Das Astoria-Abenteuer – Teil 1
Max Felde
Das Astoria-Abenteuer
Nach den zeitgenössischen Aufzeichnungen von Washington Irving erzählt
Illustriert von L. Berwald
Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig. Stuttgart, Berlin, Leipzig. 1912
Geleitwort
Um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, zum übrigen Haufen der Indianergeschichten geworfen zu werden, bedarf das vorliegende Buch einiger einleitender Worte. Es könnte ihm sonst ergehen wie dem Mann, der im Zentrum der Handlung steht und leider allen Grund hatte, sich darüber zu beklagen, dass die wahre Natur seines Unternehmens von seinen Mitbürgern und Zeitgenossen zu spät erkannt wurde.
Die Erzählung schildert den Verlauf eines großzügigen, wohldurchdachten und höchst bedeutsamen Handelsunternehmens eines Deutschen, der als blutjunges Bürschchen arm und mittellos war und in seiner Heimat trübe Jugendtage durchleben musste. Doch als er zum Jüngling herangewachsen war, wagte er sich frisch und mutig in die Welt hinaus – auf seine eigene Kraft bauend. Durch größten Fleiß und unermüdlichen Unternehmergeist wurde Johann Jakob Astor – so hieß der junge Deutsche – schon im frühen Mannesalter einer jener großen, friedlichen Eroberer, die von Tag zu Tag mehr zu weitausschauenden Weltkaufleuten ausreifen, mit fester Hand und zielbewusst in wirtschaftliche und nationale Fragen und Geschicke eingreifen und vor keinem Opfer und keinem Hindernis zurückschrecken, um das, was sie als richtig erkannt haben, mit eisernem Willen in die Tat umzusetzen.
Kein Geringerer als der nordamerikanische Schriftsteller Washington Irving, der spätere Freund Astors, hat sich die Mühe gemacht, alle, die an dem ebenso bedeutsamen wie ereignisreichen Handelszug beteiligt waren, zu hören, sowie ihre Niederschriften und Tagebücher zu sammeln. Nur so war es möglich, ein umfassendes und abgerundetes Bild jener denkwürdigen Begebenheit in erzählender Form zu gestalten, das nun, nach einem verflossenen Jahrhundert, vorliegt.
Es kann sicherlich nur gute Früchte tragen, die reifere Jugend mit derart leuchtenden Vorbildern männlicher Tatkraft bekannt zu machen, denn auf ihrem Wissen, ihrem Können und ihrem Unternehmungsgeist ruht unsere ganze Zukunft.
Wenn dereinst – so sagt Friedrich Kapp, der Verfasser der Geschichte der deutschen Einwanderung in Nordamerika – der Stille Ozean im Völkerleben diejenige Bedeutung erlangt haben wird, die das Mittelmeer für die Alte Welt hatte, jene Bedeutung etwa, die der Atlantische Ozean für die Gegenwart besitzt, dann dürfte der Name Johann Jakob Astors – der schöpferische Geist in unserer Geschichte – im Gedächtnis der Völker erst seine volle Bedeutung und Würdigung erlangen. Dann wird die Kunde seiner kühnsten und größten Tat, zur Poesie verklärt, vielleicht als eine neue Odyssee an die mannigfaltigen Gestade des Großen Ozeans dringen.
Max Felde
![]()
Im Winterlager
Ein Mann von hohem, kräftigem Wuchs kniete in lauernder Stellung hinter einem dicken Eschenstamm. Er hatte den verwetterten Filz tief auf die Augen geschoben und hielt eine doppelläufige Flinte an die Wange gedrückt. Sein Blick war über den Lauf der Waffe hinweg unverwandt auf eine Ulme gerichtet, in deren Geäst, hoch oben nahe dem Wipfel, eine dunkle Masse hing. Diese konnte für ein zufälliges Naturgebilde oder für ein großes Vogelnest gehalten werden. Bei der schon vorgeschrittenen abendlichen Dämmerung war dieser Gegenstand für das Auge gewöhnlicher Menschen nur schwer erkennbar.
