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Das Marktg’schlärf von Wolfratshausen …

Das Marktg’schlärf von Wolfratshausen, der Raub- und Mordritter Judas von Teufelsnest und der fromme Pilger und heilige Märtyrer Konrad Nantovin
Eine höchst schauerliche Ritter-, Räuber-, Mörder- und Gespenstergeschichte aus dem 13. Jahrhundert
Altötting, ca. 1860

Die Todesqualen der Tortur

In den Abendstunden eines Montags war die große Zechstube des Wirtshauses Zum feurigen Lindwurm in Wolfratshausen gefüllt mit Schmiede- und Schlossergesellen, Floßknechten, Zimmerleuten und vielen Arbeitern anderer Gewerke. Auch einige Diener aus dem herzoglichen Schloss auf dem Berg befanden sich unter ihnen. Sie wurden von den anderen mit misstrauischen Blicken bedacht, da sie sie für Spione des verhassten Ganterus hielten, eines ungerechten, grausamen und habsüchtigen Richters der Grafschaft Wolfratshausen – und das zu Recht. Er wurde so sehr gefürchtet, dass niemand in jenem Wirtshaus einkehrte, sobald er als Gast darin saß. Wäre Ganterus nun plötzlich in den vollen Raum getreten, so wären ganz gewiss alle Anwesenden, mit Ausnahme der herzoglichen Diener und einiger augendienerischer Anhänger, sofort und ohne auszutrinken fortgegangen, angeblich aus Ehrfurcht, um dem gestrengen Herrn Richter nicht lästig zu fallen.

Ein Mann, der Wert auf Ehre legt, wäre durch ein solches, der Verachtung ähnliches Benehmen tief gekränkt worden. Da Ganterus aber wusste, dass er von keinem Menschen aufrichtig geliebt wurde, begnügte er sich damit, allgemein gefürchtet zu sein.

In freundlicher Einigkeit sangen die Arbeiter lustige Oberländlerlieder, aber keine Trutzlieder, um den Frieden nicht zu stören. Nachdem sie genug gesungen hatten, rief der Schmiedegeselle Cyprian: »Wer kann eine schaurige Geschichte erzählen, bei der einem ganz übel wird und vor Schrecken der Magen sich im Leib umkehrt?«

»Ja, so etwas von der Tortur!«, äußerte der Floßknecht Töffel. »Das passt gerade, weil übermorgen der strenge Herr Richter Ganterus wieder zwei auf die Folter legen lässt.«

»Warum denn?«

»Das weiß bis jetzt kein Mensch.«

»Auch nicht die beiden, die auf die Folter gelegt werden?«

»Auch nicht. Auf der Folterbank wird es ihnen schon bekannt werden, was sie verbrochen haben.«

»Oh, ihr armen Teufel!«

»Teufel sind sie nicht und auch nicht arm. Ja, sie sollen sogar viel Geld haben und reich sein.«

»Aha, jetzt geht mir ein Licht auf!«

»Mir auch eines!«

»Also haben wir jetzt zwei Lichter, die zwar nicht leuchten, mit denen wir uns aber zufriedengeben müssen, bis es der Wirtin einmal beliebt, uns auch nur ein einziges Licht auf den Tisch zu setzen.«

»Es ist noch hell genug«, kreischte Wirtin Renata Zapf durch die offene Tür der Küche herein, »um zu trinken. Probiert’s nur und trinkt fleißig, und ihr werdet sehen, dass ihr den Krug und das Maul findet, auch ohne Licht!«

»Die Zapfin hat heut’ wieder auf und ein Maul wie ein Schwert!«

»Brauch’s schon!«, brummte sie.

Ein lautes Gelächter erscholl.

»Ja, was ist denn mit der Tortur-Geschichte? Rührt sich niemand?«

»Von der Tortur kann ich euch viel erzählen, auch wenn es keine ganze Geschichte ist«, sagte der Schlossergeselle Valentin.

»Nur heraus damit!«

So wurde hin und her gesprochen, bis Valentin seine Erzählung von der Tortur losließ.

»Ihr wisst, dass ich anderthalb Jahre lang in Regensburg als Schlossergeselle diente. Auch hätte ich meinen guten Dienst nicht so bald verlassen, wäre ich nicht durch die Furcht vor der Tortur verjagt worden.«

»Hast du denn gestohlen oder jemanden umgebracht?«

»Mach keinen so dummen Spaß!«

»Nun, es war nicht böse gemeint. Alle, die dich kennen, wissen, dass du ein grundehrlicher Mensch bist.«

»Weltbekannt ist es«, fuhr Valentin fort, »und auch ganz begreiflich, dass Schlossergesellen, wie alle Feuerarbeiter, viel und oft Durst haben. Ist’s nicht wahr, Cyprian?«

»Wahr ist’s!«, antwortete dieser.

»Und weil mein Durst nie aufhören wollte, wie eine unheilbare Krankheit, kehrte ich in jeder freien Stunde in unsere Herberge ein. Dort fand ich oft den Vogteipfleger, einen reputierlichen Mann, der sich gerne mit mir unterhielt, weil ich ihm allerlei tolles Zeug vorschwindelte. Er war ein Schwager unseres Herbergsvaters. Als er vom Gericht den Auftrag erhielt, alle Schlösser des Gefängnisses in Ordnung zu bringen, ließ er diese Arbeit meinem Meister unter der Bedingung zukommen, dass ich sie ausführe.

