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Frank Reade Library – Nummer 1 – Kapitel 1

Frank Reade jr. und sein neuer Dampfmann
Oder: Die Reise des jungen Erfinders in den Wilden Westen
Kapitel 1
Ein großes Unrecht

Frank Reade war weltweit als hervorragender und angesehener Erfinder erstaunlicher Maschinen auf den Gebieten Dampf und Elektrizität bekannt. Doch er war alt geworden und konnte nicht mehr um die Welt reisen, wie er es früher gewohnt war.

So kam es, dass sein Sohn Frank Reade Jr., ein attraktiver und begabter junger Mann, in seine Fußstapfen trat und ihn in puncto Vielfalt und Komplexität der Erfindungen sogar übertraf. Der Sohn überflügelte seinen Vater schnell.

Die großen Maschinenwerkstätten in Readestown wurden von dem jungen Frank erweitert und es wurden neue Flugapparate, elektrische Wunder und vieles mehr erschaffen.

Doch der ältere Frank behauptete stets, dass seine Erfindung, der Dampfmann, die wunderbarste von allen sei, da Elektrizität zu dieser Zeit ein unentwickelter Faktor war. »Sie ist nicht zu verbessern«, erklärte er entschieden. »Nicht, wenn Dampf als Antriebskraft genutzt wird.«

Frank junior lachte leise und klopfte seinem Vater auf den Rücken. »Papa«, sagte er mit einer liebevollen, aber sarkastischen Miene, »was würdest du denken, wenn ich eine bemerkenswerte Verbesserung an deinem Dampfmann vornehmen würde?«

»Das kannst du nicht!«, erklärte der ältere Reade.

Frank jr. sagte nichts mehr, lächelte aber vielsagend. Einen Tag später wurden die Türen des geheimen Entwurfsraums sorgfältig verschlossen und Frank jr. verließ den Raum nur, um zu essen.

Drei Monate lang blieb diese Schließung bestehen. In der Maschinenabteilung, in der die Teile der Maschine im Geheimen zusammengefügt wurden, waren Hammergeräusche zu hören. An der Tür hing ein großes Schild mit der Aufschrift Kein Zutritt!.

So standen die Dinge, als Frank eines Abends seine anstrengenden Aufgaben verließ, um ein paar Stunden mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn zu verbringen.

Doch gerade, als er den Hof verlassen wollte, stürmte ein dunkelhäutiger, klein gewachsener Mann mit freundlichen Gesichtszügen aufgeregt auf ihn zu. »Oh, Master Frank«, rief der gutmütige Diener, »wartet nur einen Moment!«

»Nun, Pomp«, sagte Frank freundlich, »was kann ich für dich tun?«

Der Dunkelhäutige, der ein treuer Diener der Reades war und sie auf ihren Reisen in fremde Länder begleitet hatte, duckte unter einem Grinsen seinen Kopf und antwortete: »Ihr Vater möchte Sie ganz schnell sehen, Master Frank.«

»Mein Vater?«, rief Frank schnell aus. »Was ist los?«

»Ich weiß nichts darüber, Master Frank. Er sagte einfach, ich soll Ihnen ausrichten, dass er Sie sehen will.«

»Wo ist er?«

»In seiner Bibliothek, Master.«

»Alles klar, Pomp. Sag ihm, ich komme sofort.«

Der Diener eilte davon. Frank vergewisserte sich, dass die Türen zu den Geheimräumen verschlossen waren. Dies war eine weise Vorsichtsmaßnahme, da Scharen von Verrückten und geistesgestörten Erfindern ständig umherstreiften und die Entwürfe schnell gestohlen hätten, wenn sie Zugang dazu gehabt hätten.

Keine zehn Minuten später betrat Frank die Bibliothek, in der sich sein Vater aufhielt. Der ältere Reade lief aufgeregt auf und ab.

»Nun, mein Sohn, endlich bist du da!«, rief er. »Ich wollte dich dringend sprechen.«

»Ich stehe dir zur Verfügung, Vater«, antwortete Frank. »Worum geht es?«

»Ich möchte, dass du mir sagst, welche Art von Maschine du entwickelst.«

»Das ist nicht fair«, sagte Frank jr. mit funkelnden Augen.