Der Mann verharrte geraume Zeit in dieser Stellung. Nichts rührte sich.
Plötzlich schien sich der dunkle Punkt im Wipfel des Baumes jedoch zu beleben. Zwei grünliche Lichter blitzten in ihm auf und blieben unausgesetzt dem Eschenstumpf zugewendet.
Der Mann unten lag unbeweglich wie aus einer leblosen Masse hingegossen. Nur der Zeigefinger seiner rechten Hand schob sich noch ein wenig vor; er lag nun mit dem zweiten Glied fest auf dem Drücker.
Da erloschen die beiden grünen Lichter auf der Ulme. Der dunkle Gegenstand, der den Jäger unten so sehr zu interessieren schien, schob sich sachte und geräuschlos auseinander.
Eine langgestreckte, kräftige Katzengestalt wurde sichtbar. Sie schlich etliche Schritte weit auf dem Ast seitlich weiter, hielt dann aber wieder an, schob sich wie zuvor zu einem dunklen Ballen zusammen und äugte mit ihren funkelnden Lichtern zu dem Eschenstamm herüber.
Das dauerte wieder geraume Weile.
Endlich schien dem Mann die Geduld zu Ende zu gehen. Er machte mit dem linken Arm eine ausholende Bewegung.
Da fuhr die Katze im Baum jäh auf. Mit einem mächtigen Sprung war sie am Ende des Astes und flog mit einem zweiten kühnen Satz, wohl sechs Meter weit, in das Geäst des Nachbarbaumes.
Diesen Sprung hatte der Mann unten aber wohl vorausberechnet und nur auf ihn gewartet. Denn im selben Augenblick, als das Wild mit weit ausladenden Läufen und gestrecktem Schwanz frei in der Luft schwebte, krachte sein Schuss.
Das Tier hatte sein Ziel erreicht und mit seinen Pranken das Holz fest erfasst. Im nächsten Augenblick stand die Katze mit hochgekrümmtem Rücken auf dem Ast. Dann aber ein Fauchen, ein kurzer, heiserer Schmerzensschrei, ein Brechen durchs Geäst … das Wild ging nieder und schlug mit dumpfem Aufprall zu Boden.
»All right«, sagte der Mann hinter dem Baumstamm, erhob sich und lud mit größter Seelenruhe den abgeschossenen Lauf seiner Doppelflinte wieder. Er warf noch einen langen, prüfenden Blick auf die Waffe, nahm sie unter den Arm und stapfte durch den hochliegenden Schnee mit langsamen und schweren Schritten zu dem niedergebrochenen Wild hinüber.
Es hing, stark schweißend und regungslos, in einer Gabelung des kräftigen Jungholzes: ein prachtvoller, völlig ausgewachsener Kuguar mit einer Leibes- und Schwanzlänge von nahezu zwei Metern.
Der glückliche Schütze machte nun nicht viel Federlesens. Er überzeugte sich, ob das Leben aus dem Tier auch wirklich ganz entwichen war, erfasste es dann mit seiner kräftigen Faust am gelblichroten Nacken und schleuderte es aus der Gabelung auf den Boden. Er lehnte seine Büchse dicht neben sich an ein Jungstämmchen, kniete neben seiner Beute nieder und begann, sie mit seinem Jagdmesser aufzubrechen.
Als er ihm das prachtvolle Fell abgezogen hatte und gerade dabei war, die beiden hinteren Läufe und den Ziemer vom Körper zu trennen, zuckte er plötzlich zusammen. Er hatte offenbar irgendeinen befremdlichen Laut vernommen. Mit schnellem Griff nach seiner Flinte erhob er sich.
Eine Weile lang knisterte und knackte es im Jungholz, dann trat ein Mann hinter einem Busch hervor.
