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Der lustige Kirmesbruder – Teil 9

Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Der lustige Kirmesbruder
welcher durch listige Ränke auf den Kirmessen die Bauern und andere Personen unterhalten und vergnügt gemacht hat

Achte Kirmes

Wie der lustige Kirmesbruder mit den herrschaftlichen Leuten, dem Hofmeister und dem Kammermädchen in Gesellschaft kommt und eine gute Rolle spielt

In Osteriz war es Sitte, dass die Herrschaft ihren Dienstleuten die Kirmes beim Hofmeister auf dem anderen Gut ausrichtete. Dabei musste der Hofmeister stets mit dem Kammermädchen anwesend sein, damit es ordentlich zuging und jeglicher Unfug verhindert wurde. Diese Kirmes besuchte ich ebenfalls und erlebte dort manche lustige Stunde. Der Hofmeister und das Kammermädchen waren außerordentlich gut gelaunt und nirgends ging es toller zu als hier. Von dem klugen Hofmeister habe ich dabei viele Kunst- und Handgriffe gelernt, die mir einiges begreiflich machen, nämlich, wie es wohl kommt, dass die Junker so schön und so artig mit den Frauenzimmern umgehen können und bei ihnen so wohlgelitten sind. Der Herr Hofmeister war in dieser Sache ein Meister, und das Kammermädchen schien mit seinem Betragen höchst zufrieden zu sein. So lebten wir wirklich herrlich und äußerst vergnügt, zumal das Kammermädchen sich auf diese Kirmes gut vorbereitet hatte. Zunächst wurde eine delikate Schokolade getrunken, die, wie ich vermutete, verliebt machen mochte, denn ich empfand nach dem Genuss derselben angenehme Beängstigung. Auch durfte ich das Kammermädchen kosten, das mir ganz kirre zu sein schien. Bei Tisch hatten wir viele Flaschen Wein zu trinken, die das Kammermädchen zu Gefangenen gemacht hatte und die bei dieser Gelegenheit ihres Arrests entlassen worden waren. Kurz, wir konnten hier einmal richtig ausgiebig feiern. Nach der Mahlzeit wurde das bekannte Spiel Wie gefällt dir dein Nachbar gespielt. Dem Hofmeister gefiel dabei gewöhnlich seine Nachbarin, die Kammerjungfer, und der Kammerjungfer gefiel der Hofmeister. Es geschah also selten, dass ein anderer Nachbar erwählt wurde. Wir Bauerburschen können es natürlich nicht so manierlich machen wie ein solcher Herr mit weichen Fäusten, denn unsere Hände sind gemeinhin hart und wir sind daher das derbe Zugreifen gewohnt. Danach wurde die Musterung gespielt, wobei der regierende Herr jeden fragte, wie alt er sei, wie lange er gedient habe und ob er alles richtig bekäme. Der Hofmeister sagte vorher jedem insgeheim, wie er antworten sollte. Als er zu mir kam, sprach er: »Wenn du gefragt wirst, wie alt du bist, so sage: vierundzwanzig Jahre. Fragt der Herr weiter: Wie lange hast du gedient?, so antworte: Sechs Monate. Dann hat es seine Richtigkeit.« All dies merkte ich mir genau. Nun stellte das Kammermädchen den regierenden Herrn vor. Sie hatte sich eine solche Miene und ein solches Ansehen angeeignet, dass man deutlich erkennen konnte, dass sie später in ihrem Haus die Oberherrschaft gut verwalten würde. Sie fragte jeden von uns der Reihe nach und kam schließlich auch zu mir. Als sie mich fragte, wie alt ich sei, antwortete ich: »Sechs Monate.« Dann fragte sie weiter: »Wie lange hast du deinem Herrn gedient?«