»Wenn es irgendeine Art von Maschine ist, die über die Prärien reisen kann, dann sag es mir«, rief der ältere Reade aufgeregt.

Frank jr. war ratlos, als er versuchte, genau zu verstehen, was sein Vater meinte. Dennoch antwortete er: »Nun, ich darf wohl sagen, dass es so ist. Jetzt erkläre dich.«

»Das werde ich«, entgegnete der ältere Reade. »Ich habe eine Angelegenheit von großer Bedeutung für dich, Frank, mein Junge. Wenn deine Erfindung auch nur so gut wie mein Dampfmann ist und sich nicht verbessert, wird sie dennoch die Arbeit erledigen, die ich möchte.«

Ein Licht erhellte Franks Gesicht. »Ah!«, rief er. »Ich sehe, worauf du hinauswillst. Du hast ein Vorhaben für mich und meine neue Maschine.«

Frank sr. schaute Frank jr. fest an und antwortete: »Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.«

»Was ist es?«

»Zuerst muss ich dir eine Geschichte erzählen.«

»Na los!«

»Es würde einige Zeit dauern, in die Details zu gehen, also werde ich das nicht versuchen, sondern gebe dir eine einfache Darstellung der Fakten, kurzum die Umrisse der Geschichte.«

»In Ordnung. Lass sie mich hören.«

Der ältere Reade räusperte sich und fuhr fort: »Vor vielen Jahren, als ich durch Australien reiste, überfielen mich Buschmänner. Ich wäre getötet worden, wäre da nicht plötzlich ein Landsmann von mir erschienen, ein Mann in meinem Alter, der so mutig war wie ein Löwe.

Sein Name war Jim Travers und ich kannte ihn aus New York als Sohn einer wohlhabenden Familie. Er hatte jedoch ein umhertreibendes Wesen, das ihn nach Australien geführt hatte.

Nun, Travers rettete mir das Leben. Er schlug meine Angreifer in die Flucht und pflegte meine Wunden, bis ich wieder zu Kräften kam.

Ich fühlte seitdem, dass ihm eine Schuld von mir gegenüber bestand, die nicht vollständig beglichen werden konnte. Damals konnte ich ihm keinen Dienst erwidern.

Jim und ich durchstreiften zusammen die Goldfelder. Dann verlor ich ihn aus den Augen und bis vor Kurzem hatte ich nichts mehr von ihm gehört.

Aber jetzt sehe ich, dass es in meiner Macht steht, ihm zu helfen und meine Schuld ihm gegenüber teilweise zu begleichen. Das bringt uns zu der Angelegenheit, die es jetzt zu klären gilt.

Vor sechs Monaten scheint es, als sei Jim, der mittlerweile ein reicher Mann ist, noch Junggeselle und seit einigen Jahren in einem schicken Hotel in New York wohnt, in seinen Club gegangen. Als er am Abend zurückkehrte, fand er einen Zettel vor, auf dem Folgendes stand.«

Mr. Reade legte einen Zettel auf den Tisch. Frank las ihn:

Lieber Travers, ich möchte dich heute Abend wegen einer sehr wichtigen Angelegenheit sehen. Könntest du mich in zwanzig Minuten im Café an der Ecke treffen? Ich muss dich sehen, sei also pünktlich.
Ein Freund

Natürlich wunderte sich Jim über den Zettel, aber er hatte keine Feinde in der Welt, also fühlte er sich völlig sicher und hielt die Verabredung ein. Er machte sich auf den Weg zum Café.

Die Nacht war dunkel und neblig. Jim ging die Straße entlang und hatte das Café fast erreicht, als jemand aus einem dunklen Eingang heraustrat und seinen Arm packte.

›Komm hier rein‹, sagte eine scharfe Stimme. ›Wir können hier besser reden als im Café.‹

Bevor Jim Widerstand leisten konnte, wurde er in einen dunklen Flur gezogen. Zwei Männer hielten ihn fest und gossen etwas Nasses über sein Gesicht und seine Hände. Dann fühlte er, wie jemand irgendeine Flüssigkeit über seine Kleidung schüttete und ihm einen Gegenstand in die Tasche steckte.