Auslösen. »Wie ihr seht, hatte ich einen prächtigen Kuguar vor dem Lauf. Es ist ein schönes, junges Tier. Schlegel und Ziemer geben einen vortrefflichen Braten.«
Flink und gewandt trennte der Jäger die Fleischstücke ab und bündelte sie mit einem Riemen, sodass er die blutige Bürde leicht und bequem über der Schulter tragen konnte. »Wo habt Ihr Euer Kanu?«, fragte er dann.
»Nur wenige Minuten von hier entfernt, quer durch das Jungholz, in der nächsten Einbuchtung«, entgegnete der andere und wandte sich zum Gehen.
Sie stapften zum Fluss und bestiegen nach kurzer Zeit das versteckt liegende, ziemlich tiefgehende Boot.
»Ihr habt, wie es scheint, die letzten zwei Jahre mit Erfolg gearbeitet«, sagte der Jäger und warf einen Blick auf die im Bug und hinten am Heck aufgestapelten Ballen, die dem Geruch nach offenbar aus Tierhäuten bestanden.
»Ja, es geht an, ich bin zufrieden.«
Während Jonathan Waterson die Verankerung löste, setzte sich John Day auf die Ruderbank und nahm die Riemen in die Hand. Als das Fahrzeug startklar war, lenkte er es mit einigen kräftigen Ruderschlägen in die Strömung des Flusses.
Etwa zehn Minuten lang ging es flott stromab, dann steuerte er in das stille, stehende Wasser einer kleinen Bucht am Ufer, die zur Bergung von Fahrzeugen wie geschaffen war.
Jonathan Waterson machte große Augen, als er dort vier schwere Boote mit vollständiger Segelvorrichtung, darunter sogar ein Kielboot mit Drehbasse, vor Anker liegen sah.
»By Jove, das ist ja ebenso erstaunlich wie überraschend!«, rief er. »Ein ganzes Geschwader vortrefflicher Fahrzeuge, und irre ich mich nicht, sehe ich auf den Schiffen sogar die Mündungen einiger Haubitzen.«
»Ihr habt ganz recht gesehen. Ihr werdet noch viel mehr staunen, wenn ihr erst erfahren habt, wozu diese Schiffe dienen. Ich bitte euch, nehmt die Bootleine zur Hand … Wir sind am Ziel!«
Geschickt hatte der Jäger das Kanu ans Ufer gesteuert und dort beigedreht, wo es von einem Mann in Empfang genommen wurde, der offenbar bei den anderen Flussfahrzeugen Wache gehalten hatte. Wenige Sekunden später flog diesem Mann eine Leine zu, die er sofort um einen Pfahl schlang und verknotete.
Man langte nach den Büchsen und sprang ans Ufer.
»Kommt, ich will euch mit den beiden Leitern unseres Unternehmens und mit einigen anderen sehr achtenswerten Männern bekannt machen. Sie werden, schätze ich, gerade zum Abendimbiss beieinander sitzen.«
Die beiden erstiegen die Uferböschung, und nun sah der Fremde am Rande eines dichten Waldbestandes drei verschneite Blockhütten vor sich liegen.
Sie gingen auf die mittlere zu und betraten ohne Umschweife den einzigen, verhältnismäßig großen Innenraum.
»Hier bringe ich euch einen Waldläufer, den mir der Zufall in den Weg geführt hat«, meldete John Day, während er an einen untersetzten Mann mit einem sympathischen, intelligenten Gesicht herantrat. Dieser saß am oberen Ende einer langen Tafel, die offenbar aus Warenballen und darüber gelegten Lattenstücken zusammengebaut worden war – alles stammte offensichtlich aus dem Inventar der Boote, die in der Bucht unten am Fluss lagen.
