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Mörder und Gespenster – Band 1 – 9. Teil

August Lewald
Mörder und Gespenster
Band 1

Der Werwolf

Kapitel 9

Ergriffen von den Schrecken des Todes, ohne seine Schwelle zu betreten, eilte er zu dem Geistlichen, der ihm den Rat erteilt hatte, dem Werwolf die Hand abzuhacken.

»Ei, was seht Ihr doch so bleich aus, Meister!«, rief ihm der Pfarrer entgegen.

Darauf erzählte er ihm alles, was er erlebt hatte, und wie er dem Werwolf die abgehauene Hand aufs Lager gelegt hatte. Dieser hatte sie ihm jedoch unter der Decke hervorgestreckt und ihm so bewiesen, dass er seine beiden gesunden Hände besaß.

Der Geistliche schüttelte mit Ernst und Würde den Kopf, sah lange vor sich hin und sprach dann bedenklich: »Mein lieber Meister, Sie haben sich da in einen schlimmen Handel eingelassen …«

»Und habt Ihr mir nicht dazu geraten!«, rief der Metzger entsetzt. »Habe ich nicht gesagt, du sollst den Werwolf zeichnen, damit sein Blut fließt und er gezwungen wird, unser Dorf zu verlassen?«

»Dazu riet ich Euch wohl, Meister«, versetzte der fromme Mann, »allein dann hättet Ihr auch gewiss sein müssen, dass Ihr es mit dem Werwolf zu tun habt und nicht mit dem Vetter des Werwolfs, dem Gott sei bei uns!«

Er bekreuzigte sich. Der Metzger tat es ihm gleich und stand ihm erwartungsvoll, die großen, kalten Schweißtropfen auf der Stirn, gegenüber.

»Saht Ihr denn niemanden neben dem Werwolf sitzen?«, fuhr der fromme Mann fort.

Der Metzger machte große Augen.

»War der Werwolf stets allein, wenn er Euch anfiel?«, fügte der andere hinzu. »Wisst Ihr denn nicht, dass Ihr dem Teufel die Hand abgehauen habt, nicht dem Werwolf? Dem Teufel, der sich bald wieder eine Hand oder Kralle wachsen lassen kann, wenn es ihm beliebt. Und der Werwolf zieht sich frisch und heil aus dem Spiel. Glaubt mir, Meister, diese Hand des Teufels wird Euch noch böse Streiche spielen.«

Der Metzger war außer sich. Er flehte ihn an, ihm ein Mittel zu nennen, um sich vor den bösen Folgen seiner Tat zu schützen. Ähnlich wie Ärzte ihre Patienten mit Palliative und sogenannten Reinigungen hinhalten, bis sie diese in ein entferntes Bad schicken, um sie loszuwerden, so handelte auch dieser Seelenarzt. Er auferlegte seinem Patienten Buße und Gebet und vertröstete ihn bis zu einer Wallfahrt, die in der schönen Jahreszeit stattfand. Er sollte sich dieser anschließen, um sich Ruhe und Seelenfrieden wiederzuerlangen.

Mit diesem tröstlichen Ausspruch verließ er den frommen Mann. Doch wie sollte der Metzger zu einem solchen Glück wieder gelangen? Das eifrigste Gebet, mit ängstlicher Hast zum Himmel emporgeschickt, um gleichsam Vergebung der Sünden im Sturm zu erringen, träufelt nicht wie mildernder Balsam Ruhe bringend in das Herz des Menschen. Durch Buße und Kasteiung sich Gnade von oben zu erzwingen, besänftigt nicht, sondern entfernt immer weiter von dem Zustand der Gnade. Dem Metzger, dem alten Bösewicht, war durch die spukhaften Erscheinungen, die ihm begegneten, das Gewissen aufgewühlt. Die Qualen der Hölle zeigten sich ihm deutlicher, rückten ihm näher, als ob er die Vorzeichen seines nahen Todes verspürt hätte. Die rote Glut, die er bisher nur aus der Ferne gesehen hatte, schickte züngelnde Flammen nach ihm aus, die ihn berührten.

Er kehrte ohne Trost in sein Haus zurück. Als seine Frau ihm dort entgegenkam und den Schauder überwunden zu haben schien, der sie in der Nacht von seiner Seite getrieben hatte, wich er ihr aus, ohne selbst zu wissen, warum. Er ging in den einsamsten Winkel seines Gartens, um dort allein über sein Schicksal nachzudenken.

So kam der Abend und die Nacht, doch kein lindernder Schlaf wollte sich auf die brennenden Augen des Metzgers niedersenken.

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