Es öffnete sich die Tür wieder und er wurde auf die Straße geworfen. Jim war unversehrt, aber verblüfft über eine solche Behandlung. Er war nicht verletzt worden und verstand nicht, was das alles zu bedeuten hatte.

Der Vorfall hatte nur wenige Momente gedauert. Zunächst blitzte der Gedanke an ein böses Spiel in Jims Kopf auf. Dann kam ihm in den Sinn, sich die Hände anzuschauen, die mit einer Substanz benetzt waren.

Als er das tat, stieß er einen lauten Schrei des Entsetzens aus. Da war Blut auf ihnen.

Eigentlich waren seine Hände, sein Gesicht und seine Kleidung fast vollständig mit rotem Blut getränkt. Für einen Augenblick war er entsetzt.

Was für ein Rätsel! Doch er änderte schnell seine Meinung und lachte tatsächlich.

Es kam ihm in den Sinn, dass es ein Streich seiner Clubfreunde sein könnte. Zufrieden mit dieser Annahme beschloss er, sich an ihnen zu rächen.

Er versuchte, die Tür zu öffnen, durch die er gezogen worden war. Sie war verschlossen und gab nicht nach.

Also kehrte er in sein Zimmer zurück, um sich das Blut abzuwaschen. Doch er hatte keine zehn Schritte gemacht, als er im Schein der Lampe einem der Clubmitglieder begegnete.

›Donnerwetter! Was ist mit dir los, Travers?‹, fragte sein Freund.

›Oh, nichts, nur ein kleiner Scherz, den die Jungs mit mir gemacht haben‹, antwortete Jim mit einem Grinsen. Zwei oder drei andere kamen dazu und Jim erklärte es ihnen auf die gleiche Weise. Dann ging er in seine Wohnung.

Als er dort ankam, war er erstaunt, die Tür offen vorzufinden und ein fürchterliches Szenario vor sich zu sehen. Die Möbel, der helle Teppich und die Wände waren an einigen Stellen mit Blut beschmiert. Jim wurde wütend.

›Das ist wirklich zu viel des Guten!‹, rief er gereizt. ›Diese schönen Möbel zu ruinieren, das geht zu weit.‹

Dann machte er sich daran, das Blut von seinen Händen zu waschen. Das war eine schwierige Aufgabe und nahm viel Zeit in Anspruch. Plötzlich kamen ein halbes Dutzend Polizisten in den Raum und ergriffen ihn.

›Was wollen Sie von mir!‹, rief der überraschte Jim.

›Wir wollen dich‹, antworteten sie.

›Warum?‹

›Wegen Mordes!‹

Anstatt entsetzt zu sein, war Jim wütend, wütender als ein Märzhase. Er stand auf und fluchte die Beamten an.

›Ich mag diese Art von Dingen nicht‹, erklärte er. ›Das ist wirklich zu viel für einen Scherz.‹

Die Beamten lachten nur und legten ihm Handschellen an. Dann führten sie ihn ins Gefängnis. Erst im Gerichtssaal erfuhr Jim, dass er Opfer eines teuflischen Plans geworden war.

In dem Haus, in das er gezogen und in dem er mit Blut beschmiert worden war, war tatsächlich ein Mord begangen worden. Ein unbekannter Mann war dort buchstäblich mit einem Messer in Stücke geschnitten worden.

In Jims Zimmer war Blut gefunden worden. Eine Spur führte vom Haus zu seinem Zimmer. In seiner Manteltasche wurde ein Messer gefunden. Alle Beweise sprachen gegen ihn und sein Prozess war gerade zu Ende gegangen. Er war zum Tod durch den Strang verurteilt worden, mit nur drei Monaten Aufschub.«

Frank Reade jr. lauschte dieser aufregenden Geschichte mit Gefühlen, die sich nicht in Worte fassen lassen. Sie war so schrecklich, so seltsam, so gespenstisch, dass er kaum glauben konnte, dass sie wahr sein sollte.

Er stand auf und ging im Raum auf und ab.

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