»Ich heiße euch willkommen«, sagte der Angeredete, sich erhebend. »Nenne mich Wilson Price Hunt, und wer seid Ihr, wenn man fragen darf?«
»Ich bin Jonathan Waterson, ein Mann, der zwei Jahre lang ziemlich weit oben im Wald lag. Ich will auf dem Fluss nach Saint Louis und traf auf diesen Mann hier«, sagte er und zeigte auf John Day, »als mich der Hunger heute Abend an das Land trieb.«
»Ein böser Gast, der sich bei euch einstellte«, entgegnete Wilson Hunt mit leisem Lächeln, »dem wir aber gleich nach bestem Vermögen das Handwerk legen wollen. Bitte, setzt euch und nehmt unsere einfache Häuslichkeit hin.«
Jonathan Waterson stellte seine Büchse in die Ecke, setzte sich an die Tafel und lernte nun auch die übrigen anwesenden Männer kennen.
Da war vor allem Donald MacKenzie, der zweite Leiter des Unternehmens. Er war das Bild eines echten, wetterharten Wildstellers, wie James F. Cooper sie in seinen berühmten Lederstrumpfgeschichten so trefflich gezeichnet hat. Seine ganze Erscheinung verriet auf den ersten Blick, dass dieser Mann die Furcht nur dem Namen nach kannte und bereits die größten Strapazen hinter sich hatte. Er war als ausgezeichneter Schütze weit und breit bekannt und berühmt und Jonathan Waterson hatte den Namen MacKenzie bereits in diesem Zusammenhang gehört.
John Day, der sich nun ebenfalls an den Tisch setzte, war ein Jäger aus Virginia, der nicht minder den Eindruck eines starken und beherzten Mannes machte. Er war über sechs Fuß groß und dabei überaus muskulös. Schon in früher Jugend dem Weidwerk ergeben, war er weit im Land herumgekommen. In jüngeren Jahren zog er es vor, auf eigene Faust die Pfade der Wildnis zu durchziehen. Die Verhältnisse brachten es jedoch mit sich, dass er sich seit einigen Jahren mal dieser, mal jener Pelzhandelsgesellschaft anschloss. Von ihm ging die Sage, dass es nichts gab, das diesen Riesen in Schrecken versetzte.
Dann stellte sich Ramsay Crooks, eine ebenfalls sehr verwetterte, kräftige Gestalt im selbst gefertigten Lederwams, dem Gast in schlichter Weise vor. Er war ein unternehmungslustiger, vergleichsweise noch junger Schotte und hatte, wie Donald MacKenzie, lange Zeit in Diensten der kanadischen Pelzjägergesellschaft North West Company gestanden. Später wandte er sich dem Süden zu, um auf eigene Faust eine Reihe von Handelsexpeditionen unter den Indianerstämmen entlang des Missouri zu unternehmen.
Außerdem saß noch ein Mann von besonders intelligentem und kriegerischem Aussehen am Tisch. Er nannte sich Joseph Miller und war ehemals Offizier der US-Armee. Er stammte aus einer angesehenen Familie aus Baltimore, hatte aber eines Tages aus Verdruss über eine verweigerte Urlaubsbewilligung seinen Abschied genommen. Seitdem beschäftigte er sich mit dem Biberfang und dem Handel mit den Indianern, wobei er bereits viele wertvolle Erfahrungen gesammelt hatte.
