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Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 3 – Der rote Messias – 5. Teil

Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 3
Der rote Messias
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901

Kapitel 5
Die Erstürmung des Forts

»Das ist unmöglich, ich habe das nur geträumt«, ächzte der Oberst und rieb sich den zerschlagenen Kopf. »Wie kam der Kerl über die Mauer?«

»Sie werden noch etwas ganz anderes erleben, Oberst«, sagte der Missionar ernst. »Sie werden sehen, dass ich recht hatte, wenn die von ihm angeführten Indianer all Ihren Magazinkugeln und Kartätschen trotzen. Noch geschehen Zeichen und Wunder. Doch ich habe meine Pflicht getan, ich habe Sie gewarnt.«

»Sie kommen, sie rücken an!«, schrie es da auf einmal.

Im Augenblick der Gefahr kehrte dem Oberst die Besinnung zurück. Mit donnernder Stimme erteilte er Kommandos. Die Soldaten eilten schnell auf ihre Posten. Dann wurden die stets geladenen Kanonen auf die Rothäute gerichtet, die nun in geschlossener Reihe aus dem Wald stürmten.

Es war eine seltsame Reihe, die sie bildeten, eine Art doppelter Gänsemarsch. Erst als sie näherkamen, erkannte man, dass es ungefähr hundert Mann waren, die einen langen, schweren Baumstamm zwischen sich trugen. Dieser Versuch, das Tor auf solche Weise zu rammen, war eine ganz neue Methode in der indianischen Kriegführung. Die Rothäute schienen die Wirkung der Geschütze ganz vergessen zu haben. Die hinter ihnen her schwärmenden Indianer waren so wahnsinnig, sich nur mit Bogen und Pfeilen zu bewaffnen, und Gewehre hatten sie gar nicht.

»Feuer!«

Ein furchtbarer Donner, eine einzige Rauch- und Staubwolke – doch der Rammbock tauchte, von zweihundert Armen getragen, mit unverminderter Schnelligkeit daraus hervor.

Noch mehrere Geschützsalven wurden abgegeben – aber ohne Erfolg, kein Mann stürzte.

»Himmel und Hölle!«, fluchte der Oberst mit aschbleichen Lippen. »Werden denn diese Rothäute wahrhaftig vom Teufel angeführt, oder bin ich verhext? Einzelfeuer!«

Kanonen und Gewehre krachten, doch dann donnerte der Rammwidder gegen das eiserne Tor. Mit einem einzigen Stoß war es gesprengt und die Indianer fluteten herein.

Die Fortbesatzung bestand aus allesamt im Grenzkampf erprobten Männern und nicht aus Feiglingen. Sie wollten im offenen Kampf in dem Hof sterben und sich nicht im Fort ausräuchern lassen, denn nun, da die Indianer einmal so weit vorgedrungen waren, war ja alles verloren.

Als Erster stürmte der Oberst voran, den Degen in der Faust, und als Erster stürzte er auch nieder, einen Pfeil im Herzen. Zum Kampf Mann gegen Mann kam es gar nicht, denn ein Pfeilhagel warf die gesamte Garnison zu Boden.

»Kein Bleichgesicht wird gefangen genommen!«, übertönte jetzt Todespfeils Stimme das letzte Kampfgetöse. Darauf eilte er in die Wachstube, bemächtigte sich der Schlüssel und begab sich mit einigen anderen Häuptlingen in den Keller, wo die Branntweinfässer lagen. Diese wurden auf die Pulverkartätschen gesetzt und dann legte man die Zündschnur daran.

Es hatte nicht einmal eine halbe Stunde gedauert, da sahen die sich zurückgezogenen Indianer, wie Fort Laramie, in dem der ewige Friedens- und Freundschaftsvertrag geschlossen worden war, der stets dem Wort, nie dem Sinn nach gehalten worden war, mit allen Toten und Lebenden, die sich darin befanden, unter einer Feuergarbe, begleitet von ihrem Freudengeheul, in die Luft flog.

Dann aber richteten sich alle Augen in ehrerbietigem Staunen, ja, fast mit geheimem Grausen, auf den Mann, der sich den Sohn des Großen Geistes nannte.

Todespfeil befahl, die verwundeten und toten Indianer vor ihn zu bringen.

Es gab nur Leichtverwundete, die fast ausnahmslos Quetschungen davongetragen hatten, wie es beim Rammen des Tores und dem wilden Durcheinander im Hof fast unvermeidlich gewesen war.

Nur zwei Tote wurden vor ihm niedergelegt. Der eine war durch einen Pfeil getötet worden, der ihm von hinten in den Hals gedrungen war. Er war also versehentlich, wie es bei einem solchen Handgemenge geschehen konnte, von dem Geschoss eines Kameraden getroffen worden. Den anderen fand man noch im Wald, und dieser hatte die Spitzkugel eines amerikanischen Soldaten in der Brust.

»Hier ist der Beweis«, sagte Todespfeil mit tiefer Stimme. »Die Feuerwaffen der Bleichgesichter können euch nicht treffen, nicht verwunden. Der große Geist macht euren Körper dagegen hart wie Stahl. Der Pfeil des Indianers aber durchdringt den roten Bruder nach wie vor. Deshalb seid einig, und ihr werdet unbesiegbar sein. Und dieser hier?«, fragte er und deutete auf den anderen Toten.

»Es ist Büffelkopf. Er hat gestern heimlich Feuerwasser getrunken«, entgegnete der Rote Adler finster. Ein bestätigendes Murmeln ging durch den Kreis der Umstehenden.

»Auf!«, rief nun Todespfeil. »Vereinigen wir uns mit unseren Brüdern, die die anderen Forts eingenommen haben! Dann ziehen wir zum Rachezug gegen Osten, von dem wir vertrieben worden sind!«

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