Der Vogteipfleger war mit meiner schnellen und guten Arbeit so zufrieden, dass er meinem Wunsch nachkam und mir die Werkzeuge der Tortur in der Folterkammer zeigte. Es graute mir vor dem, was ich sah, und ich wünschte, ich hätte es nicht gesehen. Rechts neben dem Verhörgitter befindet sich die Streckbank mit einer Rolle, an der 400 abgerundete, keilförmige Stifte befestigt sind. Diese werden gespickter Hase genannt. Daneben steht die Aufzugsmaschine mit einem hölzernen Dreieck, die schlimme Liesel genannt wird. An ihr wird der Unglückliche mit den Armen rückwärts gebunden und an seinen Füßen werden schwere Steine, die größten davon gegen einen Zentner, gehängt. Er wird dann dreimal aufgezogen und wieder niedergelassen.

Manchmal werden die Füße des Menschen an zwei runde eiserne Klammern unter der Maschine festgemacht und er mit nach hinten gebundenen Armen in die Höhe gezerrt, bis der Blutrichter das Krachen der aus ihren Pfannen tretenden Achselknochen hört. Im milderen Fall wird er daraufhin mit zwei Fackeln zugleich in die Seiten gebrannt, im verschärften Fall mit einer Fackel abwechselnd jede Seite. Im Grundbalken der Triangel befinden sich zwei hölzerne Zapfen. Eine andere Art der Folter besteht darin, dass der zu Folternde an der Triangel so gebunden wird, dass die Zapfen auf seine Brust gerichtet sind. Darauf wird er in die Höhe gezogen und sein Rücken durch Geißelhiebe zerfleischt.

In dieser Folterkammer sah ich außerdem den sogenannten spanischen Esel: ein aufrecht stehendes, oben scharf zugespitztes Brett, das nahezu sechs Fuß hoch und anderthalb Zoll dünn ist. Darauf wird der Unglückliche entkleidet rittlings gesetzt. Seine Füße werden durch Steine beschwert und straff angezogen. Dies wird genannt: Ihm die Sporen anlegen. Ein anderes Marterwerkzeug ist der sogenannte Beichtstuhl oder Jungfrauenschoß, der wie ein Armsessel aussieht. Der Sitz besteht aus einem hölzernen Kissen, das mit hundert hölzernen Zwecken versehen ist. Darauf wird der zu Folternde entkleidet gesetzt. Ihm wird ein Zentnerstein auf den Schoß gelegt. Durch seine Arme wird rückwärts eine achtkantige Walze gesteckt und die Hände werden auf der Brust zusammengebunden.

Die Walze wird an beiden Enden fortwährend durch die Henkersknechte umgedreht. Außerdem befindet sich dort eine ungefähr 20 Schuh hohe Leiter, die mit vier dreischneidigen, beweglichen Walzen versehen ist. In der Henkersprache wird sie Rutschbahn genannt. Auf ihr wird der Unglückliche auf- und niedergezogen oder wie bei der schlimmen Liesel ausgespannt und gebrannt. Ein ungefähr vier Schuh hoher hölzerner Leuchter, auf dessen beiden Armen je eine Kerze brennt, ist mit einem Kruzifix zum Trost der armen Sünder versehen.

»Bist du jetzt fertig?«, fragte Cyprian.

»Ja.«

»Es geht noch etwas ab.«

»Was denn?«

»Der Teufel, der vor dem Anfang einer solchen Schinderei den Richter samt seinen Bluthunden in tausend Stücke zerreißen sollte.«

»Das wäre gar nicht so übel«, meinte Töffel, »vielleicht würde dann diese höllische Wirtschaft bald überall ein Ende nehmen.«

»Es gibt einen, der es noch ärger macht, wie ich gehört habe«, äußerte der Bauer Kurt nach einem langen Zug aus seinem Bierkrug.

»Wer denn?«

»Wer denn sonst als der von Gott verfluchte Ritter Judas von Turmstein, dessen Burg zwischen hier und Tölz weit und breit nur Teufelsnest genannt wird.«

Da sprang ein Reisiger auf, der bisher in einer Ecke der Stube ruhig und lauernd vor seinem Krug gesessen hatte. Er trat hastig zu dem Bauern hin, die rechte Hand an den Knauf seines Schwertes gelegt, und donnerte ihm mit grimmigem Blick zu: »Elendes Bäuerlein, wie kannst du es wagen, gegen den rechtschaffenen Ritter Judas von Turmstein zu schimpfen?«

»Rechtschaffen, rechtschaffen«, schrien alle übrigen Anwesenden zu gleicher Zeit und brachen in ein schallendes Hohngelächter aus.

»Ruhig da drin!«, rief die Wirtin Zapf von der Küche aus. »In meinem Haus darf nicht gerauft werden.«

In diesem Augenblick ging die Tür auf und ein junger Mann trat rasch in die Stube. Er wurde von allen Gästen, mit Ausnahme des Reisigen, der noch mit halb entblößtem Schwert vor Bauer Kurt stand, mit Jubel begrüßt.

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