»Also, ich habe das Vergnügen, lauter Männer kennenzulernen, in deren Gesellschaft sich ein richtiger Waldläufer, der sein Handwerk liebt, nur sehr wohlfühlen kann«, sagte Jonathan Waterson nach vollzogener Bekanntmachung mit zufriedenem Kopfnicken, indem er seine hellen Augen noch einmal prüfend über die verwetterten Gestalten rings um ihn gleiten ließ. »Rechne ich dazu, dass da unten am Wasser, wo ich landete, fast eine ganze Flottille wohlausgerüsteter Flussfahrzeuge liegt, muss ich annehmen, dass ihr Großes in Angriff zu nehmen gedenkt. Um einer Kleinigkeit willen haben sich solche Männer von Ruf und Bedeutung doch wohl nicht zusammengetan.«
»Da sagt ihr kaum ein Wort zu viel, soweit es sich um das Unternehmen handelt«, erwiderte Mr. Hunt. »Wir erstreben in der Tat Großes.«
»Darf man erfahren, welche Aufgabe ihr euch gestellt habt?«
»Ich sehe keinen Grund, Euch das zu verheimlichen«, versetzte Mr. Hunt. »Im Gegenteil, ich will eure begreifliche Neugier sehr gerne stillen. Ihr kennt doch Johann Jakob Astor, der schon so viel von sich reden machte. Den berühmten Handelsherrn, der den gesamten nordischen Pelzhandel kontrolliert und daran bereits Millionen verdient hat?«
»Wer sollte den nicht kennen!«
»Eben der ist es, der auch diese Expedition ins Leben gerufen und ausgerüstet hat. Wir erstreben nichts Geringeres, als den Kontinent trotz aller Hindernisse und Gefahren zu durchqueren, um an den Ufern des Großen Ozeans nach dem Rechten zu sehen und zunächst an der Mündung des Columbia eine Pelzjägerstation zu errichten. Was aus diesem Posten noch alles werden kann und werden soll, brauche ich euch als Mann, der selbst schon mit Pelzhandelsgesellschaften zu tun hatte, nicht erst zu sagen.«
»Alle Wetter, das lässt sich hören«, erwiderte Jonathan Waterson mit wirklichem Erstaunen. »Das ist ein kühner Gedanke, der nur dem Kopf eines Mannes wie Johann Jakob Astor entspringen kann. Wer hätte es nicht schon gewagt, wenn ein solches Unternehmen nicht gar so verzweifelt schwierig wäre!«
»Das ist es! Wenn wir unser Vorhaben jedoch umsetzen, geht alles zum guten Ende. Dann wäre dem amerikanischen Pelzhandel ohne allen Zweifel ein ganz neues, großes Betätigungsfeld gesichert und die gesamte große Wildnis jenseits des Großen Felsengebirges der kulturellen Entwicklung erschlossen. Ich kann Euch sagen, dass die Bundesregierung den Plan Astors aus dem letzteren Grund bereits gutgeheißen hat und versprochen hat, sein Unternehmen nach Möglichkeit zu fördern. Es leuchtet auch ohne Weiteres ein, dass sie die Anlage von Niederlassungen an der nordwestlichen Küste als einen großen öffentlichen Gewinn ansehen muss. Wenn es uns gelingt, Fuß zu fassen, wird es nicht lange dauern, bis dem Pelzjäger auch andere unternehmungslustige Leute folgen: der Landwirt, der Viehzüchter, der Handwerker und allerlei Kaufleute. Und diese Wildnis wird sich allmählich, vielleicht sogar sehr rasch, mit tatkräftigen Gemeinwesen besiedeln. Das wird auch politisch große Vorteile zeitigen. Man weiß ja, dass die Briten jene Länderstriche längst gern eingesackt hätten.«
Mr. Wilson Hunt hatte das mit großem Nachdruck und viel Wärme gesagt. In seinen fest geprägten, kurz und scharf herausgepressten Worten spiegelte sich die ganze Kraft eines Mannes, der gewillt war, das Unternehmen nicht nur bestmöglich praktisch anzugehen, sondern auch dessen höhere Bedeutung und ideale Seite zu berücksichtigen. Er war mit dem, was er dem Gast zu sagen gedachte, … Man sah es ihm wohl an. Auch war er noch nicht fertig. Doch da wurde die Tür aufgestoßen und lachend und lärmend schoben sich ein halbes Dutzend kräftiger Männer in den Raum. Ihr Anführer trug einen dampfenden Feldkessel, seine Begleiter hinter ihm metallene Schüsseln und verschiedene Essgeräte, die sie auf den Brettertisch stellten. Ganz zuletzt schleppte eine kräftige, gedrungene Gestalt ein riesiges, herrlich duftendes Bratenstück, das noch am Spieß steckte, herbei und stellte es ebenfalls auf den Tisch.
