordet wurden, während man die Kinder ins lodernde Feuer schleuderte und ihre Köpfe an der Mauer zerschmetterte.
Es waren entsetzliche Szenen, wie sie sich in jedem Indianerkampf wiederholen.
Plötzlich hörte Todespfeil ein neues Kampfgeheul. Er stürmte, von einigen seiner Leute gefolgt, rasch in das brennende Fort – und da traf ein, was er gefürchtet hatte!
Die Indianer hatten sich, wie früher, wenn sie eine Handelskarawane überfallen hatten, des Branntweinvorrates bemächtigt. Das Feuerwasser erschien ihnen wiederum als das Begehrenswerteste auf Erden. Es war neben dem Skalp die schönste Beute, die dem Sieger winkte. In ihrer Wut und ihrem Siegesrausch hatten sie alle Warnungen des Messias und ihre eigenen Versprechungen vergessen. Sie wussten nicht mehr, was sie taten.
Und so ließen sie das Labsal, das irdische Sorgen vergessen und den Menschen zu Gott machte, in Eimer rinnen und tranken daraus oder schöpften es mit hohlen Händen aus den Fässern. Unter ihnen war auch der Graue Bär. Aber es gab auch Vernünftige, die mehr an die Zukunft dachten. Diese waren den Rasenden nachgeeilt und versuchten, sie mit drohend geschwungenen Waffen von den Fässern abzuhalten. Es war bereits zum Kampf gekommen.
Hier schlürfte einer das feurige Nass mit gierigen Zügen, dort röchelte ein anderer mit einer Todeswunde in der Brust am Boden. Sein Blut vermischte sich mit dem Branntwein und trotzdem leckte ein anderer es noch auf. Überall wurde getrunken und gemordet, es war eine blutige Orgie der furchtbarsten Art.
»Unglückliche!«, donnerte da Todespfeils Stimme über das Geheul. »Habt ihr meine Lehren vergessen? Ihr seid alle des Todes!«
Sofort verstummte der Lärm, die Rasenden kamen wieder zur Besinnung – wenn auch nur für kurze Zeit und ohne dass sich etwas änderte. Eine Beschämung war nicht vorhanden. Die vor Wut funkelnden Augen blieben dieselben. Und diejenigen, die die Trunkenen von den Branntweinfässern hatten abhalten wollen, blickten hilfesuchend zu ihrem Messias auf.
»Wer, nachdem er meine Worte gehört hat, auch nur ein einziges Mal wieder seine Zunge in Feuerwasser taucht, ist dem Tode verfallen«, fuhr dieser drohend fort. Und doch lag tiefer Schmerz in seiner Stimme. »Und wer das Blut seines roten Bruders vergießt, dessen Blut wird wieder vergossen werden, so spricht mein Vater, der Große Geist.«
»Wir haben sie nach deinem Befehl vom Feuerwasser abgehalten«, sagte ein Krieger, dessen Tomahawk von Blut gerötet war.
»Dennoch ist nun der Zauber von dir genommen und nur einmal konnte ich ihn dir geben«, entgegnete Todespfeil düster.
Da wankte eine riesige Gestalt heran. Es war die des Grauen Bären. Auch er hatte sich an dem Gelage beteiligt. Auch gegen ihn musste sich eine Waffe aus dem eigenen Stamm erhoben haben, denn über seine nackte Brust zog sich ein klaffender Riss. Das Feuerwasser hatte also das strenge Verhältnis zwischen Häuptling und Kriegern aufgelöst. Seine stieren Augen glühten. Wenn der Branntwein auch schon den Gebrauch seiner Glieder etwas gelähmt hatte, so war er doch noch Herr seiner Sinne.
»Du lügst!«, donnerte er Todespfeil an. »Liegen nicht draußen meine Krieger erschlagen? Dein Wort hat uns nicht unverwundbar gemacht! Nicht durch deinen Zauber, sondern durch unsere Tapferkeit haben wir dieses Fort erstürmt. Du sollst uns nicht wehren, den Bleichgesichtern ihre Skalps zu nehmen und ihr Feuerwasser zu trinken, das uns neuen Mut gibt. Denn so haben es unsere Väter auch gemacht. Wir sind tapfere Krieger, wir brauchen deinen Zauber nicht!«
Todespfeil blieb ihm die Antwort schuldig und rechtfertigte sich auch nicht. In dem Blick, mit dem er den trunkenen Häuptling maß, lag mehr Betrübnis als Verachtung und Zorn.
Erst das Zusammenbrechen des brennenden Forts beendete das Zechgelage und die blutige Orgie, und nur wenige Sioux des anderen Stammes schlossen sich dem Messias als Gläubige auf seinem Zug nach Osten an.
Schon hatten sich die Indianer also in zwei Parteien gespalten. Die einen hielten zu dem Verkünder der neuen Lehre, die anderen, berauscht und sinnlos geworden durch den ersten Erfolg, blieben bei der alten Sitte, den Krieg als ein blutiges Schlachtfest zu betrachten, bei dem auch Zechereien nicht fehlen durften.
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