Ich gab zur Antwort: »Vierundzwanzig Jahre.«

»Kerl!«, sprach sie, »du bist ein Narr!«

Ich wusste nicht gleich, was ich darauf sagen sollte. Schließlich erinnerte ich mich aber an die letzten Worte des Hofmeisters und wiederholte sie: »Es hat seine Richtigkeit.« Darüber entstand ein nicht geringes Gelächter. Dabei beobachtete ich das unterschiedliche Spiel der Liebe ganz besonders und musste mich über den Herrn Hofmeister und das Kammermädchen wundern, die hier weit vertrauter miteinander umgingen, als sie es sonst auf dem Edelhof taten. Nach einiger Zeit verfiel man auch auf das Kartenspiel, wobei nun viele possierliche Streiche vorkamen. Der allerscherzhafte darunter war folgender: Ich bat den Herrn Hofmeister heimlich, mir seine Schnupftabakdose auszuleihen, um einen Spaß damit zu machen. Nur sollte er danach keine Prise davon schnupfen. Der Herr Hofmeister erlaubte mir dies. Nun hatte ich von der Zeit, in der ich mich als Arzt ausgegeben hatte, noch etwas klar gestoßenes Euphorbium übrig, das ich zu meinem Glück in meinem Rock stecken hatte. Dieses Euphorbium mischte ich unter den Schnupftabak und gab die Dose dem Herrn Hofmeister zurück. Die Bauern, Knechte und Frauen, die alle von der Güte seines Tabaks überzeugt waren und ihn schon vorher oftmals gekostet hatten, baten sich fortwährend Prisen aus. Der Herr Hofmeister war so höflich und gab seinen Schnupftabak völlig preis, indem er die Dose auf den Tisch stellte. Um aber allen Schein zu vermeiden, taten er und die Kammerjungfer so, als ob sie ab und zu eine Prise nähmen. Die Dose bekam sehr viel Zuspruch, doch die Liebhaber wurden für ihre Bemühungen gut bezahlt, denn diejenigen, die am meisten davon geschnupft hatten, empfanden bald ein Jucken an den Nasen, die ihnen aufliefen wie Kaulpatzen. Es war eine himmlische Lust, die großnäsigen Weiber und Männer zu erblicken, die sich unaufhörlich die Nasen rieben und zusahen, wie diese immer größer wurden, je mehr die armen Leute rieben. Niemand kam auf die Idee, dass die Ursache dem Schnupftabak zuzuschreiben wäre, da die Kammerjungfer, der Hofmeister und ich auch davon geschnupft hatten, ohne dass unsere Nasen aufgeschwollen wären. Man war daher durchgängig der Meinung, dass diejenigen, die solche aufgequollenen Riecher bekommen hatten, etwas Giftiges angetastet und sich dann mit diesen vergifteten Fingern die Nase berührt haben mussten. Es wäre vielleicht sogar ein Prozess daraus geworden, wenn man nicht den Vorschlag gemacht hätte, dass man sich nur richtig reiben sollte, weil es von selbst wieder vergehen würde. Endlich setzten sich die großen Nasen wieder, und ich freute mich, dass ich hierdurch einen solchen Scherz angerichtet hatte. Bevor wir aufbrachen, gingen wir noch in den Garten, wo sich Teiche mit Kähnen befanden. In diese setzten wir uns und hatten so unseren Spaß, indem wir auf den Teichen herumfuhren, einen schönen Zeitvertreib. Dabei führten wir vornehmlich den Richter an, der sich in einem anderen Kahn befand. Als er sah, dass es in dem Kahn, in dem der Hofmeister, die Kammerjungfer und ich uns befanden, sehr lustig zuging, wollte er auch dabei sein. In dieser Absicht fuhr er mit seinem Kahn an unseren heran, um zu uns herüberzusteigen. Da er jedoch im Steigen begriffen war, stieß ich unvermerkt mit dem Ruder ab und der gute Richter fiel wie ein Hecht, der sich von der Angel losgerissen hat, ins Wasser. Nun musste er sich alle Mühe geben, um unseren Kahn zu erwischen. Dabei hätte aber nicht viel gefehlt, so hätte er ihn, da er ein schwerfälliger Mann war, umgerissen. Indes kam er noch glücklich in denselben, nur war er nun wie eine gebadete Maus und musste sich später umkleiden. Nach diesem Vergnügen gingen wir wieder in die Schenke, wo nunmehr Anstalten zum Tanzen getroffen wurden. Davor begab ich mich zu dem Schirrmeister, ließ mir Pferdestaub geben und streute diesen auf den Fußboden. Durch das Tanzen stieg der Staub in die Höhe und legte sich den Frauenzimmern an die Leiber, wo er ein Jucken und Fressen verursachte, als hätten sie Flöhe. Es war eine Lust zu sehen, wie sie sich immer in eine Ecke begaben, um sich zu rütteln und den Luftspringern, die ihrer Meinung nach in ihnen wohnten, das Fleisch aus den Zähnen zu rücken. Dessen ungeachtet dauerte das Tanzen die ganze Nacht hindurch, und wir genossen dabei noch manches Vergnügen. Am frühen Morgen trennte sich die gesamte Gesellschaft. Da es die letzte Kirmes war, nahm auch ich als lustiger Kirmesbruder von den Kirmesgesellschaften Abschied.

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