»Ei, da sind sie ja schon, unsere allzeit fröhlichen Bootleute und Leibköche«, unterbrach sich Mr. Hunt und wandte sich wieder Jonathan Waterson zu. »Wie ihr seht, sind es große Kindsköpfe, die allerlei Allotria treiben, aber im Ganzen recht brave und brauchbare Burschen. Nun, ihr kennt sie ja, die Kanadier mit den zuweilen fast butterweichen Seelen und den harten, schwieligen Ruderfäusten. Hoffentlich haben sie uns heute etwas Schmackhaftes zubereitet, das sich vor den Augen eines ausgehungerten Gastes sehen lassen kann. Bitte setzt euch hier auf diese Tonne an meine grüne Seite. Und nun tut euren Gefühlen, indem ihr wacker zugreift, nicht den geringsten Zwang an!«
Die Kanadier liefen noch eine kurze Weile kreuz und quer durch den Raum, schleppten von hier und dort noch Essgeräte herbei und stellten schließlich auch mehrere Krüge und zwei Flaschen Genever auf den Tisch. Sie polterten ebenso geräuschvoll zur Tür hinaus, wie sie gekommen waren, woraufhin sich alle zu Tisch setzten.
Dafür traten aber noch drei andere Männer in den Raum, die sich ohne Umschweife ebenfalls an der Tafel niederließen. Es waren dies, wie man dem Gast alsbald bedeutete, MacLellan, John Colter und Peter Dorion, drei weitere Insassen des Winterlagers. Die beiden Ersteren waren wie Jonathan Waterson aus dem Westen gekommen. Bei einem Jagdausflug waren sie ganz zufällig auf Ramsay Crooks gestoßen, der sie den anderen zuführte.
MacLellan war ein sehr merkwürdiger Mann. Er hatte unter einem amerikanischen General mehrere Feldzüge mitgemacht und sich durch viele waghalsige Unternehmungen derart ausgezeichnet, dass seitdem die abenteuerlichsten Gerüchte über ihn umliefen, wie Jonathan Waterson ebenfalls schon wusste. Seine äußere Erscheinung und sein ganzes Wesen zeugten denn auch von außerordentlicher Kraft, Mut und Gewandtheit. Als Mr. Hunt ihn nach jener zufälligen Begegnung im Lager einlud, sich seiner Expedition anzuschließen, war er sofort dabei. Er hoffte, auf der geplanten Reise mit den Sioux zusammenzutreffen, um an ihnen für manche erlittene Unbill Vergeltung zu üben.
John Colter war ebenfalls ein Held der Wälder. Er hatte schon sehr gefährliche Reisen am oberen Missouri unternommen und konnte Hunt wertvolle Auskünfte über die Blackfoot geben, die nach seiner Auffassung den Weißen unversöhnlichen Hass geschworen hatten. John Colter hätte die geplante Reise ebenfalls zu gerne mitgemacht, aber da er erst vor kurzer Zeit eine Ehe eingegangen war, zog er es vor, zu seiner jungen Frau heimzukehren. Da sein Wohnsitz flussabwärts in wenigen Tagen zu erreichen war, zeigte er sich bereit, noch einige Zeit im Lager zu verweilen.
Peter Dorion war ein Mann gemischter Abstammung, der Sohn eines Franzosen und einer Indianerin. Er hatte bereits mehrere größere Reisen in den fernen Westen unternommen und einmal sogar zwei englische Reisende über die Rocky Mountains geleitet. Er war mit außerordentlichem Sprachtalent begabt und hatte sich bei dieser Gelegenheit die Sprachen aller auf dem Weg liegenden Indianerstämme angeeignet. Er wurde daher von Mr. Hunt als Dolmetscher verpflichtet.
