Sagen der mittleren Werra 100
Von Eckardtshausen nach Förtha zieht sich links am Weg eine tief bewaldete Schlucht hin, die den Namen Toller Jägersgraben trägt, weil der tolle Jäger und das wütende Heer darin hausen sollen.
a)
Ein armer Kötzenflicker aus Förtha musste einmal nachts dort vorbeikommen. Da hörte er ein großes Spektakel im Graben; es klang, als würde der ganze Wald zusammenbrechen. Er sah auch, wie jemand seiner Meinung nach ein Stück Wild erlegte. Er dachte: Den lässt du hübsch links liegen! Und ging im Bogen um ihn herum. Als der Kötzenflicker vorbei war, konnte er es aber doch nicht übers Herz bringen. Er rief im Spaß: »Kann man da auch einen Braten davon kriegen!« Und machte sich dann auf den Heimweg. Kaum hatte er sich jedoch niedergelegt, flogen Haus- und Stubentür auf und es gab einen schweren Fall auf den Tisch.
Dem Kötzenflicker wurde es himmelangst, doch er stand auf, machte Licht und betrachtete das Geschenk. Zu seinem Schrecken gewahrte er das Viertel eines Pferdes, an dem sogar noch das Hufeisen hing. Am anderen Morgen hockte der arme Teufel den Braten auf und trug ihn an die Stelle, an der er am Abend zuvor das Stück Wild hatte auswirken sehen. Es half ihm aber nichts. In der folgenden Nacht passierte ihm dasselbe. Er hockte das Geschenk wieder auf und schaffte es an die gleiche Stelle. In der dritten Nacht ging es gerade so. Das war ihm dann doch zu viel. Er ging zu seinem Pfarrer und erzählte ihm den ganzen Vorfall. Der machte sich mit ihm auf den Weg zum tollen Jägersgraben und zitierte den Bösen selbst herbei. Und der kam auch. Der Pfarrer stellte dem Bösen daraufhin klar, dass der Mann die Äußerung nur im Scherz getan habe und nichts mit ihm zu tun haben wolle. Da der Böse sah, dass er hier nichts erreichen konnte, nahm er das Fleisch zwar wieder zurück, stach dem ehrlichen Kötzenflicker aber beim Weggehen eine derbe Ohrfeige ins Gesicht, sodass dieser am dritten Tag seinen Geist aufgab.
b)
Schlimm erging es einem Säufer aus Förtha. Er hatte sich, wie es üblich war, in Eckardtshausen einen ordentlichen Rausch angetrunken. Als er des Nachts am tollen Jägersgraben vorbeikam, hörte er den Bösen darin jagen, Schuss auf Schuss fallen und sah auch, wie jemand ein Stück Wild erlegte. In seiner Trunkenheit trat er keck auf ihn zu und verlangte seinen Teil davon. Ehe er sich versah, hatte er auch schon ein Hinterviertel auf dem Buckel.
Als er damit nach Hause kam, fragte ihn seine Frau, was das solle. Er antwortete barsch: »Halt’s Maul, wirst’s morgen schon sehen, ein Hinterviertel von einem Hirsch!« Und hing das Fleisch an die Wand. Seine Frau untersuchte den Braten jedoch genauer, sah bald, was es war, schimpfte, dass er sich ein Pferdeviertel habe aufhocken lassen, und stieß ihn mit der Nase auf das noch am Huf hängende Eisen. Da nahm der Säufer fluchend das Fleisch von der Wand und warf es auf den Mist. Gleich darauf hing es jedoch wieder an seinem Haken, und das geschah jedes Mal, wenn er es hinauswarf, sodass es ihm schließlich selbst angst und bange wurde und er um Rat fragte.
Man sagte ihm, er müsse das Fleisch zur selben Stunde an den Ort zurückbringen, von dem er es geholt habe, und dabei ein Vaterunser beten. Das Erstere tat er, das Vaterunser aber vergaß er. Und so kam der Teufel, nahm ihm das Fleisch ab und packte ihn gleichzeitig am Kragen, um ihn mit sich durch die Lüfte zu führen.
c)
»Ich glaube ja nicht an so etwas«, begann der alte Senf aus Kupfersuhl, »aber es ist wahr, dass sie mir vor siebzig Jahren, als ich noch in Förtha wohnte, viel vom tollen Jäger erzählten. Mal soll er große Jagd im tollen Jägersgraben gehalten haben, mal soll er auf einem Gaul ohne Kopf erschienen sein und die Leute in Angst und Schrecken gesetzt haben. Am meisten, so sagten sie, hatten die Mühlknappen von Förtha unter ihm zu leiden, wenn sie nach Eckardtshausen Mehl ritten oder fuhren und auf dem Rückweg am tollen Jägersgraben vorbeikommen mussten.
Denen sprang er von hinten auf den Gaul oder warf sich auf den Karren, sodass sie diesen kaum von dem Platz bringen konnten.«

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