Man begrüßte sich auf freundlichste Weise und langte dann allgemein zu, um sich an dem leckeren Wildbret und den wenigen, aber schmackhaften und würzigen Zutaten gütlich zu tun. Jonathan Waterson verstand es ganz besonders, seine Klinge zu schlagen, denn er war, wie er sagte, bis auf den Untergrund seines Magens ausgehungert. Er pries den Zufall, der ihn von diesem Übel befreit hatte, und lobte die Vortrefflichkeit all dessen, was auf der Tafel stand.
»Ja, das Kochen und Braten, das verstehen die kanadischen Reisenden. Das ist ein großer Teil ihres Ruhms«, sagte er und kaute dabei kräftig, während er erneut ein großes Stück Braten vom Spieß säbelte und es zusammen mit ganzen Haufen Mixpickles in unergründliche Tiefen verschwinden ließ. »Kenne sie wohl! Es sind geborene Köche, die das zäheste Wildbret in den zartesten Bissen umzuwandeln wissen. Kalkuliere … nach eurer Bootsausrüstung unten am Wasser zu urteilen, dass ihr eine erkleckliche Anzahl dieser fröhlichen und geschickten Burschen bei euch habt?«
Nun erfuhr er, dass die gesamte Reisegesellschaft aus siebenundfünfzig Personen, darunter vierzig kanadische Reisende, bestand. Die Absicht hatte bestanden, die Reise schon im vorhergegangenen Frühjahr anzutreten, doch sie wurde verzögert, da man gezwungen war, die Bootleute aus dem Norden herbeizuholen. Die Konkurrenzgesellschaften bereiteten bei der Anwerbung die größten Schwierigkeiten.
»Nun ja, die Nordwester (eine kanadische Pelzhandelsgesellschaft, die sich im Besitz von Engländern befand und den ganzen Norden beherrschte) mögen Verdacht geschöpft oder gar der Sache auf den Grund gegangen sein. Daraufhin beschlossen sie, derlei selbst zu unternehmen«, warf Waterson hämisch lächelnd ein.
»Kann schon sein, zumal Johann Jakob Astor, soweit ich weiß, aus seinen Absichten nie ein Geheimnis gemacht hat«, entgegnete Wilson Hunt. »Ja, ich habe allen Grund zu glauben, dass die Briten im Norden versuchen werden, uns kräftig in die Suppe zu spucken. Aber«, fuhr er bedächtig fort, »es wird ihnen schwer genug fallen, uns den Rang abzulaufen.«
»Ich will euch das aufrichtig wünschen«, versetzte Jonathan Waterson. »Dennoch vergesst nicht: Der Weg über das Gebirge ist weit und vom Lorenzstrom quer durch das ganze Land auch nicht viel umständlicher als hier im Süden. Im Gegenteil, ich halte den Euren für um vieles gefährlicher. Habt Ihr berücksichtigt, dass Ihr das ganze Gebiet der wilden Siouxvölker und anderer sehr tückischer Sippen durchqueren müsst? Das wird ohne Zweifel manchen Aufenthalt und vieles Ungemach bringen, vielleicht auch manchen Tropfen Menschenblut kosten.«
»Zugegeben, das ist geeignet, unsere Reise schwierig zu machen. Aber dem Zuvorkommen der Briten ist dank der Umsicht und dem Wagemut Astors doch wohl einigermaßen vorgebeugt, denn die Station an der Mündung des Columbia ist in diesem Augenblick sehr wahrscheinlich schon gegründet.«
Nun machte Jonathan Waterson große Augen.
»Ihr staunt? Ja, ich habe kaum ein Wort zu viel gesagt. Johann Jakob Astor hat nämlich nicht nur diese Landexpedition ausgerüstet, sondern auch ein gut ausgestattetes, seetüchtiges Schiff zum Columbia entsandt. Es würde mich sehr wundern, wenn an seiner Mündung nicht bereits die Handelsflagge unserer Gesellschaft auf dem First eines stattlichen Blockhauses lustig flattert.«
»Sie machen mich wirklich staunen! Das nenne ich außerordentlich umsichtig sein und allen Möglichkeiten von vornherein kraftvoll entgegentreten. Ein wirklich gescheiter und entschlossener Mann, Euer Johann Jakob Astor!«
Jonathan Waterson sagte das mit aufrichtiger, unverhohlener Bewunderung, was die anderen freute, da es nur dafür sprechen konnte, dass ihr Gast Interesse an der Sache zu nehmen begann. Das fühlte auch Wilson Hunt. Da er heimlich längst den Wunsch hegte, einen Mann wie Jonathan Waterson für sein Unternehmen zu gewinnen – er kam gerade aus dem Westen und kannte sich dort aus –, sagte er: »Ihr seht, dass unsere Sache Hand und Fuß hat. Eigentlich liegt nichts vor, was ihr Gelingen in Zweifel stellen könnte. Und wenn sie gelingt, werden die Teilhaber, die sie durchzuführen hatten, nichts zu bereuen haben. Denn ich bin überzeugt, dass uns auf den noch unberührten weidmännischen Gebieten jenseits des Gebirges ein hervorragend guter materieller Gewinn winken wird.« Er fasste das verwetterte, narbenbedeckte Gesicht seines Gastes fest ins Auge und fuhr nach einer kleinen Pause fort: »Was sagen Sie dazu, Jonathan Waterson, wenn ich Ihnen den Vorschlag mache, Ihre Felle, die Sie ohne Zweifel nach Saint Louis zu bringen gedenken, zu einem guten Preis an mich abzutreten und Ihr Kanu ohne Sie flussabwärts schwimmen zu lassen? Euch uns anzuschließen? Es könnte euch, sollte man glauben dürfen, nur willkommen sein, an einem Erfolg, wie er uns winkt, teilzunehmen. Und wir können tüchtige Männer wie Euch sehr wohl gebrauchen.«
Jonathan Waterson sah eine Weile gedankenvoll vor sich hin und schwieg zunächst. Aber Männer wie er waren von rascher Entschlossenheit, und so warf er nur noch einen schnellen, prüfenden Blick über alle, die hochaufhorchend und erwartungsvoll rund um die Tafel saßen – einen Blick, in dem die Antwort, die er zu geben gedachte, bereits ausgesprochen lag.
»Topp!«, sagte er, plötzlich von seinem Sitz auffahrend und Wilson Hunt seine derbe Hand entgegenstreckend. »Es sei, es gilt! Ich bin der Eure! Zwar war es meine Absicht, mich nach Saint Louis zu begeben, um mir dort einige Zeit der Erholung und Ruhe zu gönnen, aber ich denke, Jonathan Waterson hat trotz seines Alters noch lange keine morschen Knochen. Die werden schon noch eine Reise über das Gebirge aushalten. Ich will versuchen, euch bei eurem Unternehmen nach besten Kräften zu unterstützen, wobei ich voraussetze, dass ihr mir, was das Geschäft betrifft, in angemessener Weise entgegenkommt.«
»Daran soll es nicht fehlen«, rief Mr. Hunt erfreut und umfasste die Hand des Waldläufers mit kräftigem Druck. »Ihr sollt euren Entschluss sicherlich nicht bereuen und wie wir alle Anteil haben an dem Erfolg des Unternehmens. Im Übrigen freue ich mich außerordentlich, euch als den Unseren begrüßen zu dürfen.«
Und das sagten dem wackeren Mann dann auch alle anderen, die rund um den Tisch saßen und nur auf den Augenblick warteten, um ihm als Kamerad und Reisegefährte nochmals die Hand zu drücken.
Schreibe einen Kommentar